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Rossini Opera Festival

Pesaro, 9. - 22. August 2010


Demetrio e Polibio

Dramma serio in zwei Akten

Libretto von  Vincenzina Viganò Mombelli

Musik von Gioachino Rossini


in italienischer Sprache mit italienischen Übertiteln

 

Aufführungsdauer: ca. 2 h 15' (eine Pause)

Premiere im Teatro Rossini in Pesaro am 10.08.2010
(Rezensierte Aufführung: 16. August 2010)

 

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Rossini Opera Festival

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Phantome der Oper

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival / © Studio Amati Bacciardi


Um Rossinis Oper Demetrio e Polibio ranken sich einige Legenden, was einerseits die Entstehungszeit und andererseits die Urheberschaft der Komposition betrifft. So berichtet Rossini in seinen Memoiren, dass diese Oper sein erstes Werk gewesen sei, welches er im zarten Alter von 13 Jahren komponiert habe. Zur Uraufführung kam das Werk aber erst 1812 in Rom, als Rossini schon seine ersten Erfolge in Venedig hatte feiern können, und zwar als Auftragswerk für die Mombellis, eine vierköpfige Theatertruppe bestehend aus dem Vater Domenico, der Tenor, Impressario, Komponist und Leiter der Gruppe war, seinen beiden Töchtern Ester und Anna, die als Sopran und Mezzo jeweils das Liebespaar verkörperten, und dem Bass Ludovico Olivieri, einem treuen Freund der Familie. Diese musikalisch hochbegabte und gefeierte Gruppe beherrschte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Bühnen Italiens, und zahlreiche Werke waren extra auf sie zurechtgeschnitten, so auch Demetrio e Polibio. Das Libretto zu dieser Oper stammte von Domenicos zweiter Ehefrau Vincenzina, so dass quasi wirklich alles in der Familie blieb.


Vergrößerung in neuem Fenster Lisinga (María José Moreno) und Siveno (Victoria Zaytseva) besingen in einem grandiosen Duett ihre Liebe, im Hintergrund ihre Doubles

Dass Rossini dieses Werk vor seinem Bühnendebüt La Cambiale di Matrimonio 1810 in Venedig komponierte, ist sehr wahrscheinlich, da sich die Musik in weiten Teilen noch mehr den Konventionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts anpasst. Bisweilen erinnert die musikalische Ausgestaltung auch an die Reformopern Glucks und nur vereinzelt  schimmert der für Rossini so typische Crescendo-Klang durch. Auch die Nummernfolge entspricht noch nicht dem später üblichen Aufbau der meisten Rossini-Opern, weil das Werk überwiegend nur Arien und Duette enthält und mit Ausnahme eines Quartetts, zweier Chorszenen und dem jeweiligen Aktfinale auf weitere Ensemble-Szenen verzichtet.

Das Jahr 1805 für die Komposition anzusetzen, scheint aber dann doch etwas zu früh zu sein, da die Mombellis bis 1808 gar nicht in Italien verweilten und Rossini sie somit frühestens im Alter von 16 Jahren kennen gelernt und den Auftrag zur Komposition bekommen haben kann. Des Weiteren ist belegt, dass einzelne Passagen des Werkes, wie beispielsweise die Ouvertüre, nicht von Rossini stammen, sondern von Mombelli selbst ergänzt oder ersetzt (?) worden sind. So lässt sich nicht nachvollziehen, ob es wirklich ein komplettes Auftragswerk Rossinis gewesen ist oder ob er nur einzelne Kompositionen für eine Oper geliefert hat, die Mombelli dann für seine Truppe zusammensetzte und ergänzte. Jedenfalls hat Mombelli selbst nie die Urheberschaft Rossinis an diesem Werk abgestritten. Warum auch, verkaufte sich doch eine Oper von dem neuen Shootingstar in Italien gewiss sehr gut. Eine kritische Ausgabe zu dieser Oper ist bis heute wegen der verzwickten Sachlage noch nicht erstellt worden. Es bleibt noch einiges an diesem Werk zu entdecken, und die Mühe lohnt sich.


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Polibio (Mirco Palazzi) und Lisinga (María José Moreno) lassen ihren Händen Feuer entspringen.

