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Musikfestspiele
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33. Händel-Festspiele 2010

Georg Friedrich Händel:

Ariodante
Dramma per musica in tre atti
Libretto: Anonyme Bearbeitung des Librettos „Ginevra, principessa di Scozia“ von Antonio Salvi


Rinaldo
Opera seria in tre atti
Libretto von Giacomo Rossi


Radamisto
Opera seria in tre atti
Libretto von Nicolò Haym, Matteo Noris und Domenico Lalli


Homepage des Badischen Staatstheaters Karlsruhe

Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage

Von ganz barock bis gar nicht

Von Christoph Wurzel / Fotos: Jacqueline Krause-Burberg (Ariodante / Radamisto)
und Hochschule Frankfurt

Auch in diesem Jahr gab es ein Jubiläum für Georg Friedrich Händel. Es galt seinen 325. Geburtstag zu feiern. Dem Badischen Staatstheater Karlsruhe war dieser Anlass ein richtiges Geburtstagsdinner wert. Eine  musikalisch-kulinarische Soiree bildete einen der Programmpunkte der diesjährigen Händelfestspiele, die immer um Händels Geburtstag, den 23. Februar herum stattfinden. Zugleich konnte man einige Jubiläen der an den Festspielen beteiligten Institutionen feiern: 20 Jahre Karlsruher Händel-Gesellschaft und 25 Jahre Internationale Händel-Akademie. Letztere widmet sich mit ausgewiesenen Experten parallel zu den Festspielen der Aufführungspraxis barocker Musikwerke, insbesondere natürlich denen von Händel. Ebenfalls seit 25 Jahren stellen die Deutschen Händel-Solisten das hauseigene Festspielorchester, das an den rund 10 Festspieltagen Konzerte in kleinerer und größerer Besetzung und eine Oper bestreitet. So bildete das Festkonzert der Händel-Solisten auch in diesem Jahr den Abschluss der Festspiele und setzte mit der Feuerwerksmusik den fulminanten Schlusspunkt hinter die 33. Festspielsaison. Zur Vielfalt des Programm gehörte in diesem Jahr auch wieder das Symposium der Internationalen Händelakademie (siehe Bericht) sowie eine fiktive „Begegnung der Herren Bach und Händel“, beide in ihrem 62. Lebensjahr, wie sie der Schriftsteller Paul Barz in eine Komödie gefasst hat.

Auf dem Feld der Oper war in Karlsruhe bei den diesjährigen Festspielen eine Händel-Trias zu erleben, neben einem Gastspiel („Rinaldo“) der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt zwei Eigenproduktionen des Staatstheaters:  als Novität  „Ariodante“ und die Wiederaufnahme des „Radamisto“ aus dem letzten Jahr.

Vergrößerung in neuem Fenster Authentisch barock: Delphine Galou (Zenobia) und Berit Barfred Jansen (Fraarte) in Sigrid T’ Hoofts Inszenierung des „Radamisto

Um ein Höchstmaß an historischer Authentizität ging es in dieser Produktion, die 2009 mit großem Staunen und nicht minder großem Erfolg Premiere hatte (siehe Bericht). Sigrid T’Hofft, als Choreografin spezialisiert auf das historische Musiktheater, hatte in akribischer Probenarbeit mit den Sängerdarstellern die barocke Körpersprache so perfekt einstudiert, dass sich trotz des sachlichen Karlsruher Zuschauerraums aus Beton und Holz eine lebhafte Ahnung  barocken Bühnenspiels einstellte, zumal das Geschehen in den detailliert ausgestalteten  Landschafts- und Palastillusionen der Kulissenbühne in das milde Licht Hunderter von Kerzen getaucht war und alle Bewegungen der Darsteller in ihren üppigen Kostümen sich gemessen und moderat vollzogen. So war es dem kreativen Variantenreichtum dieser Aufführung zu danken, dass dieses Experiment mindestens von der optischen Seite wieder ein faszinierendes Erlebnis wurde. Für den orchestralen Part standen die Deutschen Händel-Solisten zur Verfügung, die freilich mehr akademisch als mitreißend musizierten. Der formell strengen Bühnensprache  konnte das Orchester recht wenig affektive Spannung und Temperament entgegensetzen. Peter Van Heyghen dirigierte solide, aber bedächtig. Gleichwohl entlockte er dem Orchester stellenweise manch reizvolle Farbe.  Aus dem Sängerensemble ragten vor allem  Delphine Galou in der Rolle der Zenobia und Kirsten Blaise als Polinessa heraus, die beide mit lupenreinen Stimmen und gestochener Koloraturkunst begeisterten.

