"Macht und Ohnmacht
- Herrschergestalten im Werk Händels"
Von Gerhard Menzel
Die inzwischen 87. Händel-Festspiele ließen die traditionsreiche Universitätsstadt Göttingen
für zwölf Tage erneut zu einem internationalen Treffpunkt für „Händelianer“ und Barockmusikliebhaber
werden. Dieses 1920 ins Leben gerufene, wahrscheinlich weltweit älteste
Festival für Barockmusik, ist für die Region Südniedersachsen ‚der’ kulturelle
Höhepunkt des Jahres, zu dem sich nicht nur tausende Musikbegeisterte aus der
ganzen Welt in Göttingen einfinden, sondern auch viele Interpreten, die immer
wieder bei den Festspielen auftreten.
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Stadthalle Göttingen
Foto: Gerhard Menzel
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FESTSPIELEINFÜHRUNG
Dieses Mal gab es keine inhaltliche Einführung zum Thema der
Festspiele, sondern der künstlerische Leiter Nicholas McGegan und
Geschäftsführer Dr. Benedikt Poensgen plauderten über Werke und
Interpreten.
Foto: Gerhard Menzel
Nicholas McGegan:
www.nicholasmcgegan.com/
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Seit Nicholas McGegan im Jahr 1991 die
künstlerische Leitung der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen
übernommen hat, gelingt es ihm regelmäßig, eine Vielzahl von hochrangigen Solisten und
Ensembles immer wieder zu engagieren. Im Gegensatz zu anderen Festspielen hat
sich sogar so etwas wie ein „harter Kern“ von Künstlern herausgebildet,
der einen nicht unerheblichen Teil der Veranstaltungen bestreitet, oft sogar zusammen mit
Künstlern aus der Region. Dieses Jahr waren es zum Beispiel Dominique
Labelle, Cécile van de Sant, Robin Blaze, Alan Curtis, der Körnersche Sing-Verein,
das Dresdner Instrumental-Consort, Nicholas McGegan und das FestspielEnsemble
Göttingen (das aus Mitgliedern des FestspielOrchester Göttingen
besteht), die bei mehreren Veranstaltungen in verschiedenen Besetzungen und mit
unterschiedlichen Programmen auftraten. Dazu gehörten unter anderem das
Eröffnungskonzert, die Veranstaltung „Lesung & Musik“ in Nörten-Hardenberg,
„The Messiah“ in Northeim, der Festgottesdienst
in St. Cyriakus Duderstadt und die „Brockes-Passion“ in der St.
Jacobi-Kirche.
Dank
einer neuen
Kooperation mit Partnern aus der örtlichen Wirtschaft und der
‚Südniedersachsen Stiftung’ konnten auch Konzerte auf den Burgen Plesse
und Hardenberg, im Welfenschloss Hannoversch Münden und in den Kirchen
St. Sixti in Northeim sowie St. Cyriakus und St. Servatius in
Duderstadt stattfinden. Neben dieser weiteren Ausweitung der Festspiele
auf das Umland Göttingens, bot das vielseitige Rahmenprogramm außer
Klassik-Open-Airs und Nachtmusiken, auch Vorträge, Filmabende und
Stadtführungen an.
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Eine Ausstellung im Foyer der Stadthalle und im
Holbornschen Haus (Händel-Zentrum) war der in Göttingen vor 85 Jahren erstmals
wieder aufgeführten Oper „Giulio Cesare“ gewidmet, die auch als diesjährige
Opernproduktion im Mittelpunkt des Festspielprogramms stand. Nach den Aufführungen der Händel-Opern
„Rodelinde“ (1920) und „Otto und Theophano“ (1921), war „Julius Caesar“ 1922
die dritte Oper, die die sogenannte „Göttinger Händelrenaissance“
mitbegründete.
