München: Ariadne auf Naxos / Online Musik Magazin

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Ariadne auf Naxos
Oper in einem Aufzuge nebst einem Vorspiel
von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 20 Minuten (keine Pause)

Premiere im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2008
am 24.7.2008 im Prinzregententheater München
(rezensierte Aufführung: 30.7.2008)

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Kommt ein junger Gott gegangen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Wilfried Hösl

Betritt man den Zuschauerraum des Prinzregententheaters, so platzt man in eine Ballettprobe, die gerade auf der Bühne stattfindet (obwohl doch überhaupt kein Ballett für dieses Stück vorgesehen ist). Dann erscheint ein gesetzter Herr auf der Bühne, wohl der Intendant, und die Tänzer formieren sich, um das gerade noch Eingeübte vorzuführen – und mit dem Knopfdruck auf das Tonband erklingt aus dem Graben das Orchestervorspiel, und ganz plötzlich ist man mitten in der Oper Ariadne auf Naxos, genauer gesagt im szenischen Vorspiel, das die Vorbereitungen zur eigentlichen Aufführung zeigt. Das Geschehen spielt sich nicht in vergangenen Zeiten im Hause eines reichen Herrn ab, sondern ganz gegenwärtig in diesem Theaterbau in München, und der reiche Geldgeber samt Haushofmeister ist ersetzt durch den Intendanten und seinen ebenso schmierig wie diktatorisch auftretenden Assistenten. Und auf der Bühne tummeln sich überhebliche Sänger und alberne Schmierenkomödianten, Tänzer und Bühnenarbeiter – Theateralltag mit allerlei Attitüden und Streitereien. Dazwischen ein Komponist, dessen Werk zwischen den zerstrittenen Grüppchen eigentlich keine Chance hat. Und dann passiert das Wunder: Aus dem Chaos erwächst Theater. Und was für welches!

Foto kommt später Komponist (Daniela Sindram) und Zerbinetta (Diana Damrau)

Das ist die eine Geschichte, die Regisseur Robert Carsen erzählt: Wie Theater aus dem Nichts, oder noch viel schlimmer: aus allerlei Widrigkeiten zu einem Traumort werden kann, der für einen Moment alles um einen herum vergessen lässt. Carsen hat die Theater-auf-dem-Theater-Situation beim Wort genommen (der Sprung in unsere Zeit gelingt ihm dabei mühelos). Lassen Komponist Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal im Stück die ernste Oper „Ariadne auf Naxos“ auf Anweisung des „gnädigen Herrn“ parallel zu einer Harlekinade spielen, so muss Carsen dieses Kunststück gleich doppelt leisten: Nicht nur das Stück im Stück, auch die gesamte Oper Ariadne auf Naxos mitsamt dem langen szenischen Vorspiel, ein höchst artifizielles, nahezu uninszenierbares Kunst-Werk, muss in diesem Konzept aufgehen. Carsen inszeniert das mit so viel Witz und auch Selbstironie, dass man jeden, der an Sinn und Möglichkeit der Gattung Oper zweifelt, in diese Aufführung schicken möchte und sagen: geht doch.

Foto kommt später

Ariadne (Adrianne Pieczonka)

Indem Carsen das Ballett hinzu zieht, gewinnt er eine zusätzliche Abstraktionsebene. Die Frauen sind alle gleich gekleidet, auch Ariadne – es geht hier um das Symbolhafte. Aber Carsen durchkreuzt diesen Ansatz sofort wieder, indem Zerbinetta, zunächst auch eine Doppelgängerin Ariadnes, bald ihre Perücke abwirft und damit die Individualität zurückgewinnt. Das ist die zweite Geschichte: Dass der Mensch nicht aus einem Wesenszug besteht, kein „Prinzip“ verkörpert, sondern viel komplizierter ist. („Viele meinen, dass sie mich kennen – aber ihr Auge ist stumpf“ singt Zerbinetta im Vorspiel.) Treue und Untreue sind keine Gegensätze, sondern dialektische Kehrseiten derselben Medaille. Daher ist nicht Ariadne, sondern die Komödiantin Zerbinetta (neben dem Komponisten) die Hauptfigur des Abends. Carsen stellt klar heraus, dass ihre zentrale Szene („Großmächtige Prinzessin“) die unmittelbare Antwort auf Ariadnes große Arie „Es gibt ein Reich, wo alles rein ist“ (nämlich das Reich des Todes) ist. Und weil Diana Damrau als Zerbinetta nicht nur großartig singt und jedes einzelne Wort, jeden Ton so artikuliert, als dürfe es gar nicht anders sein, sondern auch ein schauspielerisches Kabinettstückchen hinlegt (wobei die Herren des Balletts ihr hinreißend assistieren), dürfte auch dem letzten Chauvinisten im Publikum klar werden: Zerbinettas Flatterhaftigkeit in Liebesdingen ist keineswegs Untreue, sondern das unentwegte Suchen nach dem einen Richtigen, dem „jungen Gott“, dem allein Treue gebührt.

