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Musikfestspiele
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19.
Tage Alter Musik
in Regensburg

6. bis 9. Juni 2003



Tage Alter Musik Regensburg
(Homepage)

Festival mit vielen Höhen und einigen Untiefen

Von Ingo Negwer

Zum neunzehnten Mal traf sich am Pfingstwochenende eine wieder große Schar von Freunden der Musik vergangener Jahrhunderte, um an historischen Stätten der alten Reichsstadt Regensburg die Darbietungen von Orchestern und Ensembles aus Frankreich, Italien, Finnland, Tschechien, Polen, aus den USA und aus Deutschland zu erleben. In dreizehn gut besuchten, häufig ausverkauften Konzerten wurde Musik vom Mittelalter bis zur Klassik geboten.

Doch auch an dem von Pro Musica Antiqua organisierten Festival ist die ökonomische Krisenstimmung nicht spurlos vorbei gegangen. So kamen in diesem Jahr nur ca. 45, statt der erwarteten 60 Aussteller in die Stadt an der Donau, um im Salzstadel ihre Musikalien und Nachbauten historischer Instrumente zu präsentieren. Und auch die "Mittelbayerische Zeitung" hat ihr Engagement für das Festival merklich zurückfahren müssen: An Stelle der früher kostenlos verteilten Programmzeitung konnten die Besucher nun ein Programm käuflich erwerben, wurden jedoch für den Preis von 3,- Euro bestens mit Informationen rund um das Festival und die Konzerte versorgt.

Das Auftaktkonzert gestaltete das amerikanische Ensemble The Terra Nova Consort mit Renaissancemusik aus Spanien. Die Gruppe, nach drei Jahren zum wiederholten Male in Regensburg, weiß mit sprühender Vitalität das Publikum rasch für sich zu gewinnen. Ihr Bemühen um die folkloristischen Wurzeln der Werke von Juan del Encina, Luys Milán, Juan Vasquez u.v.a. ist jedoch bei allem Engagement mehr als fragwürdig. So konnte die Berufung auf den andalusischen Flamencogesang (Cante jondo) im Programmtext die gesangstechnischen Defizite quasi aller Beteiligten nicht schön reden. Was insbesondere Sue Carney und Kay Hilton mit viel Emphase dem Publikum boten, war schlichtweg eine Zumutung. Gleiches ist über die Instrumentalisten zu sagen. Die Vihuelen (vergleichbar der Laute das höfische Instrument des spanischen Adels) wurden mit modernen Gitarrenplektren in einem rhythmischen Dauerfeuer misshandelt, das nur von der grob einsetzenden Perkussion übertönt wurde. Und was eine Violine (Tina Chancey), zumal eine romantische mit Feinstimmern und "modernem" Bogen, in einem Programm mit spanischer Musik des 15./16. Jahrhunderts zu suchen hat, ist dem Rezensenten wie so manches in diesem Eröffnungskonzert ein Rätsel geblieben. Die Verbindung von Alter Musik und Folklore kann durchaus fruchtbar sein. In der Form jedoch, wie The Terra Nova Consort im Reichsaal auftrat, wird (alte) Musik zur beliebigen Pharse. Es konnte nur besser werden!

Das wurde es dann auch mit dem Nachtkonzert im Dom St. Peter, wo das Ensemble européen William Byrd aus Paris die Messe de Notre Dame von Guillaume de Machaut interpretierte. Brigitte Vinson (Mezzosopran), Bruno Boterf und Vincent Bouchot (Tenor) sowie François Fauché (Bariton) und Paul Willenbrock (Bass) ließen als homogene Einheit dieses Schlüsselwerk der europäischen Musikgeschichte an der Schwelle vom Mittelalter zur Renaissance als ein klangliches Ausloten des gotischen Raumes erleben. Ergänzt bzw. in einem liturgischen Sinne eingefasst wurde die Messe von gregorianischen Chorälen, Kompositionen aus dem Buxheimer Orgelbuch (Graham O'Reilly, Orgel und Leitung) und Motetten von Gilles Binchois, Johannes Ockeghem und Guillaume Dufay.

Nachdem der Freitagabend doch eher Raum für unerfüllte Hörerwünsche gelassen hatte, setzte das Ensemble Rebel aus New York in der Matinée des folgenden Tages im Reichssaal einen ersten Glanzpunkt der diesjährigen Tage Alter Musik. Im Zentrum standen Kompositionen von Georg Philipp Telemann, in denen sich seine Auseinandersetzung mit der polnischen Volksmusik widerspiegelte. Die Suite G-Dur aus Händels "Wassermusik" rundete das Programm ab. Das exquisite Ensemble pflegt einen eleganten Ton mit kontrastreichen dynamischen Abstufungen. Dabei geraten die New Yorker jedoch nie in die Gefahr, in manierierte Extreme zu verfallen. Matthias Maute hinterließ als Solist sowohl auf der Travers- als auch auf der Blockflöte einen bestechenden Eindruck. In diesem umjubelten Konzert stimmte quasi alles: die Virtuosität, die Spielfreude und nicht zuletzt der sympathische Auftritt der Ausführenden!

