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Irgendwie war der Wurm drin


Die 27. Perspectives kämpfen mit organisatorischen und programmatischen Problemen


Bericht von den Saarbrücker Veranstaltungen des deutsch-französischen Festivals vom 25. Mai bis zum 5. Juni 2004


Von Angela Mense, Sebastian Hanusa und Marc-André Schmachtel

Nachfolger erfolgreicher Führungspersönlichkeiten haben es immer schwer. Und Michèle Paradon, künstlerische Leiterin der Metzer Bühne Arsenal, trat mit ihrem Posten als neue Chefin der Perspectives, deutsch-farnzösisches "Festival der Bühnenkunst", ein besonders schweres Erbe an. Das im Saarland und dem ost-lothringischen Département Moselle stattfindende Festival ist seit seiner Gründung vor nunmehr 27 Jahren den Fährnissen der Kulturpolitik grenzüberschreitend und somit doppelt ausgesetzt. Oftmals war es in seiner Existenz bedroht und hat bereits zahlreiche inhaltliche Neuorientierungen erfahren.
Auch Paradon setzte neue Akzente, um das zuletzt äußerst erfolgreiche und dennoch finanziell bedrohte Festival weiterzuführen. Allein der Neuanfang ging mit einem Rückgang der Publikumsresonanz einher. Zu knappe Kassen aber auch unglückliche Entscheidungen mögen die Gründe sein: So bestach das Werbematerial durch gelungenes Design und geringen Informationswert - auch nach intensiver Recherche erfuhr man eher wenig über Stücke und Interpreten. Die Eintrittspreise waren nicht unwesentlich erhöht worden. Ein Großteil der Veranstaltungen fand auf dem Gelände der Burbacher Hütte statt, eine Industriebrache vor der Stadt mit wenig attraktivem Umfeld, deren morbider Charme durch einen neu errichteten, gigantischen Baumarkt direkt neben dem E-Werk gründlichst tot-sterilisert worden ist. Zusätzlich gedrückt war die Stimmung, als während des Festivals bekannt wurde, dass die Forbacher Scène nationale "Le Carreau" - zugleich auch Festival-Partner und Spielort - nach Kürzung der städtischen Zuschüsse in ihrer Existenz bedroht sei. Das Chanson-Konzert Marie / Marianne, eine Festivalproduktion des "Carreau" und Hommage an die Sängerinnen Marie Dubas und Marianne Oswald auf einem Schiff beim lothringischen Saargemünd, wurde abgesagt. Was besonders schmerzte, da es das einzige Chanson-Konzert im Programm war.

Denn musikalisch hatte sich Paradon gegen den Chanson entschieden. In den vergangenen Jahren zählte der Festival-Club mit Live-Acts aus dem Bereich des jungen, teilweise experimentellen französischen Chansons und attraktiven Orten wie dem ehemaligen Stadtbad St. Johann zu den Festival-Höhepunkten. Statt dessen präsentierten über die knappen zwei Wochen die verschiedenen Künstler des Metzer Collectif Scratch unterschiedliche Spielarten der Club-Elektronik in einer Late-Loungeim E-Werk. Die Selbstdarstellung der Gruppe aus Musikern, Videokünstlern und Textern gab Anlass zum Schmunzeln, wenn im Programmheft die beschauliche Heimatstadt mit ihrer malerischen Altstadt und ihren knapp 130.000 Einwohnern als "fröstelnde Mega-Stadt" bezeichnet wird - eine Heiterkeit, die alsbald gähnender Langeweile wich. Das elektronische Klischee bestimmte das Dargebotene: Kaum ein Klang, der aufhorchen ließ, statt zündender Beats leer laufende Drum-Computer und eine strukturelle Einfallslosigkeit, die das musikalische Interesse schnell erlahmen ließ. Zudem lud die Halle des E-Werks mit nacktem Beton-Boden, Biertischen und neonbeleuchtetem Bierstand in keiner Weise zum Verweilen ein - weit davon entfernt, dass Clubkultur Klangkunst dann trifft, wenn Performantives mit einer gelungenen Raum-Installation zusammenspielt.


Schwere Kost boten die vier Saarbrücker Tanztheater-Vorstellungen des Festivals. Eine gemeinsame Bilanz? Vielleicht die, dass es eine Bewegung weg vom Tanztheater in Richtung multimediale Performance gibt. Weniger interaktiv zwar als in den Vorjahren, dafür politischer und zugleich persönlicher. Ein Widerspruch? Vielleicht nur für den, der sich nicht vom allgemein vorherrschenden Gefühl anstecken lässt, dass das persönliche Schicksal immer mehr von "denen da oben" abhängt. Die Krise der Gesellschaft zieht eine Krise des Egos nach sich. Vielleicht ist das nirgends so sehr deutlich geworden wie bei Les Sublimes von Guy Alloucherie und La Mort et le jeune Homme von und mit Rachid Ouramdane.

