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Liebe im Labor - das Lohengrin-ExperimentVon Meike Nordmeyer, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Die Ratte ist kein Tier. Sie ist ein Symbol. Als solches taugt sie für die Literatur, also auch für die Opernbühne. Fast wundert es, dass nicht schon eher ein Regisseur auf diese Idee gekommen ist. Hans Neuenfels, anerkannter Provokateur des Regietheaters, hat sie aufgegriffen für seine Bayreuther Inszenierung des Lohengrin. Gemeinsam mit Bühnenbildner Reinhard von der Thannen zeigt er die tragische Oper um das Frageverbot als Laborsituation in klinisch-kühlen, hell durchleuchteten Räumen. Die Nager sind die Versuchstiere. Doch sie sind nicht naturalistisch dargestellt. Die Rattenkostüme des Chors haben blickdurchlässige Köpfe, sodass sie wirken wie bei einer Röntgenaufnahme. Damit ist klar: Hier wird experimentiert und seziert, die Emotionen wie unter einem Mikroskop beobachtet. Es herrscht eine Atmosphäre wie in einer Tomografieröhre.
Als die Inszenierung im vergangenen Jahr Premiere am Grünen Hügel feierte, war die Aufregung groß. Allerhand Tiere ist man bei Wagner gewöhnt doch Ratten? Das war neu und vor allem unbehaglich. Die Folge: Irritation, verhaltener Beifall und lustvolle Buhrufe. Hätte es bei diesem Regisseur jedoch nichts zum Aufregen gegeben, wäre das Publikum sicherlich auch enttäuscht gewesen.
Labiler Herrscher, starker Sänger: Georg Zeppenfeld als König Heinrich.
Zur Neuaufnahme der Produktion ist die Empörung längst gewichen. Wen es nicht schon im Premierensommer gepackt hat, der schaut dieses Mal genauer hin. Und wie viel gibt es da noch zu entdecken in den beziehungsreichen und hochästhetischen Bildern. Die Sensation besteht in diesem Jahr aber nicht in der Regie, sondern in der musikalischen Ausführung. Denn diese besticht mit einer großen Leistung aller Beteiligten und dem glänzenden Debut von Klaus Florian Vogt als Lohengrin. Frenetisch feiert das Publikum die Aufführung, die erstmals in der Geschichte der Festspiele von Arte live nach Deutschland und Frankreich und von einem japanischen Sender in sein Heimatland übertragen wird. Zudem gibt es ein Public Viewing auf dem Volksfestplatz in Bayreuth. Dort durchkreuzt allerdings ein heftiges Gewitter die Open-air-Veranstaltung, es behindert auch zeitweise die Live-Übertragung im Fernsehen. Das Publikum im Festspielhaus bleibt davon freilich ungestört. Dort gibt es erst zum Schluss den Sturm: Einen donnernden Applaus. Standing Ovations, Klatsch- und Stampfrhythmen setzen ein, als Vogt vor den Vorhang tritt. Und da das Publikum nun einmal dabei ist, feiert es daraufhin die gesamte Aufführung mit dem außerordentlichen Beifall im Stehen.
Neuenfels dekliniert sein Regiekonzept konsequent durch. Die Ratten wollen zu Menschen werden. Darin scheinen sie durchaus voranzukommen, wenn sie ihre Tierhaut ablegen und stolz menschliche Anzüge, Hüte und Kleider tragen. Doch das hoffnungsvolle Entwicklungsprojekt unter Leitung des Schwanenritters scheitert. Eine Frage zuviel und Lohengrin muss dem Volk sagen Sorry, es klappt jetzt doch nicht, ich muss gehen. Das ist bitter. Als traurige Oper hat Wagner sein Werk einst selbst bezeichnet. Doch bei Neuenfels geht es auch lustig zu. Die Ratten changieren ohnehin zur Bilderwelt des Comics, und in gewissen Momenten darf bei ihren Auftritten auch so etwas wie Slapstick aufblitzen. Bewusst setzt der Regisseur seine Kontrapunkte zur schwelgenden und aufbrausenden Musik, zu Kriegsgetöse und Heil-Rufen. Und den Schwan, den gibt es auch zu sehen. Der wird von den emsigen Nagern in einer schwarzen Schale hereingetragen. Diese sieht aus wie das Unterteil von einem Sarg oder von einem übergroßer Bräter, was für ein Federvieh ja ungefähr das gleiche ist. Dementsprechend wird das verehrte Tier auch alsbald gerupft von der Decke hängen. Auch Elsa muss bereits vor der Hochzeit Federn lassen. In der Szene vor dem Münster tritt sie im weißen Schwanenkleid auf und sieht sich den massiven Attacken von Ortrud ausgesetzt, die im identischen schwarzen Kleid als ihr Gegenpart über die Bühne stürmt.
