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Münchner Opern-Festspiele 2006




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Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Münchner (Händel)Opern-Festspiele

Von Artie Heinrich / Fotos von Wilfried Hösl

Mit den Opernfestspielen 2006 hat die Münchner Staatsoper ein überaus ambitioniertes Projekt realisiert. Fünf Wochen lang täglich wechselnde Aufführungen von über 30 Opern, Konzerten und Liederabenden – das ist eine wahre Meisterleistung, die so schnell auf der Welt nicht ihresgleichen findet. Dabei lässt die Bayerische Staatsoper noch einmal mehr als 10 Jahre Inszenierungsgeschichte an ihrem Haus Revue passieren. Ein wahrer Paukenschlag, mit dem Intendant Sir Peter Jonas seinen Abschied einläutet.

Als ein kleiner Teil der Festspiele wurden auch noch einmal alle Händelopern, die in München seit 1994 Premiere hatten, zur Aufführung gebracht. Womit man den renommierten Festivals in Halle, Karlsruhe und Göttingen gehörig Konkurrenz machte und in der Gesamtzahl der in einer Spielzeit gezeigten Opern jedes davon weit überflügelte. Dabei hatte man mit Rinaldo, Giulio Cesare, Alcina, Rodelinda und Serse (Xerxes) die Händelschen Highlights im Programm, doch wurde mit Ariodante und Orlando auch seltener gespielten Werken Gehör verschafft.

Den Münchner Verhältnissen Tribut zollend bot man damit auch gleichzeitig eine Retrospektive der Arbeit David Aldens, der sich immerhin für vier der Händel-Inszenierungen verantwortlich zeigt, ebenso wie für ein gutes halbes Dutzend weiterer auch im Programm enthaltener Opern.

Doch nicht nur einen Barockopern-Regiespezialisten hat sich die Bayerische Staatsoper da „herangezogen“, auch auf dem Feld der musikalischen Interpretation hat das Haus Kenner der historischen Aufführungspraxis am Dirigentenpult zu bieten. Harry Bicket und Ivor Bolton teilten sich das Händel-Repertoire, wobei Bolton den Löwenanteil der Dirigate innehatte – und das war auch gut so. Wünschte man sich das Bayerische Staatsorchester unter Bicket noch beherzter zupackend, mit mehr Verve und Schneid und einfach noch ein paar Grade glutvoller, so vermochte Bolton all diese Erwartungen einzulösen und satten, barocken, musikantischen Klang zu kredenzen.

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Giulio Cesare

So hatte man etwa beim Rinaldo unter Bicket über weite Strecken das Gefühl, es ginge noch barocker, noch mehr der Händelschen Vorlage und zugleich den dramatischen Erfordernissen angemessen; erst in den ganz großen Arien-Glanzstücken ‚Dove sei' und ‚Lascia ch'io pianga' konnte sich der Anspruch erfüllen, durften Sänger und Orchester zu Höchstform auflaufen und ihr wahres Können zeigen. Im Gegensatz dazu ermöglichte Bolton etwa im Giulio Cesare musikalische und gesangliche Höhepunkte am laufenden Band, dargeboten von einem bestens aufgelegten Ensemble, das nur so sprühte vor Musizier- und Spielfreude.

Überhaupt ist diese „älteste“ der Händel-Inszenierungen alles andere als angestaubt. Die von Richard Jones als knallbunte Comic-Slapstick-Groteske in Szene gesetzte Oper war eine der unterhaltsamsten des Festivals und wurde sogar noch um aktuelle Anspielungen auf die Fussball-WM und das gerade erst erfolgte Ausscheiden der deutschen Mannschaft bereichert. Szenenapplaus und herzhaftes Gelächter im Publikum – ja, auch das gibt es bei der „ehrenwerten“ Institution Oper. Ähnliches bot sich bei David Aldens bonbonbunter und fantasievoller Modernisierung des Rinaldo, voller augenzwinkernder Seitenhiebe auf religiösen Fundamentalismus.