Für das zum 75-jährigen Bestehen der Göttinger
Händel-Gesellschaft im letzten Jahr gegründete FestspielOrchester
Göttingen, war dieser „Giulio Cesare“
die erste Opernproduktion bei den Göttinger Händel-Festspielen. Das FestspielOrchester soll in Zukunft nicht nur
ganzjährig als „Botschafter“ der Händel-Stadt Göttingen Konzerte geben, sondern
auch ein „Standbein“ für zukünftige CD- und DVD-Produktionen sein.
So passte
es – gewollt, oder ungewollt – vortrefflich, dass es bei der Inszenierung
von Igor
Folwill in der Stadthalle den zentralen Platz auf der nach hinten treppenförmig
ansteigenden Spielfläche erhielt.
OMM-Kritik: Giulio Cesare in der Stadthalle Göttingen
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Ausstellung im Holbornschen Haus (Händel-Zentrum)
Foto: Gerhard Menzel
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St.
Albani-Kirche
Foto: Gerhard Menzel
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Seit Jahren sind die Göttinger Händel-Gesellschaft
und ihr künstlerischer Leiter
Nicholas McGegan bestrebt, mit musikalischen
Erstaufführungen aufzuwarten.
Dieses Jahr war es die Kantate „Quando o mai tiranno
Amore“, die erst kürzlich in einem Manuskript mit 35 Kantaten in Sizilien
gefunden und der Beizeichnung „Del Sig.r Frederico Hendel detto il Sassone“ zu
Folge, Händel zugeschrieben wurde. Ihre „Echtheit“ ist zwar noch nicht
erwiesen, sie könnte aber tatsächlich aus Händels Jahren in Italien stammen.
Nun
erklang die Kantate „Quando o mai tiranno Amore“ erstmals wieder im
NACHTKONZERT 1 in der – wie immer stimmungsvoll mit Kerzen erleuchteten – St.
Albani-Kirche. In diesem abwechslungsreichen, kurzweiligen und musikalisch anspruchsvollen Konzert mit
Bettina Pahn (Sopran) und dem feinfühlig
und sensibel gestaltenden Joachim Held (Arciliuto und Laute) erklangen unter
dem Titel „Süße Seufzer - Dolcissimi sospiri” zudem Arien und Lautenmusik aus
Italien und Deutschland.
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Peinlich dagegen war die
Ankündigung der „Uraufführung“ des Händel-Pasticcios „Giove in Argo“
(HWV A14). Diese Oper kam nämlich bereits am 15.
und 16. September 2006 im
Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth zur Aufführung (OMM-Rezension: Bayreuther Barock 2006), die übrigens der Regisseur des diesjährigen „Giulio Cesare“, Igor
Folwill, inszeniert hatte.
In Bayreuth waren es
das Kölner Barockorchester Concert Royal und der
Kammerchor Collegium Cantorum Köln, die nach mehr als 260 Jahren die Oper
erstmals wieder aufgeführt hatten. Möglich wurde diese Inszenierung vor allem
Dank der Arbeit der beiden Musikwissenschaftler Steffen Voss (Hamburg) – der in
Göttingen auch den Einführungsvortag hielt
– und Thomas Synofzik (Köln/Zwickau), die anhand der Quellen aus dem
vorliegenden Textbuch diese Oper rekonstruiert haben, deren Uraufführung 1739
in London stattfand.
„Giove in Argo“ ist eines jener
drei Pasticci, in denen Händel nicht nur ausschließlich eigene Musik aus
älteren Stücken wiederverwertete, sondern auch einen großen Teil neuer Musik komponiert
hatte. Durch seinen pastoralen Charakter erinnert „Giove in Argo“ an Werke wie
die Serenata „Acis and Galatea“ und die Hochzeitsoper „Atalanta“. Andererseits
ist „Giove in Argo“ Händels
Oper mit den meisten und umfangreichsten Chorsätzen. Die zum Teil ausgedehnten
und virtuosen Chöre, die in vielen Fällen durch zwei Hörner strahlenden Glanz
erhalten, knüpfen dagegen an Händels erste englische Oratorien an.
