Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Programmbuch 2004 Göttinger Händel Festspiele
23. Mai - 2. Juni 2004

"The Power of Musick" -
Das Erhabene bei Händel

Von Gerhard Menzel

Bereits am Sonntag vor Pfingsten wurden die diesjährigen Händel-Festspiele in Göttingen eröffnet, und das nicht in Göttingen selbst, sondern im historischen Ambiente des gräflichen Schlossparks der Burg Hardenberg (Nörten-Hardenberg). Vor dieser beeindruckenden Kulisse der Burgruine musizierten - bei Temperaturen, die stark auf den Gefrierpunkt zugingen - unter der Leitung von Nicholas McGegan das Concerto Köln , sowie die Solisten Dominique Labelle (Sopran), Cyndia Sieden (Sopran) und Andrew Foster-Williams (Bass), allesamt Mitwirkende der diesjährigen Opernneuproduktion. Neben Georg Friedrich Händels Concerto a due cori, Nr. 2 (HWV 333) standen bekannte Opernarien aus dessen Opern Tolomeo, Alcina und Rinaldo, sowie der Suite II, D-Dur aus der Wassermusik (HWV 349) auf dem Programm. Den Abschluss bildete ein barockes Feuerwerk zu den Klängen der Music of the Royal Fireworks (HWV 351).

Nicholas McGegan und das Concerto Köln waren auch die Protagonisten des Galakonzertes, in dem der Altus Andreas Scholl einige Kostproben seines ungeheuer engagierten und ausdrucksvollen Gesanges präsentierte. Nach Arien aus Händels Opern Giulio Cesare, Giustino und Rodelinda beschloß er seinen Beitrag mit dem weltberühmten "Ombra mai fu" aus Serse. Auch die vom - in voller Opernbesetzung musizierenden - Concerto Köln mit Enthusiasmus interpretierten Instrumentalstücke von Georg Philipp Telemann (Ouvertüre D-Dur, mit einer tragikomischen Suite für Streicher und Trompeten), sowie Händels Orchesterkonzert aus Amadigi (HWV 315) und der Suite II, D-Dur aus der Wassermusik (HWV 349), ließen an abwechslungsreichem und kontrastreichem Spiel nichts zu wünschen übrig.
Nicholas McGegan, der ausschließlich die Opernarien und die Wassermusik dirigierte, bildete zusammen mit dem Concerto Köln ein einzigartiges Team, das Musik so emotional vermittelt, das man sich derer Wirkung nicht entziehen kann.

Vergrößerung
Galakonzert in der Stadthalle Göttingen  
Andreas Scholl, Nicholas McGegan und das Concerto Köln  
Foto: Gerhard Menzel  

Nachdem die Göttinger Händel-Festspiele 2003 durch die Einbeziehung der Städte Hardegsen und Duderstadt schon auf die Region Südniedersachsens ausgedehnt worden waren, nahmen die diesjährigen Festspiele mit der zeitlichen Ausdehnung auf 10 Tage und mit über 40 Veranstaltungen noch nie dagewesene Ausmaße an. Zudem wurden erstmals neben der Burg Hardenberg, auch Hann. Münden und Rosdorf mit in den Reigen der Veranstaltungsorte aufgenommen.

Die Ausführenden der drei Burgkonzerte in der Burg Hardeg waren Johanna Helm (Violoncello) und Liebgart Seitzer (Klavier), das Ensemble Sambuca (London), und Ariana Savall (Sopran) mit dem Ensemble Muscadin (Basel).

Vergrößerung
Die Classic Busters  
Open Air-Konzert auf dem Wilhelmsplatz  
Foto: Gerhard Menzel  

In Hann. Münden, Rosdorf und Duderstadt gastierten die Classic Busters, die traditionell auch ein Open Air-Konzert in Göttingen gaben. Die St. Johanniskirche in Rosdorf war auch der Austragungsort des ersten Kammerkonzertes mit Michael Chance (Altus) und Andrew Laurence-King (Harfe), bei dem unter dem Motto "The English Orpheus" Lieder und Instrumentalwerke von J. Dowland, H. Purcell, G. Frescobaldi und C. Monteverdi erklangen. Neben einem Festgottesdienst in St. Cyriakus fand im Rathaus Duderstadt auch das zweite Kammerkonzert mit dem Palladian Ensemble (London) statt, das unter dem Titel "Angels and Devils" Werke von A. Corelli, G. Tartini, M. Marais, F. da Milano, J.-B.A. Forqueray spielte.