Die Handlung spielt im 2. Jahrhundert vor Christus. Demetrio, der König von Syrien, hat die Macht in seinem Land und seine ganze Familie verloren. Sein Sohn konnte aber von seinem Diener Minteo gerettet werden, indem er mit ihm zu Polibio, dem König der Parther, floh. Doch bevor Minteo dem Jungen seine wahre Identität mitteilen konnte, starb er. So wächst der junge Mann unter dem Namen Siveno am Hof des Königs Polibio auf und verliebt sich in dessen Tochter Lisinga. Kurz vor der Eheschließung taucht aber Demetrio, der die Herrschaft über Syrien zurückerlangt hat, getarnt als Botschafter des Königs unter dem Namen Eumene auf und fordert die Auslieferung Sivenos. Polibio lehnt ab, und Demetrio entführt statt seines Sohnes Lisinga aus dem Brautgemach. Die Kinder werden ausgetauscht und Demetrio gibt sich Siveno als Vater zu erkennen. Doch Lisinga hat das Heer der Parther gegen Eumene mobilisiert, um Siveno zu befreien. Als sie Eumene/Demetrio töten will, wirft sich Siveno dazwischen und rettet seinem Vater das Leben. So lenkt Demetrio endlich ein, gibt sich als König der Syrer zu erkennen und bietet Polibio ein Bündnis an, das mit Lisingas und Sivenos Hochzeit besiegelt werden soll. Allgemeiner Jubel.


Vergrößerung in neuem Fenster Demetrio (Yijie Shi) "durchbohrt" seine Geisel Lisinga (María José Moreno) mit brennender Hand

Allgemeinen Jubel gab es auch beim Publikum, was zum einen den hervorragenden Solisten zu verdanken war, ohne die ein solches Werk nicht zu stemmen ist, woran zum anderen aber auch die sehr phantasiereiche Inszenierung von Davide Livermore ihren Anteil hatte. Doch zunächst zu den Sängern. María José Moreno schoss mit klaren und sauber intonierten Koloraturen in ihren Arien ein wahres Belcanto-Feuerwerk ab. Vor allem ihre Rachearie im zweiten Akt "Superbo, ah! tu vedrai", in der sie beschließt, Siveno zu befreien und Demetrio zu töten, stellt die Arien der Königin der Nacht vom Anspruch her in den Schatten. Frau Moreno verzierte diese Arie mit den höchsten Tönen, bei denen man sich kaum vorstellen konnte, dass sie so fokussiert und präzise zu bewältigen seien. Mit wohl-timbriertem Mezzo sang Victoria Zaytseva die Hosenrolle Siveno ebenfalls perfekt. Besonders in den Duetten mit Frau Moreno ließ sich erahnen, warum dieser Oper zur damaligen Zeit ein großer Erfolg beschieden war. Hervorzuheben ist an dieser Stelle vor allem ein Liebesduett im ersten Akt "Questo cor ti giura amore", in dem sich Lisinga und Siveno ewige Liebe schwören. Bei der Eingängigkeit und Schönheit dieser Musik verwundert es, dass dieses Duett noch nicht den Weg in die Opernwunschkonzerte gefunden hat. Wenn man dieses Duett noch ein paar Mal aufführen würde, würde es gewiss manchem anderen Schmankerl den Rang ablaufen. Frau Moreno und Frau Zaytseva rührten mit diesem Duett das Publikum jedenfalls zu Tränen.


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Demetrio (Yijie Shi auf dem Klavier) entführt vor den Augen Polibios (Mirco Palazzi) mit seinen Soldaten Lisinga (María José Moreno).

Yijie Shi verlieh den Zornesausbrüchen des Demetrio tenorale Dramatik und traf die Höhen jederzeit sehr sicher, ohne dabei zu pressen. Mirco Palazzi als Polibio rundete mit seinem fundierten Bass das Solistenquartett sehr formschön ab. Hinzu kamen ein sehr gut einstudierter Chor aus Prag unter der Leitung von Lubomír Mátl und ein herrlich präzise aufspielendes Orchester Sinfonica G. Rossini unter der Leitung von Corrado Rovaris.

