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Musikfestspiele
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Mittwoch, 8. Mai bis Sonntag, 12. Mai 2002, Saarbrücken

Musik im 21.Jahrhundert




Staub in allen Sälen II

Matthus als künstlerischer Leiter enttäuscht

Von Sebastian Hanusa

Die wenig aufregende Produktion der "Verkauften Braut" am Staatstheater war lediglich der Abschluß eines insgesamt wenig ersprießlichen Musikwochenendes in Saarbrücken. Vorangegangen war der diesjährige Durchgang der "Musik im 21. Jahrhundert", dem Festival für Neue Musik des Saarländischen Rundfunks.

Das renommierte, von Christof Bitter und Hans Zender 1970 gegründete Festival wird seit 1999 von einem jährlich wechselnden künstlerischen Leiter programmatisch gestaltet. Dieses Jahr oblag dies dem Komponisten Siegfried Matthus, dem mithin fast bekanntesten Vertreter jener Komponisten-Generation nach Eisler und Wagner-Regeny, die für die Neue Musik der DDR in den siebziger und achtziger Jahren stehen. Leider hatte all jenes, was offensichtlich Matthus' Handschrift zu tragen schien mehr musealen Charakter, öffnete den Blick auf eine problematische Periode deutscher Musikgeschichte. Hierbei von einer gegenwartsbezogenen, gar zukunftsweisenden Ortsbestimmung zu sprechen fällt indes schwer. Vielmehr gab das Festival Aufschluß darüber, wie die Neue Musik der DDR im Spagat zwischen der politisch verordneten Rückständigkeit des sozialistischen Realismus und dem versuchten Anschluß an die Avantgarde des 20.Jahrhunderts zu bestehen versucht hat, aber auch der Gefahr einer epigonalen Farb- und Gesichtslosigkeit ausgesetzt war.

Gerade letzterem scheint Matthus anheimgefallen zu sein, sofern man die von ihm gespielten vier Stücke - für höchst unterschiedliche Besetzungen - als repräsentativ nehmen darf: Neben dem Rückgriff auf viel bewährtes und hinreichend bekanntes Material aus der spätromantischen Konkursmasse ist es der Eindruck kompositorischer Beliebigkeit, der sich hartnäckig einstellt. Man weiß in Matthus' Stücken als Hörer überhaupt nicht, warum die handwerklich solide gesetzte Musik sich nun so zusammensetzt, während sie in anderer Gestalt ebenso wenig musikalische Aussagekraft zu besitzen scheint. Dass Matthus' mit den Schubert-Referenzen in seinem Streichquartett "Das Mädchen und der Tod", der Nietzsche-Vertonung in "Ariadne" für Bariton und Orchester oder in seiner Rilke-Oper "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" gewichtige Positionen der Tradition heranzieht, macht seine Musik auch nicht erheblicher: Ein paar glanzvollen Etikette vermögen hier nicht mehr musikalische Substanz nach sich zu ziehen.

Von den augenscheinlich im Gefolge des künstlerischen Leiters verpflichteten Komponisten war es einzig Bernd Franke, der halbwegs überzeugen konnte. Sein "Time is a ..." für Vokalquartett und Klavier begann mit einer von tickenden Eieruhren begleiteten theatralischen Einlage. Pianist Olav Kröger zog die Eieruhren auf, aus dem Publikum heraus entfalteten die Vokalisten einen sich fulminant auftürmenden Sprechgesang, begleitet von szenischer Aktion. Leider folgte ein wenig aufregendes Vokalstück als zweiter Teil, welches dem frischen Anfang einen faden Schatten anhängte. Geradezu peinlich gerieten die bemühten Klavierakkorde und die vereinzelten, Kung-Fu-Filmen entnommene Gongschläge des Pianisten. Weitaus interessanter war Frankes "I met Feldman at the crossroad..." für Streichquartett und Sopran. Sieben gut ausgehöhrte Miniaturen - vier davon mit Stimme - verrieten einen sensiblen Umgang mit dem jeweils recht reduzierten Material. Leider demontierte Franke auch hier seine Musik partiell, indem Sopranistin Cordula Berner ihren Gesangspart mit unmotiviertem Percussion-Klingklang ergänzen mußte.

