Seit 26 Jahren
ein Festival für Blockflöten-Fans
Il Flauto
dolce in Stockstadt am Rhein
Von
Ingo
Negwer
Am Wochenende nach Christi
Himmelfahrt fanden sich Freunde der Alten Musik und der Blockflöte
gleichermaßen in Stockstadt am Rhein ein, um die 26. Auflage des
Festivals "Il Flauto dolce" zu erleben. Die Dimensionen sind kleiner,
als man es von den Tagen Alter Musik in Herne, Regensburg oder gar
Utrecht/NL gewohnt ist: ein zweistündiger Meisterkurs mit Dorothee
Oberlinger, sieben Konzerte in der Altrheinhalle und eine beachtlich
umfangreiche Verkaufssaustellung in der Sporthalle nebenan.
Nichtsdestotrotz trafen sich mit Flautando Köln, Dorothee
Oberlinger und ihrem Ensemble 1700, dem Duo David Bellugi
(Blockflöte) und Ivano Batiston (Akkordeon), dem Ensemble
Caprice, mit Ars Musica Zürich, Maurice Steger, dem
Duo Sabine Federstein (Blockflöte) und Maja Mijatovic (Cembalo)
sowie mit dem Ensemble Red Priest auch in diesem Jahr
große Namen in Stockstadt.
Flautando
Köln
(Foto: Ingo Negwer)
Flautando Köln reiste
mit
englischer Musik der Renaissance an. "Ye sacred Muses. Musik aus
dem Hause Tudor" lautete das Motto des Eröffnungskonzerts, das
Katharina Hess, Susanne Hochscheid, Ursula Thelen und Kerstin de Witt
zusammen mit dem Countertenor Franz Vitzthum, Andrea Baur (Laute,
Renaissancegitarre) und Katrin Krauss (Blockflöte) gestalteten.
Musik von König Heinrich VIII. und vom Hofe Elisabeths I. stand im
Mittelpunkt; folkloristisch Anmutendes aus John Playfords "The English
Dancing Master" rundete das Programm ab. Flautando Köln präsentierte
sich
einmal mehr als ein Ensemble hervorragend aufeinander abgestimmter
Blockflötistinnen. In den Consortsätzen von Henry VIII,
William Byrd, Anthony Holborne und Augustine Bassano verschmelzen die
vier bis fünf Flötenstimmen zu einer homogenen Einheit. Die
musikalischen Miniaturen werden mit Liebe zum Detail gestaltet. Und in
Playfords "Tunes" lässt Flautando Köln mit viel
Spielwitz die Finger und Töne tanzen.
Franz Vitzthum sang mit
seinem feinen, lyrischen Countertenor John Dowlands "Go nightly cares"
und William Byrds "Ye sacred Muses". Außerdem interpretierte er
zusammen mit Andrea Baur zwei Lautenlieder: "Have you seen" von Robert
Jones und das anonyme "Sing aloud". Das Programm endete mit zwei
ebenfalls anonym überlieferten Liedern, die Franz Vitzthum und
Ursula Thelen, begleitet von Blockflöten und Laute, gemeinsam
sangen. Abschließend bedankten sich die Akteure mit Diego Ortiz'
"Recercada segunda" für die Ovationen des Publikums.
Ensemble
1700
(Foto: Ingo Negwer)
Nach dem englisch
geprägten Auftakt setzte das Ensemble 1700 den
Konzertreigen am Abend mit Barockmusik aus Frankreich fort. Unter dem
Motto "Les Saisons Amusantes" entführten Dorothee Oberlinger und
ihr Ensemble das Publikum in ein idyllisches Arkadien, wie man es sich
am Hofe Ludwigs XIV. zur kurzweiligen musikalischen Unterhaltung
ersonnen hatte. Zum Auftakt erklang "La Noce Champêtre ou l'Himen
Pastoral" von Jean Hotteterre, die musikalische Schilderung einer
Hirtenhochzeit in der Bearbeitung von François Lazarevitch. In
Nicolas Chédevilles Sonata g-Moll aus "Il Pastor Fido" herrscht
unverkennbar der italienische Stil. Hier grüßt, wie auch in
den zwei Werken aus "Les Saison Amusante", an jedem Notenschlüssel
das große Vorbild Antonio Vivaldi. Unverkennbar französisch
ging es hingegen bei Jacques Hotteterre Le Romain (Les Delices, ou
le Fargis - Rondeau. Le Champêtre), Jaques Christoph Naudot (Modérement
aus op. 8) sowie in den abschließenden "Airs champêtres"
von Michel Pignolet de Montéclair zu.
Das Ensemble 1700 erwies
als
kompetenter Sachwalter dieser kurzweiligen höfischen
Unterhaltungsmusik, die von Dorothee Oberlinger (Blockflöte),
François Lazarevitch (Musette, Traversflöte) und Monica
Waisman (Violine) mit frischen Tempi stilsicher wiedergegeben wurde.
Der Basso continuo war bei Vittorio Ghielmi (Viola da Gamba), Alexander
Puliaev (Cembalo) und Luca Pianca (Laute) in besten Händen. Das
Duo Ghielmi/Pianca wusste zudem mit vier Charakterstücken von
Marin Marais einen ganz besonderen Glanzpunkt in diesem Konzert zu
setzen.
