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Musikfestspiele
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Die tote Stadt
Oper in drei Bildern
von Erich Wolfgang Korngold
Libretto von Paul Schott

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Std. 35' (eine Pause)

Premiere am 15.08.2004
im Kleinen Festspielhaus
Rezensierte Aufführung: 21.08.04


Homepage der Salzburger Festspiele

Salzburger Festspiele
(Homepage)

Klarheit durch Intensität

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Klaus Lefebvre

Willy Decker hat nicht nötig, Grachten oder gar Ruinen auf die Bühne zu stellen, um die Stadt als tote und namentlich Brügge in Flandern zu beschwören. Morbider Charme ist eine Frage der Geisteshaltung bzw. des Seelenzustandes, und dies hat Decker in seiner diesjährigen Neuinszenierung für die Salzburger Festspiele auch gezeigt.


Vergrößerung in neuem Fenster Mariettas Originalbesuch:
"Bin ich nicht schön?"
Foto: Klaus Lefebvre

Spielt die Handlung schon in der vordergründigen Welt eines halbtoten Träumers, so entfalten dessen Vorstellungen in ihrem Schwanken zwischen Wahn und Wunsch eine Eigendynamik, die sich publikumsverwirrend zu einer kollektiven Horrorvision extrapolieren lassen - wie jüngst in Berlin von Philippe Arlaud geschehen Die tote Stadt an der Deutschen Oper Berlin) - oder aber durch einfache aber wirkmächtige Gestaltungsdetails auch derart arrangiert werden können, dass die Scheindistanz zwischen innerer und äußerer Handlung niemals unklar bleibt.


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Begegnung in der Imagination:
"Unsere Liebe war, ist und wird sein!"
Foto: Klaus Lefebvre

Dazu verdoppelt er kurzerhand Raum und Personal, womit die ohnehin vorgegebene Duplizität der Marie/Marietta nun auch Paul erfasst und in einen schlafenden auf der Hauptbühne und einen weiteren in der nur gelegentlich geöffneten Traum-Hinterbühne aufspaltet. Die Künstlichkeit dieses Sekundärkosmos findet ihr Pendant in den gleißend weißen und jedem natürlichen Leben abholden Kostümierung. An besonders exponierten Stellen wagen dann einzelne Gestalten - meist Marietta - den Schritt über die Grenze in den jeweils anderen Sektor.


Vergrößerung in neuem Fenster Überfall der leichten Muse:
"Diridi, diridon, schön Marion!"
Foto: Klaus Lefebvre

Die quasi-religiöse Verehrung Pauls für seine gestorbene Gattin spiegelt sich in den multiplen Einblendungen ihres Konterfeis in Ikonengestalt, und auch für Ihren Zopf findet sich ein Reliquienschreinchen aus Plexiglas. Wie sehr er bei alledem längst nur noch einer Schimäre hinterher jagt, zeigt sich spätestens dann, wenn ausgerechnet der Fetisch Haar, der von beiden ständig angerufen wird, auf Mariettas Kunstglatze gänzlich fehlt.

Überhaupt wird konsequent entmythologisiert und das sonst Unsichtbare hervorgekehrt: Sämtliche Verwandlungen geschehen auf offener Bühne, und noch zum eigenen Abgang rollt Paul sich und Maries Leiche über den hinteren Bühnenrand hinaus.


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Mariettas Programm:
"Ich komme zu den Meinen
ja, ich komme zu gefallen,
lass den Einen,
schenk mich Allen!"
Foto: Klaus Lefebvre

Parallel dazu spart Decker die eigentlich wunderschöne Wiedererscheinung der Marie zu Beginn des 2. Aufzuges ein und bindet stattdessen den vorigen direkt hinüber, womit eine Aktunterbrechung vermieden werden kann, die an dieser Stelle in der Tat nur störend ist. Gleichermaßen einkassiert wurde der zweimalige Sprechgesang des Paul, dessen kaum erträgliche Süßlichkeit kaum mehr vermittelbar wäre und verlustfrei als verzichtbar gelten darf.

Runnicles' Orchesterführung verortete Korngolds Musik im Umfeld ihrer Zeit, ließ einmal Puccinis Melodiegewalt durchtönen und setzte ein andermal - quasi als Referenz an den Ort - auf den Rosenkavalierton, und von beidem ist die Partitur so reich gesättigt. Dabei hat er sich von der Gefahr nicht wirklich frei machen können, die SängerInnen öfters zu überdecken.