Das Palladian Ensemble bestritt auch - zusammen mit Robin Blaze (Alt) - das 3. Kammerkonzert in der St. Marien-Kirche in Göttingen. Gerade dieses Konzert erwies sich als eines der (zahlreichen) Höhepunkte der Festspiele. Robin Blaze, der seit der Rodelinda im Jahr 2000 ein gern gesehener Gast in Göttingen ist, begeisterte mit seiner angenehmen und wendigen Stimme auch dieses Mal das Publikum. Er fand sowohl für die schlichten, aber dennoch kunstvollen Lieder Henry Purcells, als auch für Händels Solokantate "Mi palpita il cor" und die Arie "Stille amare" aus der Oper Tolomeo, genau das richtige Maß an Ausdruck und Gestaltungskraft. Besonders delikat wirkten in letzterer, die im Pianissimo pulsierenden Farbtupfer des Palladian Ensembles.

Seine instrumentalen Qualitäten bewies das Palladian Ensembles nicht nur in Händels Triosonaten (g-moll op. 2 Nr. 8 und D-Dur op. 5 Nr. 2), sondern auch in der anonym überlieferten und vom Palladian Ensemble arrangierten Suite of Scots Airs aus dem "Orpheus Calendonius" (um 1725) und in Nicola Matteis' (ca. 1640-ca. 1714) Sett of Ayres (Book 2 and 3). Vor allem in der "Aria burlesca con molte bizzarie" zeigten Pamela Thorby (Blockflöten) und Rodolfo Richter (Violine), was sie und Ihre Instrumente zu leisten im Stande sind. Während Susanne Heinrich (Viola da gamba) und William Carter (Theorbe und Gitarre) für die "strengen Regeln" sorgten, lieferten sich Blockflöte und Violine ein "Scheingefecht", dass es einem den Atem verschlagen konnte.
Auch sonst faszinierte das Spiel des Palladian Ensembles durch mannigfache Kontraste und variables, farbenreiches musizieren, ob träumerisch, elegisch, schwärmerisch oder zupackend, spritzig und perlig.

Ganz im Mittelpunkt der diesjährigen Festspiele standen aber wiederum die Opern Händels - und das noch mehr, als sonst schon üblich. Neben der alljahrlichen Neuinszenierung - dieses Mal wieder in der Stadthalle - standen nämlich noch zwei weitere Opern auf dem Programm. Zum einen eine halbszenische Aufführung des Sosarme und dann noch konzertante Ausschnitte aus Lotario, der eine Woche später im Rahmen der Händel-Festspiele in Halle zum ersten Mal seit der Uraufführung von 1729 komplett auf dem europäischen Kontinent zur (konzertaten) Aufführung gelangte.

Mit der halbszenischen Aufführung der Oper Sosarme (HWV 30) kam es erstmals zu einer Gemeinschaftsproduktion der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen, der Tschechischen Händel-Gesellschaft und des Schlosstheaters Mnichovo Hradiste (Tschechische Republik). Es war wohl noch nie so relevant gewesen, vor dieser Aufführung eine der - jeweils zu den Opern und Oratorienaufführungen parallel in deutscher und englischer Sprache angebotenen - Werkeinführungen besucht zu haben, denn was das Publikum in der Aula der Göttinger Universität erwartete, war in der Tat etwas ganz Besonderes. In der sehr informativen und durch die praktische Demonstration (historisch überlieferter Techniken) von Ausdruck, Sprache und Gestik angereicherten Einführung hatte Nils Niemann (Berlin) die Anwesenden jedenfalls bestens auf die speziellen Eigenheiten der zu erwartenden "Opernaufführung" vorbereitet.

Eigens für diese Aufführung war in der Aula eine erhöhte Spielfläche als Bühne errichtet worden. Durch Treppen auf der linken und rechten Hinterseite waren die Auf- und Abgänge der Protagonisten gewährleistet. Zusammen mit den barocken Kostümen von Zdenka Hosovfká war das allerdings auch schon fast alles, was man - zumindest von den hinteren Reihen aus - deutlich erkennen konnte. Da es beim historisch ausgerichteten Inszenierungsstil (Regie: Zuzana Vrbová) keine eigentliche Personenführung gibt und die kleinen Gesten und Körperbewegungen zu einem goßen Teil nicht wahrnehmbar bzw. zu unterscheiden waren und auch keinerlei Bühnenbilder die Szenen und Akte gliedern konnten, wurde die über dreieinhalb Stunden dauernde Aufführung doch zu einer harten Geduldsprobe.