Am radikalsten war Les Sublimes, auf deutsch Die Erhabenen. Elf Tänzer und Zirkuskünstler aus Frankreich und Kanada agieren auf einer mit Sand ausgestreuten Bühne. Aber es ist weniger der weiche Sand einer Zirkusarena als schwere Erde, die eine Tänzerin zu Beginn durchpflügen muss, um in ihrem leichten Kleid Pirouetten drehen zu können. Ein nostalgischer Rückblick auf bessere Zeiten?
Denn nichts wird mehr leicht sein, was in den nächsten 80 Minuten in der Arena passiert. Harte und anspruchsvolle Arbeit ist dieses Stück für alle Beteiligten. Auf mehreren Ebenen – Videodokumentation, Tanz bzw. Akrobatik und gesprochener Text – wird mehrschichtig erzählt: das Leben in der ehemals florierenden Industriebrache im Nordwesten Frankreichs, Kosovokonflikt und Irakkrieg, kommunistische Gewerkschafter in Dachau. Auf dem graubraunen Vorhang im Bühnenhintergrund kann man Interviews mit arbeitslosen und alleinerziehenden Frauen verfolgen. Eine erzählt von ihrer Entlassung bei Levi’s nach 25 Jahren Berufsleben. Dazu geben historische Radioaufnahmen philosophische Diskussionen über Marx und Beckett wieder.
Krasse Bilder werden dazu geboten. Ein ständiger Wechsel zwischen italienischem Chanson, Hartrock und geistlichen Knabenchorgesängen gibt eine geschickte und nur zeitweise erlahmende Dramaturgie zwischen poetischen Momenten, Gewalt und an Blasphemie grenzender Symbolik vor, die an die Performance-Orgien des österreichischen Künstlers Hermann Nitsch erinnert. Auf der Bühne machen die Akrobaten bis zum Umfallen spektakuläre Hebefiguren. Ein Mann taucht den Kopf einer Frau mehrmals in rotgefärbtes Wasser, im Hintergrund wird eine zweite über den Boden geschleift und durch die Luft geschleudert, eine dritte wird soeben begraben. Ein nackter Mann hängt sich als Christusverschnitt an eine Leiter, später wird er wie Frischfleisch aus dem Supermarkt in Zellophanpapier eingepackt. Aus dem langen Kleid der Frau am Trapez schlüpft eine zweite Frau, die erste schreit in Geburtswehen.
Die sich überstürzenden Tableaux menschlichen Leids verfehlen ihre Schockwirkung nicht. Doch die direkte, aber immer noch künstlerisch überhöhte Ebene des Bühnengeschehens wird einige Male jäh unterbrochen: durch den Einsatz des Regisseurs. Dieser präsentiert sich mit Wollmütze als Gettokind aus dem Kohlerevier und erzählt dem Publikum – ob es will oder nicht – seine Lebensgeschichte. Diese ist in eben jenem Nordwesten Frankreichs situiert, aus dem die Videodokumentationen berichten, womit sich inhaltlich ein Kreis schließt. Der Illusionsbruch ist jedoch unverzeihlich. Durchbricht er doch den Spannungsbogen einer insgesamt mitreißenden Darbietung. Denn so niedlich der französische Akzent Guy Alloucheries klingt und so verschmitzt er das Publikum angrinst und einlädt, über die Ironie des erbärmlichen Arbeiterleben-Schicksals zu schmunzeln, so sehr mutet seine Intervention wie eine selbstgefällige Kabarettnummer an. Über diesen Clown kann man leider nicht lachen.

