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Bayreuther Festspiele 2011

Tannhäuser

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner
Dresdener Fassung


in deutscher Sprache

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 25.7.2011
(Rezensierte Aufführung: 1. August 2011 - 2. Aufführung)

Aufführungsdauer: ca. 5 h Stunden 15' (zwei Pausen)


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Bayreuther Festspiele
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Energiekreis(leer)läufe

Von Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath


Keine Ritterromantik weit und breit: Wartburg® ist ein geschlossenes technisches System, das seinen Bewohnern vollständige Autarkie verheißt. Deren Exkremente werden in einer Biogasanlage wiederaufbereitet und als neue Nahrung einem ewigen Kreislauf zugeführt. So ähnlich müssen Fernsehraumschiffe wie die „Enterprise“ funktionieren, die ja auch sich selbst genügen. Der Mensch wird zum Teil dieser Maschinerie, Produzent und Verwerter in einem. Für große Gedanken bleibt da kein Platz, sie werden schlichtweg nicht benötigt, solange der Kreislauf funktioniert. Nicht von ungefähr erinnert das an Huxleys Schöne neue Welt, und wie man sich dort kontrolliert an „Soma“ berauschte, gibt es in Wartburg® eine Alkoholator-Maschine (die mit den aufgedruckten Wochentagen an die Verpackung schwangerschaftsverhütende Präparate erinnert): „Wir wollen fröhliche Teilnehmer und keine Revolution“ schreibt Bühnenbildner Joep van Lieshout, der diese Installation gebaut respektive weiterentwickelt hat. Mit seinem „Atelier van Lieshout“ AVL arbeitet er an solchen autarken Systemen, hat als Höhepunkt sogar einmal einen eigenen Staat ausgerufen, die AVL-Ville im Rotterdamer Hafen (die allerdings nicht lange von den Behörden geduldet wurde).

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Wartburg

Als Symbol für die in sich geschlossene Tannhäuser-Gesellschaft, die auf der historischen (oder romantisch von Wagner herbei geträumten) Wartburg residiert, ist das ein sinnfälliges Bild, das dieser Neuproduktion optisch wie inhaltlich den Rahmen gibt. Alles spielt hier. Der Venusberg wird kurzerhand aus dem Unterboden hochgefahren, eine Art Käfig mit affenartigen Gestalten und kaulquappenhaften Wesen, die vielleicht Spermien sind. So verzerrt scheint man als Bewohner dieser merkwürdigen Welt alles sexuell Triebhafte zu sehen (und zu verdrängen, wobei es dicht unter der Oberfläche ständig ausbruchsbereit lauert). Wie reagieren Menschen in dieser nur auf Funktion ausgerichteten Biomaschinerie, wenn ein (emotionaler) Störfall eintritt? Das hätte ein Thema für Regisseur Sebastian Baumgarten sein können. Der jedoch will (oder kann) sich nicht auf eine klare Interpretationsleitlinie einlassen und veranstaltet reichlich viel (leider wenig erhellendes) Brimborium. Aus den vielen Einzeleinfällen kristalliert sich keine Idee heraus, die das Stück tragen würde Manches scheint auch in erster Linie der Lust an der Provokation entsprungen zu sein. Die in dekorativer Pose erstarrte Vorgängerinszenierung Philipp Arlauds kam da nicht über gepflegte Langeweile hinaus. Da liefert dieser Tannhäuser deutlich mehr Sprengstoff. Oder zumindest Platzpatronen.


Vergrößerung in neuem Fenster Venusberg

Da sitzt ein Teil des Publikums auf der Bühne (aha, wir alle sind Wartburg), da strukturieren per Video eingeblendete Zwischentitel die Handlung (es ist, Brecht sei Dank, eben alles nur Theater), da wird ebenfalls per Video eine superverkitschte barbusige Madonna eingeblendet (altes brandaktuelles Thema: Sex und Katholizismus), und die matronenhaft aufgetakelte Frau Venus ist hochschwanger (das immerhin hätte dem Stück eine boshaft kleinbürgerliche Wendung geben können, wäre es nicht innerhalb der völlig unbürgerlichen Maschinengesellschaft deplatziert). „Rom 451“ steht auf einem Container am Bühnenrand, in dem die Pilger verschwinden und aus dem sie später mit roboterhaft abgezirkelten Bewegungen (und einem gehörigen Putzfimmel) wieder auftauchen – (Fahrenheit) 451 ist bekanntlich Chiffre für die Papier- und Bücherverbrennung und somit Preisgabe der kulturellen Herkunft). Die Charaktere werden gelegentlich slapstickhaft verzeichnet, und überhaupt schwingt viel Heine und dessen ironische Tannhäuser- Ballade mit. Dazu gibt’s noch Texte von Schiller und der Popgruppe „Rammstein“, Videoaufnahmen von Einzellern, in den Pausen wird auf der Bühne weitergespielt, ... Was dieser oft allzu grellen Collage aber fehlt, ist eine ordnende Regiehand, und auch die bunten Kostüme (Nina von Mechow) tragen bei zum allgemeinen Durcheinander, das mit der Zeit ordentlich auf die Nerven geht. Dazu schießt das Programmheft dramaturgisch scharf: Das „dionysische“ und das „appolinische“ Element prallen hier aufeinander, will es weißmachen. Aber so viel es auch zu sehen gibt: ist Appolinisches darunter? Und gar Dionysisches?? Und selbst wenn: Werden da nicht einfach nur wortmächtig Wagners Bilder durch andere (die Wagner freilich auch im Kopf hatte) ersetzt, ohne dem Kern der Oper dadurch näher zu kommen?