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Rodelinda

Optisch deutlich anstrengender zeigte sich die fast monochrome und von viel leerem Raum geprägte Film-noire-Szenerie, in die Alden die Geschichte der Langobardenkönigin Rodelinda versetzt hatte. Der tyrannische Usurpator als Al Capone, die Figuren oft einsam im Halbdunkel in ihren Lamenti; die vorherrschenden Schwarz- und Grautöne in deutlichem Kontrast zum pastellbunten Übermaß, das so prägend scheint für David Alden.

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Ariodante

Im Ariodante dann noch eine gänzlich andere Sichtweise des Regisseurs: historische Vorbilder inspiriert zu kopieren - im ersten Akt barocke tableaux vivants, im dritten die blankpolierten Rüstungen des hollywoodschen Ritterfilms, und schließlich die kongenial als schweißtreibende Tanzperformance umgesetzte Alptraumszene am Ende des zweiten Aktes. Dazu fein dosierte Aktion auf der Bühne – so bleibt der breiteste Raum der Musik vorbehalten. Und auf einmal merkt man: auch bei noch so bunten Farben, auch bei noch so dominierenden optischen Versatzstücken, bei allen Inszenierungen Aldens kann die Musik immer uneingeschränkt wirken, bietet die Regie Unterstützung, Untermalung, Interpretation – ohne abzulenken, lärmend zuzudecken oder ad absurdum zu führen, wie man es vielerorts bei rücksichtslosen Modernisierungen im Namen der ‚Freiheit der Kunst' leider allzu oft erleben muss.

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Orlando
(Rosemary Joshua)

Und doch waren einige Zuschauer mit Aldens Version des Ritterepos Orlando hörbar unzufrieden. In der Neuinszenierung der aktuellen Spielzeit ist der ‚rasende Roland' ein Hightech-Soldat, dessen Gefühle im Gehirnwäschelaboratorium des ‚Zauberers' Zoroastro soweit manipuliert wird, dass er der Liebe abschwört, um besser kämpfen zu können. Ein futuristisches Spektakel voller beklemmender Szenen, von dessen Realität wir trotz meist utopisch anmutender Ideen im Grunde genommen nicht mehr allzu weit entfernt sind. Zeitkritisch, konsequent umgesetzt, gut gelungen und dabei noch der Stoffvorlage treu geblieben – Alden zeigt sich hier tiefsinniger denn je. Und bietet beeindruckende Bilder: der in seiner Wahnsinnsszene in einem Kabelgewirr gefangene Orlando, der ein andermal aus einer defekten Telefonzelle mit den Göttern telefoniert; und natürlich der vom irren Orlando gesteuerte Kampfroboter, der die Welt verheert – Alden brennt uns seine Vision förmlich in die Netzhaut.

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Orlando
(David Daniels)

Und auch musikalisch vermochte sich diese Aufführung in den Köpfen festzusetzen – nicht zuletzt dank eines hervorragenden David Daniels, der in der Titelpartie immer wieder gesangliche Glanzpunkte setzen konnte und damit einmal mehr eindrucksvoll bewies, dass er unzweifelhaft zu den weltbesten Countertenören zu zählen ist. Leider konnte Rosemary Joshua in der weiblichen Hauptrolle der Angelica (ein Paris-Hilton-Klon in immerwährender Kopulationsbereitschaft) dieses hohe Qualitätsniveau nicht halten. Bei Einsätzen in hohen Lagen waren ihre Töne zerfasert, unscharf und von unangenehmer Atemlosigkeit. Im Gegensatz dazu gefielen Olga Rasichnyk (Dorinda) mit ihrer klaren Sopranstimme und Beth Clayton (Medoro) mit solide fundiertem Mezzo umso besser. Alastair Miles schließlich als manipulierender Zoroastro war zweifellos der beste der Bassisten, die in den Händelopern dieser Festspiele zu hören waren; eine große, markante, nur gelegentlich etwas mulmende Stimme und, leider in diesem Stimmfach nicht selbstverständlich, blitzsaubere und punktgenaue Koloraturen. So hätte man sich Jonathan Lemalu (Argante – Rinaldo) und Umberto Chiummo (Garibaldo – Rodelinda, König – Ariodante) auch gewünscht, wobei Chiummo wenigstens im Ariodante seine manchmal etwas schwere Stimme voll zur Entfaltung bringen konnte.