Die Göttinger Aufführung des „Giove in Argo“ (eine Kooperation mit den Händel- Festspielen
in Halle und den Festwochen Herrenhausen) stand unter der musikalischen Leitung
von Alan Curtis, der mit seinem Ensemble „Il
Complesso Barocco” bereits so manchen musikalischen Schatz zur Wiederaufführung
brachte. Vom Cembalo aus koordinierte er das Geschehen und präsentierte dem
Publikum in der voll besetzten Stadthalle
einen Opernabend der ganz besonderen Art.
Die Solisten waren dabei
nicht nach „Schönklang“ ausgewählt worden, sondern ganz entsprechend
der spezifischen
Charakteristik ihrer jeweiligen Partie, was gerade bei einer
konzertanten
Aufführung einer Oper von ganz besonderer Bedeutung ist. So kam der
Arete (Jupiter) nicht als übermächtiger
Gott daher, sondern als „Möchtegernliebhaber“, der seine liebe Mühe
und Not
hat, seine Liebesaffären ohne Schaden zu überstehen. Zackary
Sians spielte und gestaltete das sehr rührig. Zum Zeichen seiner
Verkleidung
klappte er sogar – als optische Geste – den Kragen seines Jacketts nach
oben. Gegen Laura Cherici als Calisto, mit ihrer überschäumenden
Energie und
effektvollen Gestaltungskraft, und die sportlich agile Theodora Baka
als
Diana, hatte er aber auch wirklich
einen schweren Stand. Während Luigi De Donato mit seinem knurrigen Bass
die Rolle als Bösewicht Licaone glaubhaft
verkörperte, verströmten Mary Ellen Nesi und Vito Priante als seriöses
Paar Iside und Erasto edle und würdige Eleganz. Die drei zusätzlich
für die Chöre engagierten Sänger (Sopran, Alt, Tenor) waren im
Programmheft allerdings
nicht erwähnt.
Das in kleiner
Besetzung plastisch und präsent musizierende Ensemble „Il Complesso Barocco” versprühte
Feuer und Temperament und brachte so die großen Gefühle des Stücks, wie Liebe,
Hass und Eifersucht, zur vollen Entfaltung. Insgesamt war es zwar keine überragende,
aber eine sehr lebendige und unterhaltsame Interpretation eines der letzten
Opernkompositionen Händels.
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Solomon
in der Stadthalle Göttingen
Foto: Gerhard Menzel
Winchester Cathedral Choir:
www.winchester-cathedral.org.uk/
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Neben der Festspiel-Oper des Jahres „Giulio Cesare“,
die bis heute eines von Händels
beliebtesten Musikdramen ist
und im Rahmen des diesjährigen Themenschwerpunkts „Macht
und Ohnmacht - Herrschergestalten im Werk Händels“ als ein Beispiel für den
allmächtigen Herrscher steht, gehören die beiden Oratorien „Solomon“ (HWV 67) und
„Belshazzar“ (HWV 61) zu den eher
seltener gespielten Werken. Während „Solomon“ als Sinnbild des guten, weisen
und gottesfürchtigen Herrschers gesehen werden kann, verkörpert „Belshazzar“ dagegen
den des schlechten und hochmütigen Tyrannen.
Für die Würdigung des biblischen Königs Salomo als weisen
und gläubigen Regenten hat Händel eine prachtvolle und reich instrumentierte
Musik komponiert. Neben einem groß besetzten Orchester sorgen vor allem zwei
effektvoll eingesetzte Chöre und virtuose Solopartien für ein rauschendes
Klangfest.
