Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



22.
Tage Alter Musik
in Regensburg

2. bis 5. Juni 2006




Tage Alter Musik Regensburg
(Homepage)

Vom Mittelalter bis zur Spätromantik: "Alte Musik" bleibt spannend!
Die Tage Alter Musik in Regensburg luden zur Entdeckungsreise

Von Ingo Negwer

Am ersten Festivaltag der 22. Tage Alter Musik in Regensburg wurde gleichsam der zeitliche Rahmen der insgesamt vierzehn Konzerte mit Musik vom Mittelalter bis zum späten 19. Jahhundert abgesteckt. Den Auftakt gestaltete am Freitagabend das Orchester Anima Eterna mit einem spätromantischen Programm. Die Belgier unter der Leitung von Jos van Immerseel waren wiederholt zu Gast in Regensburg. Dieses Mal hatten sie Franz Liszts sinfonische Dichtung "Les Préludes", Edvard Griegs Klavierkonzert und Peter Tschaikowskys vierte Sinfonie mit im Gepäck. Anima Eterna präsentierte sich wieder als ein in allen Stimmgruppen hervorragend besetztes Spitzenensemble. Die Transparenz des auf "Originalinstrumenten" des 19. Jahrhunderts spielenden Ensembles lässt insbesondere die Bläsergruppen zu ihrem Recht kommen. Dass die emotionale Dichte der Interpretation dabei keineswegs auf der Strecke bleiben muss, stellte Anima Eterna nach der Pause mit Tschaikowskys aufwühlender "Vierter" eindrucksvoll unter Beweis. Zum Ereignis wurde das Eröffnungskonzert aber in erster Linie durch das inspirierte Spiel von Rian de Waal auf dem historischen Erard-Flügel, nachdem zu Beginn Liszts "Les Préludes" bei aller kammermusikalischen Durchsichtigkeit und trotz einer effektvollen Schlusssteigerung noch etwas verhalten, beinahe hölzern wirkte.

Vergrößerung in neuem Fenster Allégorie
(Foto: Ingo Negwer)

Mit spätmittelalterlicher Musik, wie sie am burgundischen Hofe Philipps III. des Guten (1419–1467) erklungen ist, ging der Freitagabend zu Ende. Das französische Ensemble Allégorie zeichnete mit Liedern und Tänzen von Guillaume Dufay und seinen Zeitgenossen ein lebendiges musikalisches Porträt dieser Epoche. Das feinsinnig aufeinander abgestimmte Zusammenspiel der sechs Instrumentalisten hinterließ zusammen mit dem leichten, unaufdringlichen Mezzosopran von Els Jansens einen nachhaltigen positiven Eindruck.

Die schwedische Königin Christina hatte 1654 auf ihren Thron verzichtet und konvertierte ein Jahr später zum katholischen Glauben. Anschließend verbrachte sie den Großteil ihres Lebens in Rom, wo sie als Mäzenatin zu den zentralen Persönlichkeiten des Musiklebens zählte. Die Sopranistin Susanne Rydén machte sich nun in Regensburg zusammen mit dem Stockholm Baroque Ensemble in einer halbszenischen Aufführung auf die musikalische Spurensuche nach dem Reiseweg, den Christina von Stockholm nach Rom zurückgelegt hatte. Mit wunderbar leuchtendem Sopran und sicherem Stilgefühl sang Susanne Rydén, in die Rolle der Christina von Schweden schlüpfend, Auszüge aus Werken, die zu Ehren der (Ex-) Monarchin geschrieben wurden. Mit dem sympathischen Stockholm Baroque Ensemble standen Rydén ebenbürtige Instrumentalisten zur Seite. Björn Granath las aus Briefen und Tagebüchern Christinas, indes der Tänzer Hans Nilsson Christinas Weg quasi als ständiges Alter Ego begleitete.

