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steirischer herbst
29.9. - 30.10.2005


steirischer herbst
(Homepage)


Homepage des steirischen herbst

Transformationsprozesse

Von Meike Knoche

Die Stadt als Essenz der ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Beziehungsgeflechte ist schöpferischer Ausgangspunkt und Projektionsfläche zugleich für das diesjährige Festival steirischer herbst, das vom 29. September bis 30. Oktober in Graz statt gefunden hat. Auf vielfältige und betont andersartige Weise beleuchteten über 1.000 KünstlerInnen, MusikerInnen, TänzerInnen und ebenso alltägliche Stadterkunder das Leben in und um Graz und wollten damit vor allem "gegen den Mainstream der Eventisierung der Kunst" aufbegehren, wie es Peter Oswald - zum letzten Mal Intendant des Festivals - ausdrücklich betonte. Gerade im Neuen und Ungewohnten ließe sich der Blick auf die Heterogenität des Stadtlebens immer wieder erweitern und die Sicht auf das (Un)Bekannte verändern. Das spiegelte sich in einem komplexen Programm wider, welches sich Bemerkenswerterweise aus allen "Sparten" der Kunst- und Musikproduktion zusammensetzte: neben der szenischen Kunst, wie dem Projekt der Stadtoper oder Bodies-Cities-Subjects, trugen verschiedenste Ausstellungen, Filme, Literaturveranstaltungen und Konzerte zum breitgefächerten Blick auf das Grazer Stadtleben bei. Umrahmt wurde das ganze Programm durch umfang- und aufschlussreiche Einführungs- und Vermittlungsveranstaltungen, die im direkten Prozess der Auseinandersetzung Festivalinhalte verständlicher machten.

Die Stadt Graz hielt dabei gerne als Prototyp einer mittleren Stadt und als prominente Festivalkulisse her. Schließlich währt der Glanz einer Kulturhauptstadt 2003 auch nicht ewig und es müssen neue Kulturinitiativen her. In Graz, so Peter Oswald, finden für europäische Städte charakteristische Transformationsprozesse statt, die sich auch im künstlerischen und musikalischen Erleben wahrnehmen lassen und Fragen aufwerfen. Wie können wirtschaftliche, soziale aber auch künstlerische Probleme behandelt werden und welche Rolle spielt dabei die Stadt als komplexes Handlungsfeld? Beim steirischen Herbst durfte sie die Hauptrolle spielen und wurde "Objekt einer lustvollen Begierde".


Almira-Rezension  Foto: steirischer herbst
Vergrößerung in neuem Fenster  brpobr
 eines der vielen experimentellen
 Projekte im musikprotokoll
 Foto: brpobr

musikprotokoll im steirischen herbst, 6.10. - 9.10.05

Als Festival im Festival besitzt das Musikprotokoll Tradition, findet es doch gewöhnlich immer ein Wochenende vor den Donaueschinger Musiktagen statt. Tradition deckte es dieses Jahr programmatisch auch in seinem Festivalprogramm "in stile antico e moderno" auf, das mit einer gewissen Ironie das Neue im Alten sowie das Neue gegenüber dem Alten gleichsam kämpferisch aufsuchte. Gibt es überhaupt etwas Modernes und wenn ja, wie sieht dieses Moderne aus wenn es doch immer wieder auch Elemente des traditionell Überlieferten in sich birgt? Liegt es in der Integration einer populären Musikergeneration in die sogenannte ernste Kunstmusik oder in der völligen Isolation der Musik von äußeren Einflüssen? Es gibt wohl keine eindeutige Antwort darauf und sie kann auch nicht gewollt sein. In der gleichzeitigen Pluralität verschiedener Kulturen liegt das Moderne, das sich selbst definieren will oder auch gerade nicht. So ermöglichte das musikprotokoll unter der Leitung von Christian Scheib eine Reihe von Uraufführungen junger österreichischer KomponistInnen, die ebenfalls nicht isoliert in ihrem Wirkungsfeld stehen sondern längst Anschluss an die internationale Avantgarde gefunden haben.