Nicholas McGegan war es erneut gelungen, den
Winchester Cathedral Choir (Einstudierung: Andrew Lumsden) für dieses
Oratorium nach Göttingen zu holen, das – noch während der Festspiele – in der Frauenkirche Dresden und der Galerie
Herrenhausen in Hannover aufgeführt wurde. Für alle Beteiligten bedeutete das
eine ungeheure Beanspruchung, zumal das FestspielOrchester
Göttingen ja auch die drei
Opernaufführungen von knapp viereinhalb Stunden zu bewältigen hatte (was es allerdings
mit erstaunlicher Bravour meisterte).
In der Titelpartie des „Solomon“ war der junge
Engländer Tim Mead zu hören, der seinen Lehrern Charles Brett, James Bowman und
Robin Blaze schon alle Ehre macht. Im Gegensatz zu den Oratorienaufführungen im
letzten Jahr, wirkte die Besetzung der Solopartien dieses Jahr wesentlich homogener und
überzeugender (s. Göttinger Händel-Festspiele 2006). Im „Solomon“ waren
dieses Dominique Labelle als Pharaohs Tochter,
Claron McFaddon als Königin von Saba, Michael
Slattery als Zadok sowie Roderick Williams
als Levit.
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An dem Tag, als Nicholas McGegan diese
„Solomon“-Produktion in Dresden aufführte, war im Gegenzug Peter Kopp mit dem Körnerschen Sing-Verein
und dem Dresdner Instrumental-Concert zu Gast in Göttingen. Sie brachten
Händels Oratorium „Belshazzar“ in einer beachtenswerten Interpretation zur
Aufführung, die durch ihre Ausgewogenheit und Stringenz sehr überzeugte. Zu den
fein aufeinander abgestimmten Gesangs- und Instrumentalensembles gesellten sich
die vortrefflichen Solisten Paul Agnew in der Titelpartie des hochmütigen und
häretischen Herrschers, Robin Blaze als Cyrus, Philip Cutlip als Gobrias und
Henning Voss als Daniel. In der Partie der besonnenen und weisen Königsmutter
Nitocris sorgte auch Jutta Böhnert für vokale und emotionale Höhepunkte, wie
sie es schon im vergangenen Jahr als Cleofide in der Oper „Poro“ getan hatte (s. OMM-Rezension „Poro“).
Poro, re dell'Indie
William Towers, Jutta Böhnert, Franziska Gottwald, Thomas Piffka, Torben Jürgens, Akademie für Alte Musik Berlin
Leitung: Konrad Junghänel
Diese CD-Produktion ist im Shop der Göttinger Händel-Gesellschaft e.V. erhältlich (nur für Mitglieder).
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SOLOKONZERT
in der Aula der Universität
Philip Cutlip, La Stagione Frankfurt
und Michael Schneider
Foto: Michael Schäferl
La Stagione Frankfurt:
www.lastagione.de/
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Philip Cutlip war es auch, der im SOLOKONZERT in der Aula der Universität – eingerahmt von
anspruchsvoller Unterhaltungsmusik der Herren Georg Philipp Telemann (Orchester-Suite
Es-Dur / TWV 55: Es5) und Georg
Friedrich Händel (Concerto grosso op. 3 Nr. 2 B-Dur HWV 313) – für einen Hauch
von großer, dramatischer Oper sorgte.
Im Zentrum dieses
Konzertes standen nämlich jene heroischen Arien, die Händel
eigens für den Bassisten Antonio Montagnana komponiert hatte. Antonio
Montagnana wurde um 1700 in Venedig geboren und kam nach ersten Auftritten in
Rom – in Opern seines Lehrers Nicola Porpora – als 18-jähriger nach London, wo
er sofort für Aufsehen bzw. -hören sorgte. Als stimmgewaltiger Bass war er eine
neue Attraktion, die Händel sogleich erkannte. Daher komponierte er für ihn solche
Partien und Arien, in denen er seine stimmlichen Möglichkeiten besonders gut zur
Geltung bringen konnte.
