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Musikfestspiele
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32. Händel-Festspiele 2009

Radamisto

Konzerte mit dem
kammerorchesterbasel, den
Deutschen Händel-Solisten, dem
Opera Swing Quartett und
Solistinnen und Solisten

Homepage des Badischen Staatstheaters Karlsruhe

Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Die wirklich historische Aufführungspraxis

Von Christoph Wurzel

Was hat Händel eigentlich mit Karlsruhe zu tun? Auf den ersten Blick nichts, denn er ist niemals dort gewesen, wurde doch die badische Residenzstadt überhaupt erst im Jahre 1715 gegründet. Da lebte Händel aber bereits etwa 3 Jahre in London, von wo er ja bekanntlich seit seiner endgültigen Übersiedlung nur noch wenige Reisen unternommen hat.

Gleichwohl gibt es in Karlsruhe mittlerweile eine reiche Händelpflege. Neben Göttingen und Halle ist das Badische Staatstheater seit nunmehr 31 Jahren jährlich ebenfalls Veranstaltungsort zuerst von Händel-Tagen, dann, anlässlich von Händels Geburtstagsjubiläum 1985 aufgewertet, auch von "Festspielen". Dabei stehen jeweils Konzerte und Opernaufführungen, aber auch Interpretationskurse (die "Internationale Händelakademie"), ein wissenschaftliches Symposium und nicht zuletzt ein Schüler-Wettbewerb in der Aufführung barocker Musik im Mittelpunkt.

Zum aktuellen Händeljahr gibt es daneben eine Ausstellung über "Händel in Karlsruhe", in der Händel-Handschriften aus dem Bestand der Badischen Landesbibliothek gezeigt sowie ein Überblick über die Inszenierungen von Händelopern der neueren Zeit gegeben werden. Auch im Badischen Staatstheater selbst konnte man eine Ausstellung über barocke Bühnenpraxis in noch bestehenden Barocktheatern sehen (siehe Bericht). Das Händeljahr begann im deutschen Südwesten also mit einem kräftigen Akzent in Karlsruhe. Auch die Schwetzinger Festspiele werden 2009 eine Händeloper im Programm haben ("Ezio" ab 21. Mai - wir werden berichten) und die Stuttgarter Staatsoper bringt schon ab 2. Mai eine Neuproduktion des "Teseo". Auch darüber werden wir berichten.

Zentrum der Karlsruher Händelfestspiele ist jährlich die Neuinszenierung einer Oper von Händel. Es gab auch schon einmal die eines Oratoriums oder in einigen wenigen Fällen auch eine Uraufführung mit Händel-Thematik, wie die Oper "Farinelli" von Siegfried Matthus im Jahre 1998. In diesem Jahr hatte man sich einen besonderen Clou ausgedacht - nämlich die Aufführung einer Oper Händels in originaler barocker Ausstattung und Bewegungsregie und natürlich - das ist ja inzwischen nichts Neues mehr - im historischem Klangbild. Es wurde die in der Werkzählung zwölfte Oper "Radamisto" ausgewählt, und zwar in der Erstfassung, als angebliche "Uraufführung" auf dem Kontinent (siehe unseren Bericht).

Im Bereich der Konzerte hatte man ein musikalisches Pasticcio zusammengestellt, das in mehreren Schichten auf der soliden Grundlage der Deutschen Händelsolisten (in Oper und Konzert) aufbauend, als Starter das atemberaubend spielende Basler Kammerorchesters und die ebenso bestaunenswerte Marijana Mijanovic anbot, weiter mit einer delikaten Füllung ("Best of British") aus Arien und schönen Stellen aus Händels Werk aufwartete, um dann mit den durchaus harmonierenden Beilagen aus größtenteils beachtlichen Schülerleistungen im Preisträgerkonzert mit einem raffinierten Dessert aus fetzigem Händelswing der Herren des "Opera Swing-Quartett" abzuschließen. Ein Programm-Rezept, das in diesem Jahr sehr delikat gemundet hat.

Die Deutschen Händelsolisten sind als Orchester in Residence jährlich die Stütze der historisch informierten Aufführungspraxis und so zeigten sie sich auch in ihrem Festkonzert mit zwei Concerti grossi von Händel, der Suite aus "Platée" von Rameau und einer äußerst reizvollen barocken Programmmusik-Suite über die Elemente, in welcher Gedanken Joseph Haydns in der musikalischen Darstellung des vorzeitlichen Chaos, der Schöpfung und der Naturschilderung bereits vorweggenommen scheinen. In plastischem Klangbild präsentierten die Händelsolisten diese selten zu hörende Musik. Sébastien Rouland leitete das Orchester mit temperamentvoller Energie. Nicht durchweg aber war vor allem der Klangfarbenreichtum oder die rhythmische Vitalität der Musik so unmittelbar zu spüren. Auch einige Intonationstrübungen vor allem der Bläser machten vielleicht deutlich, dass die vielfältigen Aufgaben bei den diesjährigen Festspielen die Musikerinnen und Musiker gegen Schluss vielleicht etwas angestrengt hatten.

