Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Homepage Festspiele-Hauptseite E-Mail Impressum



Bayreuther Festspiele 2008

Meistersinger


MEISTERSINGER II (Aufführung am 6. August 2008)
(Premiere dieser Inszenierung am 25. Juli 2007)



Wess' Lied ich sing, dess' Schuh ich trag'




Von Stefan Schmöe

Turnschuhe sind cool. Wer sie trägt, demonstriert ein modernes Kunstverständnis, mag action painting und hat eine gewisse Sympathie für lümmelhafte Improvisationskünstler. Teure Lederschuhe dagegen tragen die bürokratischen Spießer, die als Trophäen einer im Bewusstsein absoluter Werktreue angeeigneten Kunst gelbe Reclam-Heftchen in die Höhe halten und sich damit gegenseitig ihrer bildungsbürgerlichen Ideale vergewissern. Turnschuhe regnet es vom Bühnenhimmel, wenn Beckmesser im zweiten Akt, sei's aus Unvermögen, sei's aus unverhoffter Kreativität, die starren Regeln des Meistergesangs verletzt und der Kunst neue Möglichkeiten eröffnet. Derart bild- und assoziationsreich, dabei oft ironisch umdeutend, hat Katharina Wagner die Meistersinger von Nürnberg im Vorjahr inszeniert und das Publikum geradezu überrumpelt. Jetzt im zweiten Jahr muss sich die Produktion erwartungsgemäß stärker den kritischen Stimmen stellen, schließlich hat sich der erste Überraschungseffekt verbraucht.

Die Aufführung beginnt zäh. Die Meistersinger werden als todlangweilige Spießergruppe vorgestellt, und Lehrbube David bereitet sich offenbar auf die Prüfung in gehobener Bürokratie vor. Während der langen Szene, in der er den flapsigen Sponti-Künstler Stolzing (der alles mit Schriftzügen aus weißer Farbe bepinseln muss) über die Grundregeln des Meistergesangs informiert, steht er am Fotokopierer und vervielfältigt Reclam-Heftchen, was ihn in der Bewegungsfreiheit naturgemäß einengt und die Szenerie sinnfällig, aber wenig theaterwirksam lähmt. Erst gegen Ende des Aufzugs nimmt die Regie an Tempo auf, ist aber spätestens vom zweiten Aufzug an rasant und dann auch oft sehr komisch und wartet mit einer Fülle von Bildern und Querverweisen auf – so viel Stoff zum Diskutieren hat Bayreuth kaum einmal geboten.

Hans Sachs verwandelt sich im Verlauf des Stücks vom barfüßig unangepassten, allem Neuen aufgeschlossenen Außenseiter der ihn umgebenden Spießergesellschaft zum reaktionären Kunstbewahrer im feinen Anzug. Das lässt sich aus Musik und Libretto zumindest in Ansätzen herauslesen und hat ja auch deutliche Parallelen zu Wagners Biographie. In der Inszenierung wird es bewusst überpointiert und durch eine Parallelhandlung verstärkt: In Gegenbewegung zu Sachs wandelt sich dessen Widersacher Beckmesser vom biederen Funktionär einer verbohrten Meistersinger-Gilde zum unverstandenen Avantgarde-Künstler, der Stolzings Preislied nur noch als Material für seine eigene, in planvoll kreativem Akt entstandene Performance verwendet: Sein vom Publikum verlachtes Lied ist kein Scheitern am eigenen Unvermögen, sondern konsequente Fortführung von Stolzings revolutionär begonnenem, von Sachs allzu schnell in konventionelle Bahnen gelenkten Stil. (Hier ist die Regie offenbar überarbeitet – der skandalträchtige Gummipenis und Puppe der Vorjahres sind verschwunden). Das ist freilich eine andere Geschichte als die von Richard Wagner in den Meistersingern erzählte – aber eine ziemlich gute. (Und sie verrät viel über diese Oper.)

