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Winter in Schwetzingen

Das Barock-Fest im Rokokotheater des Schlosses

12.12.2010 - 12.02.2011


Bajazet

Pasticcio in drei Akten, RV 703, mit Arien von Johann Adolph Hasse, Geminiano Giacomelli, Riccardo Broschi und Thomas Leininger

Libretto von  Agostino Piovene

Musik von Antonio Vivaldi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

 

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Rokokotheater am 12.12.2010
(Rezensierte Aufführung: 23. Januar 2011)

 

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Hitparade der Barockmusik

Von Thomas Molke / Fotos von Markus Kaesler


Antonio Vivaldis Opernschaffen wird auf den deutschen Opernbühnen leider sträflich vernachlässigt. Umso erfreulicher ist es, dass das Barockfest Winter in Schwetzingen seit nunmehr fünf Jahren daran arbeitet, unter anderem auch versunkene Schätze dieses großartigen Komponisten wieder zu heben. Nach Motezuma, Die Olympiade und Tito Manlio widmete man sich in diesem Winter zum vierten Mal einem Werk des großen Venezianers. Dabei fiel die Wahl mit Bajazet auf ein so genanntes Pasticcio. Bei der Vielzahl der im 18. Jahrhundert entstandenen Opern war es nämlich Usus, dass nicht für jede Oper neue Arien komponiert wurden, sondern man sich bereits vorhandener Arien aus eigenen und auch fremden Kompositionen bediente - ein Urheberrecht gab es zu dieser Zeit ja noch nicht. Das lag vor allem daran, dass die großen Sänger und Sängerinnen der Zeit in der Regel mit eigens für ihre Stimme komponierten Arien von Theater zu Theater reisten und von dem jeweiligen Komponisten und Librettisten erwarteten, dass ein Werk um diese Arien herumgestrickt wurde. So entstand dann meist ein Potpourri aus berühmten Stücken, welches man vielleicht am ehesten mit heutigen Musical-Produktionen wie Mamma Mia! und We Will Rock You vergleichen kann. Die Besonderheit bei Bajazet liegt darin, dass Vivaldi nicht für bestimmte Interpreten die Arien importierte, sondern die Arien für das gewählte Libretto aussuchte und die Sängerinnen und Sänger sich damit arrangieren mussten. Damit stellte Vivaldi das Prinzip des Pasticcio eigentlich auf den Kopf und nahm zugleich ein Verfahren vorweg, das erst mit der Repertoirebildung im 19. Jahrhundert in die Oper Einzug gehalten hat.

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Bajazet (Amadeu Tasca, rechts) beschwört Andronico (Aaron Judisch), seine Tochter Asteria zu schützen.

Erzählt wird die Geschichte des türkischen Sultans Bajazet, der nach der Niederlage gegen den Tataren-Khan Tamerlano, den Begründer des zweiten Mongolenreiches, in seinem Palast von Bursa eingesperrt auf seine Hinrichtung wartet. Allerdings verliebt sich Tamerlano in Bajazets Tochter Asteria und ist für ihre Liebe bereit, Bajazet zu begnadigen. Asteria wiederum ist von ihrem Vater dem griechischen Prinzen Andronico versprochen, den Tamerlano zum Kaiser von Byzanz machen will, wenn dieser einwilligt, Irene, die Erbin von Trapezunt, zu heiraten, die wiederum anreist, um Tamerlano vor den Traualtar zu folgen. Mit dieser Konstellation ist das Gefühlschaos perfekt. Asteria gibt zum Schein vor, auf Tamerlanos Werben einzugehen, hat dabei aber die Absicht, Tamerlano zu ermorden, wobei diese Attentate einmal durch die eifersüchtige Irene und ein anderes Mal durch Bajazet selbst vereitelt werden, der die wahren Absichten seiner Tochter nicht durchschaut. Als Tamerlano nach dem zweiten Anschlag frustriert beschließt, keine Gnade Asteria gegenüber walten zu lassen, kann er erst besänftigt werden, nachdem Bajazet sich das Leben genommen hat. Jetzt willigt er ein, doch noch Irene zu heiraten, und überlässt Andronico den Thron von Byzanz samt Asteria.

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Idaspe (Camilla de Falleiro, vorne) klärt Andronico (Aaron Judisch) über die Vergänglichkeit der weiblichen Schönheit auf.

