Göttinger Händel Festspiele 2007 Göttinger Händel Festspiele

18. Mai bis 29. Mai 2007

"Macht und Ohnmacht
- Herrschergestalten im Werk Händels"


Von Gerhard Menzel

Die inzwischen 87. Händel-Festspiele ließen die traditionsreiche Universitätsstadt Göttingen für zwölf Tage erneut zu einem internationalen Treffpunkt für „Händelianer“ und Barockmusikliebhaber werden. Dieses 1920 ins Leben gerufene, wahrscheinlich weltweit älteste Festival für Barockmusik, ist für die Region Südniedersachsen ‚der’ kulturelle Höhepunkt des Jahres, zu dem sich nicht nur tausende Musikbegeisterte aus der ganzen Welt in Göttingen einfinden, sondern auch viele Interpreten, die immer wieder bei den Festspielen auftreten.

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Stadthalle Göttingen
Foto: Gerhard Menzel


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FESTSPIELEINFÜHRUNG
Dieses Mal gab es keine inhaltliche Einführung zum Thema der Festspiele, sondern der  künstlerische Leiter Nicholas McGegan und Geschäftsführer Dr. Benedikt Poensgen plauderten über Werke und Interpreten.
Foto: Gerhard Menzel

Nicholas McGegan:
www.nicholasmcgegan.com/

Seit Nicholas McGegan im Jahr 1991 die künstlerische Leitung der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen übernommen hat, gelingt es ihm regelmäßig, eine Vielzahl von hochrangigen Solisten und Ensembles immer wieder zu engagieren. Im Gegensatz zu anderen Festspielen hat sich sogar so etwas wie ein „harter Kern“ von Künstlern herausgebildet, der einen nicht unerheblichen Teil der Veranstaltungen bestreitet, oft sogar zusammen mit Künstlern aus der Region. Dieses Jahr waren es zum Beispiel Dominique Labelle, Cécile van de Sant, Robin Blaze, Alan Curtis, der Körnersche Sing-Verein, das Dresdner Instrumental-Consort, Nicholas McGegan und das FestspielEnsemble Göttingen (das aus Mitgliedern des FestspielOrchester Göttingen besteht), die bei mehreren Veranstaltungen in verschiedenen Besetzungen und mit unterschiedlichen Programmen auftraten. Dazu gehörten unter anderem das Eröffnungskonzert, die Veranstaltung „Lesung & Musik“ in Nörten-Hardenberg, „The Messiah“ in Northeim, der Festgottesdienst in St. Cyriakus Duderstadt und die „Brockes-Passion“ in der St. Jacobi-Kirche.

Dank einer neuen Kooperation mit Partnern aus der örtlichen Wirtschaft und der ‚Südniedersachsen Stiftung’ konnten auch Konzerte auf den Burgen Plesse und Hardenberg, im Welfenschloss Hannoversch Münden und in den Kirchen St. Sixti in Northeim sowie St. Cyriakus und St. Servatius in Duderstadt stattfinden. Neben dieser weiteren Ausweitung der Festspiele auf das Umland Göttingens, bot das vielseitige Rahmenprogramm außer Klassik-Open-Airs und Nachtmusiken, auch Vorträge, Filmabende und Stadtführungen an.

Eine Ausstellung im Foyer der Stadthalle und im Holbornschen Haus (Händel-Zentrum) war der in Göttingen vor 85 Jahren erstmals wieder aufgeführten Oper „Giulio Cesare“ gewidmet, die auch als diesjährige Opernproduktion im Mittelpunkt des Festspielprogramms stand. Nach den Aufführungen der Händel-Opern „Rodelinde“ (1920) und „Otto und Theophano“ (1921), war „Julius Caesar“ 1922 die dritte Oper, die die sogenannte „Göttinger Händelrenaissance“ mitbegründete.

Für das zum 75-jährigen Bestehen der Göttinger Händel-Gesellschaft im letzten Jahr gegründete FestspielOrchester Göttingen,  war dieser „Giulio Cesare“ die erste Opernproduktion bei den Göttinger Händel-Festspielen. Das  FestspielOrchester soll in Zukunft nicht nur ganzjährig als „Botschafter“ der Händel-Stadt Göttingen Konzerte geben, sondern auch ein „Standbein“ für zukünftige CD- und DVD-Produktionen sein.