Laborsituation mit Ratten - ein Paar erprobt die Liebe: Klaus Florian Vogt als Lohengrin und Annette Dasch als Elsa.
Mit seiner Inszenierung bietet Neuenfels vor allem auch gekonntes Regiehandwerk und kann dabei auf starke darstellerische und stimmliche Präsenz der Sänger zählen. Ein intensives Stück Personenführung gelingt im Brautgemach. Natürlich handelt es sich um eine Versuchsanordnung, das Ehebett steht bereit, das Liebespaar ist in weiße Kittel gehüllt. Packend entfalten Klaus Florian Vogt und Annette Dasch diese Szene und erweisen sich optisch zweifellos als Traumpaar. Wirkte die Sopranistin in den ersten beiden Aufzügen zwar versiert aber noch etwas angespannt und nicht sehr variabel in der Gestaltung, kann sie jetzt mit schön gefärbter lyrischer Stimme und empfindsamen Sequenzen überzeugen. Auch die dramatischen Passagen gelingen intensiv, nur gelegentlich gelangt die Solistin hier an ihre Grenzen. An manch einer Stelle könnte sie die Stimme und den Umgang mit dem Text noch ausdrucksstärker bündeln. Vogt entwickelt die Titelpartie mit seinem frischen, jugendlichen Tenor völlig unverkrampft und sehr nuancenreich. Dabei beweist er kultivierte Stimmführung und sehr genaue Diktion. Seine helle, leuchtende Stimme ohne baritonale Färbung ist vielleicht nicht die übliche Besetzung für die Heldentenor-Partie, aber doch gerade passend für diese Figur aus fernen Sphären. Vogt lässt immer wieder ein reines, stets gehaltvolles und somit berückendes Piano hören und bietet ebenso Passagen von strahlender Durchschlagskraft. Scheinbar mühelos führt er die umfangreiche Partie aus und verfügt auch noch in der Gralserzählung über genügend Energie und Feinsinn ein fulminantes Debut als Lohengrin am Grünen Hügel.
Das übrige Ensemble trägt ebenso zu einer hochwertigen musikalischen Umsetzung bei. Georg Zeppenfeld verkörpert in der Inszenierung sehr treffend einen debilen König und überzeugt gesanglich mit seinem präsenten, warm getönten und flexiblen Bassbariton. Jukka Rasilainen, der kurzfristig für Tòmas Tomasson die Rolle des Telramund übernommen hat, zeichnet mit leicht dunklem Timbre stimmig den Groll eines enttäuschten Charakters. An Bühnenpräsenz und abgründigem Ton wird er von Petra Lang als Ortrud noch weit übertroffen. Bei ihren böse funkelnden, tückisch verführerischen Einlassungen vermag sie stets noch überaus intensiven Stimmklang zu entfalten. Samuel Youn agiert verlässlich mit kräftiger metallischer Stimme als Heerrufer.
Dazu liefert der Festspielchor wie gewohnt klangvolle, differenzierte Ausführung. Unstimmigkeiten sind nur im 1. Aufzug zu hören. Nachdem das A-capella-Quintett der Solisten intonatorisch wackelig geraten war, setzt der Chor unsicher ein und stimmt auch rhythmisch nicht so recht mit dem Orchester zusammen. Hilfreich wäre es sicherlich, wenn das Dirigat von Andris Nelsons hier noch stärker die Führung übernähme und auch gelegentlich noch deutlichere Akzente setzte. Im Vorspiel flattern die sphärischen Streicherklänge anfangs noch eigentümlich unentschlossen. Insgesamt entfaltet Nelsons die Partitur klar und kraftvoll, leicht expressiv, doch vor allem sehr ausgewogen. Der junge lettische Dirigent setzt frische, stimmige Tempi an, lässt das Orchester große dynamische Bandbreite entwickeln und hält die Musik frei von mystischen Schlacken. Eine durchweg hochwertige und berührende Aufführung fügt sich da zusammen. So lautet der Laborbefund: Experiment gelungen.
Nachdem sich die Aufregung gelegt hat, erweist sich die Inszenierung von Hans Neuenfels im zweiten Jahr um so mehr als packend und beziehungsreich. Die Produktion trumpft mit glänzender Sängerleistung auf. Klaus Florian Vogt sorgt für Begeisterungsstürme mit seinem Bayreuth-Debut als Lohengrin.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie und Regie-Mitarbeit
Choreinstudierung
Orchester der
Solisten
Lohengrin
Heinrich der Vogler
Elsa von Brabant
Friedrich von Telramund
Ortrud
Der Heerrufer des Königs
1. Edler
2. Edler
3. Edler
4. Edler
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- Fine -