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'Das Karlsruher Experiment' Ein Neuanfang?Von Gerhard Menzel / Fotos von Jaqueline Krause-Burberg
Die neue Opernproduktion der 29. Händel-Festspiele in Karlsruhe wartete gleich mit zwei Besonderheiten auf. Zum einen konnte Georg Friedrich Händels 1729 uraufgeführte Oper Lotario als die erste szenische Aufführung auf dem Kontinent angekündigt werden (die Aufführung während der Händel-Festspiele in Halle 2004 fand nur konzertant statt). Damit konnte Dank der neuen Edition der Hallischen Händel-Ausgabe der Lotario nach einem langen Dornröschenschlaf endlich der Vergessenheit entrissen werden. Zum anderen wagte man in Karlsruhe erstmals, die schon seit vielen Jahren während der Internationalen Händel Akademie erlangten Erkenntnisse im Bereich der szenischen Aufführungspraxis im 18. Jahrhundert in eine Produktion der Händel-Festspiele zu integrieren, was von den Verantwortlichen bisher als eine für das Publikum unzumutbar angesehene Form der Aufführung abgelehnt wurde. Eine merkwürdige Ansicht in Anbetracht dessen, was dem Publikum sonst so alles zugemutet wird (nicht nur bei den letzten Händel-Inszenierungen in Karlsruhe) ! 1. Akt Heidrun Kordes (Adelaide) und Bea Robein (Lotario)
Der geschichtliche Hintergrund der Handlung des Lotario ist der Streit um die italienische Krone zwischen dem deutschen König Otto I. (912-973) und Berengar von Ivrea (um 900-966). Adelaide war dank ihrer Schönheit und Tugend die berühmteste Fürstin ihrer Zeit. Sie hatte den Grafen von Arles geheiratet, dessen Herrschaft sich durch ein gewaltloses, eher väterliches Prinzip auszeichnete. Trotz alledem erhob sich das Volk gegen ihn und unterstützte Berengario, den Herzog von Spoleto. Adelaides Gatte aber griff nicht zu den Waffen, sondern teilte das Reich mit dem Herzog. Dieser ließ ihn jedoch vergiften und bedrängte Adelaide, seinen Sohn Idelberto zu ehelichen, um seinen eigenen Machtanspruch zu legitimieren. Das Eingreifen des für seine Tapferkeit berühmten deutschen Königs Otto I. (dessen Name in Lotario geändert wurde, da Händel bereits eine Oper Ottone über Otto II. geschrieben hatte) gibt der Geschichte letztendlich eine andere Wendung.
1. Akt
Klangbeispiel
Nr. 12, Aria Adelaide Scherza in mar la navicella"
Das interessante an dieser Inszenierung war nun, dass jeder Akt in Bühnenbild, Kostüm und Darstellungsweise einer anderen Spielzeit zugeordnet wurde. So spielte der erste Akt zur Zeit der eigentlichen (historischen) Handlung um 951 n. Chr., der zweite zur Entstehungszeit der Oper (1729) und der dritte im hier und heute. Dadurch hatte das Publikum die Gelegenheit, an einem Abend drei verschiedene Stilarten einer Inszenierung zu erleben. Achim Thorwald, der Generalintendant des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, übernahm bei diesem bemerkenswerten Unternehmen die Inszenierung des ersten und dritten Aktes. Der erste Akt erinnerte dabei mit seiner meist ritualisierten Gestik an ein statuarisches Weihespiel. Wie schon aus anderen Inszenierungen bekannt und oft bewährt, wurde die Personenkostellation bereits während der Ouvertüre durch Einzelauftritte der Protagonisten mit informativen Übertiteln geklärt. Den dritten Akt hatte Thorwald dann in der heute immer noch gängigen, durch Uniformen und viel Aktion geprägten Art des modernen Regietheaters gestaltet. Eine Brücke zum ersten Akt schlug er durch die Übernahme des Mobiliars und das Standbild des Magdeburger Reiters (der vermutlich Kaiser Otto I. zeigt). 2. Akt Heidrun Kordes (Adelaide)
Dagegen überraschte der von Sigrid T'Hooft in Szene gesetzte zweite Akt in jeder Beziehung. Ausschließlich mit 400 Kerzen erleuchtet, blickte das Publikum von Anfang an in eine ferne, von völlig anderen Gesetzmäßigkeiten geprägte Welt. Die der barocken Bühne der Händel-Zeit nachempfundene Ausstattung - wie sie schon in zahlreichen Symposien der Internationalen Händel-Akademie beschrieben wurde - und eine Gestik aus barocken Tanzfiguren und historischer Schauspielkunst vermittelten - trotz der sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der Protagonisten, diese auch umzusetzen - einen Eindruck von der damals vollkommenen Übereinstimmung von Text, Bewegung und Musik. Obwohl Christoph Hammer - mit der im barocken Spiel erfahrenen Continuo-Gruppe sowie den mittlerweile auf diesem Gebiet auch nicht mehr hanz ungeübten Mitgliedern der Badischen Staatskapelle - Händels Partitur unabhängig von der szenischen Darstellung als verbindende, große Einheit konzipierte und interpretierte, wirkte die Musik gerade in diesem Akt am stärksten und überzeugendsten. Das Auge hört eben doch mit ! ! !
