Er ist der Welt noch einen Tristan schuldig
Von Joachim Lange
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Fotos von Wilfried Hösl
Remdoogo
Vorne werden die alljährlichen Münchner Opernfestspiele mit all dem hier üblichen Nobeldirndel-Schick zelebriert. Einen Monat Leistungsschau mit Festspielzuschlag man müsste sie erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe. Neu und besonders ist diesmal der Pavillon 21 auf dem Marstallplatz. Dieser bizarr futuristische 300-Plätze-Container, den Intendant Nikolaus Bachler erfunden und das Wiener Architektenbüro Coop Himmelb(l)au entworfen hat, ist ein Platz für die Kunst und selbst ein Kunstobjekt. Es reckt seine metallverkleideten Ecken und Stacheln demonstrativ in Richtung Opernhaus und ist eine gelungene Geste architektonischer Rebellion mit allen produktiven Chancen, die die experimentelle Infragestellung von etablierter Kunst immer hat. Schade, dass es ihn nur auf Zeit gibt.
Mach mal vor, wie du Hunger spielst
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Auf jeden Fall ist er in diesem Jahr ein idealer Landeplatz für das aktuelle Projekt von Chrristoph Schlingensief. Als Via Intolleranza II in Brüssel gestartet und durch Festival-Europa getourt, ist es hier mit dem Zusatz Remdoogo angekommen. Es hat auch mehr mit diesem afrikanischen Operndorf(projekt) in Burkina Faso zu tun als mit Luigi Nono, mit dessem Schlüsselwerk Intolleranza höchstens in der Methode - und so, wie alle ambitionierte Kunstanstrengung etwas miteinander zu tun hat. Vor allem zelebriert Schlingensief hier wieder die Rebellion gegen die kulturellen Hochburgen und bleibt doch in deren Kraftfeld. Er ist ja ohnehin längst deren Bestandteil. Natürlich hat auch dieses Projekt wie immer vor allem mit ihm selbst zu tun. Und mit Richard Wagner. Und das nicht nur wegen der Liebestod-Anspielung, die in all' dem Kraft-, Improvisations- und Selbstzitat-Chaos ähnlich faszinierend durchschimmert wie in seiner ready made- Oper Mea culpa. Schlingensief geht es um sein Operndorfprojekt, das er gegen alle Wahrscheinlichkeit den Umständen abtrotzen will. So, wie er die Kraft dafür und sein Leben seiner Krebserkrankung abringt. Alles sehr öffentlich und persönlich, alles sehr weltehrgeizig und als Kunstprozess. Das macht ihn sympathisch, entzieht seinen Operndorfwerbefeldzug jedoch auch jeder ernsthaften Infragestellung. Der Kraftakt bleibt aber nicht ohne Folgen für ihn. So war der Krebskranke und Therapiegeschwächte selbst in der letzten der drei Münchner Vorstellungen nur auf der Leinwand dabei. Ihn selbst musste man nach Berlin zu seinen Ärzten fliegen. Eine Nachricht, als Teil der Vorstellung. Und eine, deren Ernst man am liebsten schnell verdrängt.
Remdoogo
Während Stefan Kolosko den Abwesenden kokettierend mit der Improvisation, also referierend, beisteuerte, entfaltete der Abend dennoch seine chaotische Kraft. Wobei vor allem die unverbrauchte, vitale Würde der singenden, redenden und tanzenden Afrikaner in der 18 köpfigen Truppe die verquirlten Bruchstücke europäischer Kulturzitate zu einer Art Restmüll degradierten. Oder zum Rohstoff aufwerteten. Ein paar Mal, während der schrill bunten, chaotisch choreographieren und assoziationsgespickten Film-, Text-, Musik-, Tanz- und Selbstreflektionsmelange, wird gesagt, dass die meisten Bilder über Afrika von Weißen stammen. Was wohl einschließen soll, dass sie falsch, jedenfalls nicht selbstbestimmt sind. Immerhin ist Via Intolleranza II irgendetwas dazwischen. Auch Schlingensiefs Blick ist natürlich der Blick eines Weißen. Aber einer, der auch gegen sich selbst revoltiert. Weil er ins Leben hinter den Bildern einzugreifen versucht und sich von der Kraft und Würde der Betroffenen auf seiner Bühne in Frage stellen lässt.
FAZIT
Ob Burkina Faso und Afrika wirklich Oper im Allgemeinen und Wagner im Besonderen brauchen, weiß man immer noch nicht. Ein Operndorf könnten sie vielleicht brauchen, wenn man es denn als den sozialen Organismus hinbekäme, der Schlingensief jetzt vorschwebt - Leben als Gesamtkunstwerk sozusagen. Deutlicher freilich wird, dass wir einen Schlingensief hier brauchen. Im Idealfall sogar mit einem kompletten Tristan vor dem Liebestod.
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