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Die Zauberflöte

Oper von Wolfgang Amadeus Mozart
Text von Emanuel Schikaneder
Texteinlagen von Rafael Argullol


Koproduktion mit dem Teatro Real, Madrid, und mit der Opéra National de Paris
In deutscher Sprache
Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere in der Jahrhunderthalle Bochum am 7. September 2003
(rezensierte Aufführung: 18. September 2003)

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RUHRtriennale
(Homepage)

In Traumnetzwerken gefangen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Ursula Kaufmann


Die inhaltlichen Widersprüche der Zauberflöte sind seit je Gegenstand von Spekulationen, fordern Deutungsversuche: Haben Mozart und Schikaneder zwischenzeitlich Gut und Böse vertauscht? Setzt die Märchenhandlung bewusst die Logik der Erwachsenen außer Kraft? Oder kam es bei einer Boulevardposse solcher Art gar nicht auf Stimmigkeit an? Bei Aufführungen ist dem Publikum vom naiven Pappmaché-Ungeheuer bis zum Scientologisten-Guru Sarastro mal anklagend, mal verteidigend eine riesige Palette an Deutungsansätzen präsentiert worden, ohne dass man dadurch klüger geworden wäre.

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Traumwelten: Die Damen der Königin, mit leuchtenden Geschlechtsteilen, sind abstrakte Vertreter des Weiblichen ...

Die spanische Künstlergruppe La Fura dels Baus, deren Ursprünge im Straßentheater liegen, setzt diesen Interpretationsversuchen ein surrealistisch anmutendes Konzept des Nicht-erklären-könnens entgegen. Die Fabel wird, unter Verzicht auf Stringenz der Handlungselemente zur Traumvision, erscheint bruchstückhaft und keinem realen Raum mehr angehörig. Weniger die Idee an sich ist radikal (unverständliche Opernhandlungen als Traumsequenzen darzustellen gehört seit den 70er-Jahren zum Handwerkszeug etlicher Regisseure), sondern die Konsequenz, mit der La Fura dels Baus dies umsetzt. Das Bühnenbild – besser spricht man von einer Rauminstallation – von Jaume Plensa schafft mit überdimensionalen, an Luftmatratzen erinnernden Elementen eine verfremdete, aseptisch anmutende Atmosphäre, in der Bühnenarbeiter in klinisch weißen Kitteln den Eindruck einer Laborsituation verstärken. Schikaneders Personen haben jede Individualität verloren, agieren wie computeranimierte Kunstfiguren ohne Geschichte und Zukunft. Die narrative Ebene ist aufgegeben, schwingt freilich halbbewusst mit – man kennt seine Zauberflöte schließlich.

Schikaneders Dialoge sind komplett gestrichen und ersetzt durch Gedichte von Rafael Argullol ersetzt, die entfernt auf die Vorlage eingehen, aber in bewusster Uneindeutigkeit eine dezidiert poetische Ebene an die Stelle der Singspielharmlosigkeit setzen. Argullol arbeitet viel mit Gegensatzpaaren: Prinz und Narr, Sonne und Regen, Licht und Finsternis, Gefühl und Gedanke. Vollständig gefeit gegen Banalität und Pathos sind diese Texte, aus dem Off mit strenger Stimme gesprochen von Dörte Lyssewski, nicht. Zusätzlich werden Teiled des Textes in Form von beweglichen Spruchbändern auf die Bühne projiziert, sodass der Text Teil des visuellen Bühnenraums wird (besonders eindrucksvoll gleich zu Beginn, wenn der Sprachwurm als Schlange über Tamino herfällt). Innerhalb dieser neuen Textsphäre treten freie Assoziationen an Stelle einer Handlung. Die Polarität von Verstand (zugeordnet dem „hohen Paar“ Tamino/Pamina, klinisch weiß und mit gelben Polstern gegen Abstürze gesichert), und Trieb (ganz in Rot: Papageno/Papagena) zieht sich leitmotivisch durch, aber nicht im Sinne einer eindeutigen Zuordnung: Weil Schlüssigkeit nicht gefordert ist, existieren in dieser Traumwelt auch keine Widersprüche.

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... die Königin selbst bekommt einen großen Auftritt fast wie einst bei Schinkel ...

Auch wenn die Bilder (besonders im 2.Akt) mitunter austauschbar erscheinen, gibt es eine Reihe von grandiosen Szenen, deren Wirkung man sich schwer entziehen kann: Etwa die Auftritte der Knaben, die (klangschön und sauber vom Boden aus gesungen von Solisten des Knabenchores der Chorakademie Dortmund) von akrobatisch in der Luft agierenden Tänzern verdoppelt werden: An futuristischen Gestellen werden diese wie in Zeitraffer gedreht, bewegen Arme und Beine wie Insekten. An anderen Stellen kriechen Tänzer in den Matratzenelementen herum (überhaupt fasziniert der Einsatz dieser fast fließend anmutenden Elemente). Auch die Architektur der Jahrhunderthalle wird einbezogen, wenn ein rückwärtiger Gang geheimnisvoll ausgeleuchtet wird. In einer Szene fallen Unmengen kleiner Plastikbälle vom Himmel, in denen Pamina, Papageno und Monostatos kindlich herumtollen. La Fura dels Baus entwickelt eine visuelle Wucht, die alle eventuellen Einwände gegen das Konzept (das im Übrigen ungleich mehr parallele Assoziationsketten bietet, als hier angedeutet werden können) hinwegfegt.