Leider trug auch die musikalische Seite der Produktion nicht dazu bei, einen kurzweiligeren Eindruck zu vermitteln. Ondrej Macak und die Cappella Accademica Prag musizierten Händels Musik ohne große Emotionen, Kontraste und Leidenschaft. Von den Protafonisten gefiel vor allem Jana Koucka, die mit ihrem strahlenden Sopran eine sympathische Elmira gestaltete. Sicher wäre der Gesamteindruck im historisch erhaltenen Ambiente des Schlosstheaters Mnichovo Hradiste wesentlich positiver ausgefallen, auch wenn das wohl nichts an den Defiziten der musikalischen Interpretation geändert hätte.

Als regelrecht dramatisches Musiktheater erwiesen sich dagegen die Ausschnitte aus der Oper Lotario (HWV 27), die am gleichen Ort konzertant zur Aufführung kamen. Die Händel-Liebhaberin und Kriminalautorin Donna Leon bewies auf ganz sympathische Art, das selbst Händelopern im Grunde einfach strukturiert und die Geschichten ganz "easy" sind. Vor den Akten fasste sie (in englischer Sprache) den Inhalt zusammen und sorgte für das nötige Vorwissen, um die im Folgenden erklingenden Szenen nachvollziehen zu können.

Für Maite Beaumont hatte Hilary Summers die Partie des Titelhelden Lotario übernommen (was zu einigen Änderungen bei der Szenenauswahl führte). Mit ihrer raumfüllenden, warmen und ebenmäßig geführten Mezzosopranstimme ist sie für dieses Rollenfach wirklich prädestiniert (ganz anders interpretierte dagegen Lawrence Zazzo diese Partie in der vollständigen Lotario-Aufführung bei den Händel-Festspielen in Halle 2004).

Mit der Partie der Adelaide, der stolzen und energischen Königin.von Italien, hatte Simone Kermes eine weitere Paraderolle für sich entdeckt, die ihr vom Temperament und den stimmlichen Herausforderungen her bestens liegt. Ein Kabinettstück der besonderen Art lieferte sie bei der Arie am Ende des ersten Aktes "Scherza in mar la navicella" ab. Ihre stupende Technik und die ungeheure emotionale Ausdrucksskala, die gewaltigen Kontraste vom hingehauchten, aber klangvollen Pianissimo, bis zur furiosesten Koloraturkaskade, rissen das Publikum unvermittelt mit.

Die Rolle des für Händel typischen "Störenfriedes" in einer Oper war Vito Priante anvertraut worden, der mit seinem geläufigen und tiefensicheren Bariton das vokale Spitzenterzett vervollständigte. Unter der feinfühligen Leitung von Alan Curtis spielte das EnsembleIl Complesso Barocco wie immer weich, entspannt, homogen und auch in dramatischen Passagen immer klangschön. Nach dem als Zugabe musizierten Schlußchor der Oper wurde das restlos begeisterte Publikum mit dem Terzettino "Soave sia il vento" aus Mozarts Cosi fan tutte in den Festspielnachmittag entlassen.

Nach dem erstaunlich gut gelungenen Versuch im Jahr 2000, mit Rodelinda erstmals eine Operninszenierung in der Göttinger Stadthalle zu präsentieren, stand dieses Mal eines der szenisch und musikalisch aufwändigsten Werke Händels auf dem Programm der Festspiele: Händels erste für London komponierte Oper Rinaldo.

Passend zu dieser Opern-Neuproduktion stand der Rinaldo-Zyklus des Malers G.B. Tiepolo im Zentrum des Diavortrags von Priv. Doz. Dorothea Schröder, die an Hand von Bildern und Skizzen aufzeigte, wie der "Vater der venezianischen Malerei" und seine Kollegen Tassos Rinaldo-Epos rezipierten. Vor allem Armidas Schwanken zwischen der Mordabsicht und ihrer aufkeimenden Liebe zu Rinaldo und dessen Abschied von der schließlich gebrochenen Zauberin standen dabei immer wieder im Mittelpunkt der Bilder.

Ein völlig anderes Thema behandelte Prof. Dr. H.J. Kreutzer (München) in seinem wissenschaftlichen Festvortrag: "The Sublime, the Grand, and the Tender' - Über Händels Messiah und Klopstocks Messias". Die musikalischen Elemente in Kloppstocks Dichtung und die unterschiedliche Rezeptionsgeschichte dieser beiden bedeutenden Werke des 18. Jahrhunderts waren nur einige Punkte, auf die Hans Joachin Kreutzer in seinem fundierten und interessanten Vortrag näher einging. Erstaunlich an der Rezeptionsgeschichte ist dabei, dass Kloppstocks (wirkliches) Hauptwerk heute so gut wie unbekannt ist, während Händels Messiah erst im Laufe der Zeit zu "dem" Hauptwerk stilisiert wurde.

