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Musikfestspiele
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Freitag, 16. November 2001 bis Sonntag, 18. November 2001, Forbach

Rendez-Vous Musique Nouvelle




Stockhausen und...

Musikalische Denkanstöße beim sechsten Forbacher Festival

Von Sebastian Hanusa

Dass Stockhausens Auftritt in Forbach mit der von ihm geleiteten französischen Erstaufführung seiner Oper "Freitag" aus dem Zyklus "Licht" zum absoluten Mittelpunkt des Festivals werden würde, war auch ohne seine Hamburger Äußerungen zu erwarten. Ungebrochen sein Ruhm als Großmeister der elektroakustischen Musik, sein Bekanntheitsgrad auch außerhalb gewisser Kennerkreise nicht unerheblich, zudem die Faszination seiner Person, diese nicht unähnlich der eines Pop-Stars. Aber gerade nach Stockhausens Entgleisung und dem sich anschließenden Pressetreiben war es den Forbacher Organisatoren hoch anzurechnen, eben nicht den Stab über der Person des Komponisten zu brechen, bevor man ihn durch sein Werk zu Wort kommen ließ. Stattdessen wurde die Oper zur Diskussion gestellt - natürlich auch hinsichtlich der alten Frage, inwieweit eine Komposition eine Eigenwertigkeit unabhängig von Person und Intentionen ihres Schöpfers entwickelt.

Das Stück besteht aus drei mehr oder weniger unabhängigen Schichten. Bei der ersten handelt es sich um rein elektronische Klänge sehr ruhigen und geradezu entspannenden Charakters, die eine permanente Grundschicht bilden. Die Klänge basieren auf Tönen der dem ganzen Zyklus zugrunde liegenden "Superformel" - einer Art Metastruktur, angelehnt an die serialistische Idee einer integralen Komposition - und bewegen sich über Lautsprecher im Raum. Die enorme Zeitdehnung der Superformel in dieser Schicht appelliert nach Stockhausens eigenen Worten an das Melodiehören eines quasi "übermenschlichen" Bewusstseins - produziert aber beim normalen Zuhörer entweder einen Zustand tranceartiger Verzückung oder allmählich sich einschleichender Langeweile. Als eine zweite Schicht kommen 24 zu jeweils 12 Paaren zusammengefasste konkrete Klänge hinzu, die elektroakustisch weiterverarbeitet sind. Die Klänge sind jeweils einem der zwölf Raumlautsprecher zugeordnet und haben hierdurch einen festen Ort im Raum. Organisiert nach einem bestimmten Strukturplan bauen sich diese Klänge im Verlauf des Stückes zu punktuellen Ereignisinseln auf. Dritte Schicht der Oper ist das szenische Geschehen sowie die live auf der Bühne gespielte und gesungene Musik. Während Angela Tunstall (Sopran), Nicholas Isherwood (Baß) und Jürgen Kurth (Bariton), sowie die beiden Instrumentalistinnen Suzanne Stephens (Bassetthorn) und Kathinka Pasveer (Flöte) in Kostüm und einer angedeuteten Kulisse auf der Bühne szenisch agierten, bezog sich der Zusatz "konzertant" auf den Kinderchor, das Kinderorchester und ein zwölfköpfiges Vokalensemble, deren Partien im Gegensatz zur Leipziger Uraufführung nur als Zuspielband erklangen.

Der Plot der Oper ist kurz geschildert: Ludon wirbt für seinen Sohn Kaino um Eva, die zu diesem Zeitpunkt schon mit Adam verheiratet ist. Während Eva in der ersten Szene noch ablehnend reagiert, willigt sie in der zweiten Szene ein, nachdem Lodun ihr einen schwarzen Talisman überreicht hat. In der dritten Szene kommt es zur Vereinigung von Eva und Kaino, die aber jäh durch das Eingreifen von Adams Stimme, Gott und dem Erzengel Michael unterbrochen wird. Nur da ist der Sündenfall schon passiert und Kainos schwarze und Evas weiße Kinder, die zuvor noch friedlich miteinander musiziert hatten, führen nun einen Kinderkrieg gegeneinander: Das Böse ist in der Welt. Während in der vierten Szene Eva das Geschehene bereut, treten in der letzten Szene nur noch die beiden Instrumentalistinnen auf. Diese waren vorher stets als Evas Begleiterinnen erschienen, hatten aber szenisch überhaupt keine Funktion. In der letzten Szene - "Elufa" - führen sie nun auf ihren Instrumenten blasend einen neckischen Turteltanz auf, der wohl als ein heiterer Beschluss verstanden werden muss, indes die Szene keinerlei dramaturgische Funktion erfüllt.