Zur Lachnummer geriet "Madrigal" für acht Vokalisten, Schlagzeug und Klavier des an Matthus' Rheinsberger Kammeroper verpflichteten Pianisten Olav Kröger. Das Auftragswerk des SR ähnelte diverser Kirchentagsmusiken, was dem Stück so manch eine Aufführungsmöglichkeit durch kleinere Kirchenchöre garantieren dürfte, sofern der erschreckend schlechte Text keine abschreckende Wirkung ausübt. Was dies mit Neuer Musik zu tun hat blieb hier ebenso rätselhaft, wie in den sanft dahinplätschernden Tonalismen der "Zwei Lieder nach Gedichten von Pablo Neruda" von Daniel Altdorff.

Einen gewissen Kuriositätswert konnte man auch den Indianerliedern Karlheinz Stockhausens - aufgeführt am Samstag nachmittag - von 1972 nicht absprechen. Dies lag gar nicht so sehr an den - als Teil der Happening-Komposition "Alphabet für Liège" entstandenen - Gesängen für zwei Solo-Sänger, als vielmehr an der Inszenierung ganz im Sinne des Meisters. Augenscheinlich hatte Cornelia Hegers Regie nur deswegen das Placet Stockhausens erhalten, da dieser darauf vertrauen konnte, mit ihr auf eine orthodox-dogmatische Vertreterin seiner privaten Esoterik vertrauen zu können. Die Aufführung war jenes merkwürdige Mix aus Eurhythmie-Stunde, Kindertheater und Leni-Riefenstahl-Ästhetik, wie sie von der "Woche aus Licht" hinlänglich bekannt ist. Verwunderlich war, dass mit Sopranistin Inga-Britt Andersen und Bariton Manuel Wiencke zwei derartig herausragende Interpreten die extrem schwierigen Partien der linientreuen Veranstaltung einstudiert haben, aber ebenso Stockhausens kompositorisches Können, den Gestus der Indianerlieder im Kontext seiner glattpolierten Wohlklänge zu integrieren.

Die Integration von Tradition und Vorstellungswelt der Indianer mit einer großen symphonischen Form versuchte die Amerikanerin Susan Botti mit ihrem "EchoTempo" für Sopran, Schlagzeug und Orchester. Neben der Freude über Christopher Lamps atemberaubend virtuose Beherrschung der Percussion bliebt hier lediglich die Enttäuschung, dass ein weiteres Stück hollywood-tauglichen Orchester-Kitsches mittelmäßigster Originalität dem Leumund der Neuen Musik Amerikas abträglich ist.

Zeugnis für eine mehr als ernstzunehmende Position us-amerikanischer Avantgarde legte hingegen ein Klassiker ab: George Crumbs 1969 geschriebene Lorca-Vertonung "Night of the four moons". Zusammen mit einigen anderen "Standarts" wie Berios "Sequenza III", Scelsis "Ogloudoglou" und kleineren Klavierliedern von Wolfgang Rihm und Adriana Hölsky rundete es die "Lange Nacht des Gesangs" ab - und war von den genannten Stücken jenes, welches nicht nur keine Patina anzusetzen droht, sondern mit seiner Frische, präzisen Formulierung und großartigen Expressivität vieles weitaus jüngeres an Aktualität in den Schatten stellte. Neben Crumb waren es die beiden eigentlichen Entdeckungen des Festivals, die das Ausharren in der vierstündigen Konzertveranstaltung - in kompositorischer Hinsicht - rechtfertigten: Das wunderbar konzentrierte, sechsminütige "Lied" des Östereichers Georg Friedrich Haas - komponiert für Tenor und zwei Schlagzeuger - sowie "Lohn" für Sopran und Elektronik von Kaija Saariaho. Wie Fenster zu anderen Klangwelten öffneten beide Stücke den Blick dafür, wie - sogar mit expliziten Bezügen auf die Tradition - jenseits munter seicht plätschernder Regressiva-Musik und weit über Matthus' musikalischem Leerlauf eine zukunftsorienierte Musik möglich ist.