So passte es ­– gewollt, oder ungewollt – vortrefflich, dass es bei der Inszenierung von  Igor Folwill in der Stadthalle den zentralen Platz auf der nach hinten treppenförmig ansteigenden Spielfläche erhielt.

OMM-Kritik:  Giulio Cesare in der Stadthalle Göttingen
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Ausstellung im Holbornschen Haus (Händel-Zentrum)

Foto: Gerhard Menzel

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St. Albani-Kirche

Foto: Gerhard Menzel

Seit Jahren sind die Göttinger Händel-Gesellschaft und ihr künstlerischer Leiter Nicholas McGegan bestrebt, mit musikalischen Erstaufführungen aufzuwarten.

Dieses Jahr war es die Kantate „Quando o mai tiranno Amore“, die erst kürzlich in einem Manuskript mit 35 Kantaten in Sizilien gefunden und der Beizeichnung „Del Sig.r Frederico Hendel detto il Sassone“ zu Folge, Händel zugeschrieben wurde. Ihre „Echtheit“ ist zwar noch nicht erwiesen, sie könnte aber tatsächlich aus Händels Jahren in Italien stammen.

Nun erklang die Kantate „Quando o mai tiranno Amore“ erstmals wieder im NACHTKONZERT 1 in der – wie immer stimmungsvoll mit Kerzen erleuchteten – St. Albani-Kirche. In diesem abwechslungsreichen, kurzweiligen und musikalisch anspruchsvollen Konzert mit Bettina Pahn (Sopran) und dem feinfühlig und sensibel gestaltenden Joachim Held (Arciliuto und Laute) erklangen unter dem Titel „Süße Seufzer - Dolcissimi sospiri” zudem Arien und Lautenmusik aus Italien und Deutschland.

Peinlich dagegen war die Ankündigung der „Uraufführung“ des Händel-Pasticcios „Giove in Argo“ (HWV A14). Diese Oper kam nämlich bereits am 15. und 16. September 2006 im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth zur Aufführung (OMM-Rezension: Bayreuther Barock 2006), die übrigens der Regisseur des diesjährigen „Giulio Cesare“, Igor Folwill, inszeniert hatte.

In Bayreuth waren es das Kölner Barockorchester Concert Royal und der Kammerchor Collegium Cantorum Köln, die nach mehr als 260 Jahren die Oper erstmals wieder aufgeführt hatten. Möglich wurde diese Inszenierung vor allem Dank der Arbeit der beiden Musikwissenschaftler Steffen Voss (Hamburg) – der in Göttingen auch den Einführungsvortag hielt  – und Thomas Synofzik (Köln/Zwickau), die anhand der Quellen aus dem vorliegenden Textbuch diese Oper rekonstruiert haben, deren Uraufführung 1739 in London stattfand.

„Giove in Argo“ ist eines jener drei Pasticci, in denen Händel nicht nur ausschließlich eigene Musik aus älteren Stücken wiederverwertete, sondern auch einen großen Teil neuer Musik komponiert hatte. Durch seinen pastoralen Charakter erinnert „Giove in Argo“ an Werke wie die Serenata „Acis and Galatea“ und die Hochzeitsoper „Atalanta“. Andererseits ist „Giove in Argo“ Händels Oper mit den meisten und umfangreichsten Chorsätzen. Die zum Teil ausgedehnten und virtuosen Chöre, die in vielen Fällen durch zwei Hörner strahlenden Glanz erhalten, knüpfen dagegen an Händels erste englische Oratorien an.

Die Göttinger Aufführung des „Giove in Argo“  (eine Kooperation mit den Händel- Festspielen in Halle und den Festwochen Herrenhausen) stand unter der musikalischen Leitung von Alan Curtis, der mit seinem Ensemble „Il Complesso Barocco” bereits so manchen musikalischen Schatz zur Wiederaufführung brachte. Vom Cembalo aus koordinierte er das Geschehen und präsentierte dem Publikum in der voll besetzten Stadthalle einen Opernabend der ganz besonderen Art.