Zunächst sei die hervorragende interpretatorische Leistung der fünf Ausführenden zu erwähnen, die mit einer faszinierenden Präzision und Hingabe die anspruchsvollen Partien bewältigten. Auch erwies sich Stockhausen wieder einmal als jemand, der souveräner mit den Mitteln der elektroakustischen Musik umzugehen weiß und Klänge von betörender Sinnlichkeit zu produzieren versteht. Kritisch zu bewerten ist die Frage nach der Gesamt-Konzeption des Stückes. Stockhausen ist angetreten, in der Tradition des wagnerschen Gesamtkunstwerks ein mythologisches Welttheater metareligiöser Prägung zu erschaffen, welches die Genesis-Mythen verschiedenster Kulturen in einem musikalischen Kontext synthetisiert. Neben Wagner ist in diesem Ansatz besonders die Nähe zu Rudolf Steiner auffällig, und dies nicht nur durch die Übernahme der Farbkreissymbolik, der zufolge der Freitag Orange ist und der abschließende Sonntag natürlich Weiß sein wird. Auch das szenische Geschehen erinnert stark Steiners Eurhythmie-Aufführungen. Wie an diese darf man wohl auch an Stockhausens Freitag nicht die gewohnten Maßstäbe des Musiktheaters anlegen. Ansonsten müsste man sich über die steife, fast linkische Personenführung verwundern und den etwas verkrampften Versuch einer formalisierten Gestik im Stile des No-Theaters belächeln. Darüber hinaus sollte man froh sein, von dem nur partiell verständlichen Text nicht noch mehr verstehen zu müssen. So brillant Stockhausens Elektronik ist, so befremdend schlicht sind die zu verstehenden Textfragmente. Von der naiven Zuordnung von weißem und schwarzem Prinzip zu Gut und Böse ganz zu schweigen, die zudem dadurch Brisanz erhält, dass die bösen Kinder ausdrücklich als Afrikaner dargestellt werden.

Ein weiterer Punkt ist die Frage nach dem Zusammenhang der einzelnen Schichten. Während der Permanent-Klang eine bestimmte Grundstimmung erzeugt, die nur wenig wahrnehmbare Interaktion zum Rest des Stückes aufweist, sind die Beziehungen zwischen den konkreten Klängen und dem Bühnengeschehen noch nebulöser. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass Stockhausen einen bewussten Unzusammenhang intendiert hätte - er selber beschreibt die verschiedenen Schichten ja als integrale Bestandteile seiner Komposition. Leider entziehen sich auch einem aufmerksamen Hörer weitestgehend die Zusammenhänge. Statt dessen scheint man mögliche Sinnzusammenhänge nicht im Stück, sondern in der Person und der Geschichte Stockhausens suchen zu müssen. Die Idee der enormen Zeitstreckung klanglichen Materials und die Organisations-Struktur der konkreten Klänge verweist auf das serielle Denken Stockhausen der 50er Jahre. Man denke an den Versuch einer physikalisch gerechtfertigten Verbindung zwischen horizontalen und vertikalen Intervallstrukturen, wie er in dem Aufsatz "... wie die Zeit vergeht..." dargestellt wird. Derweil erinnert die erzählte Geschichte der Oper mit ihrer naiven Plastizität an Stockhausens katholische Frömmigkeit der unmittelbaren Nachkriegszeit ebenso wie an spätere Auseinandersetzung mit asiatischem Denken. Am Rande sei erwähnt, dass die Vereinigungspose von Eva und Kaino mit Sicherhiet dem Kamasutra entlehnt war. Hier schließt sich die Frage an, ob nicht erst eine psychoanalytische Deutung den kompositorischen Zusammenhang des Stückes konstituiert. Auffallend ist neben den zahlreichen kompositorischen Selbstbezügen die äußere Ähnlichkeit zwischen Kaino bei seiner Vereinigung mit Eva und dem Komponisten selber. Ebenso mag die Tatsache, dass die beiden Instrumenatlistinnen zum engsten Familienkreis Stockhausens zählen ihre szenische Funktion erklären.