In der St.-Oswald-Kirche war das finnische Sixth Floor Orchestra mit "Klassischer Orchestermusik des 18. Jahrhunderts aus Finnland und Schweden" zu erleben. Die schwül warme Witterung bereitete den Musikern leider einige Intonationsprobleme, dennoch konnten sie letztlich durch einen luftigen, transparenten Klang überzeugen. Die Werkauswahl betreffend muss jedoch die Frage erlaubt sein, ob es sich um Kompositionen von bleibenden Erinnerungswert handelt. So gab es an diesem sommerlich heißen Nachmittag eher leichte Kost, etwa in Form von je 3 Kontretänzen und Menuetten von Erik Ferling oder mit dem in seiner kantablen Melodik vage an den jungen Mozart erinnernden Violinkonzert von Erik Tulindberg (schönes Solo: Laura Vikman). Bei der ersten Begegnung mit dem Sixth Floor Orchestra – es handelte sich um die Deutschland-Premiere – hätte man sich letztlich auch einmal einen deftigeren Gang bei der Menüauswahl gewünscht. Die Sinfonie cis-moll von Joseph Martin Kraus mit ihren dramatischen Akzenten sorgte in dieser Hinsicht ein wenig für Ausgleich.

In großer Besetzung ließ sich am Abend das Collegium 1704 aus Prag hören. Sehr virtuos, mit warmen Orchesterklang und präsenten Bässen interpretierte man Ouvertüren und Concerti von Jan Dismas Zelenka, Johann Heinrich Fasch, Antonin Reichenauer und Henrico Albicastro. Ein wunderschönes Oboen-Solo (Michael Bosch) im Concerto a 4 des letztgenannten Komponisten verdient besondere Erwähnung. Leider fiel einmal mehr bei aller Klangpracht die Transparenz der überaus halligen Akustik der großen Minoritenkirche zum Opfer. Ein kleiner Wehrmutstropfen auf einem insgesamt gelungenen Konzertabend, der anschließend mit dem Ensemble Weser-Renaissance in der Dominikanerkirche ausklingen sollte.

Die Bremer Spezialisten für Musik des 16. und 17. Jahrhunderts gestalteten unter der Leitung von Manfred Cordes eine Marienvesper, wie sie von Orlando di Lasso und der Münchner Hofkapelle aufgeführt worden sein könnte. Die a capella gesungenen Antiphonen zeichneten sich durch Homogenität und meditative Ruhe aus. Hingegen erwiesen sich die Arrangements der Psalmvertonungen als eher problematisch. Allzu häufig gingen die Solostimmen im Ensemble mit Zinken und Posaunen unter – vom Text ganz zu schweigen. Die Praxis, Vokalstimmen durch Instrumente zu ersetzen, wurde bekanntlich schon von den Zeitgenossen als Notlösung empfunden. Angesichts von acht anwesenden, häufig unbeschäftigten Sängerinnen und Sängern war dieses Verfahren hier nicht recht nachvollziehbar. So hinterließ der Auftritt des einzigen deutschen Ensembles bei den diesjährigen Tagen Alter Musik einen eher blassen und leider auch recht unmotivierten Eindruck. Schade!


Vergrößerung in neuem Fenster Artek in der St.-Oswald-Kirche (Foto: Pro Musica Antiqua).

Mit großem Engagement bei der Sache – bei Claudio Monteverdis späten Madrigalen – war das amerikanische Ensemble Artek in der Sonntagsmatinée. Jessica Tranzillo (Sopran), Barbara Hollinshead (Mezzosopran), Philip Anderson, Michael Brown (Tenor) und Paul Shipper (Bass) gaben einen ebenso vitalen wie humorvollen Einblick in die Welt von Monteverdis Preziosen. Begleitet wurden sie von einem großen Generalbass-Ensemble mit Arciliuto, Chitarrone, Gitarre und Cembalo. Spielfreude und die sympathische Kommunikation mit dem Publikum trugen zum insgesamt stimmigen Gesamteindruck bei, den Artek hinterließ.

Ebenfalls mit viel Elan wurde das Festival am Nachmittag von Arte dei Sonatori und dem Blockflötisten Dan Laurin fortgesetzt. Auf dem Programm standen Werke von Vivaldi und Telemann. Das polnische Ensemble, deutlich kleiner besetzt als Collegium 1704 am Vortag, demonstrierte eindrucksvoll, dass man auch in der Minoritenkirche einen klaren, durchhörbaren Orchesterklang erzeugen kann. Die größte Aufmerksamkeit zog jedoch der Solist mit seinem extravaganten, hoch virtuosen, aber nie motorisch wirkendem Spiel auf sich. Dan Laurin trat vielmehr mit einem flötistischen Parlando in ständigen Dialog mit dem Orchester, dass ihm ein ebenbürtiger Partner war.