Dieses für die Barockoper typische "lieto fine" ist laut Regisseur Daniel Pfluger für die Menschen zu Vivaldis Zeiten genauso eine Utopie gewesen wie für den heutigen Zuschauer. Deswegen nimmt Pfluger während des "Allegro" der vorangestellten "Sinfonia" das Ende bereits vorweg. Der als Vorhang fungierende Prospekt wird von der Dienerin Idaspe (Camilla de Falleiro) gehoben und gibt den Blick frei auf einen tot auf dem Boden liegenden Bajazet, einer verzweifelten Asteria und einem im Hintergrund auf dem Thron sitzenden Tamerlano. Die hölzernen Marmorsäulen, die mit antiken Statuen das Bild einrahmen (Bühnenbild: Flurin Borg Madsen) geben teilweise noch den Blick auf das Gestell auf der Rückseite frei und zeigen, dass die ganze Szenerie mehr Schein als Sein ist. Idaspe versucht die Musik zu stoppen. Der Vorhang fällt. Frustriert begibt sie sich zurück in die Geschichte, in der sie aber permanent ein kritischer Beobachter bleibt.

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Tamerlano (Yosemeh Adjei, links) verspricht Andronico (Aaron Judisch, rechts) den Thron von Byzanz, wenn er dafür Irene heiratet.

Wenn sich der Vorhang zum zweiten Mal hebt, sind die Säulen nun richtig angeordnet und ebnen den Weg zu einem von weißen Obelisken umrahmten Thron, auf dem Tamerlano schläft, während Bajazet (Amadeu Tasca) virtuos sein Schicksal beklagt. Dabei schiebt er mehrere Male die Marmorsäulen weg, die von Bühnenarbeitern dann immer wieder in die ursprüngliche Position gebracht  werden. Die Bühnenarbeiter haben in der Inszenierung einiges zu tun, müssen sie doch häufig die Bühnenbilder neu arrangieren und wirken teilweise etwas genervt, wenn sie mit dem Umbau warten müssen, bis die Sänger ihre Arien endlich zu Ende geträllert haben, was bei den Zuschauern häufig ein Schmunzeln hervorruft. Die Auftrittsarie der Irene (Rosa Dominguez) wird zum ersten musikalischen Highlight der Vorstellung. Mit mörderischen Koloraturen macht sie ihren inneren Kampf zwischen ihrer Liebe zu Tamerlano und der Entrüstung über seine Zurückweisung in einer nicht enden wollenden Arie hörbar. Man fragt sich bisweilen, wann sie es während dieser Koloraturen überhaupt schafft zu atmen. Unverständlich bleibt nur, dass ausgerechnet bei dieser Glanzleistung ein Besucher die Spannung mit dem lang anhaltenden Knistern eines Bonbonpapiers stören musste. Da fragt man sich, wie man in einem solchen Moment so unsensibel sein kann.

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Idaspe (Camilla de Falleiro, links) versucht, die empörte Irene (Rosa Dominguez, rechts) zu beruhigen.

Der Schein des barocken Bühnenbildes wird bis zum Schluss immer mehr gebrochen. Nach der Pause sieht man von den Marmorsäulen nur doch die rückseitigen Gestelle, bevor sie dann, wenn es zur Katastrophe kommt, ganz von der Bühne geschoben werden und eine absolut leere Bühne mit Blick auf die Bühnenwände sichtbar wird. Hier soll einem dann wohl die letzte Illusion geraubt werden, bevor  nach der Katastrophe das Bühnenbild des Anfangs wiederhergestellt worden ist. Auch die Kostüme (Janine Werthmann) sind zwar sehr fantasievoll, wirken aber bewusst unvollständig. So trägt Asteria (Sophie Carvalho) einen kurzen weiten Rock, der wie der Ansatz eines weiten Reifrockes aussieht. Auch ihr Liebhaber Andronico (Aaron Judisch) legt seinen purpurnen Mantel sehr schnell ab, um auf den Schultern ein beigefarbenes Gestell zu entblößen, dass ihn breitschultrig wirken lassen sollen, aber offenbart, dass er eigentlich sehr schwach ist. Bajazets Kostüm in silbergrau wirkt nur halbseitig fertig und erhaben, vielleicht um anzudeuten, dass seine Macht schon gebrochen ist. Tamerlano (Yosemeh Adjei) trägt über einer schwarz-grünen Pluderhose einen überdimensionalen weißen Kragen. Die weiß-blonde Perücke gibt ihm zusammen mit diesem Kragen etwas Herrschaftliches, was aber durch die nackten Oberarme wieder gebrochen wird. Einzig Irene tritt mit einem mondänen weit fallenden schwarzen Kleid und aufgetürmtem feuerrotem Dutt auf, um zu zeigen, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Erst wenn sie Schwäche zeigt, weil sie doch eigentlich nur von Tamerlano geliebt werden will, hat sie dieses Outfit abgelegt und erscheint eher zerbrechlich in einem blassen Unterkleid. Idaspe sticht mit einem sehr maskenhaft geschminkten Gesicht aus den restlichen Personen heraus. Ferner deuten ein weißer und ein schwarzer Strumpf und ihre schwarz-weiß strikt getrennte Weste an, dass sie als Mediator zwischen den Parteien fungiert.

