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Sieg der Vernunft über die LustVon Thomas Molke / Fotos von Rupert Larl ( © Innsbrucker Festwochen)
Grimoaldus (Antonio Abete, links) mit seinem General Orontes (Jürgen Sacher, rechts) auf dem Höhepunkt seiner Macht (im Hintergrund: der Chor). Die Handlung geht auf die gleichen historischen Vorgänge des 7. Jahrhunderts zurück wie Händels vier Jahre zuvor für London komponierte Rodelinda, regina de' Langobardi, weist aber doch zahlreiche Unterschiede zu letzterer auf. Flavius Bertaridus, der Bruder des Königs der Langobarden, ist nach der Ermordung des Königs durch Grimoaldus, den Herzog von Benevent, von diesem um die rechtmäßige Herrschaft gebracht und ins Exil getrieben worden, während seine Frau Rodelinda und sein Sohn Cunibert als Geiseln gehalten werden. Grimoaldus hat Flavius' Schwester Flavia geheiratet und herrscht seitdem als grausamer Tyrann über die Langobarden. Doch nach einigen Verwicklungen gelingt es Flavius durch Grimoaldus' Tod, bei Händel gibt es eine Aussöhnung der beiden, den Thron zurückzuerlangen und gemeinsam mit seiner Gattin Rodelinda die Langobarden in eine glücklichere Zukunft zu führen. Seine Schwester Flavia verheiratet er mit dem scheinbar geläuterten General Orontes, nachdem dieser Flavias und Grimoaldus' gemeinsamen Sohn Regimbert vor der Wut des Volkes gerettet hat, das angeblich seine Unzufriedenheit mit dem toten Tyrannen an dessen Sohn auslassen wollte. Flavius Bertaridus (Maîte Beaumont) bereitet mit Onulfus (David DQ Lee) seine Rückkehr vor. Das Regieteam um Jens-Daniel Herzog verzichtet in der Inszenierung auf konkrete aktuelle Anspielungen, die es in der Person des Grimoaldus sicherlich in großer Zahl gegeben hätte. Stattdessen vertraut Herzog auf die Aktualität der politischen Botschaft, die das Stück zweifelsohne heute noch hat. Die Kostüme von Mathis Neidhardt sind recht modern gehalten, so wie das Stück bei der Uraufführung im 18. Jahrhundert sicherlich ebenfalls in für die Zeit aktuellen Barockkostümen und nicht historischen Gewändern des 7. Jahrhunderts präsentiert worden ist. Die weiße Uniform Grimoaldus' ist zwar einerseits relativ zeitlos, lässt ihn andererseits aufgrund der hellen Farbe aber auch wesentlich harmloser erscheinen, als beispielsweise sein General Orontes mit einer schwarzen Uniform zu sein scheint. Vielleicht soll damit betont werden, dass Orontes, der sich sofort an das neue Regime unter Flavius anpasst und durch die Hochzeit mit Flavia in seiner politischen Karriere weiter aufsteigt, für die Gesellschaft wesentlich gefährlicher ist als der entmachtete Willkürherrscher Grimoaldus. Das Bühnenbild, das ebenfalls von Mathis Neidhardt entworfen worden ist, besteht größtenteils nur aus verschiebbaren Wänden mit einem dunkelgrünen Marmorabsatz, die zum einen einen klaustrophobisch engen Raum erzeugen können, um zum Beispiel Flavias Hilflosigkeit auszudrücken, die zwischen ihrem Pflichtgefühl dem ungeliebten Gatten gegenüber und dem Wunsch nach Freiheit aufgerieben wird, zum anderen aber der Bühne eine wahnsinnige Tiefe geben können, um zu zeigen, wie verloren sich Rodelinda und ihr Sohn in diesem Machtspiel bewegen. Während der Palast unter Grimoaldus' Herrschaft mit einer prall gefüllten Tafel, Drogenrausch im Waschraum und leicht bekleideten Mädchen das Prinzip der Lust verkörpert, zeigt sich Flavius nach der Machtergreifung mit Mineralwasser und schlichter Tischdekoration eher bescheiden und dem Prinzip der Vernunft behaftet. Flavia (Ann-Beth Solvang) widersetzt sich Orontes' (Jürgen Sacher) zudringlichen Liebesbeteuerungen. Szenisch hat Herzog einige Eingriffe im Libretto vorgenommen. So gibt er der stummen Rolle des Regimbert durch häufige Bühnenpräsenz mehr Gewicht und zeichnet die Figur als ein von den Gewalteskapaden des Vaters traumatisiertes und unter dem Liebesentzug der Mutter leidendes Kind, dem in seinem meist nach unten gerichteten Blick und herabhängenden Schultern bisweilen auch etwas Unheimliches anhaftet. Wenn Rodelinda am Ende des zweiten Aktes ans Bett gefesselt ist und sich statt des Tyrannen plötzlich dessen Sohn nähert und versucht, sie zu berühren, kann diese Aktion als verzweifelter Aufschrei nach Wärme und Geborgenheit verstanden werden, die ihm die eigene Mutter Flavia verweigert, oder als unheimlicher Versuch, dem Vater nachzueifern. Dass Herzog Regimbert im dritten Akt die Arie des lombardischen Schutzgeistes singen lässt, der das Ende der Gewaltherrschaft Grimoaldus' preist und mit Flavius Bertaridus auf dem Thron eine friedliche und glückliche Zukunft