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Musikfestspiele
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Salzburger Festspiele 2009

Al gran sole carico d'amore
Azione scenica in zwei Teilen
Text von Luigi Nono und Juri Ljubimow nach Bertolt Brecht, Tania Bunke, Fidel Castro, Georgi Dimitrow, Maxim Gorki, Ernesto Che Guevara, Antonio Gramsci, Wladimir Lenin, Karl Marx, Louise Michel, Cesare Pavese, Arthur Rimbaud, Celia Sánchez, Haydée Santamaría und Volkstexten
Musik von Luigi Nono


Premiere in der Felsenreitschule Salzburg am 2. August 2009
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden (eine Pause)


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Salzburger Festspiele
(Homepage)

Die Revolution ist weiblich

Von Roberto Becker / Foto von Salzburger Festspiele / © Stephen Cummiskey


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Birgit Walter (Schauspielerin)
© Stephen Cummiskey

Luigi Nonos Werk mit dem ausgesprochen poetischen Titel Al gran sole carico d'amore („Unter der großen Sonne, von Liebe beladen") ist ein Stück hochpolitischer Kunst. Der Italiener Nono (1924-1990) bediente sich für die Textgrundlage dabei einer ganzen Sammlung einschlägiger Zitate, von Marx und Lenin über Rimbaud und Brecht bis Castro und Che Guevara. Auch wenn das Pathos einer nach 1968 in die Zeitläufte eingreifenden Kunst in die Jahre gekommen und heute unverkennbar von der Patina einer gescheiterten Utopie überzogen ist. Doch es bleibt die Perspektive, die Nono hinter all dem Collagieren und seinem Spiel mit dem musikalischen Instrumentarium einer politisch avancierten Moderne einnimmt. Über das Exemplarische von Frauenschicksalen vermag dieses Stück Musiktheater auch heute noch eine emotionale Verbindung über die Zäsuren hinweg zu schlagen, die sich seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus in eine Diskreditierung jeder grundlegenden Utopie ausgewachsen haben.

Diese Azione senica, also „dramatische Aktion“, heute auf die Bühne zu bringen, ist ein Wagnis mit hohem Risiko, schon weil es sich einer nachvollziehbaren und übersetzbaren Handlung verweigert. Man kann das assoziativ „nacherfinden“, wie es Martin Kusej suggestiv in Stuttgart (1998) gelang. Man kann auch, wie es Peter Konwitschny in seiner demnächst in Leipzig wieder reaktivierten Hannoveraner Inszenierung 2004 gemacht hat, eine Rückübersetzung der ikonografischen und metaphorischen Versatzstücke in ihren ursprünglichen Zusammenhang versuchen.


Vergrößerung in neuem Fenster Virpi Räisänen (Sopran 4), Elin Rombo (Sopran 1), Sarah Tynan (Sopran 2), Anna Prohaska (Sopran 3), Susan Bickley, (Alt)
© Stephen Cummiskey

Der englischen Regisseurin Katie Mitchell gelang es jetzt, im kongenialen Bündnis mit ihrer Ausstatterin Vicki Mortimer und vor allem mit Ingo Metzmacher und den Wiener Philharmonikern, den exzellenten Solisten (u.a. Tanja Andrijic, Susan Bickley, Laura Sundermann, Peter Hoare) und dem Wiener Staatsopernchor in der Felsenreitschule eine zwar historisch distanzierte, aber doch zugleich eindrucksvolle Umsetzung. Die heute wohl unumgängliche Distanz wird Teil der Szene durch eine Vitrine mit Schaustücken der Revolution, die, wie im Museum, pfleglich behandelt werden. Nähe entsteht durch den Einblick ins sozusagen stille Kämmerchen von fünf Frauengestalten, die mehr oder weniger in mehr oder weniger revolutionäre Augenblicke der Geschichte eingebunden waren. Louise Michel im Paris der Pariser Commune, Gorkis Mutter im vorrevolutionären Russland, die Che Guevara-Mitstreiterin Tania Bunke in Lateinamerika, die Arbeiterfrau im Turin der 50er Jahre oder das Freudenmädchen. Livekameras übertragen schlichte, professionell geschnittene Alltagsszenen auf eine vom Leben gezeichnete Riesenprojektionswand. Von dort aus scheinen sie wie aus einer fernen, versunkenen Zeit herüber in die Gegenwart.


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Susan Bickley (Alt)
© Stephen Cummiskey

Die so imaginierte Nähe aber ist vor allem auch zu hören, behauptet sich durch die eigenständige Schönheit der Musik Nonos. Die Felsenreitschule ist ja ein imponierend origineller Raum. Ein akustisches Zuckerschlecken ist der in der Regel nicht, hier wirkt manches Stück nur wie auf Besuch. So wie Nonos Stück in einem „normalen“ Opernhaus in seiner Modernität auch nicht so ganz heimisch wirkt. Doch ausgerechnet hier, in der Salzburger Felsenreitschule, hat es seinen Raum gefunden! Das Orchester hat sich wie eine eingefrorene Woge niedergelassen, steigt fürs üppige Schlagwerk zur Seite hin an. So bekannt Ingo Metzmachers Vorliebe für die Moderne ist, so sehr überrascht doch die schlagende Brillanz und Suggestivkraft mit der ausgerechnet die Wiener Philharmoniker ihm hier folgen! So scheint denn der Glanz der lädierten Utopie in der Schönheit der Kunst unvermutet wieder auf. Intendant Jürgen Flimm wird das besonders freuen, denn er war es, der vor 31 Jahren in Frankfurt die deutsche Erstaufführung gemeinsam mit Michael Gielen besorgte. Mit der überhaupt erst fünften Inszenierung des Werkes jetzt in Salzburg hat er der Rezeptionsgeschichte diesmal als Intendant eine wichtige Aufführung hinzugefügt.


FAZIT

Ingo Metzmacher und Katie Michell haben Luigi Nonos Al gran sole carico d’amore zu einem eindrucksvollen Gedenken an den Beitrag der Frauen zur Revolution gestaltet. Als musikalische Glanzleistung in einem kongenialen Raum und in einem ernsthaften szenischen Rahmen wurde die gewagteste Programmentscheidung beim Musiktheater zu dessen größtem Erfolg.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung
Katie Mitchell

Bühne und Kostüme
Vicki Mortimer

Director of Photography
Leo Warner

Licht
Bruno Poet

Klangregie
André Richard

Chöre
James Wood



Konzertvereinigung
Wiener Staatsopernchor

Wiener Philharmoniker


Solisten

Sopran 1
Tanja Andrijic
Elin Rombo

Sopran 2
Sarah Tynan

Sopran 3
Anna Prohaska

Sopran 4
Virpi Räisänen

Alt
Susan Bickley

Tenor
Peter Hoare

Bariton
Christopher Purves

Bass
Hee-Saup Yoon
Andrè Schuen

Schauspielerinnen
Laura Sundermann
Birgit Walter
Julia Wieninger

Live-Kamera
Sebastian Pircher

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