Vergrößerung
G. F. Händel: Lotario  
Simone Kermes, Hilary Summers und Vito Priante  
Foto: Michael Schäfer  
Vergrößerung
Die Stadthalle  
Foto: Gerhard Menzel  

Regelrecht enttäuschend wirkte dagegen die Aufführung von Händels Oratorium Judas Maccabaeus (HWV 63) durch den Kölner Kammerchor und das Collegium Cartusianum unter der Leitung von Peter Neumann, vor allem deshalb, weil gerade diese Ausführenden im Jahr 2001 an gleicher Stelle einen ganz ausgezeichneten Saul präsentierten. Dieses Mal schien es, als sei es Peter Neumann vor allem darum gegangen, das Stück so korrekt als möglich und ohne größere Zwischenfälle gut über die Bühne zu bekommen, so, als hätte die nötige Probenzeit gefehlt um zu einer wirklichen musikalischen Interpretation zu gelangen. Auch die Solisten Olga Pasichnyk (Israelitish Woman, Sopran), Klaus Mertens (Simon, Bass) und die für Ann Hallenberg, bzw. Franziska Gottwald kurzfristig eingesprungene Alison Wrowner (Israelitish Man, Alt), wirkten blass und nahezu vom Inhalt des Stückes unbeteiligt. Einzig Iain Paton in der Titelpartie (Judas Maccabaeus, Tenor) gestaltete seine Partie einfühlsam und mit wirklicher Hingabe.

Wirklich festspielwürdig war dagegen die Aufführung des Oratoriums Deborah (HWV 51) in der St. Jacobi-Kirche. Das Zustandekommen dieser vorbildhaften Kooperation mit den Händel-Festspielen in Halle stand bis zuletzt auf der Kippe, konnte aber zum Glück für alle Beteiligten und das Publikum letztendlich doch wie geplant stattfinden. Für die Aufführung des Oratoriums Deborah vereinigten sich die Landesjugendchöre aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, die aus besonders talentierten jungen Musiker bestehen. Es ist wohl vor allem das große Verdienst von Prof. Wolfgang Kupke, dem künstlerischen Leiter des Landesjugendchores Sachsen-Anhalt, aus diesen beiden Chören eine so harmonische und in allen Stimmen verschmelzende Einheit gemacht zu haben. Der herrliche, jugendlich frische Klang der Chorsätze verband sich auch hervorragend mit dem farbenreichen, differenziert und engagiert musizierenden Spiel des Ensembles Musica Alta Ripa (Hannover) unter der sehr einfühlsamen und konzentrierten Leitung von Jörg Straube.

Für Maya Boog übernahm kurzfristig Heidrun Kordes die Titelpartie der Deborah. Wieder einmal demonstrierte Heidrun Kordes, dass sie eine der führenden Sopranistinnen ihres Faches ist. Mit ihrer herrlich leuchtenden Stimme transportierte sie aber nicht nur den Text äußerst verständlich, sondern gestaltete diesen auch inhaltlich mit allen Facetten, die dieser aufzuweisen hatte.
Ihr durchaus ebenbürtig interpretierte Peter Kennel (Alt) die Partie des Barak sehr präsent und ausdrucksstark. Das Excellente Sängerensemble komplettierten Kerstin Bruns mit ihrem warmen und sehr angenehmen Sopran (Jael), Franz Vitzthum mit leichter Altstimme (Sisera) und der mit mächtigem Bass aufwartende Gotthold Schwarz (Abinoam). Es wäre wirklich schön, wenn - trotz der sicherlich gewaltigen organisatorischen und finanziellen Aufwände - solche gemeinsamen Produktionen - der sowohl geographisch als auch zeitlich benachbarten Festspiele in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - zu einem festen Bestandteil der beiden Händel-Festspiele werden würden!

Ein sehr gelungener Festspielbeitrag kam auch aus Sachsen. Der Körnerscher Sing-Verein Dresden und das Dresdner Instrumental-Concert, das nicht nur durch seinen feinen, silbrigen Streicherklang gefiel, musizierten in der St. Johannis-Kirche unter der Leitung von Peter Kopp die Cäcilienoden von Händel und John Blow. Zu dem sehr harmonischen Gesamteindruck trugen auch die vorzüglichen Solisten Sabina von Walther (Sopran), Michael Chance (Alt), Thomas Cooley (Tenor) und Jochen Kupfer (Bass) bei.