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... Pamina und Tamino sind sich zwar unverkennbar ähnlich, aber durch rätselhafte Matratzen getrennt ...

Gewöhnungsbedürftig ist die Akustik des Raumes, in der die Sänger sehr weit entfernt, dadurch verhältnismäßig leise klingen. Dabei wird hervorragend gesungen. Phänomenal ist Genia Kühmeier, die mit warmer, dabei leuchtender Stimme und exzellenter Linienführung eine auch in diesem unterkühlten Ambiente anrührende Pamina gestaltet. Der Tamino von Matthias Klink ist perfekt sauber, die elegante Stimme mühelos in jeder Lage. Christian Gerhaher muss auf alles Atmosphärische, was üblicherweise den Papageno ausmacht, verzichten; gesungen ist die Partie aber tadellos. Erika Miklosa singt die Königin mit sportlich-dynamischer Attitüde, sicher in Koloraturen wie Spitzentönen (zu denen sie leider immer ein wenig auf die Zehenspitzen wippt). Durchweg stark sind die kleineren Rollen besetzt, auch sehr homogen im zusammenklang der Damen, Geharnischten und Priester, und überwältigend der jugendliche, von keinem Vibrato getrübte Klang des Chores der Ruhrtriennale. Einziger vokaler Schwachpunkt ist der Sarastro von Kwangchul Youn, der die Partie recht altväterlich gestaltet. Die Stimme ist ordentlich, klangvoll auch in der Tiefe; grausig aber, wie der Sänger die Tempi mal forciert, dann (besonders schrecklich in der "Heilge-Hallen"-Arie) verschleppt.

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... und für die Knaben ist es zum In-die-Luft-gehen (na ja, es sind ja nur die Verdopplungen, über die Tamino hier staunt).

Disparate Eindrücke hinterlässt Dirigent Marc Minkowski mit dem von ihm begründeten Orchester Le Musicians du Louvre – Grenoble. Minkowski wählt bewegliche Tempi, die sich im verlauf einer Nummer ruhig ändern dürfen – nur laufen ihm dabei regelmäßig Sänger und Instrumentalisten auseinander (was man bei der hier besprochenen 5. Aufführung wohl nicht mehr auf Premierennervosität schieben darf). Sehr flexibel passt er die Lautstärke des Orchesters an die Sänger an, aber dabei gehen oft auch Klangcharakteristika verloren. Ist stellenweise der durch historische Instrumente markant scharfe Klang in seiner Präsenz bestechend, so wirken andere Passagen unausgewogen. Mal dominieren sehr schön die Mittelstimmen, dann klingt's plötzlich wieder routiniert flach, und kaum hat eine Klarinettenlinie aufhorchen lassen, wird sie vom pauschalen Streicherklang wieder eingeholt. So deutet Minkowski an, was alles möglich wäre – aber löst nur einen Teil davon ein.


FAZIT

Ein Ansatz, der sich aller Eindeutigkeit versagt, darf mit Logik nicht gemessen werden. Bleibt ein über weite Strecken überwältigendes ästhetisches Konzept, musikalisch im Wesentlichen exzellent umgesetzt.

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Minkowski

Konzeption
La Fura dels Baus /
Jaume Plensa

Regie
Alex Ollé und Carlos Padrissa /
La Fura dels Baus

Bühne und Kostüme
Jaume Plensa

Video
Franc Aleu /
Urano

Texte
Rafael Argullol

Licht
Albert Faura



Ein Tanzensemble
Chor der Ruhrtriennale
Le Musiciens de Louvre - Grenoble


Solisten

Sarastro
Kwangchoul Youn

Tamino
Matthias Klink

Sprecher
Olaf Bär

Königin der Nacht
Erika Miklosa

Pamina
Genia Kühbauer

Drei Damen
Dorothee Jansen
Marie-Belle Sandis
Marijana Mijanovic

Papagena
Anne Cambier

Monostatos
Burkhard Ulrich /
Markus Brutscher (18.9.)

Drei Knaben
Sebastian Kausch
Raymond Leist
Paul Komusidi
(Solisten des Knabenchores
der Chorakademie Dortmund)

Geharnischte
Burkhard Fritz
Bernd Hoffmann

Priester
Martin Busen
Thomas Ebenstein

Stimme
Dörte Lyssewski

Tamino-Double
Gerald Butolen

Alte Papagena
Kazimiera Czakanski


Koproduktion mit
Teatro Real, Madrid
Opéra de Paris


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
RUHRtriennale
(Homepage)




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