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Bayreuther Festspiele 2003Premiere der Neuproduktion am 25.7.2003 Rezensierte Aufführung: 4. August 2003 Erlösungsverweigerung als MethodeVon Ralf-Jochen Ehresmann / Fotos: © Bayreuther Festspiele GmbH
Schon die Ouvertüre nimmt die Lösung vorweg: keine Erlösung. Unerlöst fühlte sich denn auch - wenngleich auch anders motiviert - ein Teil des Publikums, kaum dass die Wagnergardine schräg verschwunden war: "Nicht schon wieder ein Treppenhaus, das hatten wir doch neulich erst!" So raunte es wortlos durch die 30 langen Reihen, denen noch gar nicht aufgegangen sein konnte, welche zauberhaften Aufhebungen des Raum-Zeit-Bezuges diese "Dispositionsparallaxe" frei nach Herbert Rosendorfer noch entfalten würde.
Denn dass es ganz so einfach nicht wäre, konnte denen bereits vorab bewusst sein, die sich durch die traditionelle Radioübertragung der Eröffnungspremiere am 25.Juli eines jeden Jahres auf das diesjährige Festspielgeschehen einstimmen wollten. Gerade, wem die Besetzungsliste nicht vorlag, dürfte gestutzt haben angesichts der weitreichenden Identität im Klangcharakter der beiden männlichen Hauptdarsteller, Daland und Holländer. Bereits dort bedurfte es guter Textkenntnis, um überhaupt zu wissen, wer von den beiden momentan singt. Wer nun das Glück besaß, diese Ohrenfreude im Bühnenbild des Festspielhauses spiegeln zu können, machte die erstaunliche Entdeckung, dass sich derselbe Vorgang wiederholte, hier allerdings gesteigert um das Moment der optischen Austauschbarkeit. Zwei Männer verkörpern grundgegensätzliche Prinzipien der Weltanschauung: Daland die unkritische Bejahung der Existenz und die unverhohlene Suche nach maximaler Vorteilsnahme auch zulasten anderer Leidtragender; der Holländer hingegen unerträglichen Leidensdruck, Verachtung des Bestehenden, Weltflucht und Erlösungssehnsucht. Indem Claus Guth diese Gestalten ineins setzt, zum reziproken Abbild ihrer selbst formt, vollstreckt er auf anderer neuer Ebene das unhintergehbare Erbe Harry Kupfers, der mit seiner Inszenierung von 1980 Wagners frühestes Musikdrama mustergültig repsychologisiert und die ganze Handlung als eine Fiktion in Sentas kranker Seele gezeigt hatte. Folgerichtig blieb schon hier für das Erlösungsfinale kein Raum mehr, was seitdem sicherlich als guter Standard gelten darf, wie sich in neueren Inszenierungen verlässlich zeigt, wenngleich Wagner nicht Wagner wäre, wenn die Katastrophe nicht variierbar und dennoch immer wieder neu authentisch gestaltbar wäre, was erst kürzlich Meisters Urenkelin Katharina Wagner in Würzburg bewiesen hat (OMM-Rezension: Der Fliegende Holländer in Würzburg. Das hinderte freilich die unbeirrbaren Vertreter der Märchenfinalefraktion nicht daran, hier wie dort ihren Unmut durch laute Buhrufe kundzutun. Wir halten's da lieber mit Kothner: "Der Kunst droht' allweil' Fall und Schmach, läuft sie der Gunst des Volkes nach!" Dort nämlich scheint unbekannt zu sein, dass Richard Wagner selbst beide Finalvarianten vorgelegt hat, die eine also ebenso authentisch ist wie die andere, der Erlösungsschluss allerdings knapp 20 Jahre jünger!
Der Fliegende Holländer, 1. Akt
War für Harry Kupfer die ganze Handlung ein innerer Vorgang Sentas, die ganze Holländererscheinung, soweit sie über das Wandbild hinausgeht, nur ihre Fiktion und ihr finaler Sprung ins Wasser demnach ein Selbstmord aus ungeklärter Ursache, so zeigt Claus Guth die Schizophrenie unbewältigter Kindheit am Bilde einer jungen Frau, die gefangen in der internen Klapsmühle mit der Realität des Erwachsenseins so wenig zurecht kommt, dass sie permanent jene Märchen heraufbeschwört, zu deren heutigem Protagonisten sie den väterlichen Erzähler von einst umphantasiert. Erlösung aus dieser virtuellen Verdoppelung ihrer selbst wie der Bezugsperson und auch des schräg gespiegelten Raumes findet demnach nur dadurch statt, dass ein Diabolus ex machina in der Klimax des Alptraumes die multiple Projektion beendet, das Mädchen durch Höllenfahrt entführt und den Märchenopa zuboden streckt: Für die Protagonistin ohne Option zur Selbstersäufung verbleibt damit nur die imaginäre Gummizelle.