Am Abend gab das Zefiro Barockorchester mit "Wassermusiken von Händel, Vivaldi und Telemann" seine Visitenkarte bei den Regensburger Tagen Alter Musik ab. Unter der Leitung des Oboisten Alfredo Bernardini spielten die Italiener neben Händels Wassermusik-Suiten die inzwischen ebenfalls sehr beliebte "Hamburger Ebb' und Flut" von Telemann sowie Vivaldis Concerto "La Tempesta die Mare" (Traversflöte: Marcello Gatti). Selten konnte man bisher ein italienisches Ensemble mit einem derart kultivierten homogenen "französischen" Orchesterklang mit feinen dynamischen Abstufungen hören, wie etwa in der Telemannschen Wassermusik. Überhaupt spielte Zefiro in dem live vom Radio übertragenen Konzert, gleichsam als ginge es ums eigene Leben. Verglichen beispielsweise mit den Auftritten der Akademie für Alte Musik Berlin, Pfingsten 2002, oder Weser-Renaissance in diesem Jahr, mag der Zuhörer eine Ahnung bekommen haben, warum die Veranstalter mehr und mehr auf ausländische Spitzenensembles setzen.

In der Verbindung von mittelalterlichen "Cantigas de Santa Maria", jüdischen und arabischen Gesängen vom 11. bis zum 21. Jahrhundert gelang dem Mailänder Theatrum Instrumentorum ein musikalischer Brückenschlag zwischen den Religionen und Kulturen, die einst in Spanien koexistierten. Die versierten Interpreationen zeichneten sich durch eine Vielfalt der eingesetzten Instrumente – von der Laute und der arabischen Oud bis hin zur Klarinette – und rhythmische Vitalität aus. Jedoch überforderte das etwa zweistündige Programm zu mitternächtlicher Stunde nicht nur die Konzertration des Rezensenten...


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La Venexiana im Reichssaal (Foto: Pro Musica Antiqua).

Die Matinée des letzten Festivaltags wurde von La Venexiana mit Madrigalen von Carlo Gesualdo und seinen Zeitgenossen gestaltet. Das italienische Vokalensemble, mittlerweile quasi auf allen Bühnen der Welt zuhause, besticht durch seine hervorragenden Einzelstimmen, die sich zu einem homogenen Ganzen verbinden ohne jedoch an Individualität einzubüßen. So kam im Reichssaal die Expressivität der höchst modern anmutenden Harmonik dieser Madrigale zur vollen Geltung. Den Nachmittag verkürzte Belladonna aus den USA den Konzertbesuchern mit "Folias-Tänzen des 17. Jahrhunderts. Cléa Galhano (Blockflöte), Margret und Rebecca Humphrey (Violine und Violoncello) sowie Barbara Weiss (Cembalo) bildeten ein insgesamt fein aufeinander abgestimmtes Ensemble.


Vergrößerung in neuem Fenster Philippe Herreweghe und Andreas Post in der Dreieinigkeitskirche (Foto: Pro Musica Antiqua).

Der krönende Abschluss der Tage Alter Musik 2003 blieb jedoch Philippe Herreweghe und seinem Collegium Vocale Gent & Orchester vorbehalten. Musik von Johann Sebastian Bach stand auf dem Programm: die Kantate "Was Gott tut ist wohlgetan" BWV 99, die Bearbeitung von Pergolesis Stabat Mater, "Tilge, Höchster, meine Sünden", und die Missa F-Dur BWV 233. Das exzellente belgische Ensemble unterstrich in der Dreieinigkeitskirche, dass es derzeit zu den absoluten Topadressen in Sachen Bach-Interpretation zählt. Das 16-köpfige Collegium vocale lässt in Bezug auf Homogenität, Präzision und Textverständlichkeit quasi keine Wünsche offen. Das junge Solistenquartett, Sibylla Rubens (Sopran), Stefanie Houtzeel (Alt), Andreas Post (Tenor) und Thomas Bauer (Bass) fügten sich ausgezeichnet in das Gesamtbild ein. Am Ende des Konzerts blieb nur der Wunsch nach mehr... So bedankten sich Herreweghe und sein Team mit einer Zugabe (aus dem Gloria der Missa) beim begeisterten Publikum. Ein Finale, das den hohen Erwartungen voll und ganz gerecht wurde und damit manchen eher blassen Moment dieser Tage Alter Musik in Regensburg vergessen ließ.




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