Zu diesen Partien gehörten die des Leone (Tamerlano), Varo
(Ezio), Altomaro (Sosarme), Haman
(Esther), Polifemo
(Acis and Galatea),
Zoroastro (Orlando) und Araspe (Tolomeo). 1733 wechselte Montagnana allerdings zum
Konkurrenzunternehmen der neugegründeten „Opera of the Nobility“, die sein
ehemaliger Lehrer Nicola Porpora leitete. Nachdem dieses Unternehmen allerdings
1737 zusammenbrach und Porpora wieder zurück nach Italien ging, kehrte Montagnana zu Händel zurück und sang noch den
Gustavo in Faramondo und
den Ariodate im Serse. Danach ging Antonio Montagnana nach Madrid, wo er bis 1750
noch zehn Jahre Mitglied der Capella Reale war. Danach ist nichts mehr von ihm bekannt.
Philip Cutlip erwies sich als ein vortrefflicher
Vertreter seines Faches. Ob üppige
Koloraturen bei schnellen Tempi oder häufige Intervallsprünge und freie
Einsätze in hoher Lage, sein wendiger und klangvoller Bariton ließ Händels affektvolle
Arien in den schillernsten Farben leuchten. Einer der glanzvollsten Höhepunkte
des Konzertes war dabei die kriegerische Bravourarie „Già risonar“ des Varo aus
dem Ezio, in dem sich die Singstimme einen Wettstreit mit der Solotrompete liefert.
Michael Schneider und sein Ensemble La Stagione
Frankfurt sorgten neben dem gewohnten Wohlklang – vor allem in den reinen Orchesterstücken
- auch für dramatisches Feuer, sodass dieses Solokonzert zu einer regelrechten
Operngala avancierte.
Ein Kontrastprogramm dazu
bildete das GEISTLICHE KONZERT mit Konrad Junghänel und seinem
Cantus Cölln in der St. Marien-Kirche. Die
Meditationen über die Gestalt des gekreuzigten Jesus in den sieben
Kantaten des „Membra Jesu nostri“ (BuxWV 75) von Dieterich Buxtehude sind themenbedingt sehr introvertiert und von
gleichbleibenden Emotionen der Liebe, Freude und Dankbarkeit geprägt. Das
Gleichmaß der Strophen, die gleichförmigen Bassbewegungen und ostinaten
Wendungen verleihen dem Zyklus zwar eine emotionale Geschlossenheit, erforderten
aber vom Publikum – mangels ausgiebiger Affektwechsel – auch ein großes Durchhaltevermögen.
Da wirkte die Kantate „Christ lag in Todesbanden“
(BWV 4) von Johann Sebastian Bach schon wie
eine musikalische Erlösung. Die Kantate folgt in ihrem Stil zwar noch dem Typus
des Choralkonzerts, wie es bei Kantatenkompositionen des 17. Jahrhunderts
üblich war, doch dem jungen Bach gelang es hier – trotz der Beschränkung der eingesetzten
Mittel – durch den ständigen Wechsel von Solo, Duett und Chor sowie einer
variierten Instrumentalbegleitung, die expressive Sprache Luthers in Musik zu
fassen, die die Auferstehung Christi und den Triumph Gottes über den Tod
besingt..
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Richtig spannend und
lebhaft ging es beim CEMBALO-RECITAL von Bob van Asperen in der
Aula der Universität zu. Zum Thema „Händel
und die Norddeutsche Musikkultur“ demonstrierte Bob van Asperen einmal mehr
seine profunde Kenntnis der Materie.
Ihm ist dabei nicht nur beim Spielen seine Begeisterung anzumerken, sondern
auch seine Moderation sprüht nur so vor Leidenschaft und Mitteilungsbedürfnis.