Ein Trend, der bei den diesjährigen Münchner Händel-Aufführungen vorzuherrschen schien, war die Unausgewogenheit der Leistungen bei den Sängern der Hauptpartien. Ann Murray als Cesare und Ariodante sowie Michael Chance als Bertarido (Rodelinda) boten gewohnt gute Qualität und so manches virtuose Arien-Highlight. Bei den weiblichen Gegenparts dagegen bot sich entweder ein zwar solider und auch durchaus hörenswerter Gesang, dem es jedoch an Glanzpunkten mangelte (Susan Gritton als Rodelinda und Cleopatra) oder es beherrschten verschwommene Töne und rhythmisch unsaubere Einsätze den Klang – neben Rosemary Joshua im Orlando hatte auch Joan Rodgers als Ginevra (Ariodante) mit diesen Problemen zu kämpfen.

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Rinaldo

Mit der rundesten Ensembleleistung konnte da noch der Rinaldo aufwarten, wobei hier jedoch krankheits- und unfallbedingt zwei Einspringerinnen Dienst taten – ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Inga Kalna brachte mit ihrer Armida eine geballte Portion darstellerischer Erotik und stimmlicher Feinarbeit auf die Bühne; währenddessen brauchte Cornelie Isenbürger (Almirena) ein wenig Zeit, um sich freizusingen, aber dann vermochte sie bei ‚Lascia ch'io pianga' das Publikum wahrhaftig zu Tränen zu rühren. Christine Rice verfügte über genau die nötige Markigkeit in der Tiefe, um die markante Titelpartie angemessen zu interpretieren. In den Nebenrollen konnten gleich drei Countertenöre ihre gesangliche Kunstfertigkeit zum Besten geben: Daniel Taylor (Goffredo) mit klarem Klang und guter Stimmführung; Axel Köhler punktete zusätzlich mit komödiantischer Bühnenpräsenz und seine Gestaltung von Eustazio als rotzigem Entertainer ließ ihn wie einen Harald Juhnke des Countertenorfachs erscheinen; und schließlich Christopher Robson, ein abgeklärter Bühnenveteran, dem man trotzdem die Spiel- und Sangesfreude aus jeder Pore strömen sah, und auf dessen zahlreiche kleinen, aber feinen Auftritte (als Mago, Donna und Araldo) man sich immer wieder freute.

Und das nicht nur im Rinaldo; denn mit Ausnahme von Alcina und Orlando war Robson in allen Händel-Inszenierungen vertreten und dadurch der herausgehobenste Stellvertreter eines weiteren, diesmal jedoch positiven Trends: der hochkarätigen Besetzung der Nebenrollen. Immer wieder konnten sich die Sänger und Sängerinnen der Sekondarier-Partien mit beeindruckendem Gesang in Szene setzen und die mäßigen Leistungen mancher Primadonna vergessen lassen. Sonia Prina schaffte es mit ihrer homogenen und zielsicher geführten Altstimme, den Partien der Cornelia (Giulio Cesare) und Eduige (Rodelinda), die in anderen Inszenierungen oft zu Grüften der Langeweile verkommen, eine Frische zu verleihen, die man so kaum je gesehen und gehört hat. Olga Pasichnyk, neben Dorinda (Orlando) auch als Dalinda im Ariodante zu hören, hätte man sich in einer Hauptrolle gewünscht. Ihr federleichter, strahlend-weicher und von hoher Musikalität geprägter Gesang macht Lust auf mehr. Als einziger Tenor war Paul Nilon in Rodelinda (als Grimaoldo) und Ariodante (als Lurcanio) zu hören. Seine Stimme verzichtet erfreulicherweise auf allzu opernhaftes Vibrato und verfügt doch über den soliden tenoralen Kern, der manch markanten Höhenflug ermöglichte. Alle Nebenpartien vermochten somit zu überzeugen und es erfreute jedesmal, wenn einer dieser Namen auf dem Besetzungszettel auftauchte.


