Die Revolution ist weiblich
Von Roberto Becker
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Foto von Salzburger Festspiele / © Stephen Cummiskey
Birgit Walter (Schauspielerin)
© Stephen Cummiskey
Luigi Nonos Werk mit dem ausgesprochen poetischen Titel Al gran sole carico d'amore (Unter der großen Sonne, von Liebe beladen") ist ein Stück hochpolitischer Kunst. Der Italiener Nono (1924-1990) bediente sich für die Textgrundlage dabei einer ganzen Sammlung einschlägiger Zitate, von Marx und Lenin über Rimbaud und Brecht bis Castro und Che Guevara. Auch wenn das Pathos einer nach 1968 in die Zeitläufte eingreifenden Kunst in die Jahre gekommen und heute unverkennbar von der Patina einer gescheiterten Utopie überzogen ist. Doch es bleibt die Perspektive, die Nono hinter all dem Collagieren und seinem Spiel mit dem musikalischen Instrumentarium einer politisch avancierten Moderne einnimmt. Über das Exemplarische von Frauenschicksalen vermag dieses Stück Musiktheater auch heute noch eine emotionale Verbindung über die Zäsuren hinweg zu schlagen, die sich seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus in eine Diskreditierung jeder grundlegenden Utopie ausgewachsen haben.
Diese Azione senica, also dramatische Aktion, heute auf die Bühne zu bringen, ist ein Wagnis mit hohem Risiko, schon weil es sich einer nachvollziehbaren und übersetzbaren Handlung verweigert. Man kann das assoziativ nacherfinden, wie es Martin Kusej suggestiv in Stuttgart (1998) gelang. Man kann auch, wie es Peter Konwitschny in seiner demnächst in Leipzig wieder reaktivierten Hannoveraner Inszenierung 2004 gemacht hat, eine Rückübersetzung der ikonografischen und metaphorischen Versatzstücke in ihren ursprünglichen Zusammenhang versuchen.
Virpi Räisänen (Sopran 4), Elin Rombo (Sopran 1), Sarah Tynan (Sopran 2), Anna Prohaska (Sopran 3), Susan Bickley, (Alt)
© Stephen Cummiskey
Der englischen Regisseurin Katie Mitchell gelang es jetzt, im kongenialen Bündnis mit ihrer Ausstatterin Vicki Mortimer und vor allem mit Ingo Metzmacher und den Wiener Philharmonikern, den exzellenten Solisten (u.a. Tanja Andrijic, Susan Bickley, Laura Sundermann, Peter Hoare) und dem Wiener Staatsopernchor in der Felsenreitschule eine zwar historisch distanzierte, aber doch zugleich eindrucksvolle Umsetzung. Die heute wohl unumgängliche Distanz wird Teil der Szene durch eine Vitrine mit Schaustücken der Revolution, die, wie im Museum, pfleglich behandelt werden. Nähe entsteht durch den Einblick ins sozusagen stille Kämmerchen von fünf Frauengestalten, die mehr oder weniger in mehr oder weniger revolutionäre Augenblicke der Geschichte eingebunden waren. Louise Michel im Paris der Pariser Commune, Gorkis Mutter im vorrevolutionären Russland, die Che Guevara-Mitstreiterin Tania Bunke in Lateinamerika, die Arbeiterfrau im Turin der 50er Jahre oder das Freudenmädchen. Livekameras übertragen schlichte, professionell geschnittene Alltagsszenen auf eine vom Leben gezeichnete Riesenprojektionswand. Von dort aus scheinen sie wie aus einer fernen, versunkenen Zeit herüber in die Gegenwart.
Susan Bickley (Alt)
© Stephen Cummiskey
Die so imaginierte Nähe aber ist vor allem auch zu hören, behauptet sich durch die eigenständige Schönheit der Musik Nonos. Die Felsenreitschule ist ja ein imponierend origineller Raum. Ein akustisches Zuckerschlecken ist der in der Regel nicht, hier wirkt manches Stück nur wie auf Besuch. So wie Nonos Stück in einem normalen Opernhaus in seiner Modernität auch nicht so ganz heimisch wirkt. Doch ausgerechnet hier, in der Salzburger Felsenreitschule, hat es seinen Raum gefunden! Das Orchester hat sich wie eine eingefrorene Woge niedergelassen, steigt fürs üppige Schlagwerk zur Seite hin an. So bekannt Ingo Metzmachers Vorliebe für die Moderne ist, so sehr überrascht doch die schlagende Brillanz und Suggestivkraft mit der ausgerechnet die Wiener Philharmoniker ihm hier folgen! So scheint denn der Glanz der lädierten Utopie in der Schönheit der Kunst unvermutet wieder auf. Intendant Jürgen Flimm wird das besonders freuen, denn er war es, der vor 31 Jahren in Frankfurt die deutsche Erstaufführung gemeinsam mit Michael Gielen besorgte. Mit der überhaupt erst fünften Inszenierung des Werkes jetzt in Salzburg hat er der Rezeptionsgeschichte diesmal als Intendant eine wichtige Aufführung hinzugefügt.
FAZIT
Ingo Metzmacher und Katie Michell haben Luigi Nonos Al gran sole carico damore zu einem eindrucksvollen Gedenken an den Beitrag der Frauen zur Revolution gestaltet. Als musikalische Glanzleistung in einem kongenialen Raum und in einem ernsthaften szenischen Rahmen wurde die gewagteste Programmentscheidung beim Musiktheater zu dessen größtem Erfolg.
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