Vergrößerung in neuem Fenster Stockholm Baroque Ensemble
(Foto: Ingo Negwer)

Am Abend präsentierte sich das Ensemble XVIII-21 Musique des Lumières aus Frankreich mit einem exotischen "barocken Konzert in der verbotenen Stadt". Wie mag die Musik der christlichen Gemeinde in Peking zur Barockzeit geklungen haben? Auf Grundlage der teils sehr unvollständig überlieferten literarischen und musikalischen Quellen hat das Ensemble um den Flötisten Jean-Christophe Frisch und den Musikethnologen François Picard ein hörenswertes Programm zusammengestellt, das die frühe Synthese europäischer und chinesischer Musik während des 17./18. Jahrhunderts zu rekonstruieren versucht. Ein Urteil darüber, inwiefern dieses Experiment gelungen ist, verbietet sich mir aus Mangel an Sachkenntnis. Leider lässt auch der Begleittext im ansonsten wieder sehr informativ gestalteten Programmheft mehr Fragen offen, als dass er zur Aufklärung beiträgt. Das Ensemble XVIII-21 Musique des Lumières, das Musiker beider Kulturkreise vereinigt und sowohl chinesische als auch europäische Instrumente verwendet, bot nichtsdestotrotz in einem abwechslungsreich vorgetragenen Programm eine spannende Begegnung zweier musikalischer Welten.

Vertrautere Klänge brachte in der Matinee am Pfingstsonntag das mit sensibler Homogenität musizierende Trio Music of the Spheres zu Gehör. Jeanne Johnson (Violine), Joanna Blendulf (Violoncello) und Yuka Tanaka (Cembalo) widmeten sich mit unaufdringlicher aber sehr überzeugender Virtuosität der Violinmusik des Barock. Ein Höhepunkt war die wunderbar meditativ gespielte Passacaglia aus den Rosenkranzsonaten von Heinrich Ignaz Franz von Biber. Wie ein inniges Gebet ließ Johnson das reizende Werk im Pianissimo verklingen…

Weniger souverän wirkte indes das Konzert des noch jungen Ensembles Mikado. Mit viel Hingabe nahmen sich die sympathischen Österreicher der altenglischen Consortmusik an. Insgesamt trafen sie den melancholischen Grundton dieses Repertoires sicher, spielten und sangen sich so schnell in die Herzen des Publikums. Dennoch waren bei Agnes Heginger (Sopran), Thomas List, Katharina Lugmayr, Maja Osojnik (Blockflöten), Eva Reiter (Blockflöte und Viola da Gamba) einige technische Unsauberkeiten unüberhörbar.

Vergrößerung in neuem Fenster Pratum Integrum
(Foto: Ingo Negwer)

In den letzten Jahren gehörten Auftritte osteuropäischer Ensembles bei den Tagen Alter Musik in Regensburg zu den festen Größen in der Programmgestaltung. Die Konzerte etwa von Musica Florea aus Prag (2002) oder von Arte die Sonatori aus Polen (2003) sind in bester Erinnerung. Mit Spannung erwartet wurde dieses Jahr die Deutschland-Premiere des russischen Barockorchesters Pratum Integrum. Das vor drei Jahren in Moskau gegründete Ensemble stellte sich mit Orchestersuiten und Konzerten von Georg Muffat, Johann Bernhard Bach, Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann dem Regensburger Publikum vor. Frische, teils gar ungestüme Tempi, ein weitgehend sehr homogener Streicherklang und ein konzentriertes Zusammenspiel, ließen aufhorchen. Dies gilt insbesondere für die temperamentvolle Interpretation des dritten Brandenburgischen Konzerts, mit der Pratum Integrum das Publikum in der Dreieinigkeitskirche begeisterte. Lediglich die Holzbläser trübten in Muffats Ouvertüre B-Dur (aus Florilegium 1) und in Telemanns Konzert für zwei Flöten, Violine, Streicher und Basso continuo das ansonsten sehr hohe Niveau dieses aufstrebenden Orchesters, dessen weiteren Weg man aufmerksam verfolgen sollte.

Das den Pfingstsonntag beschließende Nachtkonzert stand ganz im Zeichen der italienischen Tanzmusik des Mittelalters. Kompetent und virtuos vom Anima Mundi Consort aus Italien vorgetragen, wurden in den Interpretationen mit hohem improvisatorischem Anteil die Parallelen zu noch heute lebendiger europäischer und arabischer Volksmusik deutlich. Doch trotz des Einsatzes eines vielfältigen Instrumentariums konnte über die gesamte Dauer der Darbietung der Eindruck von Monotonie nicht vermieden werden. Zu sehr ist diese nur rudimentär überlieferte Gebrauchsmusik zweckbestimmt – eben dem Tanze dienend und somit für den mehr als einstündigen konzertanten Vortrag weniger geeignet.