Weit subtiler war der Auftritt Rachid Ouramdanes in La Mort et le Jeune Homme. Sein weiß geschminktes Gesicht war weniger Clown als Totenmaske. Der junge Tänzer und Choreograph hat sein Stück in Anlehnung an Le Jeune Homme et la Mort (1946) des französischen Starchoreographen Roland Petit konzipiert. Doch ist von der poetischen und melodramatischen Geschichte des jungen Mannes, der sich wegen einer unglücklichen Liebe in seiner Mansarde aufhängt und als tote Seele über die Dächer von Paris entflieht, nicht mehr viel übrig. Im Mittelpunkt steht kein individuelles Schicksal mehr, sondern – deswegen wohl die Titeländerung – der Tod von jungen Männern in unserer Zeit. Und dies in der Anonymität, wie er uns in den alltäglichen Nachrichten begegnet.
Ouramdanes Arbeitskonzept ist an den neuen Medien orientiert. Er habe den Titel des Stücks im Internet eingegeben, heißt es auf dem Programmzettel. Aus den Suchergebnissen – Selbstmord aus Liebeskummer, freiwilliges In-den-Krieg-Ziehen, Todesstrafe für Minderjährige, Selbstmordattentate, Sterbehilfe – ist eine reichlich verschlüsselte Collage entstanden. Ouramdane selbst agiert stellvertretend für seinesgleichen als "junger Mann" vor und auf drei Bildschirmen. Diese sind mit durchsichtigen Schläuchen miteinander verbunden, durch die mal rot-, mal grüngefärbtes Wasser fließt – eine Art Boxring, in dem das erlöschende Leben pulsiert.
Allerdings ist Ouramdanes Auftritt weniger ein Ringen um dieses Leben, sondern vielmehr das melancholische und durchaus bewusste Ergeben in ein Schicksal. Bachs getragene Passacaglia – das wenige, was auf Roland Petit verweist – gibt den Ton an für eine sehr zeremoniell geratene Nummernrevue aus verschiedenen Totentänzen. Viel Zeit wird auf den Akt der Verkleidung verwandt. Todesmeldungen aus dem Radio begleiten das Abwischen der Gesichtsfarbe, das Anlegen von Verbänden um Handgelenke und Kopf, das Anziehen von Lederkleidung.
Rituell getragen auch die Totentanznummern. Als verunglückter Motorradfahrer tanzt Ouramdane in Zeitlupentempo mit seiner Geliebten, eine Drei-Viertel-Schaufensterpuppe, deren Glieder er geschickt mit den Füßen bewegt. Dazu Tanzmusik aus den 60er Jahren. Als Selbstmordattentäter führt er zu arabischer Volksmusik einen traditionellen Tanz auf. Ein offensichtlich westlicher Jugendlicher tobt sich wie elektrisiert zu Hartrock den Frust vom Leib – der einzige Energieausbruch, den Ouramdane sich leistet.
Vielleicht war das der Grund dafür, dass das Stück einige Längen aufwies. Eine interessante Performance-Idee ist es wohl und ein geglückter Drahtseilakt, eine symbolische Gedenkfeier auf alle jung verstorbenen Männer der Welt abzuhalten, ohne in Okkultismus oder Blasphemie abzudriften. Doch zu sehr ist die Dramaturgie vom Zufallsgenerator einer Google-Suchmaschine inspiriert, als dass sie 50 Minuten lang fesseln könnte.

