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Moses und Aron

Oper von Arnold Schönberg
Libretto vom Komponisten



in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere in der Jahrhunderthalle Bochum am 22. August 2009
(rezensierte Aufführung: 25.08.2008)

Logo: Ruhrtriennale 2009

Begegnung mit dem Göttlichen

von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire

Urmomente: „Lege die Schuhe ab, du bist weit genug gegangen; du stehst auf heiligem Boden.“ Die Begegnung des Menschen mit dem Göttlichen, die Moses am Berg Horeb erfährt, ist eine Keimzelle unserer Kultur, „eine der größten menschlichen Revolutionen“, wie es im Programmbuch dieser dritten Ruhrtriennale heißt, an deren Anfang Arnold Schönbergs Moses und Aron steht. Die Erfahrung des Unfassbaren, Unvermittelbaren, die den Kerngedanken dieser Oper bildet, steht programmatisch am Anfang der Intendanz von Willy Decker. „Urmomente“ ist die zentrale Idee (der Begriff „Motto“ wäre allzu banal) dieser Triennale, „Aufbruch – Suche nach dem Wort“ bildet das Programm für dieses erste Jahr, das zudem mit dem jüdischen Denken und der jüdischen Kultur verknüpft ist – „Wanderung“ und der Islam sowie „Ankunft“ und der Buddhismus werden 2010 und 2011 folgen.


Vergrößerung in neuem Fenster Moses (Dale Duesing, rechts) und Aron (Andreas Conrad)

Schönberg stellt in seiner unvollendeten Oper die Frage, ob die Erfahrung des Religiösen als abstrakte Idee vermittelbar ist oder doch Bilder und Worte als „Übersetzung“ benötigt; ein Gedanke, der sofort kunstphilosophische Interpretationen nach sich zieht und den alttestamentarischen Kontext schnell zu verdrängen scheint – eine Künstleroper jenseits der christlich-jüdischen Religion? Andererseits hat sich der 1898 zum Protestantismus konvertierte Schönberg nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten demonstrativ wieder seiner jüdischen Herkunft bekannt, und in diesem Kontext ist die Wahl eines alttestamentarischen Stoffes sicher kein Zufall. Also doch ein Werk mit politischen Zügen? Schließlich bleibt die Frage, ob Bilderlosigkeit im Theater mit szenischen, textlichen oder auch musikalischen Bildern grundsätzlich darstellbar ist (die gängige Interpretation besagt, dass Schönberg aus eben diesem Grund den dritten Akt nicht komponieren konnte). Und dann noch Zwölftonmusik, in ihrer mathematischen Fundierung ziemlich untheatralisch - Moses und Aron kommt als sperriges Rätsel auf uns zu.


Vergrößerung in neuem Fenster Moses (Dale Duesing) und Chor (ChorWerk Ruhr)

Willy Decker versucht mitnichten, hier Antworten zu geben oder gar ein Deutungsmuster hervorzuheben. Vielmehr kreist er die Fragen ein, die sich hier stellen, und verdichtet diese zu bestürzender Intensität. Zunächst sitzt sich das Publikum auf zwei Tribünen unmittelbar gegenüber, durch keine Bühne getrennt. Kein Orchester ist zu sehen, kein Darsteller auszumachen – denn die sitzen mitten im Publikum. Das mag als Idee abgegeriffen klingen, entwickelt hier aber enorme Wirkung. Die göttliche Offenbarung trifft jemanden aus unserer Mitte, der sich wehrt, aber nicht entziehen kann – das ist das eine; die klangliche Wirkung durch den im Publikum verteilten Chor ist das andere. Da ist eine Musik, die plötzlich überall zu sein scheint (und nicht von einer lokalisierbaren Bühne aus erklingt). Später fahren die Tribünen auseinander, geben eine Spielfläche frei (und den Blick auf das zunächst seitlich platzierte Orchester). Decker spielt mit den Möglichkeiten dieses ungewöhnlichen Industrieraumes, den die Bochumer Jahrhunderthalle bietet, erschafft ein Theater, das in einem konventionellen Theaterbau eben nicht möglich wäre und doch viel mehr ist als nur ein Spiel mit den technischen Möglichkeiten (wie es zuletzt eher enttäuschen in der Eichbaumoper zu erleben war).


