Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Homepage Festspiele-Hauptseite E-Mail Impressum



Bayreuther Festspiele 2005

Trsitan und Isolde


Premiere am 25. Juli 2005
Rezensierte Aufführung: 31. Juli 2005



Drei Variationen über die Unmöglichkeit von Liebe

Von Stefan Schmöe / Fotos: © Bayreuther Festspiele GmbH


Es ist ein Prozess des Verlöschens und des Versinkens, den man durchlebt. Ringförmige Neonröhren, die im ersten Aufzug noch so etwas wie Sternenhimmel suggerieren, geben im zweiten nur noch eine gelegentlich flackernde Deckenbeleuchtung ab und hängen im dritten Aufzug ausgemustert an schäbigen Haken der trostlosen Betonwände. Die Bühne ist derweil abgesunken. Zunächst ist so etwas wie ein verlassener und vor sich hin gammelnder Salon eines Luxusdampfers dargestellt, dann, offenbar ein Stockwerk tiefer, eine trostlose Wartehalle; zuletzt sinkt der Bühnenboden auf Kellerniveau, dort, wo man die Pathologie vermutet. Tristans Bettstatt, elektronisch verstellbar und vermutlich von der Pflegeversicherung finanziert, ist wohl bereits der Seziertisch.

Christoph Marthalers Neuinszenierung in der Ausstattung von Anna Viebrock liefert einen desillusionierenden Gegenentwurf zur überschäumenden, nach den Sternen greifenden Musik. Das wird am deutlichsten im zweiten Aufzug: Er (wie schon im ersten Aufzug) korrekt im Anzug mit Krawatte, deren Sitz er hin und wieder kontrolliert, sie mit gelbem Kostüm im Doris-Day-Look, beide mehr Puppen als lebende Menschen. Als Höhepunkt des Liebeszaubers zieht er ihr die Handschuhe aus. (Später wird sie die Jacke ihres Kostüms aufknöpfen, sich aber nur der Wand zuwenden – niederschmetternder kann man kaum zeigen, dass eine Vereinigung hier nicht stattfindet). Während die Musik die Nacht der Liebe herbeizaubert, sagt die Inszenierung: Stimmt nicht! Alles falsch! Glaubt nichts!

Trotzdem ist es keineswegs eine Inszenierung gegen das Werk oder gegen die Musik. Vielmehr zeigen Marthaler und Viehbrock die Diskrepanz zwischen der illusionären Liebe und ihrer Alltags- und Gesellschaftsuntauglichkeit, ja ihrem menschenvernichtenden Anspruch, die bestenfalls im Tod ihrer Protagonisten ihre Erfüllung findet (den Liebestod allerdings verweigert Marthaler: Isolde zieht sich am Ende die Bettdecke über den Kopf, aber die ersehnte Vereinigung im Sterben bleibt Ilusion). Isolde als Gattin Tristans im Rahmen gesellschaftlicher Konventionen, etwa beim verkaterten Frühstück, ist in Wagners Dramaturgie schlichtweg nicht denkbar, und das zeigt die Regie mit kalter Schärfe. Marthaler erdet die Komposition, verankert sie am Boden der trostlosen Realität - und gibt ihr dadurch den Raum, sich über alles zu erheben und ihre eigene Gegenwelt zu schaffen. Den utopischen Gehalt überlässt er vollständig der Musik. Diese Selbstbeschränkung darf nicht als Einschränkung verstanden werden, auch (oder gerade weil) sie den Sehgewohnheiten widerspricht. Drastischstes Beispiel: Nach Einnahme des Tranks fallen sich Tristan und Isolde mitnichten in die Arme, vielmehr setzen sie sich weit voneinander entfernt hin und erwarten, jeder für sich, den Tod. Marthaler verdoppelt an dieser Stelle nichts durch taumelnde Figuren, Lichtwechsel etc. wie sonst gern gemacht, sondern überlässt es der Musik (und der Phantasie des Betrachters und Hörers), zu deuten, was in diesem Moment geschieht. Es gehört zu den Vorzügen der Inszenierung, nicht alles restlos erklären zu wollen, sondern das Unfassbare dieses Werks als solches hervorzuheben - und auf Wagners Komposition zu vertrauen.

Was Marthaler braucht, ist ein Dirigent, der den nicht-inszenierbaren Teil musikalisch erstehen lässt - aber Bayreuth-Debutant Eiji Oue wird diesem Anspruch nicht annähernd gerecht. Insbesondere im zweiten Akt hört man ein diffuses, mulmiges Klanggemisch, aus dem hin und wieder einzelne Instrumente unmotiviert herausplatzen. So wenig erkennbaren Willen zur Interpretation, so viele Zufälligkeiten wie hier dürften in diesem hohen Haus selten erklungen sein. Und so kaugummi-artig zerdehnt, ryhthmisch wie intonationsmäßig im Ungefähren belassen hört man Brangänes „Habet Acht“-Rufe (gesungen von der ansonsten mit jugendlich-dramatischem Impetus überzeugenden Petra Lang) auch an Stadttheatern ganz selten. Da wird die Nacht der Liebe zum musikalischen Desaster.