Vergrößerung in neuem Fenster

Versuch einer Zauberoper: „Rinaldo“
in der Fassung der Hochschule für Musik
und Darstellende Kunst Frankfurt (Ensemble)


Auf Seiten der Sänger lag der entscheidende Vorzug der Aufführung des „Rinaldo“ beim Gastspiel der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Die Hauptrollen waren mit jungen Sängerinnen und Sängern besetzt, die beachtliche Stimmqualitäten vorweisen konnten, wie der junge Countertenor Niklas Romer in der Rolle des Kreuzritterführers Goffredo. Die Altistin Anne Bierwirth bewies in der Titelpartie des tapferen Ritters Rinaldo beachtliche technische Reife, an Ausdrucksintensität gewann sie im Laufe der Aufführung hinzu. Völlig überzeugen konnte die Mezzosopranistin Charlotte Quadt als Eustazio. Die Rolle der leidenden Geliebten Rinaldos Almirena sang mit bewundernswerter emotionaler Tiefe („Lascio ch’io pianga mia cruda sorte“) die erst 21jährige Annika Gerhards. Auf der Seite der heidnischen Barbaren war der Bassist Björn Bürger ein beachtlicher Argante. Die Rolle der syrischen Königin Almira war auf drei Sängerinnen aufgeteilt, was angesichts der Verwandlungen, die dieser Figur durch ihre Zauberkraft möglich sind, sinnvoll erscheint, wegen der unterschiedlichen stimmlichen Qualitäten der Sängerinnen sich aber als ungünstig erwies. Die Sängerin der Arie „Ah! Crudel“ im 2. Akt konnte hier noch am meisten für sich einnehmen.

Stichwort Zauberoper: Mit „Rinaldo“ bereitete Händel 1711 (übrigens einen Tag nach seinem 26. Geburtstag) seinen Einstieg in das Londoner Opernleben vor und errang damit am Haymarket Theatre einen solchen Erfolg, dass er seinen Dienst in Hannover ganz quittierte und ein Jahr später für immer nach England übersiedelte. Alle Raffinessen barocker Bühnenkunst lassen Libretto und Musik dieser Oper erahnen. Auch mit den Mitteln des heutigen Theaters ließe sich vielerlei Bühnenzauber denken, selbst wenn bei einem Hochschulensemble nicht gleich die Professionalität der oben beschriebenen „Radamisto“-Produktion zu erwarten ist. Dass aber diese Regie so hilflos mit dem szenisch schwierigen, aber doch dankbaren Sujet dieser Oper umging, legt doch die entscheidende Frage nahe, warum gerade „Rinaldo“? Mit der szenischen Umsetzung (Regie: Stefan Bastians und Bühnenbild: Klasse rosalie) hatte sich die Hochschultruppe beträchtlich übernommen. Die krampfhafte Aktualisierung (Irak?-Krieg) war kaum sinnstiftend und blieb an der Oberfläche stecken. Die szenischen Mittel waren nicht konzentriert, parallele Balletteinlagen (die Tänzerinnen und Tänzer tanzten allerdings großartig!) störten mächtig den ohnehin spärlich entwickelten Handlungsfluss. Auf- und Abgänge waren regelrecht schlampig gearbeitet. Wahllose Anachronismen (Bepinseln einer Betonstele) und viel Rangelei trugen zur Erhellung der Handlung nur wenig bei. Das ausgesprochen hässliche Bühnenbild aus schief hängenden Plastikvorhängen, nackten Pappkartons und rollenden Untersetzern ließ eher an eine Laienspielschar denken. Einfach nur ärgerlich, dass so guten jungen Sängerinnen und Sängern kein besseres Podium geboten werden konnte, um ihre vorhandenen Qualitäten seriös zu zeigen. Leider war auch das Orchester nicht gänzlich auf der Höhe der zu erwartenden Kunst. Fausto Nardi bemühte sich zwar mit viel dirigentischer Verve Schwung in das Hochschulorchester zu bringen. An zu vielen Stellen aber herrschte rhythmisch Verwirrung und auch die Intonation ließ zu wünschen übrig.

