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Musikfestspiele
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Sing für mich, Tod

Ein Ritual. Für Claude Vivier

Text von Albert Ostermeier
Musik von Claude Vivier



in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

Uraufführung in der Maschinenhalle der Zeche Zweckel, Gladbeck, am 04. September 2009

Logo: Ruhrtriennale 2009

Komplizierte Begegnung mit einem unbekannten Komponisten

von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire

Ein Stoff für das Theater: Claude Vivier, kanadischer Komponist, wurde im März 1983 erstochen in seiner Pariser Wohnung aufgefunden, wo er an der Komposotion Glaubst du an die Unsterblichkeit der Seele arbeitete – ein Werk, dass sich mit dem Tod auseinander setzt und mit den Worten abbricht „und stieß ihn [den Dolch] mir mitten ins Herz.“. Ein inszenierter Tod? Das Leben als Kunstwerk, das war ein Anhaltspunkt für die „Kreation“ Sing für mich, Tod, für die Albert Ostermeier einen Monolog über Vivier geschrieben hat. Formal erscheint das als eine Art Rückblick Viviers unmittelbar vor seinem Tod auf sein Leben, poetisch verbrämt und damit eine Kunstwelt für sich. Viviers Biographie bietet da allerlei; 1948 als Findelkind geboren und bei Adoptiveltern in Montréal aufgewachsen; mit 16 eine Art Erweckungserlenbnis in einer Mitternachtsmesse, bei der Vivier den Katholizismus wie die Musik als fortan treibende Kräfte entdeckte (zeitgleich aber auch seine Homosexualität). Die Erinnerung an die Aura dieser Nacht war dem Komponisten fortan Maßstab für seine sehr spirituelle Musik. Studiert hat er später u.a. bei Karlheinz Stockhausen, von dem seine Musik auch nachhaltig beeinflusst ist.


Vergrößerung in neuem Fenster Das Leben ist eine Bushaltestelle: Vivier (Stefan Kurt)

Problematisch an Ostermeiers Text ist das Fehlen von Bezugspunkten, an dem der Monolog einhaken könnte. Vivier dürfte in Deutschland nur einem extrem kleinen Fachpublikum bekannt sein, die motivischen Anspielungen und Querverweise auf seine Biographie gehen daher ins Leere. Als Informationstext, der eine Art Portrait des Künstlers sein könnte, taugt der Text schon gar nicht. So kreisen die Worte um eine diffuse, nicht zu ortende Mitte, bleiben aber selbst zu vage, um dieses Vakuum auszufüllen. In der jetzt in Gladbeck gezeigten szenischen Fassung wird der Text gegenüber dem „Stück“ (so die Bezeichnung im Programmheft) von Ostermeier umgestellt und verkürzt; zusätzlich werden vier Kompositionen Viviers gespielt, teilweise den Text überlagernd (das heißt dann „Librettofassung“). Das scheint von der Idee her schlüssig, erweist sich aber in der Aufführung als wenig befruchtend: Text und Musik scheinen sich eher im weg zu stehen, sich gegenseitig zu stören, weil beide die volle Konzentration beanspruchen.

Rätselhaft und wenig erhellend auch die szenische Umsetzung. Ausstatter Christof Hetzer hat eine Bushaltestelle mit Wartehäuschen in die ehrwürdige Maschinenhalle der Zeche Gladbeck-Zweckel gebaut, was den Raum unnötig banalisiert, ja sogar kaputt macht, weil es die Möglichkeiten dieser Industriehalle geradezu negiert. Regisseur David Hermann will keinen sterbenden Künstler zeigen, kappt die Verbindungen zu Viviers Biographie: Das Stück versauert auf einer höheren, allgemeingültigeren Ebene. Warum Sopranistin Caroline Melzer (mit lyrisch warmer, dabei fast zerbrechlich zarter Stimme) im Habitus der Heilsarmee, Mezzosopranistin Maria Ricarda Wesseling (mit satter Stimme, aber nicht immer ganz kontrolliert in Intonation und Stimmfärbung) wie Cassandra oder eine Norn aus der Götterdämmerung mit entblößter (Plastik-)Brust herumlaufen, das scheint einer sich verselbstständigenden Kunstvorstellung zu entstammen – den Komponisten bringt es einem nicht näher. Stefan Kurt spielt den monologisierenden Vivier intensiv, wenn auch nicht ohne ein gewisses erhabenes Pathos.


Vergrößerung in neuem Fenster Begegnung mit dem Mörder? Vivier (Stefan Kurt) und der "junge Mann" (Sam Louwyck)

Bei den hier aufgeführten Vokalwerken hätte man sich gewünscht, die Texte (in deutscher Übersetzung) mitlesen zu können; so bleibt kaum nachvollziehbar, in welchem Kontext sie stehen. Dabei bildet die Begegnung mit der Musik selbst den mit Abstand spannendsten Teil des Abends. Vivier schichtet Klangflächen übereinander; polyphone Entwicklungen gibt es nicht. Die Führung übernimmt die Singstimme. Diese Musik entwickelt mit großer Ruhe ihre eigene Aura, bräuchte aber auch die entsprechende Ruhe um sie herum (anstelle des geschwätzigen Monologisierens), um volle Wirkung zu entfalten.

Das musikalische Niveau der Aufführung ist ordentlich, wenn auch nicht herausragend. Vom Kammerorchester musikFabrik, das unter der Leitung von Christoph Poppen engagiert und zupackend spielt, hätte man sich hier und da einen etwas größeren, raumgreifenderen Klang gewünscht; die Solistinnen werden allerdings mit angenehmer Zurückhaltung sehr schön begleitet. Caroline Melzer überzeugt, siehe oben, in Lonely Child mehr als Maria Ricarda Wesseling in Wo bist du Licht!. Der Kammerchor der Chorakademie Dortmund singt das den Abend beschließende Glaubst du an die Unsterblichkeit der Seele (eben das Stück, über dem Vivier ermordet wurde) im Klang uneinheitlich: Den glanzvoll leuchtenden Sopranen und soliden Bässen stehen eine mulmige Alt- und eine allzu forcierende Tenorgruppe gegenüber.


FAZIT

Eine ambitionierte Produktion, der die Bodenhaftung fehlt: Text und Musik stören sich gegenseitig, die Inszenierung hilft nicht weiter. Immerhin lohnt die Begegnung mit der Musik Viviers.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Poppen

Inszenierung
David Hermann

Bühne und Kostüme
Christof Hetzer

Licht
Georg Veit

Video
Martin Eidenberger

Dramaturgie
Jan-Philipp Possmann


Ensemble musikFabrik

Kammerchor der Chorakademie Dortmund


Solisten

Vivier
Stefan Kurt

Junger Mann
Sam Louwyck

Sopran
Caroline Melzer

Mezzosopran
Maria Ricarda Wesseling




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