Bibelstunde mit Musik
Von Roberto Becker
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Foto von Salzburger Festspiele / © Clärchen Baus-Mattar & Matthias Baus
So ganz ohne ein paar flott sprudelnde Orchesterpassagen geht's beim opernkulinarischen Italiener Gioachino Rossini auch da nicht ab, wo er todernst sein will: da gibt es eben auch in der französischen Version seiner Vertonung der biblischen Geschichte über den Auszug der Hebräer aus Ägypten eine schwungvolle Ballettmusik. In Moses und Pharao gelangen die Hebräer, dank Moses' besonderem Draht zu seinem ziemlich kämpferischen Gott und nach einem wahren Katastrophenregen, den der auf Ägypten niedergehen lässt, in die Freiheit. Mitten durch das Rote Meer, aber trockenen Fußes. Für die Hebräer hatte sich das Meer geteilt. Doch als ihnen die Ägypter mit dem Ausruf Wir wollen mit dem Schwert in der Hand eine schuldige Rasse vernichten! nachsetzen, schlagen die Wogen über den Verfolgern zusammen. Das ist als Opernfinale in seinem cineastischen Bombast kaum zu schlagen. In das Kräftemessen zwischen Moses (mit der brutal ausgespielten Macht seines Gottes im Rücken) und dem Pharao (mit der Macht eines ganzen Reiches in der Hand) ist immer wieder eine in der Oper halt unvermeidliche Liebesgeschichte eingewoben: hier zwischen dem Pharaonen-Sohn Amenophis und der Moses-Nichte Anai.
Ildar Abdrazakov (Moïse), Marina Rebeka (Anaï), Barbara Di Castri (Marie), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
© Clärchen Baus-Mattar & Matthias Baus
Wie man allerdings so einem Stoff, der von einer geradezu explosiven Brisanz ist, den Wind, der das Stück geradewegs in die Gegenwart wehen müsste, aus den Segeln nehmen kann, das hat jetzt der Noch-Festspielintendant Jürgen Flimm als Regisseur in Salzburg exemplarisch vorgeführt. Es gibt für die ganz vorzüglich singenden und die ganze Oper tragenden Chormassen und die Protagonisten einen Einheitsraum. Eine Art oben offenen Turm. Dessen Wände taugen sowohl als Klagemauer und als Projektionswand für Bibeltexte als auch zur Palast- oder eben auch zur imaginären Gefängnismauer. Am Ende werden sie mit aller Kraft einen Spalt zur Seite geschoben und müssen dann auch noch als rotes Meer herhalten.
Nicola Alaimo (Pharaon), Ildar Abdrazakov (Moïse), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
© Clärchen Baus-Mattar & Matthias Baus
Wenn Flimm von den Massenaufmärschen und Tableaus zu den individuellen intimen Szenen zwischen den Akteuren wechselt, dann werden letztere lediglich vor den geschlossenen Vorhang an die Rampe verlegt. All das wirkt bei allem konventionellen Aktionismus ziemlich beliebig, gerät weder sinnlich, noch wirklich hintersinnig. Die Juden haben den obligaten Koffer dabei, der Pharao und seine Leute kommen im mehr oder weniger edlen Beduinenlook daher. Aus dem explosiven Potential jedenfalls, das in der Geschichte steckt, macht Flimm nichts.
Ildar Abdrazakov (Moïse), Eric Cutler (Aménophis), Nicola Alaimo (Pharaon), Nino Surguladze (Sinaïde)
© Clärchen Baus-Mattar & Matthias Baus
Salzburgstar Riccardo Muti wollte die französische Version von 1828, die Festspielregie hat den Vierakter durch zwei Pausen dann auch noch restlos auf große Oper getrimmt. Wenigstens die Wiener Philharmoniker, der Wiener Staatsopernchor und ein handverlesenes Ensemble halten diesem Anspruch musikalisch auch stand. Marina Rebeka hinterlässt mit ihrer frei aufstrahlenden Beredsamkeit als Anai den stärksten Eindruck. Auch Eric Cutler als Amenophis und Nino Surguladze als dessen Mutter Sinaide liefern eine festspielwürdige Leistung. So, wie es sich für Salzburg gehört. Die szenische Reibung zu Rossinis Musik, vor allem zu diesem Stoff allerdings, haben sich die Festspiele mit dieser Inszenierung verschenkt.
FAZIT
In Salzburg gab es einen ungewöhnlichen Rossini, dem Riccardo Muti und die Protagonisten musikalischen Glanz verliehen. Leider verschenkte Jürgen Flimm als Regisseur weitgehend das szenische Potential, das in dem Stoff außerdem noch steckt.
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