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Bayreuther Festspiele 2004Premiere am 25.7.2004 Rezensierte Aufführung: 6. August 2004 Im Labyrinth der SymboleVon Silvia Adler / Fotos: © Bayreuther Festspiele GmbH
"Alles bringt Verletzung, die letzte Stunde tötet!" An vielen italienischen Kirchturmuhren kann man die mittelalterlich mahnenden Worte noch heute lesen: "Omnia vulnerat, ultima necat." Auch in Christoph Schlingensiefs Bayreuther Parsifal-Inszenierung prangt der lateinische Sinnspruch in weißen Kreidebuchstaben auf der Bühnenkulisse. Doch man könnte ihn leicht übersehen. Denn der flüchtige Schriftzug ist nur eines von unzähligen Zeichen, Chiffren und Symbolen, die auf die Vergänglichkeit weisen.
Abgestorben und grau, mit ins Leere gehenden Fensterlöchern erhebt sich im ersten Aufzug die Gralsburg, eingerahmt von Bauzäunen und Stacheldraht. Die Drehbühne entlarvt die ewigen Mauern als zweidimensionale Filmkulisse, die jederzeit abgebaut werden kann. Vor der Burg stehen Zelte, in denen die Protagonisten wie Nomaden hausen. Die Klagen des unheilbar verwundeten Amfortas versinken in einer auf das Bühnengeschehen projizierten Bilderflut aus Tierkadavern, afrikanischen Fruchtbarkeitsritualen und zuckenden Amphibien.
"Alles schreit", beschreibt Richard Wagner in einer Tagebuchnotiz das Wesen irdischer, der Vernichtung ausgesetzter Existenz.
Anders als gewohnt, interpretiert Christoph Schlingensief den Parsifal - der bei seiner Uraufführung 1882 von vielen Besuchern als das Vermächtnis eines Sterbenden empfunden wurde - nicht als mythisch überhöhtes "Weltabschiedswerk", sondern legt den Schwerpunkt seiner Inszenierung auf den realen Schmerz sterblicher Kreaturen. Ein toter Hase, der als Projektion über den Himmel der Gralsburg flackert, wird zum immer wiederkehrenden Vergänglichkeitssymbol.
Statt eines sublimen Bühnenweihspiels inszeniert der Bayreuth-Debütant ein auf die Bühne verlagertes Nahtoderlebnis, das den Zuschauer mit der eigenen Sterblichkeit konfrontieren soll.
Allerdings können die überbordenden Bilderwelten nur in einzelnen Momentaufnahmen wirklich berühren. Schon nach kurzer Zeit lässt das Übermaß an verrätselt zeichenhafter Symbolik das Auge des Betrachter abstumpfen.
Die eigentliche Handlung fristet unter dem bedeutungsschweren Überbau ein eher kümmerliches Schattendasein. Wie auf einem Tableau drapiert der Regisseur seine private Mythologie, die in ihrer exzessiven Vielfalt, das Bühnengeschehen zu ersticken droht. Die Dramaturgie wird zur Nebensache, das vielschichtige gedankliche Potential der Monologe bleibt weitgehend unausgeschöpft.
Die erstaunlich konventionelle Personenregie degradiert die Protagonisten auf der hoffnungslos überladenen Bühne häufig zu singenden Statisten. Allerdings bleibt die stiefmütterliche Behandlung der Charaktere nicht ohne Folgen: Sobald sich die erste Wirkung der frei assoziierten Bilder abgenutzt hat, bricht der Spannungsbogen der Inszenierung in sich zusammen. Bereits im ersten Aufzug verfällt die Aufführung trotz der dramatischen Kulisse in eine bleierne Lethargie. Nicht nur die Leiden des Amfortas, auch die abgründige Verführungskraft der Kundry erscheinen blass und vage.
Bei dem Versuch, dem in der Spätromantik verhafteten Werk eine noch heute allgemeingültige Aussage abzutrotzen, geht Schlingensief der Blick fürs Detail fast vollständig verloren. Die Vergänglichkeitsthematik als der größte gemeinsame Nenner, auf den sich die komplexe Struktur des Parsifal bringen lässt, droht alle anderen Aspekte des Stückes zu ersticken. Rätselhafte Paradoxe, die der Textvorlage des Dichterkomponisten ihre Faszination verleihen, werden nicht näher beleuchtet, sondern nivelliert.