FAZIT

Alles in Allem ist der Bayerischen Staatsoper mit den diesjährigen Opernfestspielen ein Höhepunkt im Kulturbetrieb der Hauptstadt gelungen, der wohl auf Jahre hinaus als Meilenstein der Opernkunst gelten wird. Und auch mit dem sehr speziellen Händel-Repertoire muss sich München keinesfalls verstecken – nicht hinter den gängigen Alte-Musik-Festivals und schon gar nicht hinter anderen Hauptstädten. Chapeau!



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Rinaldo
Italienisch mit dt. Übertiteln
Opera seria in drei Akten
Libretto von Giacomo Rossi
nach einem Szenarium von Aaron Hill

Mus. Ltg.: Harry Bicket
Inszenierung: David Alden
Bühne: Paul Steinberg
Kostüme: Buki Shiff
Licht: Pat Collins

Goffredo – Daniel Taylor
Almirena – Cornelie Isenbürger
Rinaldo – Christine Rice
Eustazio – Axel Köhler
Argante – Jonathan Lemalu
Armida – Inga Kalna
Mago/Donna/Araldo – Christopher Robson
Due Sirene – Inga Kalna/Stanislava Stoytcheva

Premiere am 10. Juli 2000
Rezensierte Aufführung: 5. Juli 2006

Giulio Cesare in Egitto
Italienisch mit dt. Übertiteln
Oper in drei Akten
Text von Nicola Francesco Haym

Mus. Ltg.: Ivor Bolton
Inszenierung: Richard Jones
Bühne und Kostüme: Nigel Lowery
Choreographie: Amir Hosseinpour
Licht: Mimi Jordan Sherin

Giulio Cesare – Ann Murray
Curio – Christian Rieger
Cornelia – Sonia Prina
Sesto – Daniela Sindram
Cleopatra – Susan Gritton
Tolomeo – Christopher Robson
Achilla – Clive Bayley
Nireno – Axel Köhler

Premiere am 21. März 1994
Rezensierte Aufführung: 7. Juli 2006

Rodelinda, Regina de' Langobardi
Italienisch mit dt. Übertiteln
Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Nicola Francesco Haym
(Koproduktion mit der San Francisco Opera)

Mus. Ltg.: Ivor Bolton
Inszenierung: David Alden
Bühne: Paul Steinberg
Kostüme: Buki Shiff
Choreographie: Beate Vollack
Licht: Pat Collins

Rodelinda – Susan Gritton
Bertarido – Michael Chance
Grimoaldo – Paul Nilon
Eduige – Sonia Prina
Unulfo – Christopher Robson
Garibaldo – Umberto Chiummo

Premiere am 28. Juni 2003
Rezensierte Aufführung: 13. Juli 2006

Orlando
Italienisch mit dt. Übertiteln
Opera seria in drei Akten
Unbekannter Librettist;
basierend auf einem Text
von Carlo Sigismondo Capece
nach Ludovico Ariosto

Mus. Ltg.: Ivor Bolton
Inszenierung: David Alden
Bühne: Paul Steinberg
Kostüme: Buki Shiff
Choreographie: Beate Vollack
Licht: Pat Collins

Orlando – David Daniels
Angelica – Rosemary Joshua
Medoro – Beth Clayton
Dorinda – Olga Rasichnyk
Zoroastro – Alastair Miles

Premiere am 19. Mai 2006
Rezensierte Aufführung: 17. Juli 2006

Ariodante
Italienisch mit dt. Übertiteln
Dramma per musica in drei Akten
Anonyme Bearbeitung des Librettos
Ginevra, principessa di Scozia
von Antonio Salvi
(Koproduktion mit der
English National Opera
und der Welsh National Opera)

Mus. Ltg.: Ivor Bolton
Inszenierung: David Alden
Bühne und Kostüme: Ian MacNeil
Choreographie: Michael Keegan-Dolan
Licht: Mimi Jordan Sherin
Chöre: Andrés Máspero

König – Umberto Chiummo
Ginevra – Joan Rodgers
Ariodante – Ann Murray
Lurcanio – Paul Nilon
Polinesso – Christopher Robson
Dalinda – Olga Pasichnyk
Odoardo – Kenneth Roberson

Premiere am 17. Januar 2000
Rezensierte Aufführung: 24. Juli 2006

Serse (Xerxes)
( OMM-Rezension )


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Bayerischen Staatsoper München
(Homepage)





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