Beide Cäcilienoden gehören in die englische Tradition der Cäcilienfeste, die seit 1683 jährlich am 22. November, dem Festtag der heiligen Cäcilie, mit der Aufführung eines Anthems und einer Ode begangen wurden. Die direkte Gegenüberstellung von Händels berühmtem Werk mit dem weniger bekannten, aber sehr reizvollen Opus von Blow in einem Konzert, erwies sich als sehr interessant. Typisch für dessen Ode for St. Cecilia's Day (1691) ist zum Beispiel, dass der Chor oft die letzten Zeilen eines Satzes, der ansonsten von einer Solostimme gestaltet wird, wiederholt und somit zu einer Steigerung führt. Gerade diese klangvollen, harmonisch differenzierten Chorsätzen - vor allem imposanten Schlußsatz - erinnern deutlich an die entsprechenden Kompositionen, die Henry Purcell später hervorbrachte.
Ganz apart wirkte auch der Satz "Hark, how the charming flutes conclude the peace", der von zwei Blockflöten und der Altstimme dominiert wurde.

Händel vertonte in seiner Ode for St. Cecilia's Day (HWV 76) einen Text des Dichters John Dryden, in dem die Wirkung von Musik und einzelnen Instrumenten in überaus eleganten Strophen dargestellt werden. Dabei zeichnete er die Schöpfungsgeschichte und den Lauf der Welt bis zum Jüngsten Gericht nach. Zu den zart und innig vorgetragenen Worten des Soprans "But oh, what art can teach, / What human voice can reach / The sacred organ's praise?" erklingt dann auch die Orgel, als das der Cecilia zugehörige Instrument, solistisch und an exponierten Stellen.

Ein ebenfalls der Heiligen Cecilia gewidmetes Werk, das im Rahmen der diesjährigen Festspiele zur Aufführung kam, war Händels Ode in Honour of St Cecilia Alexander's Feast or the Power of Musick, dessen Titelzusatz auch als Festspielmotto gewählt wurde. Die Ausführenden waren Annette Labusch (Sopran), Gerd Türk (Tenor), Raimund Nolte (Bass), der Kammerchor St. Jacobi und das Göttinger Barockorchester unter der Leitung von Stefan Kordes.

Eine weitere interessante Gegenüberstellung eines bekannten Werkes von Händel mit einem unbekannten eines etwas älteren Zeitgenossen konnte man im Chorkonzert in der St. Jacobi-Kirche erleben. Händel hatte sein Dixit Dominus (HWV 232) bereits 1707 in Rom vertont, während der an San Marco in Venedig angestellte Antonio Lotti seine Komposition des Psalmtextes bei seinem zweijärigen Aufenthalt in Dresden zwischen 1717 und 1719 in der alten Dresdner Hofkirche erstmals vorstellte. In diesem Zusammenhang brachte er auch Johann Kuhnaus Magnificat erstmals zur Aufführung, das in diesem Konzert von den beiden Dixit Dominus-Vertonungen eingerahmt wurde, wobei Lottis Werk vor allem durch die große Vielfalt der Besetzungen und der Satztechniken überzeugte.

Johann Kuhnaus Magnificat ist im übrigen eines der wenigen von ihm erhaltenen Kompositionen mit lateinischem Text. Mit seiner großen Besetzung mit fünf Gesangssolisten, drei Trompeten, Pauken, zwei Oboen, fünfstimmigem Streichersatz und Orgel scheint es das unmittelbare Vorgängerwerk von Bachs berühmten Magnificat gewesen zu sein.

Unter der energischen Leitung von Matthias Jung, der einige zum Teil sehr hastig wirkende Tempi wählte, hinterließ das Sächsisches Vocalensemble, dank seines schlanken Klanges und seiner jugendlichen Frische, einen ganz hervorragenden Eindruck. Auch Händels "Conquassabit" ertönte sehr pointiert und präzise.
Die Batzdorfer Hofkapelle musizierte so zupackend, dass selbst bei innigeren Passagen die Violinen doch recht hart klangen, während die Bläser wesentlich weicher und anpassungsfähiger intonierten.