Die in diesem Konzept enthaltenen Ideen wurden bravourös umgesetzt. Die Choreographie der Figuren und ihr mal paralleles, mal reziprokes Wechselspiel sind dabei nur 1 Element des Gelingens, zu dem der schrägaxial gespiegelte Raum ebenso mit beitrug wie auch die Fülle der Lichteffekte oder punktgenau stürzenden Möbel.
John Tomlinson als Titelheld , wofern man hier von Held sprechen kann, war fast eine Spur zu gewichtig für die Partie. Gerade seine einzigartige Auskostung der Vorhalte spannte den Bogen des noch Opernhaften in diesem Werk bis zum Äußersten, ließ das Zukunftsweisende überdeutlich hervortreten und manövrierte damit ihn selbst an den Rand dessen, wo hinter manchem überhauchigen Raunen die Absturzgefahr des nicht mehr tragenden Abgrundes aufblitzte. Seine perfekte Diktion schon im einleitenden Monolog ließ die ewige Vernichtung als Erlösungsidee authentisch erscheinen. Überhaupt ließen Betonung und Akzent auch eine Beherrschung sprachlichen Witzes erkennen, wie sie nur selten - außer bei guten Loge-Darstellern - anzutreffen ist. Die erstaunliche Kongruenz in Körperfigur, Klangfarbe und Gesamtgestalt mit Jaakko Ryhänen als Darsteller des Daland bezeugt die Sorgfalt in der Auswahl der Mitwirkenden. Deren tadellose Choreographie mit teilweise analogen, teilweise reziproken Handlungs- und Bewegungsmustern legte beredtes Zeugnis ab von der Gründlichkeit der Details und ihrer Einstudierung und sorgte neben manchem Gag auch für enervierende Großbilder, die auch über den Tag hinaus in der Erinnerung bleiben werden.
Der Fliegende Holländer, 2. Akt
Steuermann Tomislav Muzek gestaltete sowohl seine Arie wie auch die kurzen Passagen drumherum in auffallend und dabei gut passender Weise extrem lyrisch bis an die Grenzen des Belcanto, derweil Uta Priew (Mary) zwischen solchen Schwergewichten beinahe aufgerieben wurde, was nun genau nicht daran lag, dass sie schlecht gesungen hätte, wenn ihr nichts weiter vorzuwerfen ist, als dass sie die Einzelsilben bisweilen etwas zu sehr abgesetzt hat. Hervorzuheben ihre unnachahmliche Art, am Krückstock und obendrein halb erblindet durch den Saal zu schleichen - und dabei doch im rechten Moment wieder zur Stelle zu sein.
Ähnlich bei Erik: seiner Ausführung nach am weitesten der Oper als Form verhaftet, weidet Namensvetter Endrik Wottrich die Lyrismen seines Parts weidlich aus, setzt dabei aber auffällig und durchaus nicht unpassend auf Weinerlichkeit als Stilmittel. Den ihm sonst ebenso gut liegenden Hochglanz scheint er sich eher für den Froh im Rheingold reserviert zu haben...
Adrienne Dugger, heuer als Senta erstmalig in Bayreuth, klang wie sie spielte gar nicht mädchenartig, fast zu reif. Erkennbar ganz nach innen gerichtet, nicht auf Effekt bedacht, ist sie in ihren Dialogen nur uneigentlich bei der Sache, und wie für sie die Welt nur ein Rollenspiel ihrer Vorstellung abgibt, ist ihr jeweiliges Gegenüber für sie kaum real vorhanden. Das hindert sie freilich nicht, als Darstellerin voll präsent zu sein und so auch die - zum Glück nur seltenen - Tempowechsel von Marc Albrecht astrein zu übernehmen und damit in Sachen Akkuratesse die Siegerliste anzuführen.
Der Fliegende Holländer, 3. Akt
1A auch wieder die Chöre mit jener verlässlichen Vorhersehbarkeit, die jeden Propheten arbeitslos machen würde. Erreichen die Männer eine Stimmgewalt, die selbst dann noch beeindruckt, wenn sie nur durch hinten geöffnete Flügeltüren hereinschallen, so meistert der Chor der Spinnerinnen jene Klippe musikalischer Komik, dass ihr Lachen ernstlich wie echtes Gelächter klingt - und nicht wie peinlich-unlustiger Haha-Gesang. Noch eine relative Unschärfe etwa in der Erwartung der Heimkehrer ("Sie sind daheim"), wo sie nicht ganz zusammen sind, wirkt sehr treibend und verbreitet damit genau jene treibende Unruhe, um deren Ausdruck es hier geht.
Unbestreitbar ein ganz großer Wurf, der es rechtfertigt, im Bestellbogen 2004-2007 ein Kreuz beim "Fliegenden Holländer" einzutragen, sofern man in dieser Zeit mit Zuteilung rechnen darf, auch wenn man anderweitig viel mehr Stunden Wagner erzielen könnte!
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Choreinstudierung SolistenHolländerJohn Tomlinson
Daland
Senta
Erik
Mary
Steuermann
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- Fine -