Ebenfalls mehr am Puls der Zeit präsentierte sich das Konzert der musikFabrik NRW. Eine durchaus spannend zu hörende Komposition Michael Reudenbachs - sein an den Ränder der Stille tastendes "Stück für Stück" - Luca Lombardis "Amore" mit seinen unaufgeregten, weichen Melodismen und besonders "Knochenspiel" für Ensemble und Barockensemble - als Auftragswerk von Tobias Schwenke geschrieben - garantierten einen runden Abend. Insbesondere Schwenkes Stück mit der interessanten Kombination zweier auratisch höchst unterschiedlicher Instrumentalformationen geriet zu einem spannenden Erlebnis. Darüberhinaus war es insbesondere die expressive Gestaltung des Gesangsparts von Sopranist Ralf Peter, die zu fesseln vermochte. Dass mit Christoph Staudes "Portal" eine Viertelstunde relativen musikalischen Leerlaufs folgte, war zu verschmerzen. Dafür konnte man sich im Foyer des Funkhauses an der - leider einzigen ernstzunehmenden - Klanginstallation des Festivals erfreuen. Stefanie Hoppes "Nur Mund" kombinierte Video-Aufnahmen einer rätselhaft-fluoriszierenden Mundpartie, die erst beim genauen Hinblicken als Spuckeblase mit Lichtspiegelungen zu erkennen ist, asynchron mit gehemmten Stimmlauten. Sehr spannend war es, sich in einem faserigen Riß zwischen auditiver und visueller Wahrnehmung von einem unprätenziösen und subversiv irritierenden Querstand der beiden Materialebenen gefangen nehmen zu lassen.

Ein anderer Höhepunkt war die Uraufführung des Klavierkonzerts "For Francis Bacon, three studies for a self-portrait" von Mario Garuti. Das großflächige, ob der enormen Klangmassen ein wenig an die sechziger Jahre erinnernde Stück besaß mit seinen energetischen Farben und einer groß angelegten, schlüssigen Zeitgestaltung eine starke Faszinationskraft. Hier war es die zurückhaltende Interpretation durch das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken unter seinem GMD Günther Herbig, die einen gewisse letzte Zuspitzung der Form versagte.

In Kontrast hierzu waren es insbesondere zwei Saarbrücker Institutionen, die dem Festival jenen Schwung verliehen, den man im großen und ganzen vergeblich unter den meterdicken Staubschichten suchte: Das von Studierenden der Musikhochschule gestaltete Prolog-Konzert am Vorabend des Festivals und die Saarbrücker Komponistenwerkstatt: Letztere ein Wettbewerb für angehende Komponistinnen und Komponisten mit der Möglichkeit, ein Orchesterstück mit dem Rundfunkorchester und diesjährig dem Dirigenten Manfred Schreier zu erarbeiten und aufzuführen. Die Interpreten der Hochschule, wie auch die drei Teilnehmer der Komponistenwerkstatt Ines Lütge, Karola Obermüller und Andrés Maupoint ließen etwas von jener Lebendigkeit und Gegenwartsbezogenheit erahnen, die das Festival in den nächsten Jahren dringend benötigt, um sich bei klammen Kassen und der derzeit latenten Gefahr einer zunehmenden kulturellen Provinzialisierung des Saarlandes weiterhin zu behaupten. Immerhin verspricht die Verpflichtung der ursprünglich schon für dieses Jahr vorgesehenen Kaija Saariaho als Leiterin des nächsten Festivals einiges an neuen Impulsen.

Da capo al Fine

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