Vergrößerung in neuem Fenster Auferstehung der Untoten
Foto: Klaus Lefebvre

Bo Skovhus in der Doppelpartie als Frank und Fritz ist dabei am besten durchgedrungen und zeigte gerade in der Melancholie des imaginierten Rheinländers seine besondere Befähigung zu kraftvoller Sensibilität. Torsten Kerl als Paul knapste eingangs am Volumen, fand aber bald den rechten Ansatz, um charakterscharf den adäquaten Ausdruck zu treffen, die jene Melange aus schmachtender Sehnsuchtspassivität und fatalem Aktionismus konstituiert. Daniela Denschlag wäre eine größere Partie zu wünschen, die ihr breitere Entfaltung ermöglicht als die Brigitta es zulässt. Diese ihre Chance hatte Angela Denoke ihrerseits voll ergriffen und aus Marie/Marietta alles herausgeholt, was Korngold in dieser Partie angelegt hat. Gerade auch ihre tänzerische Ader verdankte sie eine Bühnenpräsenz, die Schrecken und Faszination in Pauls Wahrnehmung glaubhaft werden lassen, so dass ein materieller Zopf damit objektiv entbehrlich wird.


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Überblendung - auf zum letzten Totentanz
Foto: Klaus Lefebvre

Passend zum Thema wurde im unteren Seitenfoyer eine Ausstellung zu Korngolds Werk und Wirkung gezeigt, dessen Begleitheftchen parallel zu den Abendprogrammen verkauft wurde und das vorzüglich den Stand der Forschung zu seiner vita wiedergibt.

Gleichzeitig mischte sich etwas eigene Wehmut in den Geist des Aufbruches, zu dem Paul sich eben durchgerungen hatte, denn nicht nur er sondern auch die Salzburger Festspiele lassen einen alten Traum hinter sich. Das sog. Kleine Festspielhaus von 1925 mit seiner unverwechselbaren Innenraumgestaltung wird im Rahmen einer sog. Renovierung durch völlige Entkernung quasi abgebrochen und durch ein "modernes" Hightech-Theater ersetzt, dessen Zuschauersaal dann dem beliebiger anderer Theaterneubauten angeglichen sein wird. Der Reiz einer Klimaanlage gerade in einem richtigen Sommer - also gewiss nicht dem heutigen - sei unbestritten, aber dafür eine geschlossene Dunkelholzvertäfelung aufgeben? Dafür einen Saal mit der Historie von 80 Jahren Festspielgeschichte aufgeben?


FAZIT

Schwanengesang vom Feinsten in einem ebenfalls zum Sterben bestimmten Ambiente, dem der 80. Geburtstag verweigert wird. Angesichts dieser Stimmung geradezu unerträglich wirken die allgegenwärtigen Werbebanner der Hauptsponsoren, deren Impertinenz bislang an keiner anderen Kulturstätte derartig obsessiv zu erleiden war. Mit traditionellen Mäzenatentum hat das nichts mehr zu tun! Noch unmittelbar vor Beginn der Aufführung wichen sie nicht von der Übertitelungsanlage, deren Nutzen obendrein durch den Hang zu demonstrativer Internationalität in Gestalt deutsch-englischer Zweisprachlichkeit deutlich eingeschränkt war.

Für Korngolds Werk ist dennoch viel gewonnen, wurde doch der schlagende Beweis erbracht, dass es vollwertig im Umfeld des Repertoire besteht, in das selber einzugehen ihm herzlich zu wünschen wäre.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Donald Runnicles

Inszenierung
Willy Decker

Bühne und Kostüme
Wolfgang Gussmann

Licht
Wolfgang Goebbel

Chor
Rupert Huber

Dramaturgie
Klaus Bertisch



Konzertvereinigung
Wiener Staatsopernchor

Wiener Philharmoniker


Solisten

Paul
Torsten Kerl

Marietta
/ Die Erscheinung Mariens
Angela Denoke

Frank / Fritz
Bo Skovhus

Brigitta
Daniela Denschlag

Juliette
Simina Ivan

Lucienne
Stella Grigorian

Gaston
Lukas Gaudernak

Victorin
Eberhard Lorenz

Graf Albert
Michael Roider


Weitere Informationen
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Salzburger Festspielen
(Homepage)




Da capo al Fine

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