Den letzten Festivaltag eröffnete La Fenice unter der Leitung von Jean Tubéry. Die außergewöhnliche Qualität dieses renommierten Ensembles zu beschreiben, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Auch in der Regensburger Minoritenkirche zogen Jean Tubéry (Zink, Blockflöte), Veronika Skuplik (Violine), Stephan Legée (Posaune), Jérémie Papasergio (Fagott), Sebastian d'Hérin und Luca Guglielmi (Orgel, Cembalo) die Zuhörer mit exzellentem Spiel umgehend in ihren Bann. Nur selten kann man beispielsweise den Zink mit einer solchen dynamischen Bandbreite hören, wie bei Jean Tubéry, der selbst im Pianissimo noch Spielraum für klangliche Nuancen fand. Die Matinee in „italienischer Manier“ mit Musik u.a. von Dario Castello, Frescobaldi, Froberger, Rosenmüller und Weckmann wurde zu einem herausragenden und vom Publikum gefeierten Konzertereignis der Tage Alter Musik 2006.

Vergrößerung in neuem Fenster Michael Metzler und Steve Player in Aktion (The Harp Consort)
(Foto: Ingo Negwer)

Ein Erlebnis für Augen und Ohren bot am Nachmittag der Auftritt des Harp Consort mit seinem Leiter Andrew Lawrence-King. Unter dem Motto "El arte de fantasía" präsentierten die fünf Musiker "120 Jahre Tanzmusik, Tientos & Chansons aus Spanien, Portugal und Südamerika". Mit vitalen, mitreißenden Rhythmen und gelungenen Arrangements demonstrierte The Harp Consort wieder einmal, warum sich dieses Repertoire der Renaissance- und Barockmusik seit vielen Jahren so großer Beliebtheit erfreut. Die innige Vertrautheit des Ensembles mit der iberischen und lateinamerikanischen "Alten" Musik zeigte sich insbesondere in den Improvisationen etwa über Les Folies d'Espagne (nach Feuillet), Chaconas (nach Ribayez) oder Canarios (nach Murcia). Steve Player beeindruckte wiederum mit temperamentvollen, artistischen Tanzeinlagen, Clara Sanabras sang mit schönem dunkel timbriertem Sopran die Romances und Villancicos, während Andrew Lawrence-King mit solistischen Intermezzi (Luys Milan, Alonso Mudarra) auf seiner spanischen Harfe für meditative Ruhepunkte in einem Konzert sorgte, das vom ersten bis zum letzten Ton begeisterte.

Die Tage Alter Musik gingen mit konzertanter Musik von Johann Sebastian Bach und Antonio Vivaldi zu Ende. Das französische Barockensemble Amarillis um die Geschwister Héloïse (Blockflöte) und Ophélie Gaillard (Violoncello) zeichnet sich durch frische Tempi, einen eleganten, transparenten Ensembleklang und hohe Virtuosität aus. Die kammermusikalische delikate Interpretation des Cembalokonzerts D-Dur BWV 1054 von Bach (Solistin: Violaine Cochard) atmete eine quasi schwerelose Leichtigkeit, die im luftig beschwingten Schlusssatz ihren krönenden Abschluss fand. In den populären Vivaldi-Konzerten (u.a. "Il Gardellino" und "La Notte") gönnten sich die Franzosen viele agogische Freiheiten, die insbesondere der Lautmalerei Vivaldis sehr zugute kam. Die Triosonate "La Follia" verwandelten die entfesselt aufspielenden Musiker (etwas störend der allzu perkussive Klang der Barockgitarre von Juan Sebastiàn Lima) zu einem fulminanten Feuerwerk.

Schließlich hatte auch die 22. Auflage der Regensburger Tage Alter Musik wieder eine überwältigende Fülle an nachhaltigen Eindrücken für die zahlreichen Zuhörer in den vielfach ausverkauften Konzerten zu bieten. Dabei hat sich erneut die geschickte Mischung aus jungen, viel versprechenden Künstlern und bekannten Namen mit internationalem Ruf bewährt. Dass von einer Krise der Alten Musik unter diesen Voraussetzung keine Rede ist, wie etwa das bevorstehende Ende von Musica Antiqua Köln befürchten lassen könnte, zeigt u.a. eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2002, derzufolge mehr als 65 % der Regensburger Festivalbesucher im Alter zwischen 20 und 49 Jahre alt sind. Mancher Veranstalter "konventioneller" Konzertreihen mit klassischer Musik würde sich über einen solch intensiven Publikumszuspruch in dieser Altersgruppe sicherlich sehr freuen.




Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief


Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2006 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -