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24.
Tage Alter Musik in Regensburg

9. bis 12. Mai 2008




Tage Alter Musik Regensburg
(Homepage)

Mein ganz persönliches Jubiläum
Zu Pfingsten bei den Tagen Alter Musik in Regensburg

Von Ingo Negwer

Pfingsten: Das ist Regensburg. Das sind die Tage Alter Musik. Huldigung des "Originalklangs" im Reichssaal, in der Minoritenkirche, in der nächtlichen Dominikanerkirche - um nur einige der zauberhaften Konzertstätten des renommierten Festivals zu nennen. Zum 20. Mal machte ich mich am Pfingstwochenende auf in die ehemalige Reichsstadt an der Donau, um auch in diesem Jahr die nunmehr 24. Tage Alter Musik Regensburg zu besuchen. Ja, Pfingsten, das ist Regensburg. Mein ganz persönliches Jubiläum!

Eine auch schon alte Tradition ist die Zusammenarbeit der Festivalveranstalter mit dem berühmtesten musikalischen Aushängeschild der Stadt, den Regensburger Domspatzen. Im Eröffnungskonzert sangen die Domspatzen unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner Felix Mendelssohn Bartholdys "Elias". Sie bewältigten diese Aufgabe auf dem gewohnt hohen Niveau. Katharina Fuge (Sopran), Hildegard Wiedemann (Alt), Maximilian Schmitt (Tenor) und Markus Volpert (Bass), der die Titelrolle mit unangestrengter Würde darbot, bildeten ein harmonisch aufeinander abgestimmtes Solistenquartett. Begleitet wurden Chor und Solisten von der Akademie für Alte Musik Berlin, die sowohl mit einem transparenten Klangbild als auch mit zupackenden dramatischen Akzenten ihre Kompetenz im ungewohnten romantischen Repertoire unter Beweis stellte.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Regensburger Domspatzen
und die Akademie für Alte Musik Berlin
in der Dreieinigkeitskirche
(Foto: Ingo Negwer)

Dank seiner charismatischen Bühnen- und Tonträgerpräsenz zählt der Tenor Marco Beasley unbestritten zu den Stars der Alten Musik. Seine CD-Aufnahmen mit den Ensembles Accordone und L'Arpeggiata haben zum Teil Kultcharakter! Nun war er zusammen mit Accordone unter der Leitung von Guido Morini im ersten Nachtkonzert der Regensburger Tage Alter Musik zu erleben. Mit ihrem aktuellen Programm "La Bella Noeva" spürten Beasley und Accordone einmal mehr die Berührungspunkte des frühbarocken Belcanto und der italienischen Folklore auf. Arien von Giulio Caccini, Biagio Marini und Claudio Monteverdi fügten sich mit traditionellen Weisen aus Neapel und Ligurien zu einer kurzweiligen Unterhaltung. Marco Beasleys sehr leichter Tenor, die schlichte, unaufdringliche Gestaltung der Koloraturen - etwa in Caccinis "Amarilli mia bella" - kleideten den stile recitando in ein natürliches musikalisches Gewand. Da wirkte nichts gekünstelt, selbst wo Beasley bruchlos von der Tenor- in die Countertenorlage wechselte. Lediglich in Monteverdis "Laudate Dominum" wurde der festliche Charakter der Solomotette dem Konzept der natürlichen Schlichtheit geopfert. Warum Marco Beasley zudem das abschließende virtuose "Alleluia" zugunsten eines unbegleiteten "Requiem" opferte, konnte sich mir leider nicht erschließen.

Vergrößerung in neuem Fenster Danielle Svonavec und Ronn McFarlane
vom Baltimore Consort im Reichssaal
(Foto: Ingo Negwer)

Das Baltimore Consort aus den USA zählt seit seiner Gründung vor 28 Jahren zu jenen Pionieren, die die Verbindungen von Kunst- und Volksmusik vergangener Epochen aufspüren und mit vitalen Darbietungen zu neuem Leben erwecken. Zum dritten Mal bei den Tagen Alter Musik, nahm sich das Ensemble im Reichssaal der schottischen Musik des 16. und 17. Jahrhunderts an, und folgte ihrer Spur bis hinüber in die Neue Welt nach Tennessee (USA) und Nova Scotia (Kanada). Ein Hauch von Melancholie liegt über dieser reizenden Musik, wenn das Baltimore Consort gleichsam die Stille zum Schwingen bringt. Großen Anteil daran hatte insbesondere die junge Danielle Svonavec mit ihrer unaufdringlichen, schönen Sopranstimme.

Einen unterhaltsamen Samstagnachmittag gestalteten im Neuhaussaal das Prager Collegium Marianum und die Cracovia Danza-Ardente Sole aus Polen mit höfischen Tänzen zu Musik von Georg Philipp Telemann, Johann Joseph Fux und Jan Josef Ignác Brentner. Auch hier kam das folkloristische Element zu seinem Recht, dieses Mal in Gestalt von Volkstänzen des 18. Jahrhunderts aus Ungarn, Böhmen und Mähren.