Das gelang ohne Einschränkung der Choreographie Chantier Musil (Baustelle Musil) von François Verret. Es war die wohl rundeste und reifste Tanzveranstaltung, die in Saarbrücken während des Festivals zu erleben war. Verret ließ sich von Robert Musils Romanfragment Der Mann ohne Eigenschaften (1930/1952) inspirieren, das als eines der ersten Zeugnisse der Krise des Erzählens gilt. Der Protagonist Ulrich muss feststellen, dass er zu den sich überstürzenden Ereignissen in der Welt keine Beziehung mehr herstellen kann. Es ist nicht mehr möglich, der Welt episch zu begegnen und sie erzählerisch zu ordnen.
Die für den modernen Menschen daraus entstehende Verwirrung setzt Verret szenisch um. Seine Figuren – zwei Tänzer, eine Tänzerin – plaziert er auf einer multimedialen Baustelle. Ein Gerüst erhebt sich über einer freien Mitte und leitet den Blick auf eine Leinwand im Hintergrund. Am Bühnenrand agieren ein Zeichner, ein Schlagzeuger, ein Videotechniker, ein Tonmeister, ein Beleuchter, ein Erzähler – François Verret selbst zitiert aus Musils Roman. Sie alle konstruieren eine kafkaeske Welt aus gesprochenem Wort, Klang, Bildern, Licht und Schatten, der die drei Tänzer in dunklen Anzügen wie Marionetten ausgeliefert sind. Sie erkämpfen sich einen Rest an Individualität, indem sie sich dieser Welt stellen und sie zugleich hinterfragen.
In einem aggressiven Entrée aus Schlagzeug, düsteren elektronischen Klängen und dem Röcheln des Erzählers wird die Spannung, unter der der Mensch steht, ins Unerträgliche gesteigert. Die Tänzer toben unruhig auf ihrem Gerüst. Plötzliche Stille lässt sie zur Ruhe kommen. Es bleibt das mit einem Kontaktmikro aufgezeichnete Kratzen des Bleistifts, mit dem der Zeichner (exzellent: Vincent Fortemps) schwarz-weiße Visionen live auf die Leinwand bringt. In einer geschickten Montage tauscht Fortemps die transparenten Bilder aus, legt sie auf dem Overheadprojektor übereinander und konfrontiert die Zuschauer mit dem "Film", der in Ulrichs Kopf abläuft.
Die Tänzer erkunden indes die Ruinen der modernen Welt, robben sich mit scheinbar unkontrollierten, stürmischen Bewegungen über den Boden, hangeln sich akrobatisch am Gerüst entlang, lassen den Blick unermüdlich schweifen, als suchten sie die Grenzen ihres Auffassungsvermögens. Kommunikation scheint nicht möglich - oder zumindest schwierig. Vor dem Hintergrund einer Jahrmarktsmusik findet sich ein Paar, für einen kurzen Moment flackert die Utopie eines dörflich-harmonischen Ambientes auf. In einer anderen Szene sucht die Frau den Kontakt zu einem Gegenüber, dieses vergewaltigt sie schließlich. Faszinierend, wenn auch schockierend ist diese Szene nicht zuletzt, weil der Tänzerin (Irma Omerzo) ein Pas de Deux mit einer Puppe gelingt und, obwohl sie allein diejenige ist, die agiert, die Aggression des leblosen Gegenübers glaubhaft machen kann. Eine rundum überzeugende Veranstaltung.

Eszter Salomons Choreographie Reproduction reflektiert Geschlechterrollen und die Grenzüberschreitung zwischen weiblichem und männlichem Habitus. Laut Programmheft ein Stück mit neun Frauen, erscheinen zunächst acht Männer auf der Bühne, nehmen bestimmte Positionen ein und erstarren. Rockmusik erklingt und die Männer fangen an, sich zu bewegen, zu winden, hin und her zu kriechen. Als die Musik aufhört bilden sich vier Paare heraus, imitieren sexuelle Akte und außer einem zeitweise sehr intensiven Summen der Darsteller gibt es keine Geräusche. Plötzlich erklingt Vogelgezwitscher und nach und nach verlassen die Darsteller die Bühne.
Erneut erklingt Rockmusik, diesmal treten neun Frauen auf - sind es die neun angekündigten Frauen? Zumindest erscheinen sie wie als Frauen verkleidete Männer. Das gleiche Szenario wie vorher beginnt wieder, ein wildes Treiben orgiastischen Charakters. Wieder ertönt Vogelgezwitscher und langsam entwinden sich die Personen. Doch waren das nun Männer oder Frauen?
Die von Eszter Salamon konzipierte Arbeit verblüffte eigentlich nur durch das fast genial in Szene gesetzte Verwechslungsspiel zwischen den Geschlechtern; so waren die zunächst als Männer wahrgenommenen Frauen dermaßen perfekt in ihrer "Männergestik" und ihrem "Männergehabe", dass in der zweiten Hälfte fast zwangsläufig der Eindruck entstand, es müsse sich um als Frauen verkleidete Männer handeln. Eine Choreographie, die mit sexuellen Mehrdeutigkeiten spielt und mit der Creation androgyner Figuren zu faszinieren weiß.