Vergrößerung in neuem Fenster Lebendiger Charakter: Der intrigante Polinesso (Ewa Wolak, rechts) und die ihm ergebene Dalinda (Diana Tomsche) in „Ariodante“


Auch „Ariodante“ ist eine Ritteroper und wenn auch Zauber in ihr keine Rolle spielt, so ist doch Täuschung ihr Thema. Die mit dem väterlichen Segen des Königs geschlossene Herzensverbindung des Ritters Ariodante (Franco Fagioli mit atemberaubend sicherer Koloraturtechnik und stimmschönem Counter-Sopran) mit der Prinzessin Ginevra (in Gestalt der kristallklar singenden und berührend ausdrucksstarken Kirsten Blaise) wird von dem Höfling Polinesso (gesungen von Ewa Wolak mit gesättigt runder Altstimme) derart nachhaltig gestört, dass das Liebespaar an seine existentiellen Grenzen geführt wird. Händels Libretto ist dramaturgisch schlüssig und für die Gattung der opera seria außergewöhnlich lebensnah. Denn die Täuschung besteht darin, dass der gutgläubige Ariodante allein seinem Augenschein traut und den von Polinesso inszenierten scheinbaren Treuebruch seiner Braut blindlings für wahr hält. Aus Verzweiflung versucht er sich ins Meer zu stürzen und Ginevra, die allein aufgrund der Verleumdung sogar von ihrem Vater verstoßen wird, träumt beklemmend ihren eigenen Untergang herbei – hier in der Inszenierung als überaus starkes Bild einer Kreuzigung zum Schluss des 2. Akts.

Vergrößerung in neuem Fenster
Ihr Albtraum endet am Kreuz:
Kirsten Blaise als Ginevra (Mitte),
Bernhard Berchtold (Lurcanio, vorne links)
und Mika Kares (König, vorne rechts),
Benito Marcelino (Benedetto, hinten links)
und Barbara de Koy (Odoardo. hinten rechts)


Regisseur Peer Boysen machte das Thema Schein und Wirklichkeit  zur Grundidee seiner Inszenierung. So wurde es möglich, hinter die Kulissen des Geschehens zu blicken, indem der Handlungsraum (Königspalast mit entsprechenden Zimmern) wie eine Puppenstube auf der Drehbühne von allen Seiten einsehbar und der Blick auch in den Hintergrund der Geschehnisse freigegeben wurde. Zudem wirkten die beiden Dienerrollen, die hier als Mönche erschienen, wie Reflexionsflächen für die Emotionen der Figuren. So wurde die Konstruktion der Handlung als (böses) Spiel im Spiel sinnfällig vor Augen geführt. Mit zahlreichen Anspielungen, Zitaten und ironischen Brechungen wurde ein schieres Feuerwerk szenischer Mittel entfacht und die Kostüme erzählten auf ihre eigene Weise die Geschichte mit. Die allzu lenkbare Dalinda trug das biedere Karokostüm einer englischen Gouvernante und der idealistisch liebende Edelmann Lurcanio ein verschwenderisch schmuckvolles Barockkleid. Als mephistofelischer Fädenzieher geisterte Polinesso im roten Reifrockkostüm durch die Kulissen. Viel Aufmerksamkeit hatte Boysen der psychologischen Charakterisierung seiner Figuren gewidmet und die Sängerdarsteller agierten die Rollen überzeugend aus. Der erhöhte Orchesterraum war ins Geschehen mit einbezogen, so konnten Musik und Handlung zu einem Ganzen verschmelzen. Geschickt jonglierte Boysen gleichermaßen mit den Mitteln der barocken wie der modernen Bühnensprache und schaffte ein beeindruckend ausgewogenes Spannungsgeflecht. Am Schluss wurde nach dem Motto „und wenn sie nicht gestorben sind...“ die Geschichte so augenzwinkernd wie desillusionierend weiter erzählt. Ein glückliches Ende jedenfalls war dabei vor allem den Protagnonisten „in Wirklichkeit“ nicht gegönnt.

Musikalisch stach diese Produktion zu allererst durch die phänomenalen Sängerleistungen hervor. Hier war ein Ensemble versammelt, das man für Händelgesang sonst lange suchen müsste. Neben den drei Hauptrollen war  Bernhard Berchtold mit seiner elegant geführten und balsamisch weichen Tenorstimme  eine wichtige Stütze der Aufführung. Mika Kares sang den wankelmütigen König mit sonorem, klangschönem Bass und Diana Tomsche die leichtgläubige Dienerin Dalinda mit nicht allzu großer, aber lyrischer Stimme.

Am Pult war Michael Hofstetter bereits zum 5. Mal Gastdirigent einer Produktion der Händel-Festspiele. Unter seiner zupackenden Leitung wuchsen die um einige Spezialisten ergänzten Musikerinnen und Musiker der Badischen Staatskapelle über sich hinaus, brachten ein kerniges und farbenreiches Klangbild hervor und ließen die affektive Rhetorik der Musik dabei durchaus aufleuchten.


