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Seit Ihrer Gründung vor
18 Jahren erfreuen sich die «Resonanzen», das
neuntägige Januar-Festival mit Musik zwischen Mittelalter und
Barock im Wiener Konzerthaus, einer konstant hohen Beliebtheit.
Hauptursache dafür ist die Attraktivität eines ausgewogenen
Programmangebots, für das auch diesmal nicht nur
Spitzenkünstler – unter anderen Véronique Gens, Ton
Koopman, Jordi Savall und Hopkinson Smith – und bekannte Ensembles wie
Mala Punica und die Capella della Pietà de’ Turchini aufgeboten
wurden, sondern auch als leistungsstark anerkannte Ensembles, die in
Wien debutierten: Gambe di Legno, Hamburger Ratsmusik, Concerto
madrigalesco und La Chapelle Rhénane sowie in großer
Besetzung Solisten, Chor und Orchester La Simphonie du Marais. Auch
inhaltlich lockte wieder ein raritätenreiches Konzertangebot mit
ebenso reizvollen wie aufschlussreichen Vergleichsmöglichkeiten:
Da standen beispielsweise Abende mit vokaler und instrumentaler
Formensprache des Trecento und Cinquecento solchen mit
deutschsprachiger geistlicher Musik (Krieger, Schop / Schütz)
gegenüber, oder erklangen zu Beginn und Ende des Festivals Muster
spezifischer Musikpflege weiland konkurrierender Höfe, für
Wien der Einakter ORFEO ED EURIDICE des heuer vor 350 Jahren geborenen
Johann Joseph Fux als Beispiel einer Serenata zu Kaisers Geburtstag,
für Frankreich dort entwickelte Motetten- und Musiktheaterformen.
Und nimmt man gar Künstlergespräche, Vorkonzerte mit
aufstrebenden jungen Musikern, nachgesetzte Filmaufführungen sowie
einen kleinen Menuetttanzkurs hinzu, nicht zu vergessen die
zweitägige Ausstellung von über siebzig internationalen
Instrumentenbauern, schien wirklich alles Erdenkliche getan, den
vielseitigen Interessen der Freunde Alter Musik weitgehend Rechnung zu
tragen.
Hier sei stellvertretend
für die Anspruchshöhe aller Hauptkonzerte der Doppelauftritt
von La Sinfonie du Marais angesprochen, ein gelungenes Plädoyer
für Reichtum und Schönheit der in Wien bislang immer noch
unterrepräsentierten französischen Barockmusik. Der
international renommierte Barockflötenspezialist Hugo Reyne hatte
dieses Solisten-, Chor- und Instrumentalensemble mit Sitz im
westfranzösischen Departement La Vendée 1987
gegründet, um sich mit ihm auf der Grundlage eigener Forschungen
vor allem, doch nicht ausschließlich, weniger beachteten Werken
des heimischen Barockerbes zu widmen. Für den ersten Abend hatte
er nun geistliche Musik aus der Zeit Ludwigs XIII. und des
Sonnenkönigs im Gepäck, sein zweites Konzert widmete er den
großen Antipoden des französischen Musiktheaters, Lully und
Rameau.
Er begann mit einigen Bouzignac zugeschriebenen petits motets, die
vordergründig betrachtet den 1628 errungenen Sieg über
die Hugenotten in La Rochelle reflektieren, bei genauerer Betrachtung
sich aber als Zeugnisse eines bemerkenswert mutigen Aufbrechens der
traditionell polyphonen Motettenstruktur erweisen, insofern die
narrativen Texte durch kurze Fragen dramatisiert werden und mit
wechselnden Kompositionsstrukturen und Stimmkombinationen eine zwar
kleinteilige, aber gefühlsbestimmte Textauslotung Raum greift, die
für Bouzignac bestimmend, doch ohne Nachfolge bleiben sollte.
Die einfühlsame Gestaltung dieser Qualität von Bouzignacs a
capella-Kompositionen durch Hugo Reynes Choristen sensibilisierte
trefflich für die nachfolgenden Beispiele von grands motets aus
der Feder Charpentiers, Delalandes und Lullys. Für das
doppelchörige «Jubilate Deo» mit der für die
Violons du Roy charakteristischen Instrumentalbegleitung, entstanden
anlässlich der Hochzeit Ludwigs XIV. und damit verbundener
Friedenshoffnungen, hatte Lully Verse verschiedener enkomiastischer
Psalmen verknüpft. Musikalisch verblüfft, dass er von der
feierlich langsamen Einleitung an durchgehend keinen auftrumpfenden
Jubel vertont, sondern die Texte zum einen sich aus imitativ anhebenden
Soli über Verflechtungen im Ensemble hin zu homophonen Tutti mit
doppelchöriger Hervorhebung bedeutsamer Worte entwickeln
lässt, zum anderen sie für zwei längere melodisch
anmutige Abschnitte dem Solosopran anvertraut und so die
Exzeptionalität erfahrener Gottesgnade eher meditativ als
exaltativ abbildet. Hugo Reyne sicherte diesen Charakter
verinnerlichter Freude mit geschickt disponierter Dynamik, ohne dabei
allfälliger agogischer Variation zu entraten.