Neben dem zeitgenössischen Tanz ist auch der Zirkus seit Jahren eine feste Größe im Festival-Programm. Wird er doch bei den französischen Nachbarn viel stärker als Kunstform wahrgenommen und hat auch gerade in der Tradition des Cirque du soleil eine Ausprägung erfahren, die viel poetischer und weniger spektakulär ist, als im deutschsprachigen Raum.
So beginnt die Vorstellung Le vertige du papillon der Compagnie Feria Musica mit leisen Tönen. Die Bühne ist dunkel, langsam schreiten die Akteure auf ihre Posten, die Musik fängt leise an zu spielen – zunächst ein Didgeridoo, später kommen ein Saxophon, eine Querflöte und andere Blasinstrumente zum Einsatz, dann Kontrabass, Percussions und Keyboard.
Plötzlich erscheinen weiße Bälle, sie werden von der einen Seite der Bühne zur anderen hingerollt. Ein Tänzer steht auf, ein weißer Ball ist in seiner Hand und er beginnt, wie von Magie in der Luft zu schweben, die Hände des Tänzers umkreisen ihn, ohne ihn zu berühren.
Doch dann sieht man die Artisten auf das Gerüst steigen, eine Schaukel aus langen Tüchern senkt sich herunter und es beginnt eine atemberaubende Darbietung von Seilakrobatik. Vor lauter herumwirbelnden Armen und Beinen merkt der Zuschauer gar nicht, dass auch schon wieder andere Aktivitäten vorbereitet werden; zwei Pantomime-Künstler bewegen sich gestenreich über die Bühne und spielen mit ihren Körpern.
Immer schneller werden die Wechsel zwischen den einzelnen Nummern, sie interagieren mit traumwandlerischer Sicherheit und es ist eine richtige Freude, zuzuschauen, auch wenn das Adrenalin zwischenzeitlich recht stark ansteigt...
Durch eine geschickte Kombination von Bühne und Trampolin (ein Teil der Bühne wurde zur Seite geschoben, es kam dort dann ein Trampolin zum Vorschein) sind den Möglichkeiten der Artisten kaum Grenzen gesetzt, scheinbar schwerelos fliegen sie von dem Gerüst und den angrenzenden Stangen auf die Bühne und wieder zurück. Den weiteren Zweck als Absicherung bei den Trapezstücken erfährt das Publikum bei einer halsbrecherischen Vorstellung, als plötzlich einer der Artisten von den Trapezen herunter fällt, sich aber dank des Trampolins nichts schlimmes zugezogen hat.
Immer wieder tauchen die weißen Bälle auf, sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Vorstellung, fliegen durch die Luft und verschwinden, wie um zu beweisen, dass die Schwerkraft hier keine Wirkung zeigt.
Und auf einmal fliegen drei kleine weiße Schmetterlinge durch die Luft, sie sind wie durch einen Zauber an die Hände eines Künstlers gebunden, der hoch oben im Gerüst sitzt. Der Titel hat sich also bewahrheitet – Le vertige des papillons ist eine äußerst gelungene Kombination aus Poesie und Akrobatik.


Ein musikalischer Höhepunkt - trotz anfänglicher Hindernisse - wurde das einzige Konzert im Festival, der Auftritt des Ensembles Ictus mit ihrem Programm Waits-Weill. In Brüssel beheimatet, zählt das Ensemble zu den international renommiertesten Spezialisten für Neue Musik. In Saarbrücken konnte man jedoch erleben, dass sie auch das Feld der leichteren Muse mit souveräner Meisterschaft zu bestellen wissen - zumindest in der zweiten Konzerthälfte. Im ersten Teil gab es leider Probleme mit der Verstärkung, so dass man die Musiker nur fragmentarisch hörte.
Mit Tom Waits und Kurt Weill hatte man sich zwei Komponisten ausgesucht, die jeder auf seine Weise das, was gemeinhin unter musikalischer Unterhaltung verstanden wird, weit überschreiten. Weill, von der klassischen Moderne kommend und kongenialer Komponist Brechtscher Texte war mit einer Reihe von Stücken aus eben dieser Zusammenarbeit vertreten - "Seeräuber Jenny", "Mackie Messer" und "Alabama Song" -, aber auch mit Songs aus seinen später in Amerika entstandenen Musicals "Lady in the Dark" und "Happy End". So verschieden die Musik von Tom Waits hierzu scheint, so glücklich fügten sich seine Songs aus der Rock-Oper "Black Rider" in das Programm.
Dies dank einer geschickten Dramaturgie und der kongenialen Arrangements von François Deppe, Jean-Luc Fafchamps und Fabian Fiorini. Weills Revue-Stil und die verschroben skurrile Welt von Tom Waits wurden zu einer fesselnden Klangsprache zusammengeführt, die durch etliche Anleihen aus der Instrumentation der Neuen Musik eine zusätzliche Qualität bekam. Neben den hervorragenden Musikern brillierten zwei außergewöhnliche Solisten: Die Sopranistin Maria Hausmann, mit einer stimmlichen Bandbreite von verrucht-lasziv bis hochdramatisch und der belgische Bluessänger K
ris Dane, dessen rauchiges Timbre zahlreiche Hormonwallungen ursächlich hervorrief.



FAZIT

Ein Festival mit einer Reihe gelungener Veranstaltungen, aber einer insgesamt eher verunglückten Programmation lassen auf Besserung in den kommenden Jahren hoffen.

Weitere Informationen zu Perspectives unter: www.perspectives-sb.de






Da capo al Fine

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