Der erste Aufzug wird noch durch die leuchtende, dabei leicht abgedunkelte Isolde von Nina Stemme getragen. In den hochdramatischen Passagen fehlen sicher noch ein paar Schärfen, um auch einmal richtig wüten zu können, und das Vibrato ist mitunter etwas eintönig, wodurch es an Differenzierung fehlt. Sie gibt die Isolde zunächst leicht unterkühlt mit dem Charme einer reisenden Linguistik-Dozentin, die jedes Wort ironisch abwägt. Hier entwickelt Marthaler ein Kammerspiel, das den Text beim Wort nimmt. In den folgenden Aufzügen ist die Isolde verwandelt, erscheint jeweils als anderer Frauentyp: Im zweiten als puppenhaftes 60er-Jahre-Wesen, im dritten als desillusionierten Frau unserer Tage im Alltagslook. Kostüm und Frisur betonen die Brüche, und so kann man die drei Aufzüge auch als drei Variationen über die Unmöglichkeit von Liebe verstehen – oder auch als Zeitreise von der Titanic-Stimmung des ersten Aufzugs über die 60er bis in die Gegenwart. Aber gerade am Zeitbegriff beißen sich Marthaler und Viebrock die Zähne aus. Marthaler, der oft genial zeitliche Abläufe durch seine Personenregie beschleunigt oder gedehnt hat, kann hier kaum eigene Impulse setzen, die sich gegen die von Wagner vorgegebene Musikdramaturgie behaupten könnten, und muss vor den langen Erzählungen kapitulieren. Der dritte Aufzug wirkt dadurch über weite Strecken ausgesprochen konventionell, weil kaum etwas von einer Personenregie, die über das übliche Bewegungsrepertoire eines Tristan-Darstellers hinausginge, zu sehen ist. An anderen Stelle sieht manches so „typisch Marthaler“ aus, dass es fast schon wie ein Selbstzitat wirkt (etwa wenn Kurwenal frontal gegen die nächstbeste Wand läuft).

Marthaler inszeniert unter dem Blickwinkel der Isolde. Tristan bleibt zwei Akte lang ohne individuelle Züge, darf höchstens einmal an seinem Krawattenknoten nesteln, nicht viel mehr als eine Projektionsfläche für Isoldes Hassliebe. Robert Dean Smith hält zwar wacker durch, aber neben der warmen und tragfähigen Stimme von Nina Stemme wirkt sein leicht baritonaler, kräftiger Tenor schnell eng. Durch das oft zu laute Orchester wird er schnell zum Forcieren gezwungen. Unabhängig davon verschmilzt seine Stimme nicht mit der weitaus mehr raumfüllenden von Nina Stemme, sondern wirkt im Duett, wenn beide singen, wie ausgeblendet. So könnte man aus dem Werktitel das „Tristan“, in jedem Fall aber das „und“ getrost streichen, denn es geht hier um Isolde, und hier hat Marthaler seine besten Einfälle. Wie Brangäne ihr im ersten Aufzug das Brautkleid wie ein Leichentuch überlegt, wie sie im zweiten Isolde daran hindern will, die Deckenbeleuchtung auszuschalten (und doch Isoldes ganze Sehnsucht in dieser banalen Aktion konzentriert wird), das gehört zu den großen Theatermomenten, die es in dieser Produktion dann auch gibt.

Mehr der Vollständigkeit halber seien die von der Regie kaum benötigten weiteren Rollen genannt: Kwangchoul Youn singt einen durchsetzungsfähigen, sorgsam abgestuften Marke – eigentlich tadellos, aber der Sänger (kostümiert wie ein hoher Funktionär in einer marxistischen Diktatur) steht merkwürdig distanziert neben seiner Rolle. Andreas Schmidt schlurft im Rock als uralter Kurwenal wie ein degeneriertes Zootier um Tristans Bett herum; dabei singt er teils sonor und routiniert, aber stellenweise auch unerklärlich überfordert. Mit Alexander Marco-Buhrmester als stimmgewaltigem und forschem Melot ist die Rolle fast überbesetzt; Clemens Bieber als Seemann, Arnold Bezuyen als Hirt und Martin Snell als Steuermann singen solide, ohne deshalb gleich Festspielglanz zu versprühen. Die wenigen Chorstellen platzen aus dem Bühnenhintergrund scharf in den Klang hinein und wirken wie abrupte Schnitte, was zwar nicht eben schön, aber dramaturgisch noch plausibel ist. Nicht nur hier fehlt diesem Tristan die musikalisch ordnende Hand.


FAZIT

Nicht eine der besten Arbeiten Marthalers, aber immerhin eine, die manche produktive Frage aufwirft – nur müsste die Musik eine Antwort darauf wissen (oder weiter fragen). Eiji Oues hilfloses Dirigat ist dem nicht annähernd gewachsen, und so scheitert die Produktion trotz der überzeugenden Isolde von Nina Stemme an der arg enttäuschenden musikalischen Umsetzung.

Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2005


Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Bayreuther Festspiele 2005 / Übersicht


Produktionsteam

Musikalische Leitung
Eiji Oue

Inszenierung
Christoph Marthaler

Bühnenbild und Kostüme
Anna Viebrock

Dramaturgie
Malte Ubenauf

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich

Statisterie, Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Tristan
Robert Dean Smith

Isolde
Nina Stemme

König Marke
Kwangchul Youn

Kurwenal
Andreas Schmidt

Melot
Alexander Marco-Buhrmester

Brangäne
Petra Lang

Junger Seemann
Clemens Bieber

Ein Hirt
Arnold Bezuyen

Ein Steuermann
Martin Snell


Homepage der
Bayreuther Festspiele





Da capo al Fine

Homepage Festspiele-Hauptseite E-Mail Impressum

© 2005 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: festspiele@omm.de

- Fine -