Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Kommt ein junger Gott gegangenVon Stefan Schmöe / Fotos von Wilfried HöslBetritt man den Zuschauerraum des Prinzregententheaters, so platzt man in eine Ballettprobe, die gerade auf der Bühne stattfindet (obwohl doch überhaupt kein Ballett für dieses Stück vorgesehen ist). Dann erscheint ein gesetzter Herr auf der Bühne, wohl der Intendant, und die Tänzer formieren sich, um das gerade noch Eingeübte vorzuführen und mit dem Knopfdruck auf das Tonband erklingt aus dem Graben das Orchestervorspiel, und ganz plötzlich ist man mitten in der Oper Ariadne auf Naxos, genauer gesagt im szenischen Vorspiel, das die Vorbereitungen zur eigentlichen Aufführung zeigt. Das Geschehen spielt sich nicht in vergangenen Zeiten im Hause eines reichen Herrn ab, sondern ganz gegenwärtig in diesem Theaterbau in München, und der reiche Geldgeber samt Haushofmeister ist ersetzt durch den Intendanten und seinen ebenso schmierig wie diktatorisch auftretenden Assistenten. Und auf der Bühne tummeln sich überhebliche Sänger und alberne Schmierenkomödianten, Tänzer und Bühnenarbeiter Theateralltag mit allerlei Attitüden und Streitereien. Dazwischen ein Komponist, dessen Werk zwischen den zerstrittenen Grüppchen eigentlich keine Chance hat. Und dann passiert das Wunder: Aus dem Chaos erwächst Theater. Und was für welches! Komponist (Daniela Sindram) und Zerbinetta (Diana Damrau)Das ist die eine Geschichte, die Regisseur Robert Carsen erzählt: Wie Theater aus dem Nichts, oder noch viel schlimmer: aus allerlei Widrigkeiten zu einem Traumort werden kann, der für einen Moment alles um einen herum vergessen lässt. Carsen hat die Theater-auf-dem-Theater-Situation beim Wort genommen (der Sprung in unsere Zeit gelingt ihm dabei mühelos). Lassen Komponist Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal im Stück die ernste Oper Ariadne auf Naxos auf Anweisung des gnädigen Herrn parallel zu einer Harlekinade spielen, so muss Carsen dieses Kunststück gleich doppelt leisten: Nicht nur das Stück im Stück, auch die gesamte Oper Ariadne auf Naxos mitsamt dem langen szenischen Vorspiel, ein höchst artifizielles, nahezu uninszenierbares Kunst-Werk, muss in diesem Konzept aufgehen. Carsen inszeniert das mit so viel Witz und auch Selbstironie, dass man jeden, der an Sinn und Möglichkeit der Gattung Oper zweifelt, in diese Aufführung schicken möchte und sagen: geht doch. Ariadne (Adrianne Pieczonka) Indem Carsen das Ballett hinzu zieht, gewinnt er eine zusätzliche Abstraktionsebene. Die Frauen sind alle gleich gekleidet, auch Ariadne es geht hier um das Symbolhafte. Aber Carsen durchkreuzt diesen Ansatz sofort wieder, indem Zerbinetta, zunächst auch eine Doppelgängerin Ariadnes, bald ihre Perücke abwirft und damit die Individualität zurückgewinnt. Das ist die zweite Geschichte: Dass der Mensch nicht aus einem Wesenszug besteht, kein Prinzip verkörpert, sondern viel komplizierter ist. (Viele meinen, dass sie mich kennen aber ihr Auge ist stumpf singt Zerbinetta im Vorspiel.) Treue und Untreue sind keine Gegensätze, sondern dialektische Kehrseiten derselben Medaille. Daher ist nicht Ariadne, sondern die Komödiantin Zerbinetta (neben dem Komponisten) die Hauptfigur des Abends. Carsen stellt klar heraus, dass ihre zentrale Szene (Großmächtige Prinzessin) die unmittelbare Antwort auf Ariadnes große Arie Es gibt ein