Die Solisten waren dabei nicht nach „Schönklang“ ausgewählt worden, sondern ganz entsprechend der spezifischen Charakteristik ihrer jeweiligen Partie, was gerade bei einer konzertanten Aufführung einer Oper von ganz besonderer Bedeutung ist. So kam der Arete (Jupiter) nicht als übermächtiger Gott daher, sondern als „Möchtegernliebhaber“, der seine liebe Mühe und Not hat, seine Liebesaffären ohne Schaden zu überstehen.  Zackary Sians spielte und gestaltete das sehr rührig. Zum Zeichen seiner Verkleidung klappte er sogar – als optische Geste – den Kragen seines Jacketts nach oben. Gegen Laura Cherici als Calisto, mit ihrer überschäumenden Energie und effektvollen Gestaltungskraft, und die sportlich agile Theodora Baka als Diana, hatte er aber auch wirklich einen schweren Stand. Während Luigi De Donato mit seinem knurrigen Bass die Rolle als Bösewicht Licaone glaubhaft verkörperte, verströmten Mary Ellen Nesi und Vito Priante als seriöses Paar Iside und Erasto edle und würdige Eleganz. Die drei zusätzlich für die Chöre engagierten Sänger (Sopran, Alt, Tenor) waren im Programmheft allerdings nicht erwähnt.

Das in kleiner Besetzung plastisch und präsent musizierende Ensemble „Il Complesso Barocco” versprühte Feuer und Temperament und brachte so die großen Gefühle des Stücks, wie Liebe, Hass und Eifersucht, zur vollen Entfaltung. Insgesamt war es zwar keine überragende, aber eine sehr lebendige und unterhaltsame Interpretation eines der letzten Opernkompositionen Händels.

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Giove in Argo
in der Stadthalle Göttingen
Foto: Michael Schäferl

Il Complesso Barocco:
www.ilcomplessobarocco.com/


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Solomon
in der Stadthalle Göttingen
Foto: Gerhard Menzel

Winchester Cathedral Choir:
www.winchester-cathedral.org.uk/

Neben der Festspiel-Oper des Jahres „Giulio Cesare“, die bis heute eines von Händels beliebtesten Musikdramen ist und im Rahmen des diesjährigen Themenschwerpunkts „Macht und Ohnmacht - Herrschergestalten im Werk Händels“ als ein Beispiel für den allmächtigen Herrscher steht, gehören die beiden Oratorien „Solomon“ (HWV 67) und „Belshazzar“ (HWV 61) zu den eher seltener gespielten Werken. Während „Solomon“ als Sinnbild des guten, weisen und gottesfürchtigen Herrschers gesehen werden kann, verkörpert „Belshazzar“ dagegen den des schlechten und hochmütigen Tyrannen.

Für die Würdigung des biblischen Königs Salomo als weisen und gläubigen Regenten hat Händel eine prachtvolle und reich instrumentierte Musik komponiert. Neben einem groß besetzten Orchester sorgen vor allem zwei effektvoll eingesetzte Chöre und virtuose Solopartien für ein rauschendes Klangfest.

Nicholas McGegan war es erneut gelungen, den Winchester Cathedral Choir  (Einstudierung: Andrew Lumsden) für dieses Oratorium nach Göttingen zu holen, das – noch während der Festspiele – in der Frauenkirche Dresden und der Galerie Herrenhausen in Hannover aufgeführt wurde. Für alle Beteiligten bedeutete das eine ungeheure Beanspruchung, zumal das FestspielOrchester Göttingen ja auch die drei Opernaufführungen von knapp viereinhalb Stunden zu bewältigen hatte (was es allerdings mit erstaunlicher Bravour meisterte).


In der Titelpartie des „Solomon“ war der junge Engländer Tim Mead zu hören, der seinen Lehrern Charles Brett, James Bowman und Robin Blaze schon alle Ehre macht. Im Gegensatz zu den Oratorienaufführungen im letzten Jahr, wirkte die Besetzung der Solopartien dieses Jahr wesentlich homogener und überzeugender (s. Göttinger Händel-Festspiele 2006). Im „Solomon“ waren dieses Dominique Labelle als Pharaohs Tochter, Claron McFaddon als Königin von Saba, Michael Slattery als Zadok sowie Roderick Williams als Levit.

An dem Tag, als Nicholas McGegan diese „Solomon“-Produktion in Dresden aufführte, war im Gegenzug  Peter Kopp mit dem Körnerschen Sing-Verein und dem Dresdner Instrumental-Concert zu Gast in Göttingen. Sie brachten Händels Oratorium „Belshazzar“ in einer beachtenswerten Interpretation zur Aufführung, die durch ihre Ausgewogenheit und Stringenz sehr überzeugte. Zu den fein aufeinander abgestimmten Gesangs- und Instrumentalensembles gesellten sich die vortrefflichen Solisten Paul Agnew in der Titelpartie des hochmütigen und häretischen Herrschers, Robin Blaze als Cyrus, Philip Cutlip als Gobrias und Henning Voss als Daniel. In der Partie der besonnenen und weisen Königsmutter Nitocris sorgte auch Jutta Böhnert für vokale und emotionale Höhepunkte, wie sie es schon im vergangenen Jahr als Cleofide in der Oper „Poro“ getan hatte (s. OMM-Rezension „Poro“).