Auf seinem interessant
ausgewähltem Programm standen neben Georg Friedrich Händels Suite V
in E-Dur aus 8 Suites de Piecespour le Clavecin HWV 430 und Werken von François
und Louis Couperin sowie Johann Kaspar Kerll auch zwei autobiographisch
geprägte Programmsuiten von Johann Jacob Froberger. Die erst bei der Durchsicht
des 2002 aus Kiew zurückgegebenen Notenarchivs der Sing-Akademie Berlin entdeckten
21 Werke Frobergers erwiesen sich dabei als wahre Schätze. So berichtet die Suite
XXVII e-Moll mit der originalen Beschreibung Frobergers von ganzen 26
Ereignissen, die während einer abenteuerlichen Rheinüberquerung geschehen. Die Suite XXX a-Moll trägt den Titel „Plainte
faite à Londres pour passer la mélancolie“ und widerspiegelt Frobergers Seelenlage,
als er, auf seiner Reise von Paris kommend, gleich zweimal ausgeplündert und völlig
heruntergekommen in London angekommen war. Wie Bob van Asperen diese
Klanggemälde auf dem Cembalo zu musikalischem Leben erweckte, war schon beeindruckend.
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Bob van Asperen
in der Aula der Universität
Foto: Gerhard Menzel
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Prof. Dr. Udo Bermbach
in der Aula der Universität
Foto: Michael Schäfer
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Interessant und
informativ war auch der diesjährige FESTVORTRAG in der Aula der Universität.
Unter dem Titel „Dein Wunsch zu regieren muß oberstes Gesetz sein.“
präsentierte Prof. Dr. Udo Bermbach seine Betrachtungen zu Händels Herrschergestalten
in dessen Opern und Oratorien.
England steckte im 18. Jahrhundert sowohl innen-
wie außenpolitisch in einer Krise, was sich auch im Subtext von Händels Werken
niedergeschlagen hat, in denen Herrscher einmal „richtig“ oder „falsch“
handeln. Anhand von Giulio Cesare,
Ottone, Bajazet, Riccardo Primo, Flavio,
Poro oder Serse zeigte Udo Bermbach auf, in wieweit sich das Handeln von Händels
Herrschergestalten in der damaligen Politik widerspiegelt. Eine Konstante in
seinen Betrachtungen waren dabei die Ausführungen von Niccolò Machiavelli (1469-1527),
der vor allem aufgrund seines Werks „Il Principe“ („Der Fürst“)
als einer der bedeutendsten Staatsphilosophen
der Neuzeit gilt. Seine rücksichtslose, unter
Ausnutzung aller (rechtmäßigen) Mittel propagierte Machtpolitik, wurde später unter
dem Begriff „Machiavellismus“ oft als Schimpfwort für ein
politisches Verhalten gebraucht, das raffiniert, aber ohne jegliche Moral und
Sittlichkeit die eigene Macht und das eigene Wohl in den Vordergrund stellt.
Unter Händels Werken sind es aber in erster Linie
seine Oratorien, deren biblische Texte als
Allegorien auf die aktuellen politischen Situationen aufzufassen sind, da diese
von der Zensur unangetastet blieben. Die dieses Jahr aufgeführten Oratorien „Solomon“
und „Belshazzar“ sind dafür sehr dankbare Beispiele.
Auch beim Vortrag
„Hail, royal Youth! Long live the King!“ von Angela Baier im
Händel-Zentrum standen die politischen Dimensionen der Oratorientexte im
Vordergrund. Kompetent, auf eine sehr einfühlsame Art und fähig, Informationen
und auch komplexere Zusammenhänge gut strukturiert zu vermitteln, beleuchtete
Angela Baier die politische Propaganda in den Oratorien Georg Friedrich Händels.
Einen Schwerpunkt legte auch sie auf den „Solomon“. Händel hatte
dieses Werk 1748 zwar nicht unter dem unmittelbaren Eindruck aktueller
politischer Entwicklungen komponiert, doch durchaus mit Bezug zu seiner
Gegenwart: Zwischen Salomo und seinem Reich einerseits und dem goldenen
Zeitalter Englands mit seinem König George II andererseits, lassen sich dabei durchaus
Parallelen erkennen.