6.10. Eröffnung musikprotokoll, Gerd Kühr Projekt
Klangforum Wien, Dirigent: Emilio Pomárico

stop and go and black and white (and sometimes blue)
Trialog für Klarinette, Violoncello und Klavier
Con Sordino für zwei Violinen, Viola und Violoncello
Revue instrumentale et électronique UA

Die Helmut-List-Halle, ein Ort der eng mit dem steirischen herbst und vor allem mit seinem "Erschaffer" Peter Oswald zusammenhängt, wurde von Gerd Kühr in seinen Kompositionen besonders gewürdigt. Wie in einer übergeordneten Dramaturgie formierten sich die Klänge zu verschiedenen (Ensemble)Gestalten, die das räumliche Klangvermögen auskosteten. So wurden nicht nur die Hör- sondern auch die Sehsinne für ein Orchester geschärft, das seine Größe schrumpfen und wachsen ließ und einmal völlig hinter Stoffwänden verschwand. In stop and go... entstand die traditionelle Konzertsituation mit großem Orchester, das spielerische Dialoge zwischen unterschiedlichen Instrumentengruppen entstehen ließ, die in Con Sordino für zwei Violine, Viola und Violoncello und im Trialog für Klarinette, Violoncello und Klavier kammermusikalisch weitergeführt wurden. In der abschließenden Revue instrumentale et électronique verbanden sich Revueartig elektronische und akustische Instrumentalklänge, die sich gegenseitig zu fulminanten Klangereignissen aufbäumten und den ganzen Raum ausfüllten.



7.10. ensemble recherche

Igor Majcen S(k)epsis UA
Mark André …zu…UA
Marko Nikodijevic gesualdo transcriptio III - o vos omnes UA
Iannis Xenakis Ikhoor

Wo manche Konzerte massive Klangeindrücke schufen, setzte das ensemble recherche detaillierte kammermusikalische Analysen dagegen, die die Musik von ihrem Inneren her zu packen schienen. Der Titel des Werkes S(k)epsis von Igor Majcen ist eine Kombination aus dem medizinischen Begriff "Sepsis", einer Art organischem Chaos, und dem Wort "Skepsis", dem Zweifel. Unter diesem Aspekt betrachtet Majcen auch sein musikalisches Material, das er aus verschiedenen musikhistorischen Formen zusammensetzte, die aus dem Ruder zu laufen schienen aber dennoch in einen denk- und hörbaren Zusammenhang gebracht wurden. Verschmelzung von verschiedenen Klangsphären spielte auch bei Mark Andrés Werk ...zu... eine wichtige Rolle. Durch leichtes Anstreichen der Saiten in verschiedenen Klangregionen erhielt jedes der drei Instrumente Violine, Viola und Cello seine eigene Klangidiomatik, die sich in feinen Abstufungen veränderte, dadurch aber leider häufig auch am Rande des Hörbaren bewegte. Begriffe wie Zeit oder Struktur erhielten damit einen neuen kompositorischen Akzent, den Mark André mit dem schwer fassbaren Begriff der Ewigkeit in Verbindung bringt.

Unter das feine Auge der Lupe gerieten Kompositionen von Gesualdo in Marko Nikodijevic's Gesualdo-Transkriptionen. Auch hier der Eindruck einer unendlichen Klangerweiterung durch spielerische Verzögerung und räumliche Verteilung über Lautsprecher.

Im abschließenden Werk Ikhoor von Iannis Xenakis steigerte sich das energievolle Spiel des Ensembles zu seinem Höhepunkt und bewies spieltechnische Freude, die für manche Zugangsschwierigkeiten zu den Stücken entschädigte.