CD-Poro
Poro, re dell'Indie
William Towers, Jutta Böhnert, Franziska Gottwald, Thomas Piffka, Torben Jürgens, Akademie für Alte Musik Berlin
Leitung: Konrad Junghänel

Diese CD-Produktion ist
im Shop der Göttinger Händel-Gesellschaft e.V. erhältlich (nur für Mitglieder).



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Belshazzar
in der Stadthalle Göttingen

Foto: Gerhard Menzel

Körnerscher Sing-Verein:
www.koernerscher-singverein.de/

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SOLOKONZERT
in der Aula der Universität
Philip Cutlip, La Stagione Frankfurt
und Michael Schneider
Foto: Michael Schäferl

La Stagione Frankfurt:
www.lastagione.de/

Philip Cutlip war es auch, der im SOLOKONZERT in der Aula der Universität – eingerahmt von anspruchsvoller Unterhaltungsmusik der Herren Georg Philipp Telemann (Orchester-Suite Es-Dur / TWV 55: Es5) und Georg Friedrich Händel (Concerto grosso op. 3 Nr. 2 B-Dur HWV 313) – für einen Hauch von großer, dramatischer Oper sorgte.

Im Zentrum dieses Konzertes standen nämlich jene heroischen Arien, die Händel eigens für den Bassisten Antonio Montagnana komponiert hatte. Antonio Montagnana wurde um 1700 in Venedig geboren und kam nach ersten Auftritten in Rom – in Opern seines Lehrers Nicola Porpora – als 18-jähriger nach London, wo er sofort für Aufsehen bzw. -hören sorgte. Als stimmgewaltiger Bass war er eine neue Attraktion, die Händel sogleich erkannte. Daher komponierte er für ihn solche Partien und Arien, in denen er seine stimmlichen Möglichkeiten besonders gut zur Geltung bringen konnte.

Zu diesen Partien gehörten die des Leone (Tamerlano), Varo (Ezio), Altomaro (Sosarme), Haman (Esther), Polifemo (Acis and Galatea), Zoroastro (Orlando) und  Araspe (Tolomeo). 1733 wechselte Montagnana allerdings zum Konkurrenzunternehmen der neugegründeten „Opera of the Nobility“, die sein ehemaliger Lehrer Nicola Porpora leitete. Nachdem dieses Unternehmen allerdings 1737 zusammenbrach und Porpora wieder zurück nach Italien ging, kehrte  Montagnana zu Händel zurück und sang noch den Gustavo in Faramondo und den Ariodate im Serse. Danach ging  Antonio Montagnana nach Madrid, wo er bis 1750 noch zehn Jahre Mitglied der Capella Reale war. Danach ist nichts mehr von ihm bekannt.

Philip Cutlip erwies sich als ein vortrefflicher Vertreter seines Faches. Ob üppige Koloraturen bei schnellen Tempi oder häufige Intervallsprünge und freie Einsätze in hoher Lage, sein wendiger und klangvoller Bariton ließ Händels affektvolle Arien in den schillernsten Farben leuchten. Einer der glanzvollsten Höhepunkte des Konzertes war dabei die kriegerische Bravourarie „Già risonar“ des Varo aus dem Ezio, in dem sich die Singstimme einen Wettstreit mit der Solotrompete liefert.

Michael Schneider und sein Ensemble La Stagione Frankfurt sorgten neben dem gewohnten Wohlklang – vor allem in den reinen Orchesterstücken - auch für dramatisches Feuer, sodass dieses Solokonzert zu einer regelrechten Operngala avancierte.

Ein Kontrastprogramm dazu bildete das GEISTLICHE KONZERT mit Konrad Junghänel und seinem Cantus Cölln in der St. Marien-Kirche. Die Meditationen über die Gestalt des gekreuzigten Jesus in den sieben Kantaten des „Membra Jesu nostri“ (BuxWV 75) von Dieterich Buxtehude sind themenbedingt sehr introvertiert und von gleichbleibenden Emotionen der Liebe, Freude und Dankbarkeit geprägt. Das Gleichmaß der Strophen, die gleichförmigen Bassbewegungen und ostinaten Wendungen verleihen dem Zyklus zwar eine emotionale Geschlossenheit, erforderten aber vom Publikum – mangels ausgiebiger Affektwechsel – auch ein großes Durchhaltevermögen.