Mit diesem frechen Ansatz geriert sich Katharina Wagner als veritable Stücke-Zertrümmererin, die manche verborgene Schicht dieses Musikdramas frei räumt – auch manche unliebsame. Damit kommt sie zu ihrem eigentlichen Thema, und das ist die Rezeptionsgeschichte des Werkes, vornehmlich im Bayreuther Kontext. In den akkurat symmetrischen Aufmärschen der Lehrbuben kann man einen ironischen Verweis auf den behäbig dekorativen Inszenierungsstil ihres Vaters Wolfgang sehen, das bewusste Vermeiden von Volkstümlichkeit, vor allem in den Tanzszenen – wo bei Wolfgang fröhliches Hüpfen im Ringelreihen angesagt war, werden jetzt von dumpf dreinblickenden Lehrbuben die Bierflaschen im Takt geschwenkt – oder der Verzicht auf jegliche naturalistische Chorführung (entweder singt der Chor aus dem Off oder in strenger Choreographie oratorisch starr) ist eine überdeutliche Distanzierung von etwaiger fränkischer Gemütlichkeit. Alles Atmosphärische einer Butzenscheiben-Idylle ist ausgetrieben; der Flieder steht als witziges Zitat in kleinen Vasen auf den schäbigen Café-Tischen im miefigen 60er-Jahre-Look, die den Rahmen für den zweiten Aufzug geben.

Die Negation der tradierten Heile-Nürnberg-Welt führt zielstrebig zur dunkelsten Seite, nämlich dem Missbrauch der Oper im Nationalsozialismus. Die Schlüsselszene der Inszenierung ist der affirmative „Wach auf“-Chor: Zuvor haben Koryphäen der deutschen Geistesgeschichte, dargestellt durch große Pappmaché-Köpfe von Wagner über Hölderlin bis zu Schinkel, ein Ballett von Offenbachscher Frivolität getanzt und sich brav verbeugt, hinzugetreten ist ein Regieteam, als sei das Stück vorbei – und eben dieses Team wird von David und einigen Müllmännern unter dem Applaus von Teilen des Publikums in einen Container gepackt. Was gerade noch lustig erscheinen mag, lässt das Blut in den Adern gefrieren, wenn Sachs punktgenau auf den Choreinsatz den Container in Brand setzt: Hier endet die Kunstfreiheit auf grausamste Weise. Sachs und Konsorten halten die Hände über das Feuer, als wärmten sie sich daran, aber im Schattenwurf hinter ihnen gerät die Geste zum Hitlergruß – ein fulminantes Bild, das vieles, was der Aufarbeitung in Bayreuth bedarf, zusammenfasst.

Man mag der Produktion vorwerfen, dass anderswo bereits vor 25 Jahren so inszeniert wurde und provokatives Bürsten gegen den biedermeierlichen Strich ein allmählich überkommenes Verfahren ist. Aber gerade die Meistersinger haben sich in Bayreuth bisher standhaft dem Regietheater widersetzt. Dass der Inszenierung in ihrer Zerstörungswut mitunter etwas Pubertäres anhängt, spricht keineswegs gegen sie: Indem die Regie ungestüm viel geschichtlichen Ballast hinweg fegt, lässt sie die Meistersinger, was die Bayreuther Bühne betrifft, in das Erwachsenenalter eintreten. Das ist kein Regiemodell für die Zukunft, keine Frage (wer das erwartet, der darf zu Recht „Buh“ schreien), aber es ist längst überfälliges, in seiner Art ebenso witziges wie intelligentes Konzept für diesen Moment, was auch manches „Bravo“ hervorrief. Und handwerklich ist die Regie gut, an manchen Stellen sogar außerordentlich gut.

Sehr zwiespältige Eindrücke hinterlässt dagegen die musikalische Seite der Aufführung. Zunächst die positiven Eindrücke: Michael Volle gibt einen liedhaft gesungenen, jederzeit stimmlich souveränen und brillant gespielten Beckmesser. Norbert Ernst ist mit hellem, prägnantem Charaktertenor ein ordentlicher David (den er als Oberspießer geben muss – eine allzu differenzierte Darstellung ist nicht vorgesehen). Klaus Florian Vogt singt den Stolzing mit körperlosem, dadurch knabenhaftem Tenor, in der tiefen Lage fast ohne Vibrato – was die Stimme flach und eintönig wirken lässt. Die Dialogpassagen bleiben konturlos und uninteressant. Erst in der mittleren, vor allem in der hohen Lage gewinnt die Stimme an Farbe und Glanz, bleibt elegant und beweglich und erhält eine ganz leicht dunkle Einfärbung. So blass Vogt an anderen Stellen auch bleibt, die Preislieder im ersten und dritten Akt gestaltet er mit mühelos ansprechenden, leuchtenden Spitzentönen eindrucksvoll wie derzeit wohl kein anderer Sänger.