Frisch und bis ins Detail hinein ausgefeilt dagegen präsentierten sie sich noch in den ersten Tagen der Festspiele im Konzert unter der Leitung des ehemaligen Karlsruher GMD Anthony Bramall, der für den Besuch an seiner alten Wirkungsstätte ein Programm ausgesucht hatte, das abwechslungsreicher und kurzweiliger kaum hätte ausfallen können. Eine Art barockes Wunschkonzert, gespickt mit Filetstücken aus Händels Werk, wurde exzellent präsentiert von best aufgelegten Sängerinnen und Sängern wie dem großartigen Karlsruher Tenor Bernhard Berchtold, der in Arien aus Oratorien feinsten lyrischen Schöngesang bot, dem Counter Franz Vitzthum, der besonders mit dem Schlager "Ombra mai fu" aus "Serse" in ganz unpathischer Frische beeindruckte oder Kirsten Blaise, die auch zum Karlsruher Ensemble gehört, bei deren Interpretation der Arien-Sarabande "Lascia ch'io pianga" man wirklich die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können. Ewa Wolak, die letztjährige Cornelia in "Giulio Cesare" erinnerte u.a. wirkungsvoll an diese wenigstens musikalisch beeindruckende Produktion des vergangenen Jahres (siehe unseren Bericht). Matthias Friedrich steuerte zu diesem Reigen von Highlights aus Händels britischem Schaffen überaus virtuos gesungene Bassarien bei. Heidrun Kordes, schon mehrfach Gast bei den Festspielen, vervollständigte das erstklassige Sängerensemble.

Mit dem ihm eigenen Schuss britischen Humors moderierte Bramall das bunte Programm und ließ auch das Publikum seinen Beitrag zu einer "wirklich historischen Aufführungspraxis" leisten, indem er es zum "Halleluja" aufstehen ließ, wie es einst bei einer Aufführung in London geschehen war, als König Georg II. von der Macht der Musik überwältigt bei den Worten "He shall reign for ever and ever, King of Kings and Lord of Lords" ehrerbietig aufstand und das Publikum ihm natürlich folgen musste.

Sicherlich nicht zum ersten Mal vor Publikum, aber auf der Bühne des Schauspielhauses des Staatstheaters sich noch etwas unsicher bewegend präsentierten sich etliche Schülerinnen und Schüler von Schulen aus dem badischen Raum nach durchstandenem Wettbewerb dann aber im Abschlusskonzert musikalisch recht souverän mit Solo- und Kammermusik von Händel, Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach. Es ist eine schöne Einrichtung der Händelfestspiele, dass dem musikalischen Nachwuchs diese Möglichkeit völlig gleichberechtigt im Rahmen des offiziellen Programms gegeben wird. Offenbar sind der Wettbewerb und die Preise ein gehöriger Ansporn für Schulen, ihre Musikpraxis zu intensivieren, denn manche konnten sich bereits wiederholt auf diesem Podium präsentieren. Dies ist umso erfreulicher, als eine "Reform" wie das achtjährige Gymnasium oder der Abbau von Musikschulkapazitäten für die musikalische Breitenbildung in Deutschland geradezu verheerende Auswirkungen anzunehmen beginnen, ein Umstand, den auch Intendant Achim Thorwald in seiner Begrüßungsansprache kritisch hervorhob. Dennoch waren die Darbietungen durchweg auf beachtlichem Niveau. Stilsicher und technisch oftmals tadellos meisterten die jungen Musikerinnen und Musiker die Herausforderung, im Rahmen eines Festspielprogramms ansehnlich mitzuhalten. Besonders eindrucksvoll gelang dies der Karlsruher Flötistin Jana Lalovic, der mit Lisa Wang am Cembalo eine Gestaltung einer Telemannsonate gelang, die der barocken Klangrede schon recht nahe kam und auch besonders in der Beherrschung der Verzierungstechnik eine hohe Geschicklichkeit bewies. Auch das Kammermusikensemble des Hegau-Gymnasiums aus Singen bestach in zwei Arien aus einer italienischen Kantate von Händel durch ein abgerundetes Klangbild. Die 18jährige Tabea Sawatzki sang mit raumfüllender Stimme, technisch erstaunlich ausgereift und betont ausdrucksfähig. Alle jungen Solistinnen und Solisten hatten sich kräftigen Beifall verdient, den sie auch erhielten, den man ihnen aber nicht allein von den zahlreich angereisten Angehörigen und Freunden gewünscht hätte, sondern auch von einem interessierten Publikum, das zu dieser Matinee leider nicht so zahlreich gekommen war.

