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Bayreuther Festspiele 2011
25.07.2011 - 28.08.2011


Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Libretto und Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 6 h 15' (zwei Pausen)

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 25. Juli 2005
(rezensierte Aufführung: 10.08.2011)


Bayreuther Festspiele 2011 / Übersicht

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Großer Gesang unter Neonröhren

Von Thomas Molke / Fotos von Enrico Nawrath (© Bayreuther Festspiele)


Christoph Marthalers viel gescholtene Tristan-Inszenierung hat seit ihrer Premiere 2005 eine etwas merkwürdige Aufführungspraxis hinter sich. Als sie 2007 nach zwei Jahren nicht mehr auf dem Programm stand, hat man dies als eine vorzeitige Absetzung einer von statischer Langeweile geprägten Produktion deuten können. Umso überraschender war es, dass die Inszenierung dann 2008 wieder für zwei Jahre auf den Spielplan kam. Und in diesem Jahr ist Tankred Dorsts doch wesentlich erfolgreichere Ring-Inszenierung aus dem Jahr 2006 aus dem Programm genommen und stattdessen erneut die Tristan-Inszenierung auf den Spielplan gesetzt worden, um sie wiederum für zwei Jahre zu spielen. Warum man sich in Bayreuth für zwei Ring-freie Jahre bis 2013 entscheidet und der Dorst-Inszenierung nur fünf Spielzeiten, Marthalers Tristan und Isolde hingegen, wenn man 2012 bereits mitzählt, sechs Spielzeiten mit Unterbrechungen gönnt, bleibt schwer nachzuvollziehen. Der Werkstattcharakter Bayreuth trifft auf Marthalers Inszenierung jedenfalls nur bedingt zu, da Marthaler selbst seit 2008 die szenische Leitung an Anna-Sophie Mahler übergeben hat und die junge Regisseurin nun sehen muss, wie sie mit Marthalers Vorlage klarkommt. Wer also immer mal von einem Theaterbesuch im Bayreuther Festspielhaus geträumt hat, mit den Kartenbestellungen aber die erforderlichen Jahre noch nicht erreicht hat, könnte beim Tristan gute Chancen haben, direkt vor Ort mit etwas Durchhaltevermögen eine Karte ergattern zu können, ohne dabei überhöhte Schwarzmarktpreise zahlen zu müssen. Und bei aller Kritik an der szenischen Umsetzung lässt sich festhalten: Musikalisch ist diese Produktion ein Hochgenuss.

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Brangäne (Michelle Breedt, links) überreicht Isolde (Iréne Theorin, rechts) den Trank.

In der Besetzung hat es seit 2008 keine Veränderungen gegeben. Peter Schneider führt das Orchester der Bayreuther Festspiele immer noch sehr facettenreich durch die Klangvielfalt des Werkes und erreicht die emotionale Tiefe, die die Inszenierung den Protagonisten verweigert. Dass er bei den eruptiven Ausbrüchen der Musik nicht immer Rücksicht auf die Solisten nimmt und sie bisweilen ein wenig zudeckt, ist dabei zu verschmerzen, auch wenn vereinzelte Zuschauer ihm dies beim frenetischen Schlussapplaus durchaus verübelten. Doch ihm gegenüber steht eine Sängerriege, die in jeder Hinsicht mithalten kann. Da ist zunächst einmal Robert Dean Smith, der bereits seit 2005 den Tristan in dieser Inszenierung verkörpert. Mit welchen Kraftreserven er selbst im dritten Aufzug noch aufwarten kann, ohne dabei zu forcieren, wie sein Tenor stets geschmeidig bleibt und auch die extremen Ausbrüche scheinbar spielerisch bewältigt, macht diese Produktion allein schon hörenswert. Iréne Theorin hält als Isolde mit sehr kräftigem und voluminösem Sopran dagegen. Auch sie vermag es, das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinzureißen, obwohl ihre Textverständlichkeit an vielen Stellen sehr zu wünschen übrig lässt. Da wären Übertitel schon hilfreich gewesen, wie es in anderen Häusern ja mittlerweile auch bei Wagner-Opern üblich ist. Mit ausgesprochen klarer Diktion glänzt Robert Holl als König Marke und macht mit sehr markantem Bass diese doch eher kleinere Partie zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt der Aufführung. Michelle Breedt überzeugt als Brangäne mit sehr warmem Mezzo vor allem im zweiten Aufzug mit ihren "Habet Acht" - Rufen. Ansonsten ist sie genau wie Iréne Theorin bisweilen sehr schlecht zu verstehen. Jukka Rasilainen punktet als Kurwenal mit sehr kräftigem Bass. Ralf Lukas, Clemens Bieber, Arnold Bezuyen und Martin Snell beweisen auch in den kleineren Partien absolutes Festspielniveau.