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Beim KNABENCHORKONZERT
in der St. Marien-Kirche stand geistliche
Chormusik aus Deutschland und England auf dem Programm. Das Hauptwerk dieses Konzertes bildete die “Missa in honorem St.
Caeciliae“ von Franz Herzog (1917-1986). Herzog war Schüler
von Kreuzkantor Rudolf Mauersberger und seit 1953 als Musiklehrer in
Göttingen tätig. 1962 gründete er am
Felix-Klein-Gymnasium den Göttinger Knabenchor, der sich in kurzer Zeit zu einem anspruchsvollen, schulübergreifenden Konzertchor entwickelte, dem
Herzog bis 1980 vorstand. Für seine hervorragende Arbeit erhielt er 1978 die Ehrenmedaille der Stadt Göttingen.
Als englischen Beitrag präsentierte der Göttinger
Knabenchor unter dem Dirigat von Michael Krause, der seit 2003 künstlerischer
Leiter des Chores ist, und mit Martin Sander an der Orgel, die „Missa Brevis in D“ von Benjamin Britten (1913-1976).
Leider war der Anteil,
den der Winchester Cathedral Choir an diesem Konzert hatte, nur sehr kurz, aber dafür umso gehaltvoller.
Unter der umsichtigen Leitung von Andrew Lumsden nahm man ihnen die
Interpretation von William Byrds “Sing Joyfully” wirklich ab. Mit ihren
glockenklaren und flexiblen Stimmen ließen sie dann noch Anton Bruckners “Ave Maria” zu einer wahrer Himmelsmusik werden. Beim klangvollen Finale intonierten
dann beide Chöre gemeinsam Charles Stanfords „Ye choirs of new Jerusalem“ und
setzten dem Konzert damit noch eine musikalische Krone auf.
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PREISTRÄGERKONZERT
mit dem Ensemble „L'Art du Bois“
in der Aula der Universität
Foto: Gerhard Menzel
L'Art du Bois:
www.artdubois.de/
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Als erneuten Glanzpunkt
der Festspiele erwies sich wieder einmal das PREISTRÄGERKONZERT unter
dem Motto „Forum Junger Künstler“. Im Jahr 2005 war es das
Ensemble „alla pollacca“, das diese Veranstaltung zu einem der absoluten
Höhepunkte der Festspiele werden ließ (s. OMM-Kritik 2005).
Dieses Jahr war es das Ensemble „L'Art du Bois“, das in der Aula
der Universität das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hinriss. Die Jury,
die diesem Ensemble im Januar 2007 den 1. Preis der Göttinger
Händel-Gesellschaft verliehen hat, wird es sicherlich ganz besonders gefreut
haben.
Obwohl das Ensemble „L'Art du Bois“ bereits 2006 zu den
Finalisten der International Young Artist's Presentation in Antwerpen
gehörte und sowohl den Jury- als auch Publikumspreis des Van Wassenaer
Concours für Alte Musik in Den Haag sowie einen Kammermusikpreis
der Musica Antica da Camera Foundation gewann, dürfte sich vor
allem dieses überragende Konzert während der Internationalen Händel-Festspiele
in Göttingen positiv auf die künstlerische Zukunft des Ensembles auswirken.
Begonnen hatte es im Jahr 2002, als Verena
Fütterer, Margret Görner und Lena Hanisch das Blockflötentrio „L'Art du Bois“ gründeten. Neben dem Repertoire
der Musik des Mittelalters und der Renaissance widmen sie sich auch zeitgenössischen
Werken, die zum Teil sogar eigens für sie komponiert wurden. Aus der
Gegenüberstellung und Kombination Alter und Neuer Musik formen sie kreative
Programme, die sowohl sprachliche, als auch tänzerische Elemente mit einbinden.