Professionellen Furor konnte das Publikum im Auftaktkonzert erleben, als Concerti und Arien von Händel und Vivaldi durch das Opernhaus des Staatstheaters fegten. Dank dem feurigen Spiel des "kammerorchesterbasel" und dem temperamentsprühenden Gesang von Marijana Mijanovic wurde dem Publikum ordentlich eingeheizt. Leidenschaft und Tempo paarten sich zu einer elektrisierenden Mischung. Was barocke Affekte bedeuten - wer könnte es momentan im Alt-Fach überzeugender darstellen als Marijana Mijanovic mit ihrer rubinrot erotisch glühenden Stimme, die in ihrer androgynen Färbung und ihrer sonoren Sättigung wohl konkurrenzlos ist. Dabei beherrscht die schlank hochgewachsene, mimisch ausdrucksvoll agierende Sängerin auch die heikelsten Tempi technisch offenkundig perfekt ("Sorge l'irato nembo" aus "Orlando furioso") und kann ebenso mit graziösem Charme verzaubern ("Se fiera belva ha cinto" aus "Rodelinda") wie durch reiche Verzierungskunst bestechen ("La cevezza" aus Vivaldis Pasticcio Bajazet als Zugabe) oder in reichem Gefühlsausdruck schwelgen wie in der Kantate "Cessate, omai cessate" von Vivaldi. Das ist Gesang, der wahrlich unter die Haut geht. Schreibt sich das kammerorchesterbasel auch etwas sperrig - im Spiel war es extrem flexibel, gummiballartig federnd, schwungvoll locker und pointiert artikulierend. Ein Konzert der Sonderklasse mithin!

Da ist der Schritt von der authentischen barocken Aufführungspraxis in die Gegenwart gar nicht mehr so groß. Dass Händel auch gehörig swingen kann, erfuhr man in aller musikantischer Sinnlichkeit von vier Herren, die äußerlich zuerst einmal ganz konventionell in Frack und Fliege auftraten, dem "Opera Swing Quartett", einem etwas exotischen Eigengewächs im musikalischen Garten des Badischen Staatstheaters. Drei der Herren sind Orchestermusiker der Staatskapelle, der Spiritus rector am Klavier und ideenreiche Arrangeur Wolfgang Heinzel war bis 2003 Kapellmeister am Staatstheater und leitet nun die Philharmonie Merck in Darmstadt. Rasant rührten die Vier Händels Melodien mit Rumba, Samba, Folk und Rock durcheinander, dass es eine Art hatte. Trotzdem lautete das Motto "Handel with care", eine ironische, aber liebevolle Mixtur aus melodischen Händelwings und rhythmischen Jazzpants. Auch eine geistreiche Form musikalischen Clonings oder witziges Crossover, das vom Schlagzeuger Rainer Engelhardt auch immer wieder mit schlagfertigen Kommentaren begleitet wurde, wie die verblueste Fassung des Trauermarsches aus "Samson" als "last samson-night". Sogar eine eigenwillige Auslegung der Zwölftontechnik gelang der Combo mit den Variationen über den Namen Händels, ganz in der Tradition jener über B-A-C-H, was im Fall von Georg Friedrich plus der englischen Fassung des Nachnamens eben die Reihe ge''g f''ed''ch ha'de ergibt. Unnötig zu betonen, dass die klassisch geschulten Musiker den Groove und den Swing so sehr im Blut haben, dass es im Publikum so manche(r) nicht ganz ruhig auf dem Sitz aushalten konnte.


FAZIT

Historisch oder modern - dass Händel in seiner Musik quicklebendig ist, war in Karlsruhe zu erfahren.



Radamisto bei den 32. Händel-Festspielen in Karlsruhe

"Faszination der Bühne" - Ausstellung im Foyer des
Großen Hauses des Badischen Staatstheaters


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Die Programme


21. Februar 2009
kammerorchesterbasel
Marijana Mijanovic, Alt

Händel und Vivaldi
- Concerti und Arien


22. Februar
Preisträgerkonzert der
Händel-Gesellschaft

Werke von
Georg Friedrich Händel,
Carl Philipp Emanuel Bach
und Georg Philipp Telemann


22. Februar 2009
Opera Swing Quartett
Wolfgang Heinzel,
Klavier, Arrangements
Wolfgang Werth,
Klarinette, Bassklarinette
Peter Cerny,
Bass, E-Bass
Rainer Engelhardt,
Schlagzeug und Moderation
"Easy to Händel"


23. Februar 2009
Deutsche Händel-Solisten
Kirsten Blaise, Sopran
Heidrun Kordes, Sopran
Ewa Wolak, Alt
Franz Vitzthum, Countertenor
Bernhard Berchtold, Tenor
Wolf Matthias Friedrich, Bass
Musikalische Leitung:
Anthony Bramall
Best of British - Händel in London
Werke von Georg Friedrich Händel


1. März 2009
Festkonzert der
Deutschen Händel-Solisten
Musikalische Leitung:
Sébastian Rouland

Georg Friedrich Händel
Concerto a due cori Nr. 1 B-Dur HWV 332
Concerto a due cori Nr. 3 F-Dur HWV 334
Jean-Féry Rebel
"Les éléments"
Jean-Philippe Rameau
Suite aus "Platée"


Nicht rezensiert:

27. Februar 2009
Kammerkonzert der
Deutschen Händel-Solisten

28. Februar 2009
Symposium der
Internationalen Händel-Akademie

Abschlusskonzert der
Instrumentalkurse

Kammerkonzert der
Badischen Staatskapelle


5. März 2009
Abschlusskonzert des
Kammermusik-Projekts


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)




Da capo al Fine

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