Franz Hawlata als Sachs kommt dagegen mit der vetrackten Akustik des Festspielhauses überhaupt nicht zurecht. Die jugendlich-zupackend gesungenen tiefen Passagen können nicht kaschieren, dass Hawlata von Beginn an bereits in der Mittellage, erst recht in der Höhe forciert und die Töne mehr herauspresst als singt – unschön und mitunter auch sehr unsauber. Im dritten Akt muss man nicht erst während des Schlussmonologs, sondern bereits am Ende der Schusterstuben-Szene um die Gesundheit des Sängers, der mit dieser Art des Singens Raubbau an seiner an sich großen Stimme betreibt, zittern. Nun ist Hawlata kein Debütant in dieser Partie (die er schon in Essen, Florenz und Wien und bereits im Vorjahr in dieser Inszenierung gesungen hat) – warum gibt es in Bayreuth weder ein Frühwarn- noch ein Auffangsystem, dass ein - (man muss es, nicht nur der etlichen Buhs wegen, so nennen - Debakel wie dieses hätte verhindern können? Ähnliches gilt für das Bayreuth-Debüt von Michaela Kaune, die zwar ein expressives Piano besitzt, sich aber bei jedem Anflug von Dramatik mit unkontrolliertem Vibrato und ungenauer Tongebung (manche Töne sind mehr falsch als unsauber) durch die Partie quält. An Festspielmaßstäben gemessen recht blass, aber immerhin unbeschadet gestalten Artur Korn den Pogner und Markus Eiche den Kothner. Carola Guber bleibt als Magdalene völlig konturlos. Solide ist der schlank gesungene Nachtwächter von Friedemann Röhlig. Durchweg verbesserungswürdig ist im gesamten Ensemble die Textverständlichkeit.

Dirigent Sebastian Weigle gelingt es kaum, die Sänger in den Orchesterklang einzubauen oder sie orchestral zu „tragen“; vielmehr hat man den Eindruck, dass die Sänger über einem Klangteppich mehr oder weniger präzise mitlaufen. Sicher hat es das Orchester in einer so bildmächtigen Inszenierung grundsätzlich schwer, über den Rang einer begleitenden Tonspur hinauszukommen. Am besten gelingt dies bezeichnenderweise in der Pantomime des dritten Akts, als Beckmesser in Sachs' Wohnung Stolzings Lied findet – hier, in einer Szene ohne Gesang, haben Weigle und das technisch wie gewohnt hervorragende, in der musikalischen Phrasierung nicht immer überzeugende Festspielorchester ihren stärksten Moment, wobei insgesamt gesehen der dritte Aufzug der orchestral gelungenste ist. Der erste dagegen geriet (nach einem transparent fließenden, wenn auch nicht übermäßig spannungsvollen Vorspiel) zu etüdenhaftem Buchstabieren der Partitur, mit übertriebener Akzentuierung von viertaktigen Perioden, im zweiten Aufzug standen atmosphärisch schöne Momente einer arg verwackelten Prügelfuge gegenüber. Festspielreif präsentieren sich Chor und Sonderchor – wobei musikalisch ein wenig bedauerlich ist, dass die Inszenierung einen geradezu martialischen Chorklang für das Finale verlangt, wo der Chor doch auch im Fortissimo noch Nuancen aussingen könnte.


FAZIT

Eine intelligente, streitbare und eben darum höchst diskutable Inszenierung, die den „grünen Hügel“ kräftig durchschüttelt. Musikalisch aber ist vieles weit von Festspielniveau entfernt.



Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2008


Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Bayreuther Festspiele 2008 / Übersicht


Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sebastian Weigle

Inszenierung
Katharina Wagner

Bühne
Tilo Steffens

Kostüme
Michaela Barth
Tilo Steffens

Licht
Andreas Grüter

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich

Dramaturgie
Robert Sollich

Statisterie, Chor, Sonderchor
und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Hans Sachs
Franz Hawlata

Veit Pogner
Artur Korn

Kunz Vogelgesang
Charles Reid

Konrad Nachtigall
Rainer Zaun

Sixtus Beckmesser
Michael Volle

Fritz Kothner
Markus Eiche

Balthasar Zorn
Edward Randall

Ulrich Eisslinger
Hans-Jürgen Lazar

Augustin Moser
Stefan Heibach

Hermann Ortel
Martin Snell

Hans Schwarz
Andreas Macco

Hans Foltz
Diógenes Randes

Walther von Stolzing
Klaus Florian Vogt

David
Norbert Ernst

Eva
Michaela Kaune

Magdalene
Carola Guber

Ein Nachtwächter
Friedemann Röhlig


Homepage der
Bayreuther Festspiele



Da capo al Fine

Homepage Festspiele-Hauptseite E-Mail Impressum

© 2008 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: festspiele@omm.de

- Fine -