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Heil'ge Halle

Wagners Musik kann das aushalten, erstaunlich gut sogar. Das liegt auch daran, dass Dirigent Thomas Hengelbrock vieles neu hören lässt: So transparent, so genau im Detail musiziert war der Tannhäuser wohl noch nie. Hengelbrock wertet die Nebenstimmen auf und erreicht damit verblüffende Klangwirkungen. Er phrasiert kleingliedrig und beweglich, und da erhält jede Note Gewicht, leuchtet jede harmonische Veränderung auf. Das ausgezeichnete Festspielorchester und der vor allem in den Frauenstimmen exzellente Festspielchor setzen das ganz hervorragend um. Hengelbrock disponiert aber auch die großen Entwicklungen: So sehr das über weite Strecken luftig-leichte Klangbild von der italienischen Oper inspiriert scheint – so wie Wagner das zur Entstehungszeit vor Ohren gehabt haben dürfte – so sehr macht er auch die kompositorischen Neuerungen deutlich, und trotz seiner Brüche zwischen konventioneller Nummernoper und aufscheinendem Musikdrama erscheint dieser Tannhäuser homogen, in sich stringent, keinesfalls das unvollkommene Werk, dass der Komponist der Welt letztendlich schuldig geblieben ist (die Regie kokettiert mit diesem eingeblendeten Wagner-Zitat).


Vergrößerung in neuem Fenster Sängerkrieg

Vokal kann man das ausgerechnet von den Hauptpartien nicht sagen. Lars Clevemann stemmt die Titelpartie mit kraftvollem, nicht zu hellem Tenor, der aber in den leisen Passagen farblos bleibt – wenn Cleveman denn überhaupt einmal ein Piano probiert und nicht im pauschalen Forte verharrt. Als komischer Kraftprotz in Unterhosen (1. Akt) funktioniert das leidlich gut, als desillusionierter Zyniker in der „Romerzählung“, weitgehend bar jeglicher Ausgestaltung, ist's langweilig. Stephanie Friede hat für die Venus ein betörend sinnliches Timbre – wenn sie ihre Stimme kontrollieren kann, was nur phasenweise im ersten Akt gut gelingt. Wenn sie in dramatischen Ausbrüchen diese Kontrolle verliert, wabert sie mit irrlichterndem Vibrato herum, dass man auf ihre Wiederkehr im dritten Aufzug gerne verzichtet hätte. Und die silbrige, aber mit pauschalem Einheitsvibrato den Ausdruck gleich wieder nivellierende Elisabeth von Camilla Nylund ist zu oft arg unscharf in der Intonation.

Wie es denn gehen könnte, zeigt vor allem der glasklare, glockenreine Hirt – Katja Stuber macht aus der kleinen Partie ein Ereignis, bei dem jeder Ton „sitzt“, jede harmonische Wendung genau ausgesungen ist. Auch Michael Nagy hinterlässt als interessant eingedunkelter, sehr genau phrasierender Wolfram einen starken Eindruck. Günther Groissböck gibt einen szenisch kraftprotzenden, stimmlich durch und durch souveränen und vergleichsweise jugendlichen Landgraf, Lothar Odinius ist ein tadelloser Walter von der Vogelweide. Wären doch die Hauptpartien auch auf diesem Niveau besetzt, es hätte eine musikalisch wegweisende Aufführung werden können.

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Wunder

Das Spektakel endet, nachdem Venus in den Biogasbehälter gestiegen ist (Wolfram ist halb Sterbehelfer, halb Mörder), als knallige Revue. Venus hat entbunden und reicht das Kind herum, derweil Affen und Spermien an der Rampe herumtanzen. Der Countdown für den Schlussakkord wird eingeblendet. Das Buhkonzert (in das sich auch das eine oder andere "Bravo" mischt) ist fest einkalkuliert.


FAZIT

Lasst uns mal Festspiele aufmischen gehen: Das Team um Sebastian Baumgarten bastelt auf Provokation schielend eine schrille Tannhäuser-Collage, die vieles anreißt und nichts wirklich zwingend fortführt. Das Ergebnis ist allemal besser als Langeweile und gleichzeitig doch ärgerlich. Musikalisch ist vieles, leider nicht alles, grandios.


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Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2011



Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Hengelbrock

Inszenierung
Sebastian Baumgarten

Bühnenbild
Joep van Lieshout

Kostüme
Nina von Mechow

Licht
Franck Evin

Video
Christopher Kondek

Dramaturgie
Carl Hegemann

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich

Statisterie, Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Landgraf Herrmann
Günther Groissböck

Tannhäuser
Lars Cleveman

Wolfram von Eschenbach
Michael Nagy

Walther von der Vogelweide
Lothar Odinius

Biterolf
Thomas Jesatko

Heinrich der Schreiber
Arnold Bezuyen

Reinmar von Zweter
Martin Snell

Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Camilla Nylund

Venus
Stephanie Friede

Ein junger Hirt
Katja Stuber

Vier Edelknaben



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