Die fünf Gesangssolisten wurden angeführt durch Barbara Tislers hell strahlenden Sopran, der sich in Händels "De torrente" mit dem etwas dunkler timbrierten, aber in der Höhe trotzdem leuchtenden Sopran von Barbara Christina Steude zu einer in himmlischen Sphären schwebenden Einheit verschmolz. Patrick van Goethem gefiel durch seine istrumental geführte und in Lottis "Tecum principium" mit der Oboe konzertierende und harmonierende Altstimme ebenso, wie Sebastian Bluths hoher und sehr wendiger Bass. Der für Martin Petzold eingesprungene Tenor Markus Brutscher faszinierte durch seine tragfähige, sehr fein timbrierte Stimme und seine technische und stilistische Versiertheit.

Auch der Nachwuchs wurde im umfangreichen Festspielprogramm wieder nicht vergessen. Unter dem Programmpunkt "Forum junger Künstler" stellte sich dieses Jahr das "Ensemble L'Ucello" (Basel) in der Aula der Universität vor. Immerhin sind Plamena Nikitassowa und Chiharu Abe (Violine), Marc Meisel Cembalo), Felix Knecht (Violoncello) und Julian Behr (Theorbe), die alle der Schola Cantorum Basiliensis (Basel) angehören, die 1. Preisträger der "Gothaer Reihe Historische Musik 2003/2004". Auf ihrem Programm standen Werke von Tarquino Merula, Giovanni Battista Fontana, Giuseppe Scarani, Baggio Marini, Jacques Duphly, Jean-Marie Leclair und L'apothéose de Corelli - Grande Sonate en trio von François Couperin.

Einer jungen Nachwuchskünstlerin aus Göttingen war die Klavier-Matinee in der Aula der Universität gewidmet. Die 1972 in Göttingen geborene Julia Bartha hatte ein Programm zusammengestellt, das gut und gerne den Abschluß eines großen Festspieltages hätte bilden können. Da aber im Anschluß an die Matinee gleich der Judas Maccabaeus in der Stadthalle folgte, wurde kurzfristig die Pause und die 30 Variationen über "Lascia ch`io pianga", d-Moll op. 5 von Eusebius Mandyczewsky ersatzlos gestrichen, was schade war, da gerade dieses Werk so gut wie nie zu hören ist. Allerdings wäre das Weglassen einer anderen Komposition des Programmes noch bedauerlicher gewesen.

Auch so war der große Bogen zum Thema "Variationen" über einen Zeitraum von mehr als 150 Jahren ausgiebig gespannt. Beginnend beim noch jugenlichen Händel wurde die kompositorische und spieltechnische Entwicklung über Beethoven, Liszt und Brahms eindrucks nachgezeichnet. Besonders interessant war dabei zu hören, wie Händels "Originale" von den Komponisten des 19. Jahrhunderts als Arbeitsmaterial für die eigenen Kompositionen benutzt wurden.

Sowohl Händels Prelude und Chaconne G-dur (HWV 442), als auch seine Aria con Variazioni aus der Sonate B-Dur, Nr. 3 (HWV 434) adaptierte Julia Bartha mit schlichtem Ton so gut als möglich angepasst und mit dosiertem Pedaleinsatz auf den modernen Konzertflügel.

Ludwig van Beethovens Variationen c-Moll über ein eigenes Thema (WoO 80) weisen ihn nicht nur als Bewunderer Händels aus, sondern zeigen ganz deutlich die Weiterentwicklung des Genres, der kompositorischen Gestaltung und der spieltechnischen Möglichkeiten auf. Julia Bartha trug dieser musikalischen Evolution Rechnung, indem sie auch die dynamische Bandbreite ausschöpfe und die Coda zu einer großen Steigerung führte.

Franz Liszts Transkriptionen der Sarabande und Chaconne aus Händels Oper Almira boten Julia Bartha noch mehr Gelegenheit, ihre große Ausdrucksskala von träumerisch-versonnenen, bis zu pompös-auftrumpfenden Klanggebilden zu präsentieren. Dabei gelang ihr auch hier noch eine transparente und differenzierte Gestaltung des thematischen Materials.

Mit den Variavonen und Fuge über ein Thema von Händel op. 24 von Johannes Brahms hatte sich Julia Bartha einen der ganz schweren "Brocken" der Klavierliteratur vorgenommen. Doch auch hier gelang es ihr, z.B. mit geschmeidigen Läufen und weichem Anschlag in ruhigen und leisen Passagen, die vielen Stimmungen, Farben und lyrische Sphären auszuloten. Die prunkvollen Fortissimo-Passagen ließ sie pompös und kraftvoll erklingen, auch wenn der Flügel dort etwas an Brillanz vermissen ließ. Der spannungsvoll aufgebaute Weg von der Variationen-Abfolge - vom Charakter eines Wiegenliedes bis zum schwungvollen "ungarischen Tanz" - zum furios dahinstürmenden Finale der energiegeladenen Fuge war weit, aber von Julia Bartha zielsicher anvisiert.