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 Klangforum Wien
  Foto: Claudia Prieler
Vergrößerung in neuem Fenster  Klaus Lang
 sucht in seiner Messe Ausstieg aus dem Alltag
 Foto: Klaus Lang

8.10. Klaus Lang

missa beati pauperes spiritu UA
toccata per l'elevazione UA

Gleichsam paradigmatisch setzte auch Klaus Lang das Festivalthema in seiner Komposition um und zeigte im Rückgriff auf die traditionelle Form der Messe Grenzen, die er vor allem mit der Rolle des rationalen Denkens verbindet. In der Kunst und in der Religion ist der Mensch dagegen befreit von diesem Denken, er kann sich zurück nehmen und den Klängen lauschen. Scheinbar endlos zogen sich diese in seiner neu komponierten Messe hin, erzeugt durch Violine, Violoncello und Kontrabaß und unterstützender Live Elektronik. Stimmen, die aus dem Dunkel auftauchen, erschienen im Kontrast zum Klangphantasma, das Endlosigkeit verwirklichte. Endlosigkeit und gleichzeitige Zurücknahme zeichneten Langs Messe aus, die einen totalen Ausstieg aus dem Alltag ermöglichte.


Opera / Werke eine Stadtoper in sieben Akten von Peter Ablinger

Das Hören ist ein Urinstinkt des Menschen, ein zentrales Wahrnehmungsorgan, das durch die überbordenden Sinneseindrücke heute scheinbar nur noch Hörautomatismen entwickeln kann. In Peter Ablingers Stadtoper "Opera/Werke" kommt man mit dem Hören dem Inhalt der Oper näher: der Wahrnehmung der Stadt Graz in ihrer sinnlichen und damit auf den Menschen bezogenen Form. Eine singende Stadt wird zur zentralen Figur, die sich gleichzeitig aufsplittert in einzelne Fragmente und Versatzstücke, da Ablinger nicht zusammenfassen und erklären sondern den Blick erweitern und neue Ebenen aufzeigen will. Die sieben autonomen und doch konkret aufeinander bezogenen Elemente - der Gesang, das Orchester, das Libretto, die Handlung, die Kulisse, die Bestuhlung und das Publikum - beleuchten das Gesamtkunstwerk Oper mithilfe von Zitaten und inhaltlichen Referenzen, die dem Zuschauer einen neuen Zugang zur eigenen Wahrnehmung geben und die Oper als traditionelle Kunstform hinterfragen.

Dem Zuhörer kommt also auch hier eine zentrale Funktion zu, er darf die Stadtoper nach eigenen Vorlieben erkunden und zu einem individuellen Eindruck zusammensetzen. Jedes Element muss dabei eigens in der Stadt entdeckt werden, wie zum Beispiel die Bestuhlung in Form von 36 Stühlen, die jeden Tag an einer anderen Stelle in der Stadt aufgestellt wurden.

Oder die Kulisse in Form von zwei scheinbar absichtslos aufgestellten Wänden an zentralen Plätzen. Zum ersten Akt Der Gesang geht es ins ESC im labor, einem "akustischen Naturtheater" der singenden Stadt Graz. So darf man sich Naturgeräusche, Straßenlärm oder Cafégeplauder einmal isoliert aus der üblichen Umgebung per Kopfhörer zu Gemüte führen. Ebenso wie das dort aufzufindende Libretto von Yoko Tawada, eine "genmanipulierte, griechisch anmutende, pseudojapanische Mythologie, die in Graz spielt" kombiniert mit der wörtlichen Abbildung des akustischen Stadtkatalogs auch die Möglichkeit des Lesens zuhause bietet.

Der zweite Akt Das Orchester und siebte Akt Das Publikum spielen in der Helmut-List-Halle. Während im zweiten Akt das Orchester unter anderem die akustische Bestandsaufnahme der Stadt imitiert, reagieren Ablingers eigene Kompositionen im siebten und letzten Akt auf den auf zwei Leinwänden projizierten Film The Audience von Edgar Honetschläger und erzeugen selbst ein Zuviel an Informationen. Eindrucksvoll ist Die Handlung im Opernhaus, bestehend aus einer kurzen Choreografie für sechs Tonbänder mit Rauschem und einem plötzlichen Blick auf die Stadt.

