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Musikfestspiele
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Herbstfestspiele 2007

23. - 30. September 2007

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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)
Die leisen und die prachtvollen Töne

Von Christoph Wurzel / Fotos von Andrea Kremper

Festspiele in Baden-Baden - das bedeutet immer eine Opernproduktion umgeben von mehreren Konzerten. Wenn das Bühnenwerk eine solch starke Wirkungskraft besitzt wie "Tristan und Isolde", dann könnten die Konzertprogramme leicht als Begleitmusiken an den Rand gedrängt werden. Doch bei den diesjährigen Herbstfestspielen trat solch misslicher Umstand nicht ein; denn trotz des überwältigen Eindrucks, den Wagners Musikdrama hinterließ, mussten die Konzerte in ihrer Eindringlichkeit nicht verblassen. Im Gegenteil - das Konzertprogramm bildete, mindestens in zwei Fällen, einen innovativen Akzent in der meistens zwar superben, aber doch auch recht konventionellen Baden-Badener Programmdramaturgie.

Vergrößerung in neuem Fenster Tristan und Isolde
Stephen Milling (Marke),
Robert Gambill (Tristan)
Nina Stemme (Isolde)

Eine Uraufführung im Baden-Badener Festspielhaus ist kaum erinnerlich. Im Konzert des Ensemble Modern Orchestra konnte man dies nun erleben. Pierre Boulez setzte ein neues Werk des 43jährigen französischen Komponisten Marc Andre gleich an den Anfang des Konzerts. Es handelt sich um den mittleren Teil eines Tryptichons mit dem kryptischen Titel "...auf...II". Andre arbeitet in seinem etwa zwanzigminütigen Stück mit Klangfarben, die traditionell instrumental erzeugt werden und mit Klanggeräuschen, die mittels technischer Manipulation an den Instrumenten entstehen. Anders als sein Lehrer Helmut Lachenmann (z.B. im "Mädchen mit den Schwefelhölzern") benutzt Andre keine außermusikalischen Gegenstände als Geräuschquellen, sondern lässt die Instrumente sich zu neuen Klang-Qualitäten transformieren, analog dem religiösen Gehalt der musikalischen Intentionen in diesem Werk, die mit den Begriffen "Leben - Tod und Auferstehung" umrissen sind. Fast pointillistisch entsteht ein Klangbild, das in Farbe, Intensität und Stimmung stufenlos changiert. Mit dem riesigen Orchesterapparat spielt der Komponist souverän. Pierre Boulez bereitete mit dem Orchester die Klangstruktur transparent auf und brachte das kunstvoll gearbeitete Werk zu großer Wirkung.

Gegen Marc Andres strukturell diszipliniertes und im Ausdruck verhaltenes Werk wirkte Edgar Varèses sinfonisches Panorama "Amériques" gleichsam wie eine musikakustische Revolution. Aus allen möglichen Klang- und Geräuschpartikeln wird darin eine neue Welt musikalischer Erfahrungen kreiert. Stile werden gemixt, grelle Effekte stehen neben gesanglichen Passagen, Großstadtgeräusche überlagern den Klang der Instrumente, alles kulminiert in einer Klang-Explosion wie zur Rushhour am Times Square. Varèse, dem nach eigenem Bekunden die traditionellen, schon bekannten Klänge als Ausdrucksmittel nicht genügten, wurde an diesem Abend durch eine elektrisierende Interpretation als brillanter Vorläufer der Gegenwarts-Musik unmittelbar nahegerückt. Nach einem kurzen Werk von Matthias Pintscher steuerte Boulez schließlich noch fünf seiner "Notations" bei, hochelaborierte Bearbeitungen von Gelegenheitsstücken für Klavier, die bereits 1945 entstanden waren. Der Nestor der Neuen Musik als Interpret seiner eigenen Werke - das versprach höchste Authentizität. Eminent ausgefeilt spielte das Ensemble Modern Orchestra die kurzen Charakterstücke und vollbrachte etwas, was in Baden-Baden Seltenheitswert besitzt - es provozierte einen Jubelsturm für die Neue Musik und deren Interpreten.