Davide Livermore siedelte die Oper zwar nicht im 2. Jahrhundert vor Christus an, stülpte ihr aber auch keine Handlung über, die die Geschichte gestört oder unverständlich gemacht hätte. Er ließ die Oper im Theater spielen, und zwar des Nachts, nachdem der letzte Vorhang gefallen ist. Die Zuschauer blicken zu Beginn quasi aus der Perspektive der Bühnentechniker von hinten auf die Bühne und sehen, wie die Techniker, nachdem der Vorhang gefallen ist, während der Ouvertüre die Bühne abbauen. Zurück bleiben Theaterkisten und Bühnenelemente, denen dann, nachdem die Techniker gegangen sind, wie Geister aus Mottenkisten die Figuren des Stückes entsteigen. Als Phantome der Oper erscheinen und verschwinden sie - mit Hilfe eines Doubles, das häufig auch die Lippen zum Gesang mitbewegt - auf einer Seite der Bühne, um im gleichen Moment auch von der anderen Seite aufzutreten. Auch das Aufflackern der Figuren in Spiegeln erinnert sehr an Andrew Lloyd Webbers bekanntes Musical.

Aber auch sonst ist viel Bühnenzauber und Magie im Spiel. So können die Charaktere ihren Händen Feuer entspringen lassen - Cornelia Funkes Tintenherz lässt grüßen. Ein Bühnentrick, der sehr faszinierend wirkt. Auch schwebt eine Kerze scheinbar schwerelos bei Sivenos Arie bis in den Zuschauerraum, und die Schnüre, von denen sie gehalten wird, lassen sich kaum erkennen. Als die Väter die Kinder als Geiseln genommen haben, durchbohren sie scheinbar mit ihren Händen die Kinder, als wenn die Geister nur aus Luft bestünden. Ein weiterer Trick, für den der Accademia di Belle Arte di Urbino, die für diesen Bühnenzauber verantwortlich war, großer Respekt gebührt, weil es - zumindest von den Rängen aus - sehr echt wirkte. Bisweilen schleichen zwar während des Stückes Wächter mit Taschenlampen durch das Theater, nehmen die Geister in ihrem Spiel aber nicht wahr. Erst als die Geister am Ende des ersten Aktes das Theater in Brand setzen, laut Libretto Demetrio ein Feuer auslöst, um Lisinga zu entführen, rückt die Feuerwehr an, um den Brand zu löschen. Und nach der Pause hängen von den wunderschönen Kostümen, zwischen denen die Figuren ihr Stück spielen nur noch die traurigen verbrannten Reste. Besonders originell ist auch die Idee, ein Klavier als Lisingas Brautgemach zu deuten. Schlafen die Geister verstorbener Seelen in bzw. auf Musikinstrumenten?

Die Protagonisten sind in Kostüme gekleidet, die der Entstehungszeit der Oper entsprechen dürften. Sollte es sich bei den Geistern womöglich um die Mombellis selbst handeln, die immer noch im Verborgenen im Theater spuken und nachts, wenn alles schläft, in ihren ehemaligen Wirkungsstätten ihre Stücke präsentieren? Vergleicht man Portraits der Mombellis mit den dargestellten Charakteren, scheint diese Idee nicht ganz abwegig zu sein. Am Ende des Stückes ist jedenfalls alles vorbei. Jetzt betritt eine Balletttruppe das Theater, die Geister verschwinden in den Spiegeln und der Vorhang heb t sich für den nächsten Theaterabend.


FAZIT

Ein grandioses Theatererlebnis mit hochkarätigen Solisten und einem tollen Regiekonzept, eine vergessene Oper als Gespenst zwischen dem normalen Theaterbetrieb aufführen zu lassen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Corrado Rovaris

Inszenierung
Davide Livermore

Bühnenbild und Kostüme
Accademia di Belle Arti di Urbino

Licht
Nicolas Bovey

Choreinstudierung
Lubomír Mátl

Chor der Camera di Praga

Orchester Sinfonica G. Rossini


 

Solisten

Lisinga
María José Moreno

Demetrio-Siveno
Victoria Zaytseva

Demetrio-Eumene
Yijie Shi

Polibio
Mirco Palazzi

 






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