Klangbeispiel
Nr. 24, Aria Lotario "Non disperi"
2. Akt
Um bei den völlig unterschiedlichen Kostümen nicht die Übersicht bei den handelnden Personen zu verlieren, hatten sich Thorwald und T'Hooft entschieden, allen Figuren eine durchgängige Leitfarbe zuzuordnen, was sich als genialer Einfall erwies. So blieb nicht nur die Personenkonstellation ständig überschaubar, sondern das ganze Stück wirkte trotz seiner extremen Kontraste in Ausstattung und Personenführung als ein (sich entwickelnden und wandelndes) Stück. Die ungeheure Leistung von Ute Frühling (Kostüme) und Christian Floeren (Bühne), die praktisch drei komplette Ausstattungen für drei verschiedene Inszenierungen schaffen mussten, ist dabei der ganz besonderen Erwähnung wert! Die Unterschiede in Stil, Materialien und Ästhetik setzte dabei nicht nur inspirierte Phanatasie voraus, sondern auch ein weitgreifendes Fachwissen und die Fähigkeit, beides in praktikable Weise miteinander zu verbinden. Wo bleibt der Oscar für solche Leistungen? 2. Akt Patrick Henckens (Berengario)
Bei diesem szenischen Aufwand könnte sich das Badische Staatstheater nun entspannt zurücklehnen und in drei aufeinander folgenden Jahren je eine szenische Variante als Vollinszenierung präsentieren. Mit jeweils einer Neuinszenierung im kleinen Haus wäre dann auch das gesamte Festspielprogramm wieder umfangreicher und attraktiver. Desgleichen hätten die Mitglieder des Badischen Staatsorchesters dann genügend Zeit, sich im barocken Spiel weiter zu entwickeln und auch als Hausorchester einem hohen Standard zu genügen.
2. Akt
Das Sängerensemble war mit Bea Robein in der Titelpartie und Heidrun Kordes als Adelaide hervorragend besetzt. Beide waren nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch allen Anforderungen gewachsen und überzeugten auch bei der neuartigen barocken Darstellungsweise. In ihrem Duett Si, bel sembiante, tu m'hai ferito in der letzten Szene der Oper vereinigten sich diese beiden, herrlich klingenden Stimmen und ließen dadurch einen der eindrucksvollsten Momente der Aufführung entstehen.
Klangbeispiel
Nr. 35, Duett Adelaide - Lotario
Aber auch Patrick Henckens als Schurke Berengario und der junge Countertenor Franco Fagioli als bedauernswerter Sohn (Idelberto) und politischer Spielball, bewältigten ihre Partien mit stimmlicher Bravour und darstellerischer Flexibilität. Bei der vor Energie nur so strotzenden Sylvia Hablowetz als biestiger und machtgieriger Mutter Matilde, war dagegen ganz deutlich zu spüren, dass sie wohl vor allem auf das moderne Regietheater fixiert ist. Ihr schien die barocke Gestik überhaupt nicht zugänglich zu sein. Alan Ewing schließlich in der Rolle des grobschlächtigen Heerführers Clodomiro setzte vor allem auf seinen kräftigen, bisweilen merkwürdig brumenden Bass. 3. Akt Patrick Henckens (Berengario), Heidrun Kordes (Adelaide) und Silvia Hablowetz (Matilde)
Unter der kompetenten und anspornenden musikalischen Leitung von Christoph Hammer wirkte das Spiel der Badischen Staatskapelle zwar noch etwas ungelenk, aber durch die erfahrene Continuogruppe und vor allem durch die adäquate optische Gestaltung des zweiten Aktes ereichte dieser Lotario ein wahrhaft festspielwürdiges Niveau. Allen dramaturgischen und regietheaterlichen Fragwürdigkeiten zum Trotz dominierte hier die Barockoper als eigenständiges Kunstprodukt. Es hatte den Eindruck, das Publkum hätte diesem Spiel der Sinne immer weiter zuhören und zuschauen können. Da war auch eine Aufführungsdauer von vier Stunden im Nu verflogen. Mit Sigrid T´Hooft (die seit 2003 Kurse bei der Internationalen Händel-Akademie leitet) besteht in Karlsruhe nun die Chance, einen Weg von der Personen bezogenen Regie, zu einer Stück bezogenen Inszenierung eines Gesamtkunstwerkes im Sinne des Barock zu beschreiten. Da allerdings auf Grund langfristiger Terminierung die nächsten beiden Jahre schon verplant sind, besteht erst in frühesten drei Jahren die Möglichkeit, nicht nur einen einzelnen Akt, sondern eine komplette Oper in dieser Klang- und Bildeinheit auf die Bühne zu bringen.
Nach den vielen Flops der letzten Jahre konnten die 29. Händel-Festspiele in Karlsruhe mit diesem Lotario endlich wieder einmal eine interessante, kurzweilige und künstlerisch anspruchsvolle Produktion präsentieren. Ein Weg für die Zukunft scheint erschlossen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungChristoph Hammer
Regie
Bühne
Kostüme
Solisten
Adelaide
Lotario
Matilde
Idelberto
Berengario
Clodomiro
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- Fine -