Dass das Festspielhaus neben dem großen Auditorium noch ein Potential weiterer origineller Aufführungsorte in sich birgt, wurde mit dem Experiment des "Wandelkonzerts" bewiesen. Sein Programm mit alter geistlicher Chormusik verteilte nämlich das Rastatter Vokalensemble an mehrere Plätze des Hauses und hinterließ so durch die Verbindung von Raum und Musik komplexe Eindrücke. Die a capella-Bearbeitung von Bachs Contrapunctus I aus der Kunst der Fuge sangen die Sängerinnen und Sänger solistisch aus dem Publikum heraus, einzeln verteilt zwischen den Zuhörern und Sitzreihen. Die von Dieter Schnebel extrem fragmentierten Tonfolgen hüllten das Publikum förmlich in Klang ein. Den Sängerinnen und Sängern forderte diese Art der Aufführung ein Höchstmaß an Präzision ab, welche sie mühelos aufbrachten. Für Domenico Scarlattis Te Deum und Stabat Mater begab sich das Publikum in die neobarocke Schalterhalle des Alten Bahnhofs, sonst ganz profan der Eingangs- und Kassenbereich des Festspielhauses, jetzt zum quasi-sakralen Aufführungsort erhoben. Gleichermaßen kamen Auge und Ohr auf ihre Kosten. Die prächtige Musik entfaltete eine große Wirkung. Weiter ging es über verschiedene Plätze in den Foyers schließlich wieder zurück in den Saal, wo die Polyphonie von Monteverdis "Gloria", konzipiert für den besonderen Raumklang von San Marco in Venedig, durch die Aufteilung des Chors auf den Balkonen eindrucksvoll zelebriert wurde. Den Abschluss bildete, in gebotener Strenge auf der Bühne gesungen, die Kantate "Singet dem Herrn" von Bach. Auch mit der Zugabe des Mendelssohn-Chorals "Denn er hat seinen Engeln befohlen" wurde das Rastatter Vokalensemble seinem Ruf als exzellenter Kammerchor voll gerecht.

Unter der Leitung von Herbert Blomstedt gastierte das Gewandhaus-Orchester im Festspielhaus. Julian Rachlin spielte das zweite Violinkonzert von Prokofjew höchst differenziert und klangschön. Besonders dem zweiten Satz gewann er vielseitige Ausdrucksnuancen ab. Dessen lyrische Stimmung erfüllte er mit sattem, schwelgerischem Ton. Mit energisch packendem Zugriff nahm er die Ecksätze und zeigte eine breite Palette seiner spielerischen Möglichkeiten. Ein viel versprechender Vertreter der jungen Geigergeneration hatte seinen erfolgreichen Einstand im Festspielhaus gegeben. Herbert Blomstedt begleitete mit dem Gewandhausorchester subtil und präsent. Als Dirigent der milden Schärfen erwies sich Blomstedt bei Beethovens Eroica und der eher epischen Breite im Eröffnungsstück "Tapiola" von Sibelius. Dieses Spätwerk des Finnen zieht sich stellenweise recht zäh dahin, doch dank seines besonderen Klangempfindens gelang dem Gewandhausorchester eine beeindruckende Aufführung.
Eine "Eroica" in dezidiert romantischer Auffassung konnte man am Schluss dieses Konzerts erleben. Auch hier konnten die Leipziger mit wunderbaren Klangqualitäten punkten, mit seidigem, weichen Streicherklang, mit beseelten Bläsertönen. Blomstedt ging Beethovens dramatisches Pathos aber recht sanft an, bisweilen spannungsarm. Eher als jüngere Schwester der "Pastorale" mutete das Werk stellenweise an. Im Finalsatz vermisste man den großen Atem, der diese Musik so unvergleichlich packend macht.

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Tristan und Isolde
Robert Gambill (Tristan, liegend),
Bo Skovhus (Kurwenal)

Ein phänomenaler Ruf eilte der Erfolgsproduktion der Glyndebourner Festspiele aus dem Jahre 2003, die in diesem Sommer dort nochmals gezeigt worden war, bereits voraus, bevor die Nikolaus-Lehnhoff-Inszenierung als Kern dieser Herbstfestspiele auch in Baden-Baden über die Bühne ging. Und dieser Ruf bestätigte sich voll und ganz. In einem aus geometrischen Formen gebildeten Einheitsbühnenbild, das nur durch unterschiedliche Beleuchtung verändert erscheint, vollzieht sich Wagners Handlung musikalisch und szenisch in beeindruckender Geschlossenheit. Die Breite der Bühne ist auf einen Handlungsort inmitten einer stufigen Fläche zurückgeführt, die sich nach hinten wie ein Strudel spiralförmig ins Dunkle verengt. Viele Assoziationen setzt das frei, zahlreiche Möglichkeiten der Deutung - abstrakte Form und raffinierte Beleuchtung setzen intensive magische Wirkungen frei. Jeder Bühnennaturalismus wird konsequent vermieden. Ebenso das szenische Spiel: Lehnhoff konzentriert sich auf eine Körpersprache der minimalen Gesten, der elementarsten Situationen. Dabei entsteht keineswegs Statik, sondern ein unsichtbar die Figuren untereinander verstrickendes Spannungsfeld. Im Zentrum des Sichtbaren stehen die Seelenbewegungen der Handelnden, manifestiert durch Ab- oder Zuwendung ( der Protagonisten im 1. Akt), durch das Einhüllen in einen Umhang (Isolde Tristan im Liebestod) oder durch die vor Schmerz erstorbene Mimik König Markes. Durch Nichts wird die subkutane Dramatik dieser Handlung aufgebläht oder verdoppelt, was die Musik an Seelenzuständen freigibt und spüren lässt.