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Asteria (Sophie Carvalho) zwischen Tamerlano (Yosemeh Adjei, links) und Bajazet (Amadeu Tasca, rechts).

Interessant ist auch die für die Schwetzinger Produktion gewählte Besetzung der Partien. Während die Rolle des Tamerlano bei der Uraufführung von der auf Hosenrollen spezialisierten Altistin Maria-Maddalena Pieri gesungen wurde, interpretierte hier mit Yosemeh Adjei ein Countertenor die Partie des Tataren-Khans. Im Gegenzug wurden die beiden ursprünglichen Kastraten-Rollen Idaspe (Sopranist Giovanni Manzoli) und Andronico (Altist Pietro Morigi) mit Camilla de Falleiro und Aaron Judisch einem Sopran und einem Tenor übertragen. Neben den schon von Vivaldi eingefügten Arien von Giacomelli, Broschi und Hasse wurden zwei Lücken mit Kompositionen von dem Barockspezialisten Thomas Leininger gefüllt, die völlig in dem restlichen Werk aufgehen, so dass dem musikalischen Ablauf nicht anzumerken ist, dass es sich hierbei nicht um eine von Vivaldi durchkomponierte Oper, sondern um ein Sammelsurium handelt, mit dem die für das Werk komponierten Rezitative ausgeschmückt werden.

Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der erfolgreichen musikalischen Umsetzung hat natürlich auch das Philharmonische Orchester Heidelberg unter der Leitung von Michael Form, der mehrere Male neben dem Dirigat auch selbst zur Flöte griff. Form zauberte aus dem Orchestergraben einen sehr sauberen, pointierten Barockklang, der in dem Rokokotheater das geeignete Ambiente fand. Stimmlich blieben ebenfalls keine Wünsche offen. Tenor Aaron Judisch überzeugte als stets leidender Andronico mit sehr fundierter Stimme, die durchaus erkennen ließ, dass er einmal Bariton war. Sein Ensemble-Kollege Amadeu Tasca stand ihm mit seinem fundierten Bariton als Titelpartie Bajazet in nichts nach. Yosemeh Adjei, der schon mehrfach in Schwetzingen glänzte, zeigte erneut, dass seine kraftvolle Stimme gepaart mit seinem kraftvollen Äußeren einem Countertenor durchaus maskuline Züge und eine herrschaftliche Ausstrahlung geben kann. Die Altistin Sophia Carvalho glänzte mit warmem, sattem Timbre als Asteria. Camilla de Falleiro zeichnete ihre Partie als Idaspe mit sehr exakten Spitzentönen aus, und die hervorragende Leistung der Mezzosopranistin Rosa Dominguez als Irene wurde bereits oben erwähnt. So gab es am Ende frenetischen Beifall für ein hervorragendes Ensemble, ein punktgenau aufspielendes Orchester und eine stimmige Inszenierung.


FAZIT

Wenn auch das Schloss mit seinem Schlosspark an einem kalten Januartag nicht das gleiche Flair verbreiten mag wie im Frühjahr, ist die Qualität der Aufführung im Rokokotheater aber auch in kalten Wintermonaten auf jeden Fall einen Besuch wert.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Form

Regie
Daniel Pfluger

Bühne
Flurin Borg Madsen

Kostüme
Janine Werthmann

Licht
Ralph Kabrhel

Dramaturgie
Bernd Feuchtner

Philharmonisches Orchester

Heidelberg

 
 

Solisten

Bajazet
Amadeu Tasca

Tamerlano
Yosemeh Adjei

Asteria
Sophie Carvalho

Andronico
Aaron Judisch

Irene
Rosa Dominguez

Idaspe
Camilla de Falleiro

 






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