Maurice
Steger,
Sabrina Frey, Vital Julian Frey
und Marco Frezzato (Ars Musica Zürich)
(Foto: Ingo Negwer)
"Eine musikalische Reise von
Darmstadt nach London" unternahm am Samstag Abend das sechsköpfige
Ensemble Ars Musica Zürich um die Blockflötistin
Sabrina Frey. Als prominente Reisebegleitung stand ihnen Maurice Steger
zur Seite, der zusammen mit Sabrina Frey eingangs das Duo Nr. 5 C-Dur
von Georg Philipp Telemann spielte. Von Telemann, der während
seiner Frankfurter Zeit (1712-1721) auch am Darmstädter Hof
tätig war, erklangen außerdem das Concerto d-Moll für
Sreicher und Basso continuo sowie - mit der ausgezeichneten Sabrina
Frey als Solistin - die Suite a-Moll für Blockflöte,
Streicher und Basso continuo. Von Christoph Graupner, der in Darmstadt
als Kapellmeister wirkte und dort vor genau 250 Jahren gestorben ist,
spielten Maurice Steger und Sabrina Frey die
außergewöhnliche Sonata canonica g-Moll für zwei
Blockflöten, Viola (Stefano Marcocchi) und Basso continuo.
In London gab es um 1730 -
also lange nach dem Tod des Maestro - eine wahre Corelli-Mode. Die
Werke Arcangelo Corellis wurden geradezu Pflichtprogramm in
öffentlichen und privaten Aufführungen, wie Maurice Steger
vom Podium herab erläuterte. Zahlreiche Bearbeitungen Corellischer
Werke entstanden und sind heute in verschiedenen zum Teil
handschriftlich überlieferten Quellen erhalten. Maurice Steger und
Ars Musica Zürich präsentierten dem
Stockstädter Publikum die Fassung eines Concertos nach der
Violinsonate F-Dur aus op. 5, dessen geradezu irrwitzig virtuosen
Solopart Maurice Steger mit Bravour meisterte.
Natürlich darf im
barocken London auch George Friedrich Händel nicht fehlen, dessen
Sonata D-Dur op.5/2 für zwei Violinen und B.c. das Programm
abrundeten. Die Solostimmen spielten Fiorenza de Donatis und Andrea
Rogagni; sie wurden von Marco Frezzato (Violoncello) und Vital Julian
Frey (Cembalo) begleitet. Den festlichen Schlusspunkt bildete das
Concerto D-Dur op.6/4 von Arcangelo Corelli in einer "Cover-Version"
(wie man es heute nennen würde) für zwei Blockflöten,
Streicher und B.c.
Ensemble
Red
Priest
(Foto: Ingo Negwer)
Das britische Ensemble Red
Priest
ist bekannt dafür, dass es die Grenzen zwischen
Barockmusik und Popkultur zu überwinden trachtet. Historische
Aufführungspraxis ist für Piers Adams (Blockflöten),
Julia Bishop (Violine), Angela East (Violoncello) und Howard Beach
(Cembalo) kein staubtrockenes akademisches Recherchieren. Sie wollen
das Alte im neuen Gewand zum Leben erwecken und einem Publikum von
heute nahe bringen. Mit "Johann, I'm Only Dancing" wagten sie sich nun
gleichsam an das "Allerheiligste" der Barockmusik - an Werke von Johann
Sebastian Bach in Arrangements von Red Priest. "Darf man das?"
fragte sich der eine oder andere in der Konzertpause. Wer weiß?
Aber die vier Briten können!
Bekanntes in ungewohnter
Besetzung, wie beispielsweise das virtuose Preludio aus der Partita
E-Dur BWV 1006 für Violine Solo, klang als wenn es so sein
müsste (Bach hat die Partita übrigens selbst - wahrscheinlich
für sein Lautenklavier - arrangiert). Dass sie darüber hinaus
auch das Original beherrschen, zeigte Angela East mit ihrer
Interpretation des Prelude aus der Cellosuite G-Dur BWV 1007. Lyrische
Klänge gab es im Arioso aus dem Cembalokonzert f-Moll und im Largo
des Doppelkonzerts für zwei Violinen und Orchester. Red Priest
spielt sein komplettes Programm auswendig; die Kommunikation
untereinander und mit dem Publikum ist den Musikern wichtig. So sprang
der Funke unmittelbar über. Insbesondere wenn Bachs 3.
Brandenburgisches Konzert im rasanten Tempo gespielt, mit Glissandi
gewürzt, der (aus zwei Akkorden bestehende) Mittelsatz parodisisch
in die Länge gezogen wird, ist auch dem letzten Zuhörer klar,
dass es hier um den Spaß an der Musik geht. Das ist ba-rockig
und gelungen. Nach einer ebenso frech wie bizarr wiedergebenen "Toccata
und Fuge d-Moll" (Piers Adams: "Das Beste soll man für den Schluss
aufheben.") feierte das Publikum die Akteure mit Ovationen.
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