Man ist versucht festzuhalten, daß Stockhausen mit seinem Zyklus die Grenze zwischen subjektivistischer Kunst und privater Esoterik auslotet und dabei Gefahr läuft, in einem nicht mehr kommunizierbaren Privat-Mythos zu entschwinden. Den Forbacher Organisatoren kommt dabei der große Verdienst zu, dieses gleichsam faszinierende wie befremdende Phänomen Stockhausen erlebbar gemacht zu haben. Denn was man auch über Stockhausen denken mag, sein Forbacher Auftritt war absolut singulär und außergewöhnlich.

Die überragende Stärke des Forbacher Festivals ist die Vielgestaltigkeit des Programms, auch, wenn diese vom großen Medien-Event Stockhausen fast erdrückt wurde. Außerordentlich interessant war das Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken unter der Leitung von Gilbert Amy. Mittelstück des Programms war Amys "Concerto pour violoncelle et orchestre". Das Stück bekennt sich ausdrücklich als Virtuosenkonzert und fand in Jean-Guihen Queyras am Cello einen souveränen Sachwalter. Aber Virtuosität erscheint hier, trotz aller technischer Schwierigkeiten nicht als leere Bravournummer. Vielmehr handelt es sich um die Potenzierung konzentrierter inner-musikalischer Gedankenführung, um eine Fokussierung einer zentralen Idee des Stückes in der exponierten Person des Solisten. In den sieben knappen und ineinander übergehenden Sätzen werden auf engem Raum klar formulierte musikalische Gedanken dargestellt und verarbeitet, unterstützt von einer außerordentlich differenzierten und farbreichen Instrumentation.

Während Amy mit seinem Stück als Altmeister einer französischen Tradition absoluter Musik auftrat, stellte die "Kosmofonia" des Vietnamesen Nguyen-Thien Dao einen der großen Grenzgänger zwischen asiatischer und europäischer Musiktradition vor. Während sich Komponisten wie Takemitsu und Isang Yun in Deutschland größerer Bekanntheit erfreuen ist der mittlerweile 61jährige Dao nahezu unbekannt. Dabei verdiente der seit langem in Paris lebende Komponist etliches mehr an Beachtung. Gerade formal ist seine insgesamt dreiteilige Komposition sehr interessant: Obwohl aus relativ heterogenen Teilen zusammengesetzt, wird die Verlaufsform des Stückes als schlüssig erlebt. Dies mag mit dem mitunter stark illustrativen Gestus zusammenhängen, der in üppige Orchesterklänge gehüllt und zudem durch einen Vokalisen singenden Chor ergänzt wurde. Aber auch die hervorragende Zeitorganisation hat hier ein übriges getan. Beide Stücke animierten die Musiker zu gelöster Spielfreude, wohingegen Günter Steinkes "innen-bewegt" eher verhalten musiziert wurde. Dies von Steinkes Klanglichkeit abhängen, die in scharfem Kontrast zu Amys Klarheit und Daos Üppigkeit stand. Aus einem nahezu durchgängigen, sehr geräuschhaften Orchesterklang lösen sich fragmentarische Ereignisse. Diese setzen - durchgängig im Piano-Bereich - eine allmähliche Entwicklung in Gang, welches sich zu Spannungsbögen verdichtet. Gedoppelt wird der Orchesterklang durch eine Elektronik, welche sich direkt aus dem Instrumentalklang entwickelt und als mehrminütiges Echo dem schattenhaften Orchesterspiel nachklingt.