Fast wäre sie allerdings noch das Opfer ihrer eigenen Courage geworden, doch mit professoneller Virtuosität rettete sie das gewaltige Schlußcrescendo und damit ihr triumphal endendes Konzert, dass vom begeisterten Publikum zu Recht gefeiert wurde. Mit einem Satz aus Galuppis C-dur Sonate als Zugabe bedankte sich Julia Bartha. Hier entwickelt sich eine Künstlerpersönlichkeit, die bestens für große Aufgaben gerüstet ist (zur Zeit erscheint ihre erste CD mit Werken von Schumann, Brahms und Theodor Kirchner).

Ein Heimspiel hatte auch der ebenfalls in Göttingen geborene Andreas Staier. Neben dem Nachtkonzert 2, in dem er zusammen mit dem Altus Kai Wessel in der St. Marien-Kirche mehrere virtuose italienische Kantaten mit obligatem Cembalo präsentiert, gab er auch ein Cembalo-Recital in der Aula der Universität. Mit Werken von Händel (Ouvertüre c-moll Nr. 2, HWV 456, Suite Nr. 8 f-moll, HWV 433, Chaconne für zweimanualiges Cembalo F-dur, HWV 485), sowie J.C.F. Fischers Praeludium und Chaconne G-dur (aus Musikalisches Blumenbüschlein), Buxtehudes Praeludium und Fuge g-moll (Bux WV 163), Muffats Passacaglia g-moll aus Apparatus Musico-organisticus und Bachs Partita Nr. 4 D-dur aus Clavierübung, 1. Theil (BWV 828) demonstrierte er seine außerordentliche Differenzierungskunst und gestalterischen.Einfallsreichtum.

Julia Bartha
Julia Bartha  
Klavier-Matinee in der Aula der Universität  
Foto: Gerhard Menzel  

Vergrößerung Julia Bartha
1972 in Göttingen geboren, begann mit dem Klavierspiel im Alter von fünf Jahren und debütierte mit 14 Jahren als Solistin im Klavierkonzert von Grieg. 1990 gewann sie den 1. Bundespreis bei "Jugend musiziert", später zahlreiche weitere Preise. Konzertverpflichtungen führten sie bislang nach Irland, Holland und in die Schweiz. Julia Bartha trat außerdem beim Schleswig-Holstein-Musikfestival und den Niedersächsischen Musiktagen auf. Neben Solokonzerten und Kammermusik gilt ihr besonderes Interesse Literaturmusikabenden, in denen sie mit Cornelia Froboess und Rainer Piwek (Thalia Theater Hamburg) zusammenarbeitet. 2004 erscheint ihre Debut-CD mit Werken von Schumann, Kirchner, Zemlinsky und Brahms.

Homepage: Julia Bartha

Vergrößerung
Nachtkonzert 1  
Emma Kirkby und Jakob Lindberg  
in St. Marien-Kirche  
Foto: Gerhard Menzel  

Nicht Perfektion, sondern das richtige Maß an musikalischer Interpretation und Gestaltung, stand beim Nachtkonzert 1 im Mittelpunkt des Programms, das die Sopranistin Emma Kirkby und der schwedische Lautenist Jakob Lindberg in St. Marien-Kirche präsentierten.

Den ersten Teil bildeten Kompositionen aus England. Sie stammten aus dem sogenannten "Goldenen Zeitalters" (ca. 1580 bis 1620), in dem die auf Madrigalkompositionen beruhenden, als Sololied mit Lautenbegleitung vorgetragenen "Ayres" ihre Blütezeit erlebten. Thematisch waren diese vor allem auf das zu dieser Zeit moderne melancholische Ausdrucksbedürfnis abgestimmt, in dem enttäuschte Liebe, Kummer, Unglück und immer wieder Tränen die zentrale Rolle spielten. Führende Vertreter dieser Gattung waren neben dem allgemein bekannten John Dowland vor allem Philip Rosseter, Thomas Campion, Thomas Morley, Alfonso Ferrabosco und Robert Johnson. Emma Kirkby und Jakob Lindberg gestalteten diese kleinen Kostbarkeiten mit entsprechend schlichtem, aber angemessenem Ausdruck.