FAZIT

Diese Händel-Trias fächerte ein interessantes Spektrum möglicher Bühnenrealisierung auf: eine auf vordergründige Aktualisierung setzende Interpretation des „Rinaldo“, die aber schon aufgrund handwerklicher Unzulänglichkeiten scheiterte, ein ganz in historisch authentischer Ästhetik schwelgender „Radamisto“, dem man aufgrund der souveränen Beherrschung der Bühnenmittel Modellcharakter zusprechen kann und ein „Ariodante“, der phantasievoll und geschickt zwischen den Welten pendelt und gerade in der Balance aus Ironie und tieferer Bedeutung stark berührend wirkt. An Sängerleistungen war Hervorragendes zu erleben und ebenfalls, dass barocker Orchesterklang auch von unterschiedlichen Ansätzen aus überzeugen kann.


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Produktionsteams

Ariodante
In italienischer Sprache
mit deutschen Übertiteln
Dauer: ca 3 ½   Stunden – eine Pause
Premiere bei den Händel- Festspielen 2010
am 19. Februar 2010.
Rezensierte Aufführung am 26. Februar 2010.

Musikalische Leitung
Michael Hofstetter

Inszenierung / Ausstattung
Peer Boysen

Choreografie
Benito Marcelino

Licht
Gerd Meier

Dramaturgie
Annabelle Köhler

Solisten

König von Schottland
Mika Kares

Ginevra, dessen Tochter
Kirsten Blaise

Ariodante, ein Ritter
Franco Fagioli

Lurcanio, dessen Bruder
Bernhard Berchtold

Dalinda, Ginevras Hofdame
Diana Tomsche

Polinesso, Herzog von Albany
Ewa Wolak

Odoardo, Geistlicher des Königs
Barbara de Koy

Benedetto, Geistlicher des Königs
Benito Marcelino

Badische Staatskapelle


Rinaldo
In italienischer Sprache
mit deutschen Übertiteln
Dauer: ca 3 ¼   Stunden – eine Pause
Premiere am 25. Oktober 2009
im Theater Rüsselsheim
Aufführung bei den Händel- Festspielen 2010
am 24. Februar 2010


Musikalische Leitung
Fausto Nardi

Inszenierung
Stefan Bastians

Bühnenbild und Kostüme
Klasse rosalie
(Hochschule für Gestaltung Offenbach)


Dramaturgie
Verena Noll

Choreografie
Katharina Wiedenhofer
/ Victoria Söntgen

Solisten

Goffredo, General des christlichen Heeres
Nicolas Romer

Almirena, seine Tochter, Verlobte Rinaldos
Annika Gerhards

Rinaldo, christlicher Kriegsheld
Anne Bierwirth

Eustazio, Goffredos Bruder
Charlotte Quadt

Argante, König von Jerusalem,
Geliebter der Armida

Björn Bürger

Armida, Königin von Damaskus
und Zauberin

Fabienne Grüning
Anna Lucia Leone
Franziska Tiedtke

Ein christlicher Magier
Amadeu Gois

Donna
Désirée Hall

Sirenen
Anne-Christine Evers
Yunhye Kim
Lisa Rothländer

Herold
Sebastian Kohlhepp

Poet
Marvin Gauger

Sprecher
Robert Oschmann

Tänzer
Yun Ke
Maki Nakao
Sarah Schmidt
Robin Rohrmann
Ramon John


Orchester des Instituts für
Historische Aufführungspraxis
der Hochschule für Musik und
Darstellende Kunst Frankfurt am Main

Eine Produktion der Hochschule
für Musik und Darstellende Kunst
Frankfurt am Main


Radamisto
In italienischer Sprache
mit deutschen Übertiteln
Dauer: ca 3 ¼   Stunden – eine Pause
Premiere am 19. Februar 2009.
Wiederaufnahme am 25. Februar 2010.
Rezensierte Aufführung am 27. Februar 2010


Musikalische Leitung
Peter van Heyghen

Inszenierung und Choreografie
Sigrid T’Hooft

Bühnenbild
Christian Floeren

Kostüme
Stephan Dietrich

Dramaturgie
Katrin Lorbeer

Solisten

Farasmane, König von Thrakien,
Radamistos und Polissenas Vater

Mika Kares

Radamisto
Tamara Gura

Zenobia, seine Frau
Delphine Galou

Tiridate, König von Armenien
Patrick Henckens

Polissena, seine Frau
Kirsten Blaise

Fraarte, Tiridates Bruder
Berit Barfred Jensen

Tigrane, Fürst von Pontus,
Tiridates Bundesgenosse

Ina Schlingensiepen

Ballett
Corpo Barocco, Gent

Deutsche Händel-Solisten


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)




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