Während das Orchester unter Pierre Boulez dem Vorspiel zum zweiten Aufzug magischem Klangzauber entlockt, begräbt die Regie die sinnliche Verführung, die von Klingsors geheimnisvollem Zauberschloss ausgeht, unter einem Bombardement belangloser Zeichen und Symbole.
Ausstaffiert mit Pelz- und Federkopfschmuck im Nepalstil tanzen die Zaubermädchen unter einem grellbunten Maibaum. Projektionen beschwören archaische Fruchtbarkeitsrituale. Vor einem hohen Bauzaum präsentiert ein Mann einen in Goldpapier verpackten Osterhasen.
Ohne einen Hauch von Sinnlichkeit erscheint der Zaubergarten als eine trostlos bunte, mit zusammenhanglosen Sinnsprüchen bemalte Bauruine.
Erst im letzten Aufzug scheint sich Schlingensiefs assoziativer, von der Dramaturgie des Stückes weitgehend losgelöster Bilderkosmos an die eigentliche Handlung anzunähern. Starke Wirkung entfaltet vor allem der Karfreitagszauber, in dem statt Blumen meterhohe Kakteen sprießen. Während der Gralsenthüllung in der letzten Szene zeigt eine Projektion den Kadaver eines von Fliegen und Maden zerfressenen Hasen. Nachdem der letzte Akkord verklungen ist, öffnet sich - wie bei einer Nahtoderfahrung - eine hellerleuchtete Tür am Ende eines dunklen Ganges.
Anders als das Orchester, dass seine Eigenständigkeit in den Orchestervorspielen mit äußerst differenzierter Klangintensität behaupten kann, haben es die Solisten ungleich schwerer. Fast ausnahmslos werden sie von den übermächtigen Bildern der Inszenierung an den Rand gedrängt.
Trotz der glänzenden sängerischen Leistung von Alexander Marco-Buhrmeister entwickelt die Figur des Amfortas nur wenig Profil. Kultiviert und markant, mit packendem Legato gestaltet Robert Holl den Gurnemanz. Seine lang ausgedehnten Monologe wirken auf der reizüberfluteten Bühne allerdings seltsam deplaziert. Leichter hat es der stimmgewaltige John Wegner als Klingsor, dem es gelingt, als archaischer Magier lebendige Akzente zu setzen. Wenig stimmliche Verführungskraft besitzt dagegen Michelle de Young als Kundry. Besonders in der Mittellage fehlt ihr das für die Rolle erforderliche Farbspektrum. Auch Endrik Wottrich als Parsifal kann sich mit seinem klangschönen, baritonal gefärbten Tenor, dem es mitunter an Durchschlagskraft mangelt, in der überbordenden Inszenierung nicht immer das nötige Gewicht verschaffen.
Auch wenn das Sängerensemble vom Bayreuther Publikum euphorisch gefeiert und die Regie nach Fallen des Vorhangs erwartungsgemäß mit einem Buhkonzert abgestraft wurde, blieb dennoch das Gefühl, dass Sänger und Zuschauer zu den eigentlichen Verlierern des Abends gehören. Angesichts von fast fünf Stunden bunt bebilderter Bühnenlethargie, konnte man es fast bedauern, dass der im Vorfeld herbeigeredete Skandal schließlich ausgeblieben ist.
Egomanisch überbordender Bilderkosmos mit einzelnen gelungenen Momentaufnahmen. Permanente visuelle Reizüberflutung lässt das eigentliche Bühnengeschehen in den Hintergrund treten. Glänzende Orchesterleistung. Solides Sängerensemble.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtdesign
Choreinstudierung Solisten
Amfortas
Gurnemanz
Parsifal
Klingsor
Kundry
Titurel
Ritter
Knappen
Klingsors Zaubermädchen
Altsolo
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- Fine -