Das Ende ist alles andere als happy
Von Michael
Schäfer /
Fotos von
Theodoro da Silva
Bei Tamerlano
ist alles etwas anders. Der Freund barocker Opern
weiß, dass allen Intrigen, falschen Namen, Verkleidungen und
Ränkespielen zum Trotz am Ende sich die Liebenden in Paaren
zusammenfinden und in einem Friede-Freude-Eierkuchen-Schlusschor
ihr Glück in die Welt hinaussingen. Zwar finden sich auch bei Tamerlano Paare zusammen, doch der
Schlusschor steht in Moll, im klagenden Ton bestärkt durch zwei
sanfte Traversflöten.
Asteria
Kristina Hansson
Bajazet
Thomas Cooley
Die schwedische
Regisseurin Johanna Garpe hat diese Andersartigkeit des Sujets in einer
Inszenierung für die Göttinger Händel-Festspiele
umgesetzt, die auf barocken Prunk, bunte Ausstattung und sonstigen
Zierrat verzichtet. Sehr heutig sind die Kostüme (Erika
Landertinger). Das
Bühnenbild (Martin Kukulies) ist bestimmt von zwei abstrakten
turmartigen Gebilden aus gelochtem Metall, die hier Türen, dort
Wand sein können und dank ihrer düsteren Höhe auch immer
eine gewisse Bedrohlichkeit ausstrahlen. Ein bisschen erinnern sie an
die New Yorker Twin Towers, die Szenerie erlaubt auch Assoziationen an
die jüngste US-amerikanische Vergangenheit. Dass dies nicht
näher ausgeführt wird, ist klug: Eine eindeutig bebilderte
Analogie zur Gegenwart wäre denn doch allzu platt.
Tamerlano
Christopher Ainslie
In den Rezitativen, die die
Opernhandlung tragen, führt Garpe eine psychologisch sehr
stimmige, genaue Regie. Vor allem für die Arien nimmt sie sich
aber Freiheiten heraus, die nicht immer leicht zu entschlüsseln
sind. Oft sind Menschen einander zugetan, die sich eigentlich hassen,
hier und da werden auch Kleidungsstücke aus- und wieder angezogen,
ohne dass der Sinn dieser Aktion klar wird.
Vielleicht müsste man
tiefer in die Psychoanalyse der handelnden Personen eindringen, um
derlei Rätsel zu lösen. Doch auch wenn manche Fragen
offenbleiben, ist die dramatische Wirkung der Inszenierung sehr
eindringlich. Allein die nur von wenigen Lichtblitzen erhellte
(konsequenterweise nicht in Tag verwandelte) Dunkelheit des Finales
hinterlässt einen tief berührenden Eindruck.
Tamerlano
Christopher Ainslie
Irene
Franziska Gottwald
Daran hat auch die Musik gewichtigen Anteil. Sie ist beim Dirigenten
Nicholas McGegan in allerbesten Händen, der auch die kleinste
Nuance mit Leben erfüllt, sie liebevoll nachzeichnet, ohne die
großen musikalischen Entwicklungslinien aus dem Auge zu
verlieren. Zu tanzen und zu lachen – diesen Affekt mag McGegan
besonders gern – gibt es im Tamerlano
weniger als sonst bei Händel – doch auch für
Trauer, Verzweiflung, Wut und Rachedurst findet der Dirigent stets den
angemessenen Ton, lässt den Emotionen bei aller barocken
Gebundenheit viel Raum zur Entfaltung.
Diese Möglichkeiten nutzen
die Akteure mit Wonne. Christopher Ainslie in der Titelrolle des
Mongolenherrschers ist nicht nur ein unglaublich virtuoser,
stimmschöner Altus, sondern auch ein facettenreicher Darsteller,
dem man die Wendung vom freundlich zugewandten, seinen Gegnern
verzeihenden Sieger zum tödlich beleidigten, jäh auffahrenden
Tyrannen abnimmt. In Bajazet hat Tamerlano einen ausgesprochen stolzen
Feind. Den stellt Thomas Cooley mit beeindruckender Würde
und Größe dar, wobei er seinen wunderbar unangestrengt
fließenden Tenor blühen lasst.
Tamerlano
Christopher Ainslie
Andronico
Clint van der Linde
Bajazet
Thomas Cooley
Einen auch in
höchsten Lagen sehr weich ansetzenden Sopran bringt die junge
schwedische Sängerin Kristina Hansson für die Rolle der
Asteria mit, verleiht ihr aber trotz stimmlicher Zartheit Kraft und
Charakterstärke. Seinen sehr flexiblen, im Vergleich zu Ainslie
noch kernigeren Altus setzt Clint van der Linde für die Rolle des
Andronico bewegend und virtuos ein. Eine ganz besondere Note verleiht
Franziska Gottwald als Irene dieser Inszenierung: Selten hat man in
einer barocken Oper einen derart perfekten Vamp erlebt. Gegen diese
Bühnenpräsenz können sich ihre Partner nicht immer
behaupten. Dazu verfügt die Sängerin über einen bis in
ungewöhnlich tiefe Lagen vollklingenden, dennoch
koloraturenfreudigen Alt, der nirgends roh, sondern immer geschmeidig
und locker eingesetzt ist. Lars Arvidson (Leone) überragt seine
Kollegen mindestens um Haupteslänge – das hat die Regisseurin zu
etlichen kleinen stummen Spielchen auf der Bühne genutzt, die
heitere Kontrapunkte setzen. Dass Arvidson überdies einen sehr
kraftvollen, markanten Bass besitzt, kann er in zwei Arien zeigen.
Das virtuose, klangschön
musizierende Festspielorchester zeigte sich in Bestform, ging
konzentriert und voller Spielfreude mit. In den beiden Pausen der knapp
vierstündigen Aufführung hörte man von vielen
Zuhörern Kritik an der Regie. Doch beim zehnminütigen
Schlussapplaus wurden nicht nur alle Musiker, sondern auch die
Regisseurin und ihr Team ohne Einschränkung bejubelt. Tamerlano ist eben eine etwas
andere Oper.
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von
den
Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen 2010
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Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Nicholas McGegan
Inszenierung
Johanna Garpe
Bühnenbild
und
Licht
Martin Kukulies
Kostüme
Erika Landertinger
FestspielOrchester
Göttingen
Solisten
Tamerlano
Christopher Ainslie
Altus
Bajazet
Thomas Cooley
Tenor
Asteria
Kristina Hansson
Sopran
Andronico
Clint van der Linde
Altus
Irene
Franziska Gottwald
Alt
Leone
Lars Arvidson
Bass
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