Da wirkte die Kantate „Christ lag in Todesbanden“ (BWV 4) von Johann Sebastian Bach schon wie eine musikalische Erlösung. Die Kantate folgt in ihrem Stil zwar noch dem Typus des Choralkonzerts, wie es bei Kantatenkompositionen des 17. Jahrhunderts üblich war, doch dem jungen Bach gelang es hier –  trotz der Beschränkung der eingesetzten Mittel – durch den ständigen Wechsel von Solo, Duett und Chor sowie einer variierten Instrumentalbegleitung, die expressive Sprache Luthers in Musik zu fassen, die die Auferstehung Christi und den Triumph Gottes über den Tod besingt..


Richtig spannend und lebhaft ging es beim CEMBALO-RECITAL von Bob van Asperen in der Aula der Universität zu. Zum Thema „Händel und die Norddeutsche Musikkultur“ demonstrierte Bob van Asperen einmal mehr seine profunde Kenntnis der Materie. Ihm ist dabei nicht nur beim Spielen seine Begeisterung anzumerken, sondern auch seine Moderation sprüht nur so vor Leidenschaft und Mitteilungsbedürfnis.

Auf seinem interessant ausgewähltem Programm standen neben Georg Friedrich Händels Suite V in E-Dur aus 8 Suites de Piecespour le Clavecin HWV 430 und Werken von François und Louis Couperin sowie Johann Kaspar Kerll auch zwei autobiographisch geprägte Programmsuiten von Johann Jacob Froberger. Die erst bei der Durchsicht des 2002 aus Kiew zurückgegebenen Notenarchivs der Sing-Akademie Berlin entdeckten 21 Werke Frobergers erwiesen sich dabei als wahre Schätze. So berichtet die Suite XXVII e-Moll mit der originalen Beschreibung Frobergers von ganzen 26 Ereignissen, die während einer abenteuerlichen Rheinüberquerung geschehen.  Die  Suite XXX a-Moll trägt den Titel „Plainte faite à Londres pour passer la mélancolie“ und widerspiegelt Frobergers Seelenlage, als er, auf seiner Reise von Paris kommend, gleich zweimal ausgeplündert und völlig heruntergekommen in London angekommen war. Wie Bob van Asperen diese Klanggemälde auf dem Cembalo zu musikalischem Leben erweckte, war schon beeindruckend.

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Bob van Asperen
in der Aula der Universität

Foto: Gerhard Menzel

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Prof. Dr. Udo Bermbach
in der Aula der Universität
Foto: Michael Schäfer

Interessant und informativ war auch der diesjährige FESTVORTRAG in der Aula der Universität. Unter dem Titel „Dein Wunsch zu regieren muß oberstes Gesetz sein.“ präsentierte Prof. Dr. Udo Bermbach seine Betrachtungen zu Händels Herrschergestalten in dessen Opern und Oratorien.

England steckte im 18. Jahrhundert sowohl innen- wie außenpolitisch in einer Krise, was sich auch im Subtext von Händels Werken niedergeschlagen hat, in denen Herrscher einmal „richtig“ oder „falsch“ handeln.  Anhand von Giulio Cesare, Ottone,  Bajazet, Riccardo Primo, Flavio, Poro oder Serse zeigte Udo Bermbach auf, in wieweit sich das Handeln von Händels Herrschergestalten in der damaligen Politik widerspiegelt. Eine Konstante in seinen Betrachtungen waren dabei die Ausführungen von Niccolò Machiavelli (1469-1527), der vor allem aufgrund seines Werks „Il Principe“ („Der Fürst“) als einer der bedeutendsten Staatsphilosophen der Neuzeit gilt. Seine rücksichtslose,  unter Ausnutzung aller (rechtmäßigen) Mittel propagierte Machtpolitik, wurde später unter dem Begriff „Machiavellismus“ oft als Schimpfwort für ein politisches Verhalten gebraucht, das raffiniert, aber ohne jegliche Moral und Sittlichkeit die eigene Macht und das eigene Wohl in den Vordergrund stellt.