Foto kommt später Bacchus (Burkhard Fritz) und Ariadne (Adrianne Pieczonka)

Durch das Ballett – für die sehr ansehnliche Choreographie ist Marco Santi verantwortlich – gelingen immer wieder eindrucksvolle, im edel schwarzen, hermetisch abgeschlossenen Bühnenraum der Ariadne-Handlung (Bühne: Peter Pabst) oft sehr strenge Bilder. Das verleiht der Ariadne, von Adrianne Pieczonka volltönend und raumfassend, bei manchen Vokalfärbungen etwas metallisch, aber jederzeit äußerst kontrolliert gesungen, den Ernst, als fasse sie alle tragischen Opernheldinnen in einer Person zusammen (was im nächsten Moment dann, oft urkomisch, schon wieder parodiert wird). Burkhard Fritz als Bacchus ruft sie mit heldentenoralem Glanz, zunächst noch etwas forciert, dann mehr und mehr freier und strahlender – keine Heroine der Opernwelt könnte dem widerstehen, und so öffnet sich nach und nach die Rückwand und gibt eine gleißend weiße Fläche frei, die immer größer wird und immer näher kommt, dass es den Atem verschlägt. So schlicht und einfach und dennoch so überwältigend kann Oper sein.

Foto kommt später

Zerbinetta (Diana Damrau) und Statisterie

Auch wenn der Vorhang fällt, ist das Stück noch nicht aus, zumindest nicht ganz: Der Komponist – von Daniela Sindram, äußerlich mit maskuliner Ausstrahlung, sehr nuanciert und mit ebenso großer stimmlicher Beweglichkeit wie klangprächtigem und zupackendem Ton tadellos gesungen - , der im Zuschauerraum am Rande des Orchestergrabens „sein“ Werk begutachtet hat (und manchen Blick Zerbinettas erhaschen konnte), läuft vor den Vorhang, zieht ihn ungläubig wieder auf – und steht vor der völlig leeren Bühne. Vorbei das Theaterwunder. Ein Wunder auch wegen der durchweg exzellenten musikalischen Leistungen. Aus dem Ensemble sei noch der in seiner komischen Verzweiflung bravouröse Musiklehrer von Martin Gantner genannt. Chefdirigent Kent Nagano zeigt einmal mehr viel Gespür für musikalische Entwicklungen, aber auch für sorgsames Abstufen des Klanges, um die Sänger auch im Fortissimo nicht zuzudecken, und ebenso für nuancenreichen Wechsel zwischen kammermusikalischem und großem symphonischem Tonfall. Das insgesamt gute Bayerische Staatsorchester setzt das ordentlich um; zu behaupten, dass jeder Musiker jeden Ton mit höchster Konzentration spielt, wäre freilich zu viel des Guten. (Auch gibt es Orchester, die sich länger dem Applaus des Publikums stellen.) An einem solchen Abend lässt sich immerhin leicht über solche Kleinigkeiten hinwegsehen. Anhaltender Jubel.


FAZIT

Zweieinviertel Stunden höchstes Opernglück.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung
Robert Carsen

Bühne
Peter Pabst

Kostüme
Falk Bauer

Licht
Manfred Voss

Choreographie
Marco Santi

Dramaturgie
Ingrid Zellner


Chor der Bayerischen
Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten


Der Haushofmeister
Johannes Klama

Ein Musiklehrer
Martin Gantner

Der Komponist
Daniela Sindram

Ein Tanzmeister
Guy de Mey

Ein Offizier
Francesco Petrozzi

Ein Perückenmacher
Adrian Sâmpetrean

Ein Lakai
Christian Rieger

Tenor / Bacchus
Burkhard Fritz

Primadonna / Ariadne
Adrianne Pieczonka

Najade
Aga Mikolaj

Dryade
Anaïk Morel

Echo
Sine Bundgaard

Zerbinetta
Diana Damrau

Brighella
Kevin Conners

Scaramuccio
Ulrich Reß

Harlekin
Nikolay Borchev

Truffaldin
Steven Humes


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Bayerischen Staatsoper München
(Homepage)





Da capo al Fine

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