Eingerahmt durch zwei Altmeister wurde das Konzert für Orgel, Elektronik und Schlagzeug am Samstag Nachmittag. Iannis Xenakis epochales eletronisches Stück "Orient - Occident" eröffnete das Konzert, welches durch die von Philippe Delacour konzentriert interpretierten Orgelstücke "Dieu parmi nous" und "Dieu caché" von Olivier Messiaen beschlossen wurde. Hinter der Größe der beiden Komponisten blieben die dazwischen liegenden Uraufführungen zurück. Das von Tristan Blum gespielte Stück "Extrema" für Schlagzeug solo von Denis Lorrain krankte an einem Problem vieler Stücke für diese Besetzung. Die Vielzahl der aufgebotenen Schlagwerke wurden zwar hinlänglich bedient, aber dadurch, dass der Schlagzeuger für jeden Instrumenten-Typ die Schlägel wechseln musste und sich zwischen den Instrumenten bewegen musste, ergab sich letztlich eine Art "Katalog-Stück", welches die einzelnen Instrumente der Reihe nach "abhandelt". Zudem konnte sich der Komponist nicht zwischen einer Klangstudie und einem rhythmisch geprägten Stück entscheiden. So überforderte er sein Stück, ohne eine kompositorische Synthese zu finden. Derweil war eine klangliche Synthese von Orgel und elektronischen Klängen - sowohl live-elektronischer, als auch konkreter Natur - der Ausgangspunkt für Jacopo Baboni Schilingis "Natura Morta". Während das Stück eine große klangfarbliche Phantasie aufwies, war die Affinität zum Synthesizer-Kitsch diverser Meditations-CDs nicht immer von der Hand zu weisen, auch wenn Schilingi dem mit abrupten Orgelausbrüchen entgegenwirkte. Indes erfüllte der Komponist den Anspruch seines Stückes, indem er tatsächlich ein klangliches Stillleben erschaffen hatte.

Das Abschlusskonzert wurde ebenfalls durch einen Klassiker der Neuen Musik eröffnet: Bruce Mather spielte die zweite Klaviersonate von Darius Milhaud. Dies war insofern von Bedeutung, als die drei anderen im Konzert vertretenen Komponisten Anfang der 60er Jahre zusammen mit Festival-Leiter Claude Lefebvre in der Klasse Milhauds studiert hatten, sich aber später höchst unterschiedlich entwickelt haben. Bruce Mathers Klavierstück "D´apres un cri" bewegt sich in der Grauzone zwischen expressionistischem Gestus und ausufernder Eloquenz, und fand im Komponisten einen hervorragenden Interpreten. Den heimlichen Höhepunkt des Festivals steuerte jedoch der eher als Dirigent bekannte Paul Mefano bei. So schade die krankheitsbedingte Absage der ursprünglich geplanten Uraufführung war - sie wurde vergessen gemacht durch das ebenfalls dieses Jahr entstandene Stück "Tronoenne" für Cello solo, welches von Raphael Chrétien gespielt wurde. Chrétien verstand es, das Stück vom ersten Ton an in den intimen Rahmen zu setzen, den es benötigt um vom ersten bis zum letzten Moment höchste musikalische Spannung zu erzeugen. Dabei handelt es sich um eine Art von Spannung, deren Kommen gar nicht wirklich wahrgenommen wird und die sich nahezu unbemerkt und ohne jede Anstrengung einstellt. Das Material des Stückes entwickelt sich aus einigen wenigen Flageolett-Tönen und die Entwicklung des Materials ist gleichfalls kaum wahrnehmbar hinter der Rezeption eines außerordentlichen musikalischen Augenblicks.
In Kontrast zu Mefano standen die finalen "Cabaret-Songs" des Amerikaners William Bolcom. In den von Bolcoms Frau Joan Morris gesungenen Songs werden die eher orgiastischen Aspekte der Boheme ironisch zugespitzt thematisiert. Die Stücke verstehen sich explizit als Hommagé an die großen Zeiten des Greenwich Village in den 50er Jahren und die beiden Interpreten vertreten hinreißend überzeugend ihre musikalisch-poetischen Berichte aus der Produktion jener Jahre.

Das Festival war weder leicht kommensurabel noch wurde zum Musik-Goutieren eingeladen. Aber schließlich sollte nicht vergessen werden, dass Neue Musik , um relevant zu sein, Fragen aufwerfen muss und nicht schon bekannte Antworten im verbrämten Gewand neu aufgießen sollte. Dies ist in Forbach geschehen, und ohne immer Begeisterungsstürme auszulösen, hatte man den Eindruck mehr an Einsichten gewonnen zu haben als in höher dotierten, so genannten "Sternstunden" der Musik.



Da capo al Fine

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