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Musikfestspiele
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Sauser aus Italien
Eine Urheberei

Kreation von Christoph Marthaler
mit Musik von Giacinto Scelsi


Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (keine Pause)

Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
Premiere in der Maschinenhalle Zeche Gladbeck-Zweckel am 4. September 2007

Logo: RUHRtriennale 2007

Das Phantom der neuen Musik

von Stefan Schmöe / Fotos von Michael Kneffel

Spekulation: Hat es den Komponisten Giacinto Scelsi vielleicht nie gegeben? Jagen Künstler wie Publikum einem Phantom nach? Aber wer hat dann diese Musik erschaffen, die an diesem Abend unter dem Namen „Scelsi“ zu hören ist? Solche Fragen sind tatsächlich gestellt worden, ist Scelsi (1905 – 1988) doch ein Künstler im Verborgenen geblieben, der nicht nur weit jenseits der kompositorischen Avantgarde arbeitete, sondern vor der Welt verborgen blieb: Nicht einmal sein Foto durfte in Konzertprogrammen abgebildet werden (statt dessen ließ Scelsi ein fernöstliches anmutendes Symbol einrücken). Auch eigenhändig verfasste Partituren gibt es nicht; der Meister nahm in der Regel seine Improvisationen auf einem Tonband auf, die er von Mitarbeitern später in Notenschrift umsetzen lies. Fast zwangsläufig entstand irgendwann das (nicht haltbare) Gerücht, hinter der Chiffre „Scelsi“ verberge sich womöglich gar keine reale Person, sondern ein Komponistenkollektiv.


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Die Aura des Rätselhaften hat Christoph Marthaler zu einem raffinierten Spiel um den Komponisten animiert. Zunächst sieht man eine scheinbar ganz reale Situation vor sich: In einer Pension, architektonisch im Stil der italienischen 60er-Jahre gehalten, sieht man sieben Personen beim Frühstück, bedient vom Inhaber, fast alle allein an einem Tisch. Aber dann werden Frühstücksrituale wie in Zeitlupe vorgeführt, korrespondierend zur oft ritualhaft anmutenden Musik Scelsis. Die Personen sind allesamt dem Marthaler-Kosmos entsprungen, was hier bedeutet, dass sie scheinbar alltäglichen und unbedeutenden Dingen und Gesten eine offensichtlich höhere Bedeutung zumessen. Auch die Musiker des Klangforum Wien sind darin eingebunden, gehören zum Spiel, wenn etwa das Streichquartett in einem der Pensionszimmer zu spielen beginnt oder der famose Trompeter Anders Nyquist die Quattro pezzi für Trompete solo vom Fenster eines Pensionszimmers aus spielt.


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Scelsis oft stark reduzierte Musik findet ihr Pendant im auf wenige, dafür sehr intensiv durchgeführte Aktionen konzentrierten szenischen Spiel. Wie bei Scelsi jede einzelne Note – auch jenseits des musikalischen Zusammenhangs - ihre Bedeutung erhält, stehen auch Marthalers Aktionen erst einmal isoliert für sich. Es gibt viele solcher intelligenten Querbezüge und etliche Anspielungen auf die nur schemenhaft bekannte Biographie des Komponisten – so die Buddha-förmigen Salzstreuer, die auf die Neigung zu fernöstlichen Philosophien hindeuten, oder das Tonbandgerät in der Pförtnerloge, das auf Scelsis rätselhafte Kompositionstechnik verweist. Marthaler gelingt der Balanceakt, einerseits den fast heiligen Ernst, der die Musik umgibt, szenisch aufzuzeigen und gleichzeitig zu karikieren – und die mystische Erscheinung Scelsis ironisch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Es ist ein oft sehr komischer (wenn auch insgesamt etwas lang geratener) Abend, mitunter am Rande des Slapsticks (wobei auch der in Marthalerschem Zeitlupentempo daher kommt).


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Es erklingt viel Musik, und Marthaler geht sehr genau darauf ein – das beginnt mit dem Pausenzeichen, das zum Betreten der Zuschauertribüne auffordert und das hier ein penetrantes Klingeln ist, das minutenlang andauert und gar nicht wieder aufhören will, selbst als alle schon auf ihren Plätzen sitzen. Entscheidend ist der Moment der Stille danach, und dies macht viel vom Wesen der Musik Scelsis deutlich, die ein genaues Hinhören auf jeden einzelnen Ton, auch auf jede Pause dazwischen, einfordert. Die Musiker des Klangforum Wien spielen die Kompositionen in unterschiedlichsten Besetzungen mit Gespür für die Klangsinnlichkeit und mit großer Intensität (und zeigen darüber hinaus viel komödiantisches Talent).


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Bei den Salzburger Festspielen, wo Sauser aus Italien uraufgeführt wurde, war die Produktion eingebettet in eine komplette Konzertreihe mit Werken Scelsis, wodurch ihr als ironischer Kommentar besondere Bedeutung zugekommen ist. Im Rahmen der Ruhrtriennale steht sie ziemlich isoliert – schade, dass nicht wenigstens ein „richtiges“ Konzert mit Werken Scelsis als Ergänzung angeboten wird. Marthalers Kreation und das hohe musikalische Niveau der Produktion machen jedenfalls Appetit auf mehr.


FAZIT

Eine witzige und intelligente Begegnung mit dem Phantom Giacinto Scelsi.




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Produktionsteam

Regie
Christoph Marthaler

Bühne
Duri Bischoff

Kostüme
Sarah Schittek

Licht
Andreas Phoenix Hofer

Dramaturgie
Malte Ubenauf



Klangforum Wien


Solisten

Raphael Clamer
Olivia Grigolli
Katja Kolm
Josef Ostendorf
Sasha Rau
Lars Rudolph
Bettina Stucky
Graham F. Valentine



Programmheft

Programmheft
(Gestaltung: Karl-Ernst Herrmann)



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