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Isolde (Iréne Theorin, links) wartet mit Brangäne (Michelle Breedt, rechts) auf Tristan.

Und szenisch? Da ist zunächst einmal Anna Viebrocks Bühnenbild, das vielleicht noch am ehesten Deutungen zulässt, indem es sich von Aufzug zu Aufzug weiter nach oben schiebt. Die Liebe zwischen Tristan und Isolde führt also in den Abgrund, der im Keller mit dem gemeinsamen Tod endet. Dabei beginnt alles auf einem Zwischendeck eines großen Schiffes. Die braunen Wände und die unterschiedlichen Stühle, Sessel und Bänke erinnern an deutsche Wohnzimmer in der Nachkriegszeit, wobei das Mobiliar sehr ungeordnet im Raum steht, was die Gefühlswirrungen Isoldes ausdrücken mag.  Vielleicht legt sie auch deshalb während des ersten Aufzuges ständig einzelne Stühle um, die Brangäne wieder aufstellt. Doch die scheinbare Ordnung, die Brangäne wieder herstellen will, ist dahin, nachdem sie Isolde und Tristan den Liebestrank gereicht hat. Im zweiten Aufzug befindet man sich nun eine Etage tiefer. Auf der mit gelben Wänden versehenen Bühne stehen nur noch zwei gelbe Lederhocker, auf denen zunächst Brangäne und Isolde warten, während später dort Isolde und Tristan ihre innigsten Momente erleben. Der Raum wirkt leer und irreal, wie auch die Liebe zwischen Tristan und Isolde in der Realität keinen Bestand haben kann. Im dritten Aufzug ist man dann im Keller angekommen. Die Wände zeigen jetzt abblätterndes schäbiges Mauerwerk. In der Mitte der Bühne steht, von einem Gestell umgeben, ein höhenverstellbares Bett, in dem Tristan im Fieberwahn auf Isolde wartet. Erst als er den sicheren Bereich des Bettes verlässt, stirbt er, während es im Tod keine Vereinigung mit Isolde gibt, da diese sich zum Sterben eben genau in dieses Bett legt. Dies stellt eine sehr negative Deutung der Erzählung dar, die völlig im Gegensatz zur Musik steht, die am Schluss den Sehnsuchtsakkord, der sich durch das ganze Stück zieht, in nahezu sphärischen Klängen einer höheren Liebe, die nicht von dieser Welt ist, auflöst.

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Liebesnacht ohne Erotik: Tristan (Robert Dean Smith) und Isolde (Iréne Theorin).

Besondere Bedeutungen kommen auch den Lichtern beziehungsweise Neonröhren in den einzelnen Aufzügen zu. Während im ersten Aufzug die Lichter sich noch wie Sternenbilder am Himmel in unterschiedliche Richtungen bewegen, mal heller und mal weniger hell aufleuchten, damit noch eine gewisse Unentschlossenheit ausdrücken, so wie Isolde und Tristan ja vor Einnahme des Liebestrankes auch noch nicht wissen, wohin ihr Weg sie eigentlich führt, befinden sich im zweiten Akt fest installierte runde Neonröhren in der Bühnendecke, die für die Fackel stehen, die Isolde verlöschen lassen will. Beim Auslöschen flackern diese Neonröhren als ein großes M immer wieder auf, was als Warnung vor dem König Marke verstanden werden kann. Nachdem Tristan und Isolde von Marke und Melot entdeckt worden sind, beginnen einzelne Neonröhren zu flackern und auszugehen, wobei Isolde diesen Vorgang nahezu apathisch beobachtet und zu beeinflussen versucht. Will sie das gesamte Licht wieder zum Verlöschen bringen, die Entdeckung ihrer heimlichen Liebe rückgängig machen? Im dritten Aufzug befinden sich die Neonröhren nun an den Seitenwänden und auf dem Boden. Bisweilen flackern einzelne Lichter wieder auf und symbolisieren Tristans Hoffen auf Isoldes baldige Ankunft.

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Tristan (Robert Dean Smith, rechts) wartet mit Kurwenal (Jukka Rasilainen, links) auf Isolde.