Prachtvoller nahmen sich demgegenüber die beiden Te
Deum-Vertonungen von Charpentier (1692) und Delalande (1700) aus,
übrigens wie alle lateinischen Texte nicht in der für damals
vermuteten französischen, sondern gängigen italienischen
Aussprache vorgetragen. Beide Komponisten haben diese ihre grands
motets nicht mehr in der bei Bouzignac wie Lully trotz aller
Binnengliederung noch herrschenden Geschlossenheit konzipiert, sondern
in gleichsam kantatenähnlichen Einzelsätzen. Dabei sind die
vom ambrosianischen Lobgesang vorgegebenen Gedankenkreise nur
unwesentlich anders getrennt, doch insbesondere in der Kombination
Vokalsoli sehr unterschiedlich gestaltet. Während Charpentier nur
wenige Soli, aber immer wieder neue, oft auch den Chor einbeziehende
Stimmkombinationen vorsieht, im übrigen Trompeten suo loco
für Akzente, Flöten für ausgedehnte Untermalungen und
Violinfigurationen zur Verzierung einsetzt, vertraut Delalande seine
Einzelsätze nur selten einem Duett an, lässt sie in der Regel
von einem Solisten oder dem Chor gestalten und erzielt so bei
verhaltenem Instrumentalprunk stärker ergreifende spirituelle
Ausdruckswerte, was sich auch in den Finali zeigt, bei Charpentier eine
eindrucksvolle Fuge, bei Delalande ein homophoner Chorsatz, der
Gottvertrauen von stiller Hoffnung hin zu einem veritablen
Freudentaumel steigert.
Alles in allem waren hier wie im ganzen Konzert subtile
künstlerische Qualitäten gefragt, und überzeugte Hugo
Reyne mit seinem, Überspitzungen wohltuend vermeidenden Ansatz
ebenso vollauf wie seine Musiker mit Können und Begeisterung. Wer
jedoch für die Leistungsstärke aller noch einer weiteren
Bestätigung bedurfte, erhielt sie in der Zugabe, dem
choralartigen, mystisch anmutenden Tutti der Einleitung zu Delalandes
«De profundis», bei dessen Vortrag Vokal- und
Instrumentalstimmen geradezu sphärisch wie in einer Orgelmixtur
verschmolzen.
Am
Folgeabend gab Hugo Reyne mit den Seinen und der Starsopranistin
Véronique Gens einen Querschnitt durch französisches
Musiktheater, angefangen von Ballets aus der Frühzeit von Lullys
Opernprivileg bis hin zu der mit Quinault entwickelten spezifischen
Form der Tragédie en musique und ihrer fulminanten
Weiterentwicklung durch Rameau. Natürlich fehlte es nicht an
Glanz, Grazie und Schwung der vielfachen Orchester- und Chor-Varianten
– eine besondere Delikatesse der Chor der vor Kälte bibbernden
Völker aus ISIS –, das zentrale Erlebnis des Abends indes war
Véronique Gens mit ihrer souveränen Beherrschung der
für französische Barockoper so konstitutiven
Deklamationskunst. Ob
sie die Scham der verliebten Keuschheitsgöttin Diana vor sich
selbst
(LE TRIOMPHE DE L’AMOUR) oder die Qual und Todessehnsucht einer ihren toten
Geliebten erblickenden Prinzessin aus AMADIS abbildete, jedes
Rezitativwort war bei ihr zugleich gesprochene wie gesungene Emotion,
jedes Air vollkommene Einheit von Poesie und Musik. Vollends ihre Darstellung
von
Phädras unseliger Liebe zum Stiefsohn Hippolytos aus Rameaus
erster Tragédie lyrique HIPPOLYTE ET ARICIE und deren
Verzweiflung angesichts seines von ihr verschuldeten Endes machte Adel
und Ausdruckstiefe französischer Opernsprache zwingend
sinnfällig. Dass aber auch die von Rameau reichhaltig
ausdifferenzierte und harmonisch kühne Instrumentalmusik
ähnlich atemberaubender Brillanz nicht entbehrt, exemplifizierte
Hugo Reyne mit zwei virtuosen Ouvertüren, in denen die Trennung
der Elemente (ZAÏS) und der Aufstand der Giganten gegen die
Götter des Olymp (NAÏS) eingefangen ist. In der Tat,
nachhaltiger konnte die Empfehlung französischer Barockoper und
ihrer leistungsstarken Interpreten nicht ausfallen, zumal sie in der
Zugabe, dem pfiffig mit Ureinwohnerlauten angereicherten Ohrwurm des
Friedenstanzes aus LES INDES GALANTES noch eine weitere Steigerung
erfuhr.
FAZIT
Vive la musique spirituelle,
vive la musique théâtrale, vive la musique baroque de
France!
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Les Solistes du Marais
Le Choeur du Marais
La Simphonie du Marais
Hugo Reyne
Leitung
Werke von
Guillaume Bouzignac
Marc-Antoine Charpentier
Michel-Richard Delalande
Jean-Baptiste Lully
Jean-Philippe Rameau
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