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Die Tiefe des Raumes

Ein Fußballoratorium von Moritz Eggert (Musik) und Michael Klaus (Text)
Auftragswerk der RuhrTriennale
Offizieller Beitrag zum Kunst- und Kulturprogramm
der Bundesregierung zur FIFA WM 2006

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Uraufführung in der Jahrhunderthalle Bochum am 11. September 2005
(rezensierte Aufführung: 18.09.2005)

Logo: RUHRtriennale 2005

"Das größte Problem beim Fußball sind die Spieler. Wenn wir die abschaffen könnten, wäre alles gut."

Text von Stefan Schmöe / Fotos von Ursula Kaufmann

Wozu eigentlich braucht eine Fußball-Weltmeisterschaft ein begleitendes „Kunst- und Kulturprogramm“? Dem wahren Fußballfan, so ist zu vermuten, wäre brasilianische Spielkultur Kunst genug, da muss er nicht auch noch am Vormittag des Finales ins Theater gehen, um ein „Fußball-Oratorium“ zu hören. Quatsch' keine Opern, möchte man da den Verantwortlichen zurufen, allen voran André Heller, dem von der Bundesregierung benannten künstlerischen Leiter dieses Rahmenprogramms, wenn er über Die Tiefe des Raumes emphatisch verkündet: „Die strenge Form des Oratoriums trifft auf die populären Hymnen der Fußballstadien – diese Produktion könnte ein Muss für Kulturinteressierte und für Fußballfans werden und einmal mehr beweisen, dass das eine das andere nicht ausschließt.“

Die Produktion, die im Rahmen der Ruhrtriennale uraufgeführt worden ist und in Berlin am Endspieltag gleich zweimal zu sehen sein wird, ist kein „Muss“, weder für Kulturinteressierte noch für Fußballfans. Sie wird auch nicht Kulturinteressierte und Fußballfans, so diese Trennung überhaupt besteht, verbinden, so viel sei vorweg genommen. Im Fußball-verrückten Ruhrgebiet hat eine als „Fußball-Oratorium“ angekündigte Veranstaltung natürlich einen gewissen Charme, und deshalb passt sie zur Ruhrtriennale, die sich ohnehin gerne mit ungewöhnlichen Projekten ziert. Mit Michael Klaus, der den Text verfasst hat, ist ein Fußball-versierter Dichter beteiligt, schließlich hat Klaus dem FC Schalke 04 bereits ein veritables Musical-Libretto zum Vereinsjubiläum getextet (unsere Rezension). Gemeinsam mit dem Komponisten Moritz Eggert hatte er einerseits ein unterhaltsames Werk zu schaffen (denn ein ausreichendes Maß an Unterhaltung darf man von einem solchen Projekt wohl erwarten), andererseits dem Kulturanspruch zu genügen.


Szenenfoto Utopischer Moment: Im Konzertsaal findet die Vereinigung der Fans vom VfL, Schalke, MSV, Borussia undsoweiter statt.

Unterhaltsam ist Die Tiefe des Raumes durchaus. Dabei bezieht das Werk seinen Witz aus dem Missverhältnis zwischen der altehrwürdigen Form des Oratoriums und der vermeintlichen Banalität des Fußballs und seiner Anhänger mit oratorien-untypisch derber Sprache. Somit ist der Blickwinkel festgelegt: Der festlich gekleidete bildungsbürgerliche Konzertbesucher, der sich nicht zuletzt seines profunden Vorwissens wegen über die ironisch der Oratoriums-Tradition entnommenen Rollen „Die Tugend“ und „Das Laster“ freut, amüsiert sich über den unangemessen gekleideten Chor (mit Fan-Schals ausgestattet), über in Töne gesetzte zotige Sprüche („Nichts ist scheißer als Platz zwei“ - das Zitat soll derzeit für Alemannia Aachen stürmenden Erik Meijer stammen) oder über einen Fangesänge grölenden Chor (wobei der Chor der RuhrTriennale überhaupt nicht richtig grölen kann – „klingt voll Scheiße, gar nicht nach Fanatmosphäre“ befand in der Pause eine junge Dame, die auf Schalke oder im Westfalenstadion offenbar enthemmtere Interpretationen gewohnt ist). Klaus kann virtuos mit den verschiedenen Sprachebenen umgehen, und von hochintellektuellen Anspielungen zwischen der Matthäus-Passion und Rilke bis zur Plattitüde findet man so ziemlich alles im Text wieder - Klaus ist so etwas wie der Harald Schmidt des Oratoriums. Dazu werden lustvoll Fußballklischees breitgetreten. Kurz: Die Tiefe des Raumes ist kein Bindeglied zwischen Fußball und Konzertsaal, sondern die Vereinnahmung des Fußballs durch das "klassische" Konzertpublikum.