Ob das Konzept von Ablinger als Zukunftsform denkbar wäre, kann nur schwer beantwortet werden. Als Konzept gegen die Dauerbeschallung durch die täglichen Musikeindrücke, hat es jedoch Sinn und kann durch qualitative Umsetzung überzeugen.

Almira-Rezension  6. Akt, Die Bestuhlung
  Foto: Elvira Klamminger

Almira-Rezension  1. Akt, Der Gesang
  Foto: Elvira Klamminger

Almira-Rezension  7. Akt, Das Publikum
  Foto: Elvira Klamminger

Almira-Rezension  4. Akt, Die Handlung
  Foto: Peter Manninger

Vergrößerung in neuem Fenster  Abschlusskonzert
 Beat Furrer leitet das Klangforum Wien
 Foto: steirischer herbst

29.10. Abschlusskonzert fin de partie

Hans-Peter Kyburz Parts. Für Kammermusikensemble (1995)
Giacinto Scelsi Anahit. Poème lyrique im Namen der Venus für Violine und Ensemble (1965)
Salvatore Sciarrino Archeologia del telefono. Concertante für 12 Spieler (2005)
Beat Furrer Nuun. Für zwei Klaviere und Orchester (1996)
Klangforum Wien, Dirigent: Beat Furrer

Am Ende erwartet jedermann ein Fest, einen Höhepunkt oder eine Sammlung des vorherigen. In den vier abschließenden Werken schien sich die ganze Komplexität des Festivals noch einmal zu wiederholen, auch wenn der Zusammenhang und die Auswahl nicht ganz klar wurde. Hans-Peter Kyburz Parts studierte einzelne Abschnitte von Hermann Brochs Tod des Vergil und erzielte komplexe musikalische Ausdrucksformen, deren Handlung im einzelnen nur schwer nachvollziehbar war. Das "schillernd-Irisierende der Aura der imaginierten Weiblichkeit" faszinierte dagegen Giacinto Scelsis in seinem poetischen Werk Anahit: einer Hommage im Namen der Venus. Im Dialog zwischen der Sologeigerin Gunde Jäch-Micko und dem Klangforum Wien wurde das irisierend-feine des Werkes intim beleuchtet. Keine Dramatik, aber dennoch ein dramatisches Phänomen hatte Salvatore Sciarrinos Archeologia del telefono zur Grundlage, nämlich das Telefonieren mit dem Handy. Unterhaltsam wurden das das ewige Geplapper und nervtötende Klingeltöne im Orchester zu einer Collage zusammengefügt. Im letzten Werk, dessen Komposition vom Dirigenten Beat Furrer stammt, diente ebenso ein Text als Grundlage für ein komplexes musikalisches Spektrum, das Klang- und Hörgrenzen auslotete und energievoll in den Abend entließ.



FAZIT

Neben seiner Komplexität an Veranstaltungsformen überzeugte der sterirische herbst vor allem durch hohes künstlerisches Niveau. Inhaltlich führt die hohe Komplexität jedoch häufig zu Exklusivität. Wo bleiben die propagierten Begriffe Offenheit und Zugänglichkeit bei einem Programmheft, das zum Teil hoch kompliziert geschrieben ist? Auch wenn das Festivalprogramm vorgibt politische sowie wirtschaftliche Fragestellungen zu beleuchten, wird durch die komplizierte Umsetzung einer Werke gerade die eingeschränkte Offenheit gelebt, die das Festival kritisiert. An Exklusivität kann keine Kritik geübt werden, jedoch an mangelnder Einsicht dazu. Das Festival steirischer herbst umfasst ein breites Programmspektrum und bleibt doch in den meisten Sparten exklusiv, was es zu einem einzigartigen aber nicht unangreifbaren Festival werden lässt.




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Da capo al Fine

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