Unter Händels Werken sind es aber in erster Linie seine Oratorien, deren biblische Texte als Allegorien auf die aktuellen politischen Situationen aufzufassen sind, da diese von der Zensur unangetastet blieben. Die dieses Jahr aufgeführten Oratorien „Solomon“ und „Belshazzar“ sind dafür sehr dankbare Beispiele.

Auch beim Vortrag „Hail, royal Youth! Long live the King!“ von Angela Baier im Händel-Zentrum standen die politischen Dimensionen der Oratorientexte im Vordergrund. Kompetent, auf eine sehr einfühlsame Art und fähig, Informationen und auch komplexere Zusammenhänge gut strukturiert zu vermitteln, beleuchtete Angela Baier die politische Propaganda in den Oratorien Georg Friedrich Händels. Einen Schwerpunkt legte auch sie auf den „Solomon“. Händel hatte dieses Werk 1748 zwar nicht unter dem unmittelbaren Eindruck aktueller politischer Entwicklungen komponiert, doch durchaus mit Bezug zu seiner Gegenwart: Zwischen Salomo und seinem Reich einerseits und dem goldenen Zeitalter Englands mit seinem König George II andererseits, lassen sich dabei durchaus Parallelen erkennen.


Beim KNABENCHORKONZERT  in der St. Marien-Kirche stand geistliche Chormusik aus Deutschland und England auf dem Programm. Das Hauptwerk dieses Konzertes bildete die “Missa in honorem St. Caeciliae“ von Franz Herzog (1917-1986). Herzog war Schüler von Kreuzkantor Rudolf Mauersberger und seit 1953 als Musiklehrer in Göttingen tätig. 1962 gründete er am Felix-Klein-Gymnasium den Göttinger Knabenchor, der sich in kurzer Zeit zu einem anspruchsvollen,  schulübergreifenden Konzertchor entwickelte, dem Herzog bis 1980 vorstand. Für seine hervorragende Arbeit erhielt er 1978 die Ehrenmedaille der Stadt Göttingen.

Als englischen Beitrag präsentierte der Göttinger Knabenchor unter dem Dirigat von Michael Krause, der seit 2003 künstlerischer Leiter des Chores ist, und mit Martin Sander an der Orgel, die „Missa Brevis in D“ von Benjamin Britten (1913-1976).

Leider war der Anteil, den der Winchester Cathedral Choir an diesem Konzert hatte, nur sehr kurz, aber dafür umso gehaltvoller. Unter der umsichtigen Leitung von Andrew Lumsden nahm man ihnen die Interpretation von William Byrds “Sing Joyfully” wirklich ab. Mit ihren glockenklaren und flexiblen Stimmen ließen sie dann noch Anton Bruckners “Ave Maria” zu einer wahrer Himmelsmusik werden.

Beim klangvollen Finale intonierten dann beide Chöre gemeinsam Charles Stanfords „Ye choirs of new Jerusalem“ und setzten dem Konzert damit noch eine musikalische Krone auf.

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KNABENCHORKONZERT
in der St. Marien-Kirche

Foto: Michael Schäferl

Göttinger Knabenchor:
www.goettinger-knabenchor.de/


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PREISTRÄGERKONZERT
mit dem Ensemble „L'Art du Bois“

in der Aula der Universität
Foto: Gerhard Menzel

L'Art du Bois:
www.artdubois.de/

Als erneuten Glanzpunkt der Festspiele erwies sich wieder einmal das  PREISTRÄGERKONZERT unter dem MottoForum Junger Künstler“. Im Jahr 2005 war es das Ensemble „alla pollacca“, das diese Veranstaltung zu einem der absoluten Höhepunkte der Festspiele werden ließ (s. OMM-Kritik 2005).

Dieses Jahr war es das Ensemble „L'Art du Bois“, das in der Aula der Universität das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hinriss. Die Jury, die diesem Ensemble im Januar 2007 den 1. Preis der Göttinger Händel-Gesellschaft verliehen hat, wird es sicherlich ganz besonders gefreut haben.

Obwohl das Ensemble „L'Art du Bois“ bereits 2006 zu den Finalisten der International Young Artist's Presentation in Antwerpen gehörte und sowohl den Jury- als auch Publikumspreis des Van Wassenaer Concours für Alte Musik in Den Haag sowie einen Kammermusikpreis der Musica Antica da Camera Foundation gewann, dürfte sich vor allem dieses überragende Konzert während der Internationalen Händel-Festspiele in Göttingen positiv auf die künstlerische Zukunft des Ensembles auswirken.