Die Kostüme, für die ebenfalls Anna Viebrock verantwortlich zeichnet, zeigen zumindest bei Tristan und Isolde eine Entwicklung der Figuren. So hat Isolde im ersten Aufzug noch lockiges Haar, was ihre Freiheit symbolisiert, während sie im zweiten Aufzug die Haare sehr brav in einer Fönwelle gestylt hat und in ihrem gelben Kostüm wie eine brave Politikergattin der 50er Jahre wirkt. Da scheint sie durch die bevorstehende Hochzeit mit dem König also schon in ein gesellschaftliches Korsett gezwungen zu sein. Im dritten Aufzug hat Isolde dieses Outfit aber abgelegt und erscheint in schwarzer Hose und einem beigefarbigen Anorak. Ob es Zufall ist, dass dieser Anorak die gleiche Farbe hat wie Tristans Anorak im ersten Aufzug, ist Ansichtssache. Vielleicht soll über die Kostümierung dann doch im Gegensatz zur räumlichen Trennung eine Verbindung der beiden im Tod angedeutet werden. Übertragbar ist dieser Ansatz auch auf Tristan, der im dritten Aufzug mit Ausnahme der Krawatte und des Anoraks die gleiche Kleidung zu tragen scheint wie im ersten Aufzug und nur im zweiten Aufzug passend zu Isoldes Kostüm im blauen Anzug wie ein Politfunktionär auftritt. Folgt also im dritten Aufzug auch kostümtechnisch die schon im ersten Aufzug mit dem Trank geplante Vereinigung im Tod?

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König Marke (Robert Holl, vorne links), Isolde (Iréne Theorin, im Bett) und Brangäne (Michelle Breedt (rechts) vor dem toten Tristan (Robert Dean Smith, vorne) (im Hintergrund vor der Wand von links: Steuermann (Martin Snell) und Hirt (Arnold Bezuyen).

Bleibt noch die größtenteils scheinbar nicht vorhandene Personenregie Marthalers. In seiner nahezu statischen Inszenierung verweigert er Tristan und Isolde nahezu jegliche Gefühlswallung. Dass die Liebe der beiden in dieser Welt nicht bestehen kann und deshalb Erlösung im Tod sucht, ist sicherlich unbestritten. Ob man diese Verweigerung der Liebe aber dann so emotionslos auf die Bühne bringen muss, bleibt Geschmacksache. Dabei hat die Inszenierung auch ihre wirklich guten Momente. Der Beginn des dritten Aufzuges, in dem Tristan im Fieberwahn fantasiert, wird dank des eindringlichen Spiels und hervorragenden Gesangs von Robert Dean Smith zu einem Höhepunkt der Inszenierung. Auch Markes Versuch, nach der Entdeckung der beiden Liebenden im zweiten Aufzug, Isolde einzuhaken und als scheinbar glückliches Paar mit ihr an der Rampe zu posieren, gehört zu den gelungenen Regieeinfällen. Ansonsten ist aber besonders der zweite Aufzug durch Langeweile geprägt. Dass Tristan als Höhepunkt der Liebesnacht mit seinem Kopf in Isoldes Schoß ruhen darf und gerade mal die Krawatte lockert, während sie lediglich ihre Handschuhe abstreift, ist weit von Erotik entfernt. Auch nicht nachvollziehbar ist, wieso Kurwenal im dritten Aufzug in einem Herrenrock wie ein seniler Greis mit kleinen Schritten über die Bühne tippelt oder ständig vor die Wand rennen muss. Dass der Hirte wie ein Hausmeister in grauem Kittel wohl eher in dem Keller nach dem Rechten sieht als Schafe zu hüten, erschließt sich ebenfalls nicht. Den größten Bruch erreicht Marthaler aber im dritten Aufzug, wenn Isolde endlich erscheint. Statt zu Tristan zu eilen, bleibt sie nahezu bewegungslos im Raum stehen. Bei so viel Gefühlskälte möchte sich selbst am Schluss bei Isoldes "Liebestod" nicht mehr die übliche Gänsehaut einstellen. So lässt es den Zuschauer recht kalt, wenn sie sich nach ihrem Schlussgesang in das Bett liegt und langsam die Decke über ihren Kopf zieht.

FAZIT

Musikalisch ist diese Produktion ein Hochgenuss. Szenisch werden jedoch die Erwartungen enttäuscht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Peter Schneider

Regie
Christoph Marthaler

Szenische Leitung der Wiederaufnahme
Anna-Sophie Mahler

Bühnenbild und Kostüme
Anna Viebrock

Chorleitung
Eberhard Friedrich

Dramaturgie
Malte Ubenauf



Chor und Statisterie der
Bayreuther Festspiele

Orchester der
Bayreuther Festspiele




Solisten

Tristan
Robert Dean Smith

Marke
Robert Holl

Isolde
Iréne Theorin

Kurwenal
Jukka Rasilainen

Melot
Ralf Lukas

Brangäne
Michelle Breedt

Junger Seemann
Clemens Bieber

Ein Hirt
Arnold Bezuyen

Ein Steuermann
Martin Snell

 


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