Im zweiten Teil des Programmes kamen Kompositionen zur Aufführung, die nach der großen Kriesenzeit Englands - des Bürgerkrieges und des Commenwealth - entstanden sind und ganz neue musikalische Formen favorisierten. Zum Beispiel Henry Purcells "Bess of Bedlam", eines seiner zahlreichen Sololieder mit Continuobegleitung. Ganz inernational ausgerichtet waren die drei von Händel ausgewählten Kompositionen: die deutschsprachige Arie "Der Mund spricht zwar gezwungen", aus Händels erster Oper Almira (HWV 1), die mit Gitarre begleitete spanischen Kantate "No se emenderá jamas" (HWV 140) und die französische Arie "Nos plaisirs seront peu durable" aus der Kantate Sans y penser (HWV 155) Den Abschluß des Programms (das begeisterte Publikum erklatschte noch zahlreiche Zugaben) bildete Cataldo Amodeis "Va, che l'hai fatto a me". In den teilweise schon "musikdramatischen" Kompositionen demonstrierte Emma Kirkby nicht nur ihre differenziert eingesetzten musikalischen, sondern auch ihre großen darstellerischen Fähigkeiten. Auch hier war ihr Jakob Lindberg ein kongenialer Begleiter, der seine solistischen Meriten vor allem in einer Komposition von John Dowland und in Giuseppe Zambonis Sonata für Laute Solo eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte.

Die Ausführenden der beiden anderen Nachtkonzerte waren Kai Wessel (Alt) und Andreas Staier (Cembalo), sowie Dorothee Mields-Blotzki (Sopran) und das Marais Consort (Hamburg).

Von den vielen weiteren Veranstaltungen, auch im Holbornschen Haus, das seit dem Jahr 2002 als Händel-Zentrum den Festspielbesuchern als multifunktionale Anlaufstelle dient, seien noch die zwei Festgottesdienste erwähnt, die im Rahmen der Festspiele stattfanden: Zum einen der katholische Gottesdienst in St. Cyriakus in Duderstadt, in dem Ausschnitten aus Händels Dixit Dominus (HWV 232) mit den Solisten Barbara Tisler und Barbara Christina Steude (Sopran), dem Sächsischen Vocalensemble und der Batzdorfer Hofkapelle unter der musikalischen Leitung von Matthias Jung erklangen. Zum anderen der ökumenische Festgottesdienst in der St. Johannis-Kirche, in dessen Rahmen Bachs Kantate "Also hat Gott die Welt geliebt" (BWV 68) unter der Leitung Bernd Eberhardts von der Göttinger Stadtkantorei und dem Göttinger Collegium zur Aufführung gebracht wurde.

Eine Randnotiz muss noch zu einem "Ensemble" von Kostümen gemacht werden, die im oberen (rechten) Foyer der Stadthalle ausgestellt waren und daher nur von einer kleinen Anzahl von Besuchern wahrgenommen wurde. Die sehr eleganten und detailverliebten Kostbarkeiten stammten von Wolfgang Scharfenberger - der auch für die Kostüme zur diesjahrigen Oper Rinaldo verantwortlich zeichnete - und gehören zu dem Händel-Pasticco Gefährliche Liebschaften, das Samuel Bächli 1998 für Gelsenkirchen kompilierte. Bedauerlicherweise fand diese musikalisch und szenisch hochrangige Produktion nie den Weg zu (Händel-) Festspielen, obwohl sie es mehr als manche andere verdient gehabt hätte!

Es waren dieses Jahr - allein an der Anzahl von über 40 Veranstaltungen und dem Zeitraum von 10 Tagen gemessen - die umfangreichsten Händel-Festspiele in Göttingen, die - im Einklang mit der hohen künstlerischen Qualität - die Internationalität der Festspiele und der Stadt Göttingen (ausweitend auf die Region Südniedersachsens) erneut bekräftigten und sie damit zu einem wichtigen Bestandteil des jährlichen Festivalreigens machen..

Unter der künstlerischen Leitung von Nicholas McGegan - der seinen Vertrag bis zu Händels 250. Todesjahr im Jahr 2009 verlängert hat - finden die Festspiele im kommenden Jahr vom 10. bis 17. Mai 2005 statt und stehen dann unter dem Motto: "Händel und das Königshaus Hannover".




Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
Julia Bartha
Kostüme von Wolfgang Scharfenberger  
im oberen (rechten) Foyer der Stadthalle  
zum Händel-Pasticco Gefährliche Liebschaften  





Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2004 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -