Klanggewitter und Textnebel
Von Joachim Lange
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Foto von Salzburger Festspiele / Hermann und Clärchen Baus
Elektra (Iréne Theorin) allein
So rechte Fortune haben die Salzburger Festspiele mit ihren Opernproduktionen im Großen Festspielhaus auch in diesem Jahr nicht. Schon Riccardo Mutis und Dieter Dorns Gluck Orfeo geriet eher fad. Die eigentlichen Opernereignisse gab es nebenan, im Haus für Mozart, mit Rihms Dionysos-Uraufführung und in der Felsenreitschule mit Vera Nemirovas streitbarer Lulu. Diesmal wäre bei der neuen Elektra sogar Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal fast völlig unter die Räder gekommen, wenn nicht dessen Text als Übertitel mitgelaufen wäre.
Elektra gehört schon deshalb im 90. Jubiläumsjahr nach Salzburg, weil dieser Wurf das erste erfolgreiche Monument der kongenialen Symbiose des Librettisten Hugo von Hofmannsthal und des Komponisten Richard Strauss war. Der Palasthof-Kasten, mit dem Raimund Bauer die Bühne für Regisseur Nikolaus Lehnhoff vollgebaut hat, ist etwas aus der Balance. Zwei Dutzend unregelmäßig große Fensteröffnungen in den grauen Mauern, ein Tor, der Boden aufgeworfen. Betonte Archaik mit Spielraum für Rachepsychologie.
Elektra (Iréne Theorin) und Chrysothemis (Eva-Maria Westbroek)
Der renommierte Regisseur hat guten Mittelklassestandard abgeliefert. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die Schlusspointe seiner Inszenierung ist ein weiß gekacheltes Schlachthaus hinter dem Palasttor. Dort hängt kopfüber die tote Klytämnestra. Für Aegisth war wohl kein Haken frei. Und aus allen Löchern kriechen, schwarzgefiederte Rachemonster, die Orest wohl nicht mehr los wird. Ein Interpretationsschlenker am Ende der Nacherzählung, der etwas plötzlich kommt, aber funktioniert.
Das eigentliche Problem ist an diesem Abend ausgerechnet die Musik. Denn auch die ist aus der Balance. Im Grunde haben Daniele Gatti und die Wiener Philharmoniker etwas Neues kreiert. Was sie bieten, ist eine Elektra-Orchestersuite mit einigen verbalen Störversuchen und Übertiteln. Am reinsten, als Aegisth (laut Übertitel) hinter der Szene ruft: Hört mich niemand?" und Robert Gambill tatsächlich nicht mal ansatzweise zu vernehmen ist. Was freilich auch an ihm liegt. Der war ohnehin wie eine grobe Fehlbesetzung, in die Bodenlöcher seines eigenen Palasthofes gestolpert. Die Diva aber, die sich an diesem Abend ungezügelt spreizt, ist das Wiener Starorchester. So auf sich fixiert und geradezu eitel, so hemmungslos selbstverliebt, so völlig ohne Rücksicht auf die Sänger hört man ein Orchester selten. Dass die Wiener Philharmoniker zugleich auch das Opernorchester der Wiener Staatsoper sind, hört man ihnen an diesem Abend jedenfalls nicht an.
Elektra (Iréne Theorin) und Klytämnestra (Waltraud Meier)
Andererseits: was sie an Partitur-Studium betreiben, das ist schon grandios. So transparent, so emotional aufgewühlt und dramatisch beredt und laut (!) hat man, den Orchesterpart der Musik für sich genommen, wohl noch nie gehört. Wenn sich hier der Rachetanz aufbäumt, klingt Strauss wie ein Über-Bruckner. Sonst aber fasziniert dieser Wurf der Moderne noch immer. Doch Gatti ruiniert die Oper als Gesamtkunstwerk auf diese Weise ziemlich konsequent. Kann ja sein, dass er, als Ausgleich zu seinem gedeckelten Parsifal in Bayreuth, jetzt in Salzburg die Dezibel-Sau heraus lassen wollte. Die Tontechniker vom ORF, die das für ihre Aufzeichnungen mischen müssen, sind jedenfalls nicht zu beneiden.
Das Finale Orest vor dem Schlachthaus
Im Großen Festspielhaus konnten der, wie erwartet, phänomenale, mit ruhig strömender Kraft und tadelloser Diktion aufwartende Orest von René Pape und die klugdosierte, in der Erscheinung und auch in ihrem Gesang geradezu elegante Waltraud Meier als Klytämnestra zwar ihre Partien in die Wahrnehmbarkeit retten, aber fürs Ganze nichts ausrichten. Eva-Maria Westbroeks lodernde Chrysothemis kämpft da vergebens, und bei der ohnehin überfordert wirkenden Iréne Theorin kommt hinzu, dass ihre Elektra auch ein verbal ziemlich wortnebliges Hofmannsthal durchwandert.
FAZIT
Auch bei der akustisch aus der Balance geratenen Premiere jubelte das Festspielpublikum entschlossen, mit ein paar Buhs für den Über-Strauss von Daniele Gatti. Dem Vernehmen nach zügelte er in den Folgevorstellungen die Orchesterlautstärke deutlich.
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