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Bayreuther-Festspiele 2008

25. Juli - 28. August 2008


Von Stefan Schmöe

Festspiele für alle!

„Die Bayreuther Festspiele kommen zu Ihnen nach Hause.“ Ob das wirklich eine gute Idee ist? Eigentlich sind wir immer gerne hingefahren zu den Festspielen. War es nicht manchmal eher das besondere Flair von Festspielhaus und „grünem Hügel“ und von beschaulicher fränkischer Provinz als die (zuletzt keineswegs immer so hehre) Kunst, die den Reiz der Bayreuther Festspiele ausmachte? Aber gut, lassen wir, wo doch nach wie vor ohnehin bei weitem nicht alle Kartenwünsche in Erfüllung gehen, die Festspiele zu uns kommen – per live stream über das Internet. „Richard Wagner träumte von Festspielen für jedermann – offen und erschwinglich. Wir nehmen seine Idee ernst und setzen sie mit zeitgemäßen Mitteln um.“ So prangt es einem von der neuen Internetpräsenz der Festspiele entgegen. Da saß dann also so mancher Wagnerianer am 27.7. gegen die nicht unbedingt volkstümliche Gebühr von € 49,- im Wohnzimmer vor dem Laptop (im Arbeitszimmer steht zwar der PC mit dem chicken Flachbildschirm, aber die unerledigte Korrespondenz lenkt doch zu sehr von den Meistersingern ab) und lauscht dem Preislied, das aus den preisgünstigen Aktivboxen (als Schnäppchen in der „Geiz-ist-geil“-Ära erstanden) tönt? Und in der Pause flanierte er durch den eigenen Garten oder über den Grünstreifen der Wohnanlage – in feierlicher Abendgaderobe oder doch, man ist ja zu Hause, im lässigen Freizeit-Look?

Immerhin nutzten angeblich 40.000 Alt-, Jung-, Gelegenheits- oder Bisher-noch-gar-nicht-Wagnerianer die Möglichkeit des Public viewing, wie es sprachlich unkorrekt, aber sportlich etabliert heißt: Live auf der Großleinwand wurde nach „Deutschland gegen Spanien“ heuer „Stolzing gegen Beckmesser“ übertragen. Wer da abfällig über fehlgeleitete Event-Kultur klagt, übersieht, dass es gerade in den Meistersingern um eine spätmittelalterlich-romantische Castingshow („Nürnberg sucht den Bräutigam“) ungeheuren Ausmaßes geht, bei der, ohne notarielle Aufsicht, der Publikumsliebling dank recht freizügiger Regelauslegung gewinnt. Das darf man wohl auch Event nennen, und so hat's Katharina Wagner ja auch inszeniert – und die Live-Übertragung auf einen Volksfestplatz mag man da durchaus als konsequente Fortsetzung einer streitbaren Inszenierung auffassen.

In den letzten Festspielen unter der Ägide von Wolfgang Wagner erlebt der grüne Hügel also einen gehörigen Modernitätsschub. Die brandneue Homepage etwa, die mit vielen kleinen Videosequenzen Einblick in den Festspielkosmos gibt – und einen Online-Shop beheimatet, bei dem man derzeit nicht etwa CD- oder DVD-Mitschnitte großer Festspiel-Aufführungen erstehen kann, sondern den Kristallquader Parsifal 2008 („Mit diesem Kristallquader in streng limitierter und zertifizierter Auflage erwerben Sie ein Sammlerobjekt der besonderen Art“) oder, weniger dekorativ, aber ungemein praktisch und trendig, das modische Schlüsselband mit dem Logo der Bayreuther Festspiele. Und den Festspiel-Shopper, eine „stylische Tragetasche aus Tarpaulin“, die zwar klobig, aber ziemlich wetterfest aussieht, solange der Regen nicht von oben kommt – praktisch also zum Abstellen in Überschwemmungsgebieten, und dazu muss man leider auch das Festspielhaus selbst zählen, dessen Keller kurz vor dem ersten Siegfried geflutet wurden.

Was wirklich zählt, ist der frische Wind auf der Bühne. Wer sich nach der ziemlich flotten Absetzung des Schlingensief'schen Parsifal in konservativ werkergebener Sicherheit wog, wird durch Stefan Herheims Neuinszenierung (lesen Sie dazu unser Interview mit dem Regisseur) schnell eines Besseren belehrt. Villa Wahnfried mit Hakenkreuzfahne auf der Festspielbühne, das ist in der Tat ein starkes Stück. Mit Parsifal und den Meistersingern stehen gleich zwei Inszenierungen auf dem Spielplan, über die zu kontrovers diskutieren sich lohnt – wann hat es das zuletzt in Bayreuth gegeben? 2010 soll Hans Neuenfels den Lohengrin inszenieren, von dem man ähnliches erhoffen darf. So ganz schlecht ist es nicht bestellt um die Festspiele, zumindest szenisch nicht, blendet man das premierenfreie kommende Jahr aus, in dem sich eine neue Festspielleitung etablieren darf. Darüber wird dann im Herbst befunden werden. Familie Wagner hat rechtzeitig mit dem Großreinemachen begonnen und sich damit ordentlich positioniert. Wenn rund um das Festspielhaus der neue Parsifal und weniger die Frage "Wer wird neuer Festspielchef?" im Mittelpunkt steht, ist das nicht das schlechteste Zeichen.

Bayreuth, im August 2008

Nachtrag im September 2008:

Plötzlich ist dann doch noch ordentlich Bewegung in die Diskussion um die zukünftige Festspielleitung gekommen: Mit dem erfahrenen, ausgesprochen erfolgreichen Opern- und Festspielintendanten Gerard Mortier (Opéra La Monnaie Brüssel 1981 – 1990, Salzburger Festspiele 1990 – 2001, Ruhrtriennale 2002 – 2004, Opéra National de Paris seit 2004) hat sich kurz vor Toresschluss ein Kandidat beworben, den man guten Künstlergewissens nun wirklich nicht ablehnen konnte. Der Stiftungsrat hat es dennoch getan. Nach den besten Referenzen kann dabei wohl kaum entschieden worden sein. Die Entscheidung gegen Mortier und Nike Wagner und für die Wagner-Urenkelinnen Katharina und Eva steht für eine Erneuerung der Festspiele von innen, wobei der große Kulturbeweger Mortier außen vor bleibt. Bei allem oben bereits bekundetem Respekt vor Katharina Wagner haftet der Entscheidung der Beigeschmack an, eine große Chance für die Festspiele leichtfertig vergeben zu haben.




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unsere Rezensionen:

Parsifal-Kritik
(Parsifal)

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(Die Meistersinger von Nürnberg)

Der Ring des Nibelungen-Kritik
(Der Ring des Nibelungen)


Tristan-Kritik
(Tristan und Isolde)


Der Regisseur des Parsifal:
Interview mit Stefan Herheim


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