Vergrößerung in neuem Fenster Visionen: Moses (Dale Duesing) und Choristen

Bühne und Kostüme (Wolfgang Gussmann und Susana Mendoza) erscheinen in Grautönen, bleiben fast immer abstrakt; die Personen sind von heute. Ein mit Gaze bespannter Kubus symbolisiert die Gefangenschaft, wirkungsvolle Videoeinspielungen zeigen die Wunder, die Aron zur Vermittlung des neuen Gottes schafft (und bilden einen Verweis auf unsere zunehmend virtuelle, nur noch aus Bildern bestehende Welt). Der Stab des Mose lässt sich wie ein riesiger Stift nutzen, und Aron malt einen Davidsstern auf den Boden – viel mehr direkte Verweise auf das Judentum gibt es nicht, aber dieser eine Moment reicht aus, um die Assoziation wach zu halten. Die ästhetische Strenge, der sich das Regieteam unterwirft, verstärkt solche Bilder.


Vergrößerung in neuem Fenster Blutig: Tanz um das goldene Kalb

Aber nicht nur szenisch, sondern auch (und gerade) musikalisch ist diese Produktion ein wahres Theaterwunder. Die Bochumer Symphoniker spielen unter der Leitung von Michael Boder Schönbergs Partitur mit einer Selbstverständlichkeit, als sei diese Zwölftonmusik die normalste Sache der Welt. Querverbindungen zur Collagentechnik Gustav Mahlers werden ebenso hörbar wie Anklänge an Kurt Weill oder den Jazz. Bei allem Espressivo wird Schönberg aber nicht „romantisiert“, sondern bleibt klar und symphonisch strukturiert. Dem vorzüglichen Orchester steht der wahrhaft phänomenale Chor – das ChorWerk Ruhr – gegenüber, der diese zum Allerschwersten für Chor überhaupt gehörende Partitur mit beeindruckender Sicherheit singt, dabei szenisch stark gefordert ist und, wie gesagt, teilweise im Publikum verteilt singt – und das jederzeit mit höchster Präsenz und außerordentlicher Präzision. Krachendes Forte ist da ebenso inbegriffen wie ein schwebendes Pianissimo.


Vergrößerung in neuem Fenster Moses (Dale Duesing)

Hervorragend sind auch die Solisten. Dale Duesing macht als Moses die melodischen Qualitäten des Sprechgesangs, den Schönberg der Figur verordnet, ausgezeichnet hörbar. Und auch Andreas Conrad wird der Tenorpartie des Aron mit der Agilität eines Charaktertenors und doch lyrisch geprägter Stimme bestens gerecht. Sehr ordentlich sind die kleineren Partien besetzt. Hatte die Düsseldorfer Produktion von Moses und Aron bereits herausragende musikalische Qualitäten, so wirkt diese Bochumer Aufführung insgesamt noch geschlossener, mehr aus einem Guss. Schönbergs komplexe Musik bekommt hier, nicht zuletzt durch die Kongruenz zum Bühnengeschehen, eine ungeheure emotionale Dichte. Die Fragen, die das Stück stellt, mögen letztendlich nicht beantwortbar sein. Aber die Kunst vermittelt vieles von den Urmomenten, um die es hier geht.


FAZIT

Eine in jeder Hinsicht grandiose Produktion setzt Maßstäbe.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Boder

Inszenierung
Willy Decker

Bühne
Wolfgang Gussmann

Kostüme
Wolfgang Gussmann
Susana Mendoza

Licht
Andreas Grüter

Ton
Holger Schwark
Stefan Holtz

Video
Johannes Grebert

Regiemitarbeit
Tatjana Heiniger

Dramaturgie
Stefan Poprawka

Choreographische Mitarbeit
Jo Siska

Chor
Rupert Huber
Günther Albers
Wolfgang Wengenroth
Michael Alber
Pavel Brochin


ChorWerk Ruhr

Bochumer Symphoniker


Solisten

Moses
Dale Duesing

Aron
Andreas Conrad

ein junges Mädchen
Ilse Eerens

eine Kranke
Karolina Gumos

ein junger Mann /
ein Jüngling
Finnur Bjarnason

der nackte Jüngling
Michael Smallwood

ein anderer Mann /
Ephraimit
Boris Grappe

ein Priester
Renatus Mészár

Vier Jungfrauen
Ilse Eerens
Hanna Herfurtner
Karolina Gumos
Constance Heller

Sechs Solostimmen
Hanna Herfurtner
Karolina Gumos
Constance Heller
Michael Smallwood
Martin Gerke
Dong-Won Seo




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