ankündigt, deutet an, dass die Regie die Figur in der Opferrolle sieht, von der keine Gefahr ausgeht. Im Gegenteil hat Regimbert am Ende beim allgemeinen Schlussjubel als einziger die Vision, dass sein toter Vater zurückkehrt und weiter nach seinem Prinzip der Lust herrscht. Haben also nur die Köpfe der Macht gewechselt, nicht aber die Prinzipien? Dafür spricht vielleicht, dass in der Inszenierung Grimoaldus nicht gemäß Libretto bei einem Jagdunfall stirbt, sondern von Flavius getötet wird. Damit erlangt Flavius den Machtanspruch genauso, wie er ihn zuvor verloren hat. Die Harmonie trügt. Noch wiegt sich Grimoaldus (Antonio Abete) vor Flavius (Maîte Beaumont) in Sicherheit (im Hintergrund: Chor). Musikalisch zeigt vor allem der zweite Akt die Meriten der nahezu unbekannten Oper. Wenn Flavia zu Beginn des Aktes in den Wald flüchtet, um Ruhe und Frieden zu suchen und in ihrer Arie die Nachtigallen auffordert, ihren Schmerz zu vertreiben, tritt Ann-Beth Solvangs klangschöner Mezzo nicht nur in einen traumhaften Dialog mit zwei Flöten, sondern durch die unterschiedliche Positionierung der beiden Flöten im Orchestergraben wird akustisch auch der Eindruck vermittelt, dass es sich um mehrere Nachtigallen handelt, die von unterschiedlichen Bäumen zwitschern. Einen weiteren Höhepunkt stellt das Duett zwischen Flavius und Rodelinda dar, in dem die beiden sich im Wald wiedererkennen. Dabei scheint aber szenisch Cunibert der einzige zu sein, der seine Freude über den wiedergefundenen Vater zum Ausdruck bringt und verzweifelt versucht, die doch in ihrem Vortrag recht passiv wirkenden Eltern zusammenzuführen. An dieser Stelle scheint Herzog die besungenen Schmerzen und Sorgen stärker ins Zentrum rücken zu wollen als die Wiedersehensfreude. Großartig in Szene gesetzt ist auch Flavius' Arie "Ich eile zu den grünen Matten", in der Flavius voller Zorn von der vermeintlichen Untreue seiner Frau überzeugt ist. In amüsanten Standbildern lässt Herzog die Figuren jeweils während des Gesangs einfrieren. Regimbert (Mélissa Petit, links) sucht die Nähe zu Rodelinda (Nina Bernsteiner, rechts). Gesungen wird auf sehr hohem Niveau. Der Countertenor David DQ Lee gibt Flavius' Vertrauten Onulfus mit in den Koloraturen sehr beweglicher Stimme und großem komödiantischem Talent, wenn er versucht, den unterzeichneten Friedenskontrakt zu stehlen, oder sich etwas tölpelhaft mit Munition für ein Maschinengewehr behängt. Katerina Tretyakova gefällt mit knabenhaftem Spiel als Flavius' Sohn Cunibert und überzeugt mit sehr warmer Stimme vor allem in den Arien, in denen sie die Sehnsucht nach dem Vater ausdrücken kann. Jürgen Sacher bringt mit kräftigem Tenor die gefährlichen Seiten des Generals Orontes sehr deutlich zum Ausdruck. Antonio Abete begeistert sängerisch mit markantem Bass als Tyrann Grimoaldus und versteht es auch darstellerisch, diese Figur als absoluten Widerling zu zeichnen. Mélissa Petit singt den Schutzgeist mit sehr weichem Sopran und verfügt darstellerisch in der stummen Rolle des Regimbert über eine ausgezeichnete Bühnenpräsenz. Nina Bernsteiner stattet Flavius' Ehefrau Rodelinda mit sehr warmem Sopran und begeistert durch ihr intensives Spiel. Ann-Beth Solvang versteht es, der schwer durchschaubaren Figur der Flavia mit warmem Mezzosopran zahlreiche verschiedene Konturen zu geben, und Maîte Beaumont weiß ebenfalls, in der Titelpartie mit kräftigem Mezzo und heroenhaftem Spiel zu überzeugen. Hinzu kommt der von Claudio Chiavazza gut einstudierte Chor der Academia Montis Regalis und das von dem musikalischen Festspielleiter Alessandro De Marchi sehr präzise geleitete Orchester, das die Klangvielfalt und Schönheit der Partitur wunderbar herausarbeitet. So gibt es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten
FAZIT Diese Produktion wird in der Spielzeit 2011 / 2012 an der Hamburgischen Oper zu erleben sein. Wer diese Inszenierung also in Innsbruck verpasst hat, bekommt dort die Gelegenheit, dieses unbekannte Werk Telemanns kennen zu lernen. Allen anderen sei zum Trost gesagt, dass an einer CD-Einspielung der Produktion gearbeitet wird. Weitere Rezensionen zu den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2011 Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAlessandro De Marchi Regie Ausstattung Licht Chorleitung Dramaturgie
Statisterie der Solisten
Flavius Bertaridus
Rodelinda, seine Frau
Flavia, seine Schwester
Grimoaldus, Tyrann
Cunibert, Flavius' Sohn
Orontes, General des Grimoaldus
Onulfus, Vertrauter des Flavius Regimbert /
Lombardischer
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