Damit der Abend aber mehr als „nur“ unterhaltsam wird, überhöht Klaus das Fußballspiel als kleines großes Welttheater: „Oh Spiel, Abbild der Wahrheit“ singen Solisten und Chor in der Schlussapotheose, und das ist, im Ganzen gesehen, weniger ironisch zu verstehen als es an dieser einen Stelle klingt. In zwei „Halbzeiten“ unterteilt erzählt Klaus die Geschichte eines Spiels nach (oder eigentlich nur einer Halbzeit, denn die zweite Hälfte wendet sich ins Transzendentale). Er lässt Spieler zu Helden werden und wieder abstürzen, zaubert Wunder herbei (ein Tor), zeigt die Hybris des Elfmeterschützen, der scheitert, sucht absolute Schönheit und die Banalität des Spiels – eben alles, was man als Theaterbesucher so sehen und hören mag. Tiefere Bedeutung will sich aber, allem Bemühen zum Trotz, nicht einstellen.


Szenenfoto

Fußball ist eben doch Männersache: Neben Dirigent Steven Sloane (links) haben Altstar (Peter Lohmeyer), Reporter (Christoph Bantzer) und Trainer (Joachim Kròl) das Sagen

Die Musik dazu ist ein buntes Stilgemisch, das den deutschen Nachkriegsschlager ebenso zitiert wie Barockmusik, aber im Kern eine sehr gemäßigt moderne Musiksprache anschlägt, die sich collagenhaft einer anbiedernden Eingänglichkeit widersetzt, aber raffiniert klingen möchte: Mahler reloaded könnte man dazu sagen. An Mahler erinnern auch die entrückten Sopransoli, die sich wie in den frühen Symphonien des Altmeisters über dem Riesenorchester emporschwingen. Von Bernd Alois Zimmermann hat Eggert gelernt, Geräuschfetzen vom Band einzuspielen (die aber im Libretto meist ungleich pompöser angekündigt werden als sie dann tatsächlich klingen). Das ist jederzeit gut anzuhören und abwechslungsreich genug, um auch den einen oder anderen VfL-Anhänger, der mehr zufällig den vom Ruhrstadion in die Jahrhunderthalle gefunden hat, nicht zu langweilen und gleichzeitig den Triennale-Stammgast zufrieden zu stellen – damit hat Eggert die ihm gestellte Aufgabe souverän gelöst. Mitunter klingt im erhabenen und nur halbherzig ironischen Tonfall der Musik der Anspruch mit, hier ein Jahrhundertwerk erschaffen zu haben - damit aber nimmt sich Die Tiefe des Raumes selbst zu ernst.

Der Erfolg des Abends ist natürlich auch der attraktiven Besetzung zu danken. Mit Peter Lohmeyer (Alt-Internationaler mit Bierkasten und Zügen von Uwe Seeler), Christoph Bantzer (Rundfunkreporter mit dem Erfahrungsschatz von mindestens hundert Fußballjahren) und Joachim Król (zwischen Zynismus und Schicksalsergebenheit schwankender Trainer) sind drei erstklassige Schauspieler für die Sprechrollen aufgestellt. Der phänomenal höhensicheren Claudia Barainsky als Tugend und der zupackend dem Laster ihre Stimme leihenden Ursula Hesse von der Steinen sind mit dem beweglichen und agilen Tenor von Corby Welch als Nachwuchsspieler und dem nüchternen, aber präsenten Bariton von Thomas E. Bauer als Journalist zwei weltliche Partner an die Seite gestellt. Dem Chor der RuhrTriennale vorzuwerfen, er hätte übler schreien sollen, ist müßig; das klangschöne und sehr sauber singende Ensemble bewältigt die denkbar unterschiedlichen Anforderungen nicht nur vokal hervorragend, sondern auch noch ausgesprochen komödiantisch. Dass man trotz sehr deutlicher Aussprache manchmal zu wenig versteht, wenn etliche Klangschichten übereinander liegen, hat in der Komposition und im Textbuch seine Ursache. Die Bochumer Symphoniker, ohnehin an unorthodoxe Programme gewohnt, spielen souverän alle Stilrichtungen mit; Steven Sloane ist ein umsichtiger Leiter und stets Herr des Geschehens.


FAZIT
"Vergesst das Bolzen nicht": Oratorium mit gehobenem Unterhaltungswert. Weitergehende programmatische Erwartungen, sollten sie je ernstlich gehegt worden sein, werden nicht erfüllt.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Steven Sloane

Choreinstudierung
Walter Zeh


Chor der RuhrTriennale

Bochumer Symphoniker


Solisten

Die Tugend (Sopran)
Claudia Barainsky

Das Laster (Mezzo-Sopran)
Ursula Hesse von der Weiden

Spieler (Tenor)
Corby Welch

Journalist (Bariton)
Thomas E. Bauer

Alt-Internationaler (Sprechrolle)
Peter Lohmeyer

Reporter (Sprechrolle)
Christoph Bantzer

Trainer (Sprechrolle)
Joachim Kròl

Programmheft
Programmheft
(Gestaltung: Karl-Ernst Herrmann)



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