Das spezielle Interesse an der Verbindung der verschiedenen Künste, macht
dieses Trio – neben seiner spieltechnischen Klasse – zu einem der innovativsten
und interessantesten Ensembles der Szene.
Nach ersten Erfolgen – wie beim Internationalen Blockflötenwettbewerb Engelskirchen 2002 (1.
Preis), dem des Hochschulrates 2004 im Wettbewerbsfach Bläserensemble
an der Musikhochschule Freiburg (1. Preis), sowie zahlreiche
weitere Preise und Auszeichnungen innerhalb der Region – konnte „L'Art du Bois“ auch in weiteren
angesehenen Wettbewerben, wie beispielsweise beim Early Music Competition York, England, (2005) beachtliche Erfolge
feiern.
Im Jahr 2004 erweiterte sich das Trio durch die beiden
Lautenisten Mirko Arnone und Maria Ferré sowie die Gambistin Judith Sartor zu
einem Ensemble, das neben der Musik des Mittelalters und der Renaissance jetzt
auch größer besetzte Werke des Barock aufführen konnte.
In dieser Besetzung präsentierten sie sich auch in
Göttingen, wo sie ihr neues Programm „Associazioni – mitten im Leben
sind wir vom Tode umfangen“ vorstellten, das dem Festivalthema entsprechend
der Macht und Ohnmacht gewidmet war. Das Ensemble „L'Art du Bois“ hat hierzu ein Programm aus Musik und Texten
konzipiert, die sowohl aus dem Barock als auch der Moderne stammten und von der
Sprecherin Katharina Nast zwischen und zu den Kompositionen vorgetragen wurden.
Diese stammten von Angelus Silesius (1624-1677), Vladimir Chlebnikov
(1885-1922) und Gerhard Rühm (geb. 1930).
Bei der Verquickung von Text und Musik mit zum Teil
fließenden Übergängen kamen auch die verschiedensten Perkussionsinstrumente bis
hin zum Regenrohr zum Einsatz. Ein akustisches Kleinod des Konzertes war das „Echo“-Konzert
von Giovanni Martino Cesare (um 1590-1667) mit doppeltem Echo, das in der Aula von
verschiedenen Positionen aus erklang.
Die rein instrumentalen Stücke dieses Konzertes hat
das Ensemble „L'Art du Bois“ inzwischen
auch auf der CD „circles of sound“ veröffentlicht (s. OMM-CD-Kritik).
Das Ensemble überzeugte in Göttingen durch seine
lebhafte und überschwängliche Virtuosität, durch sein frisch und
unbeschwertes Musizieren in abwechslungsreichen Besetzungen und seine schier
unbändige Spiellust. Hier haben sich Gleichgesinnte gefunden, die
intonationssicher und mit einem sehr harmonischen und ausgeglichenen Klang zusammen
Atmen und das Publikum unmittelbar begeistern. Wer bisher Probleme mit dem
Klang von Blockflöten hatte, sollte sich unbedingt dieses Ensemble anhören! So
kann Blockflötenmusik auch klingen.
Mit diesem Preisträgerkonzert
der „Göttinger Reihe Historischer Musik“ leisteten die Händel-Festspiele wieder
einen ganz gezielten und sehr erfolgreichen Beitrag zur Nachwuchsförderung, der
übrigens vorbildhaft vom Mercedes-Benz Center Göttingen und der Sartorius AG
gefördert wurde.
Einer Lösung harret allerdings noch das Problem der
Einführungsvorträge, für die andere Räumlichkeiten gefunden werden müssen,
da diese – zumindest bei denen in deutscher Sprache – immer völlig überfüllt
waren.
Die nächsten Internationalen Händel-Festspiele finden vom 2. bis 14.
Mai 2008 statt und stehen unter dem Motto „“. Informationen sind in
Kürze unter www.haendel-festspiele.com
erhältlich.
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