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Jana Semerádová (Collegium Marianum)
und Mitglieder der Cracovia Danza-Ardente Sole
(Foto: Ingo Negwer)

Das mit Spannung erwartete Konzert des Orchesters Capriccio Basel musste wegen Erkrankung der Sopranistin Nuria Real umdisponiert werden. Kurzfristig sprang der britische Countertenor Alex Potter als Solist ein. Mit seiner angenehm lyrischen Stimme, die insbesondere in der Höhe kaum Wünsche offen ließ, bewältigte er mühelos die virtuosen Klippen des "Nisi Dominus" RV 608 von Antonio Vivaldi. Capriccio Basel eröffnete das Konzert zunächst mit einer Sinfonie d-Moll von William Hayes, der man wohlwollend einen eher durchschnittlichen Repertoirewert zugestehen möchte. So nahmen die Instrumentalisten, angeführt von dem Soloflötisten Karel Walter, erst im folgenden Concerto "La Notte" von Vivaldi Fahrt auf. Nach der Pause setzte sich der bunte Reigen barocker Orchesterwerke mit Georg Muffats Concerto grosso "Delirium amoris" und dem rekonstruierten Konzert A-Dur für Oboe d'Amore, Streicher und Basso continuo von Johann Sebastian Bach (nach BWV 1055) fort. Mit Jean-Philipp Rameaus "Ballet des Fleurs" aus "Les Indes galantes" endete das Konzert des insgesamt hörenswerten Schweizer Barockorchesters, das leider allzu brav daher kam und angesichts des recht gemischten Programms an diesem Abend keine wirklichen Glanzpunkte setzen konnte.

Vergrößerung in neuem Fenster Christa Patton (Piffaro) in der Konzertpause
(Foto: Ingo Negwer)

Vor fünfzehn Jahren, bei den Tagen Alter Musik Regensburg 1993, debütierte das Ensemble Piffaro in Europa. Seither sind die Spezialisten für Bläsermusik der Renaissance eine feste Größe in der Alten Musik. In der Matinee am Pfingstsonntag gab es ein Wiedersehen und -hören mit der sympathischen Formation aus den USA. Für seinen fünften Auftritt in Regensburg hat Piffaro Musik der englischen Bläserensembles aus der Zeit Elisabeths I. mitgebracht. Vielfarbig und facettenreich gestalteten die Musiker, versiert auf zahlreichen Instrumenten spielend, Werke u.a. von William Byrd, Thomas Weelkes, Thomas Morley, die einst das Repertoire der englischen "Waits" (so der Name der englischen Stadtpfeifer) bildeten. In der Konzertpause wurde die Bühne quasi zu einer Instrumentenausstellung, wo sich das Publikum von den Musikerinnen und Musikern die verschiedenen Blockflöten, Pommern, Dulziane, Posaunen, Dudelsäcke, Lauten, Harfen etc. erklären ließ.

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Grant Herreid (Piffaro) erläutert
eine Renaissancegitarre
(Foto: Ingo Negwer)

Mit The Netherlands Bach Society unter der Leitung von Jos van Veldhoven erklang am Abend die Messe h-Moll von Johann Sebastian Bach in solistischer Vokalbesetzung. Solistisch war die Interpretation insofern zu nennen, als das Quintett der Concertisten die durchweg tragende Rolle innehatte. Der große Anteil der zehn Ripienisten am musikalischen Geschehen mag jedoch auch die Freunde der traditionellen Chorpraxis versöhnt haben, obgleich der aufführungspraktische Paradigmenwechsel deutlich blieb. Der Netherlands Bach Society gelang eine beeindruckende Sichtweise auf Bachs Alterswerk, die sich durch ein transparentes Klangbild und kontrastreich differenzierte Gestaltung auszeichnete. So erklang das prachtvolle "Gratias agimus" mit festlicher Würde, das "Cum sancto spiritu" mit quasi überbordender Vitalität. Das im Pianissimo verklingende "Crucifixus" gehörte zu den ergreifendsten Momenten des Abends. Maria Keohane überzeugte mit einem wunderschönen, klaren Sopran ebenso wie Johannette Zomer mit klar deklamierendem Mezzo. Matthew Whites Altus klang leider etwas forciert ("Qui sedes ad dextram patres"). Charles Daniels fügte sich mit seinem lyrischen, prägnanten Tenor bestens in das Ensemble der Concertisten ein, wohingegen Marcus Niedermayer trotz schöner Kolloraturen in der Tiefe wenig Substanz bot.

Vergrößerung in neuem Fenster The Netherlands Bach Society)
in der Dreieinigkeitskirche
(Foto: Ingo Negwer)

Der Pfingstsonntag ging mit einer weiteren Messe zur nächtlichen Stunde in der Dominikanerkirche zu Ende. In einem überzeugenden Programm, das den liturgischen Rahmen berücksichtigte, führte Diabolus in Musica die spätmittelalterliche "Messe de Nostre Dame" von Guillaume de Machaut auf. Die sehr guten Stimmen des achtköpfigen französischen Vokalensembles hinterließen einen ausgewogenen Gesamteindruck.