Reich, wo alles rein ist (nämlich das Reich des Todes) ist. Und weil Diana Damrau als Zerbinetta nicht nur großartig singt und jedes einzelne Wort, jeden Ton so artikuliert, als dürfe es gar nicht anders sein, sondern auch ein schauspielerisches Kabinettstückchen hinlegt (wobei die Herren des Balletts ihr hinreißend assistieren), dürfte auch dem letzten Chauvinisten im Publikum klar werden: Zerbinettas Flatterhaftigkeit in Liebesdingen ist keineswegs Untreue, sondern das unentwegte Suchen nach dem einen Richtigen, dem jungen Gott, dem allein Treue gebührt. Bacchus (Burkhard Fritz) und Ariadne (Adrianne Pieczonka)Durch das Ballett für die sehr ansehnliche Choreographie ist Marco Santi verantwortlich gelingen immer wieder eindrucksvolle, im edel schwarzen, hermetisch abgeschlossenen Bühnenraum der Ariadne-Handlung (Bühne: Peter Pabst) oft sehr strenge Bilder. Das verleiht der Ariadne, von Adrianne Pieczonka volltönend und raumfassend, bei manchen Vokalfärbungen etwas metallisch, aber jederzeit äußerst kontrolliert gesungen, den Ernst, als fasse sie alle tragischen Opernheldinnen in einer Person zusammen (was im nächsten Moment dann, oft urkomisch, schon wieder parodiert wird). Burkhard Fritz als Bacchus ruft sie mit heldentenoralem Glanz, zunächst noch etwas forciert, dann mehr und mehr freier und strahlender keine Heroine der Opernwelt könnte dem widerstehen, und so öffnet sich nach und nach die Rückwand und gibt eine gleißend weiße Fläche frei, die immer größer wird und immer näher kommt, dass es den Atem verschlägt. So schlicht und einfach und dennoch so überwältigend kann Oper sein. Zerbinetta (Diana Damrau) und Statisterie Auch wenn der Vorhang fällt, ist das Stück noch nicht aus, zumindest nicht ganz: Der Komponist von Daniela Sindram, äußerlich mit maskuliner Ausstrahlung, sehr nuanciert und mit ebenso großer stimmlicher Beweglichkeit wie klangprächtigem und zupackendem Ton tadellos gesungen - , der im Zuschauerraum am Rande des Orchestergrabens sein Werk begutachtet hat (und manchen Blick Zerbinettas erhaschen konnte), läuft vor den Vorhang, zieht ihn ungläubig wieder auf und steht vor der völlig leeren Bühne. Vorbei das Theaterwunder. Ein Wunder auch wegen der durchweg exzellenten musikalischen Leistungen. Aus dem Ensemble sei noch der in seiner komischen Verzweiflung bravouröse Musiklehrer von Martin Gantner genannt. Chefdirigent Kent Nagano zeigt einmal mehr viel Gespür für musikalische Entwicklungen, aber auch für sorgsames Abstufen des Klanges, um die Sänger auch im Fortissimo nicht zuzudecken, und ebenso für nuancenreichen Wechsel zwischen kammermusikalischem und großem symphonischem Tonfall. Das insgesamt gute Bayerische Staatsorchester setzt das ordentlich um; zu behaupten, dass jeder Musiker jeden Ton mit höchster Konzentration spielt, wäre freilich zu viel des Guten. (Auch gibt es Orchester, die sich länger dem Applaus des Publikums stellen.) An einem solchen Abend lässt sich immerhin leicht über solche Kleinigkeiten hinwegsehen. Anhaltender Jubel.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Dramaturgie
SolistenDer Haushofmeister Johannes Klama
Ein Musiklehrer
Der Komponist
Ein Tanzmeister
Ein Offizier
Ein Perückenmacher
Ein Lakai
Tenor / Bacchus
Primadonna / Ariadne
Najade
Dryade
Echo
Zerbinetta
Brighella
Scaramuccio
Harlekin
Truffaldin
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- Fine -