Begonnen hatte es im Jahr 2002, als Verena Fütterer, Margret Görner und Lena Hanisch das Blockflötentrio „L'Art du Bois“ gründeten. Neben dem Repertoire der Musik des Mittelalters und der Renaissance widmen sie sich auch zeitgenössischen Werken, die zum Teil sogar eigens für sie komponiert wurden. Aus der Gegenüberstellung und Kombination Alter und Neuer Musik formen sie kreative Programme, die sowohl sprachliche, als auch tänzerische Elemente mit einbinden. Das spezielle Interesse an der Verbindung der verschiedenen Künste, macht dieses Trio – neben seiner spieltechnischen Klasse – zu einem der innovativsten und interessantesten Ensembles der Szene.

Nach ersten Erfolgen – wie beim Internationalen Blockflötenwettbewerb Engelskirchen 2002 (1. Preis), dem des Hochschulrates 2004 im Wettbewerbsfach Bläserensemble an der Musikhochschule Freiburg (1. Preis), sowie zahlreiche weitere Preise und Auszeichnungen innerhalb der Region – konnte „L'Art du Bois“ auch in weiteren angesehenen Wettbewerben, wie beispielsweise beim Early Music Competition York, England, (2005) beachtliche Erfolge feiern.

Im Jahr 2004 erweiterte sich das Trio durch die beiden Lautenisten Mirko Arnone und Maria Ferré sowie die Gambistin Judith Sartor zu einem Ensemble, das neben der Musik des Mittelalters und der Renaissance jetzt auch größer besetzte Werke des Barock aufführen konnte.

In dieser Besetzung präsentierten sie sich auch in Göttingen, wo sie ihr neues Programm „Associazioni – mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen“ vorstellten, das dem Festivalthema entsprechend der Macht und Ohnmacht gewidmet war. Das Ensemble „L'Art du Bois“ hat hierzu ein Programm aus Musik und Texten konzipiert, die sowohl aus dem Barock als auch der Moderne stammten und von der Sprecherin Katharina Nast zwischen und zu den Kompositionen vorgetragen wurden. Diese stammten von Angelus Silesius (1624-1677), Vladimir Chlebnikov (1885-1922) und Gerhard Rühm (geb. 1930).

Bei der Verquickung von Text und Musik mit zum Teil fließenden Übergängen kamen auch die verschiedensten Perkussionsinstrumente bis hin zum Regenrohr zum Einsatz. Ein akustisches Kleinod des Konzertes war das „Echo“-Konzert von Giovanni Martino Cesare (um 1590-1667) mit doppeltem Echo, das in der Aula von verschiedenen Positionen aus erklang.

CD-KritikDie rein instrumentalen Stücke dieses Konzertes hat das Ensemble „L'Art du Bois“ inzwischen auch auf der CD „circles of sound“ veröffentlicht (s. OMM-CD-Kritik).

Das Ensemble überzeugte in Göttingen durch seine lebhafte und überschwängliche  Virtuosität, durch sein frisch und unbeschwertes Musizieren in abwechslungsreichen Besetzungen und seine schier unbändige Spiellust. Hier haben sich Gleichgesinnte gefunden, die intonationssicher und mit einem sehr harmonischen und ausgeglichenen Klang zusammen Atmen und das Publikum unmittelbar begeistern. Wer bisher Probleme mit dem Klang von Blockflöten hatte, sollte sich unbedingt dieses Ensemble anhören! So kann Blockflötenmusik auch klingen.

Mit diesem Preisträgerkonzert der „Göttinger Reihe Historischer Musik“ leisteten die Händel-Festspiele wieder einen ganz gezielten und sehr erfolgreichen Beitrag zur Nachwuchsförderung, der übrigens vorbildhaft vom Mercedes-Benz Center Göttingen und der Sartorius AG gefördert wurde.
 

Einer Lösung harret allerdings noch das Problem der Einführungsvorträge, für die andere Räumlichkeiten gefunden werden müssen, da diese – zumindest bei denen in deutscher Sprache – immer völlig überfüllt waren.
 

Die nächsten Internationalen Händel-Festspiele finden vom 2. bis 14. Mai 2008 statt und stehen unter dem Motto „“. Informationen sind in Kürze unter www.haendel-festspiele.com
erhältlich.



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