In Bayreuth war Nina Stemme 2005 als Isolde-Entdeckung gefeiert worden und dieser Ruf bestätigte sich in Baden-Baden nun ohne Einschränkung. Derart mühelos, frei strömend wie entrückt und gleichzeitig Wort für Wort deutlich artikulierend den Liebenstod zu singen, das ist eine seltene Kunst heutzutage Wagner zu singen. Dabei verfügt sie über einen Ambitus, der die Stimme in allen Lagen gleichermaßen klar, warm, und schön strahlen lässt. Als Tristan erschien Robert Gambill weniger heldisch, dafür aber umso inniger und lyrisch weich in den Liebesgesängen. Seine Strahlkraft reichte an wenigen Stellen nicht immer über die Macht des Orchesters hinaus, aber seine schöne Stimme, sein schmeichelndes Legato sind ein Kapital, mit dem er in der Rolle des Tristan durchaus zu wuchern verstand. Eine ergreifende Brangäne ("Habet Acht!") sang Katarina Karnéus und auch Stephen Milling verlieh dem König Marke beeindruckende Glaubwürdigkeit, als einem Mann der erschüttert vor dem Verrat seines Dieners und Freundes um Stimme und Worte ringt. In diesen Sängerpersönlichkeiten verwirklichte sich die Idee des szenisch-musikalischen Gesamtkunstwerks. Auch die Nebenrollen waren sängerisch mehr als solide besetzt, mit Bo Skovhus als kraftvollem Kurwenal und dem lyrisch feinfühlig und makellos intonierenden Timothy Robinson als Hirt und Seemann.

Jirí Belohláveks Stabführung war auf größte Deutlichkeit und gemessene Tempi bedacht, das London Philharmonic Orchestra folgte klangschön und dynamisch sensibel dem Dirigat. Graben und Bühne blieben in guter Balance, auch wenn die Emotionen aus der Musik emporschlugen.
Kammermusikalisch fein gewoben und klangfarbenreich (Vorspiel) blieb das Orchester stets auf höchstem Niveau. Einzig die Kostüme waren in dieser Produktion wenig ansprechend und etwas pauschal. Insgesamt aber konnte man eine Inszenierung erleben, deren Qualitäten gerade in der Beschränkung auf das Wesentliche, in einer konsequenten Abstraktion, die sich aber selbst erklärt und in der hohen Übereinstimmung von Musik und Szene zu finden sind. Ein Wagner- Operntheater erster Güte mithin.


FAZIT

Alle Achtung, dass Baden-Baden diesen "Tristan" von den britischen Inseln geholt hat!

Die Programme:

23.09. / 27.09. und 30.09. 2007*
* Besuchte Vorstellung

Richard Wagner:
Tristan und Isolde

Musikalische Leitung
Jiri Belolávek

Inszenierung
Nikolaus Lehnhoff

Bühnenbild
Roland Aeschlimann

Kostüme
Andrea Schmidt-Futterer

Licht
Robin Carter
Roland Aeschlimann

Solisten

Tristan
Robert Gambill

Isolde
Nina Stemme

Brangäne
Katarina Karnéus

König Marke
Stephen Milling

Melot
Stephen Gadd

Kurwenal
Bo Skovhus

Ein Hirt / Ein Seemann
Timothy Robinson

Ein Steuermann
Michael Vier

Festspielhaus-Chor Baden-Baden

London Philharmonic Orchestra

24.09.2007
Festspielserenade

Dieter Schnebel
/ Johann Sebastian Bach
Contrapunktus I

Domenico Scarlatti
Te Deum
Stabat Mater

Claudio Monteverdi
Gloria

Alessandro Piccini
Toccata cromatica
Ciaconna

Antonio Caldara
Crucifixus

Johann Sebastian Bach
Singet dem Herrn

Vokalensemble Rastatt

Ensemble Les Favorites

Musikalische Leitung:
Holger Speck

26.09.2007
Orchesterkonzert

Mark Andre
"...auf II" für Orchester
(2005 - 2007)
Uraufführung

Edgar Varèse
"Amériques" for Orchestra
(1918-22 / rev. 1929)

Matthias Pintscher
"Toward Osiris",
Study for Orchestra (2005)

Pierre Boulez
"Notations" I, VII, IV, III, II
(1980 - 1998)

Ensemble Modern Orchestra
Dirigent: Pierre Boulez

28.09. 2007
Orchesterkonzert

Jean Sibelius
Tapiola Op. 112

Sergej Prokofjew
Violinkonzert Nr. 2
g-Moll Op. 63

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur Op. 55
"Eroica"

Julian Rachlin, Violine
Gewandhausorchester Leipzig
Dirigent: Herbert Blomstedt

sowie
29.09.2007
(nicht rezensiert)
Orchesterkonzert
Werke von Ludwig van Beethoven,
Alban Berg und Johannes Brahms
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Daniele Gatti

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