Am frühen Montagnachmittag widmeten sich Vittorio Ghielmi (Viola da Gamba) und Luca Pianca (Laute) musikalischen Miniaturen von Christopher Simpson, Salomon Eccles, John Playford, Marin Marais, Jacques Gallot und Antoine Forqueray le Père. Zwei Kompositionen von Pianca ("The Devil's Dream") und Ghielmi ("Little Dew, Little Light") ergänzten das Programm des knapp einstündigen routinierten Kurzauftritts. Vittorio Ghielmi beeindruckte einmal mehr mit seiner Virtuosität und einem quasi unerschöpflich nuancenreichen Spiel, das die vielfältigen klanglichen Möglichkeiten der Viola da Gamba, aber auch der kleinen Diskantgambe voll ausnutzt. Luca Pianca war ihm als aufmerksamer Begleiter ein ebenbürtiger Partner, obschon seine Instrumentenwahl für dieses Repertoire wenig glücklich erscheint. Insbesondere die Lautenmusik von Jacquet Gallot, im spezifischen Stil der französischen Lautenschule komponiert, klingt auf einer Erzlaute (zumal mit einfacher Besaitung) bei aller Souveränität des Interpreten doch sehr befremdlich!

Das Orchester Le Concert Français unter der Leitung von Pierre Hantaï gab am Nachmittag mit Werken von Johann Sebastian Bach seine musikalische Visitenkarte bei den Tagen Alter Musik in Regensburg ab. Das französische Ensemble bestätigte mit seinen Interpretationen der Ouvertüren Nr. 1-3 und des zweiten Brandenburgischen Konzerts die exquisite Bach-Pflege unserer westlichen Nachbarn. Die geschmeidig elegante Spielkultur und das durchsichtige Klangbild kamen der komplexen Bachschen Musik sehr zugute. In den schnellen Sätzen dominierten frische Tempi. Das kammermusikalisch intime Andante des Brandenburgischen Konzerts oder die berühmte Air der dritten Suite, um nur zwei Beispiele zu nennen, wurden hingegen mit meditativer Ruhe gestaltet. Die Solisten Hugo Reyne (Blockflöte), Luis Otavio Santos (Violine), Guy Ferber (Trompete), Antoine Torunczyk (Oboe) und vor allem Marc Hantaï (Traversflöte) in der Ouvertüre h-Moll ließen kaum Wünsche offen. Ein zu Recht vom Publikum mit Ovationen gefeierter Auftritt!

Vergrößerung in neuem Fenster Anima Eterna im Velodrom
(Foto: Ingo Negwer)

Mit Musik der Romantik wurden die Tage Alter Musik 2008 eröffnete. Mit Werken dieser Epoche ging das Regensburger Festival auch zu Ende. So schloss sich am Montagabend mit einem Konzert des belgischen Orchesters Anima Eterna der Kreis von insgesamt vierzehn Konzerten mit Werken vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert.

Anima Eterna und sein Dirigent Jos van Immerseel sind längst auch schon "alte Bekannte" bei den Tagen Alter Musik in Regensburg. Für ihren diesjährigen Auftritt brachten sie Kompositionen von Franz Liszt und Hector Berlioz mit an die Donau. Berlioz' temperamentvolle, spritzige Ouvertüre "Römischer Karneval" op. 9 zum Auftakt geriet dem renommierten belgischen Orchester leider allzu spröde. An Stelle der zu erwartenden Leidenschaft gab es einige Intonationsprobleme in den Streichern und Ungenauigkeiten bei den Bläsern. Erst in Franz Liszts "Der Tanz in der Dorfschenke" (aus: Zwei Episoden aus Lenaus Faust) fand man allmählich zur gewohnten Form. Die endgültige Wende brachte aber der wie entfesselt aufspielende Rian de Waal am Erard-Flügel von 1886. Mit stupender Souveränität und geradezu atemberaubender Virtuosität entzündete er mit Liszts "Totentanz" ein pianistisches Feuerwerk. Der Funke sprang unmittelbar auf das Orchester über. Nach der Pause nahm Anima Eterna selbst die Rolle des Virtuosen ein und bot eine mitreißende Deutung der Symphonie fantastique op. 14a von Hector Berlioz. Im schier aberwitzigen Hexensabbat des Schlusssatzes und zum quasi ins Barbarische umgedeutete "Dies Irae" des gregorianischen Requiems klangen die Tage Alter Musik aus.

In diesem Jahr passte in Regensburg, wie schon so oft, alles zusammen. Selbst das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite! Auf dem inzwischen erreichten Niveau dürfte den Tagen Alter Musik, anders als dem Helden in Berlioz' Symphonie fantastique, noch lange nicht das letzte Stündchen geschlagen haben. Denn Pfingsten 2009 steht sicherlich bei vielen treuen Festivalbesuchern bereits als fixer Termin für Alte Musik im Kalender.


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Da capo al Fine

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