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Festspiele
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Tage Alter Musik in Herne

12. - 15. November 1998

Festspielbericht


Von Meike Nordmeyer, Ingo Negwer und Gerhard Menzel





Die Instrumentenausstellungen

Das Thema der beiden diesjährigen Musikinstrumentenausstellungen war die "Kleinorgel". Unter dem Motto Eine richtige Orgel hat Pfeifen! wurden im Kulturzentrum Positive, Portative und Regale in Neubauten und historischen Kopien von über 20 in- und ausländischen Werkstätten ausgestellt und zum Verkauf angeboten.

Die Ausstellung originaler historischer Instrumente im Hause der Martin-Opitz-Bibliothek (Berliner Platz 5) stand unter dem Motto Das Positiff schlag ich auff Bürgerlichem Sal... - Die Orgel im nichtliturgischen Raum und wurde vom Kulturamt der Stadt Herne in Verbindung mit dem Orgelbaumuseum Ostheim (Rhön) und dem Orgelmuseum Borgentreich zusammengestellt und wie gewohnt von Prof. Dr. Christian Ahrens (Ruhr-Universität-Bochum) eröffnet.

Weitere Informationen zu den Musikinstrumentenausstellungen der Stadt Herne.

Neben der Ausstellung der modernen Instrumente gab es im Kulturzentrum noch weitere interessante Angebote: ausser den "hauseigenen" Schallplatten und CD-Produktionen (der Stadt Herne und des WDR) auch eine riesige Auswahl von weiteren CD's, Noten, Büchern und allerlei Accessoires zum Thema (Alte) Musik. Es ist immer ein hervorragender Zeitpunkt, wo man schon so manchen Weihnachtseinkauf erledigen oder einfach nur seine eigene Sammlung bereichern kann.




Die Konzertreihe des WDR

Vorhang auf!
Musik zwischen Ostsee und Adria

Polen - Tschechien - Slowakei - Ungarn - Kroatien
Musik von der Renaissance bis zur Romantik

Die diesjährige Konzertreihe des WDR führte in den Osten Europas. Die politische Öffnung nach Osten hin ermöglicht nun wieder - wie schon zur Entstehungszeit der "Alten Musik" - ein fast grenzenloses Reisen der Musiker und die Verbreitung von deren Repertoire in den jeweiligen Ländern. So waren nicht nur "neue" Solisten und Ensembles, sondern auch zum grossen Teil "neue" Musik zu hören. Dass man auch "altbekannte" Musik "neu hören" konnte, dafür sorgte das Eröffnungskonzert mit der Cappella Coloniensis unter der Leitung von Hans-Martin Linde.


Alle folgenden Fotos von © WDR/KL Neumann



Von der Böhmischen Klassik zur polnischen Romantik

Patrick Cohen, Hammerflügel
Cappella Coloniensis
Leitung: Hans-Martin Linde

Das Programm war mit Beethovens Ouvertüre zu König Stephan, Antonin Reichas Sinfonie Es-dur op. 41, Antonio Rosettis Grande Symphonie D-dur und Fryderyk Chopins Konzert Nr. 1 für Klavier und Orchester interessant zusammengestellt. Mit Patrick Cohen war auch ein vorzüglicher Solist des Hammerflügel verpflichtet worden, aber das klangliche Ergebnis wirkte doch allzu "brüchig" und inhomogen. Nach der verheissungsvollen orchestralen Einleitung wirkte der Einsatz des Klaviers so mickerig, dass ich mir in diesem Falle doch einen adäquateren, klangvolleren Flügel erseht habe. Diesen enttäuschenden Eindruck konnten auch die leiseren, filigraneren Teile des Konzertes nicht mehr revidieren.

In den übrigen Werken des Konzertes jedoch konnte die Cappella Coloniensis unter der Leitung von Hans-Martin Linde mit engagiertem Spiel ihre klanglichen Variationsmöglichkeiten gut zur Geltung bringen.


Die polnische Music muß nicht von Holtze sein
Telemann und der polnische Stil

La Stagione Frankfurt
Leitung: Michael Schneider

Der Untertitel des Konzertes Die polnische Music muß nicht von Holtze sein konnte man in diesem Fall wirklich wörtlich nehmen. Michael Schneider liess seine Musiker beherzt und elegant zugleich aufspielen, sodass es eine reine Freude war, ihnen zuzuhören. Das ausschliesslich Telemann vorbehaltene Programm mit Concerti und Sonatinen wirkte durch die wechselnden Besetzungen sehr unterhaltsam und bewies gleichzeitig (entgegen anderslautenden Meinungen), was für ein ausgesprochen vielseitiger und inspirierter Komponist Telemann war.
Zweifellos gehörte dieses Konzert zu den Höhepunkten dieser Tage Alter Musik in Herne.


Böhmische Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts
Madrigalquintett Brno
Leitung: Roman Válek

Das Konzert mit dem Madrigalquintett Brno in der Kreuzkirche bescherte weitgehend unbekannte Werke aus unterschiedlichen böhmischen Handschriften. Den erste Teil bildeten zwei- bis fünfstimmige Motetten und Choralbearbeitungen. Der zweite Teil war dann dem Madrigal "Dolorosi martir" von Luca Marenzio und der daraus gestalteten Parodiemesse Missa quinis vocibus super "Dolorosi martir" von Krystof Haranz z Polzic a Bezdruzic vorbehalten.
Alles in allem zeichneten sich die Interpretationen durch das Madrigalquintett Brno vor allem durch ihre klanglich reizvolle Stimmzusammensetzung aus.


Musica Transylvana
Lautenmusik des 16. Jahrhunderts aus Ungarn und Polen

Jacob Heringman (Laute)

Die Tage Alter Musik in Herne wurden am Samstag morgen von Jacob Heringman fortgesetzt, der in seinem Konzert polnische und ungarische Lautenmusik des 16. Jahrhunderts vorstellte. Auf dem Programm des jungen amerikanischen Lautenisten, der bei Jacob Lindberg in London und Pat O’Brian in New York studierte, standen ausschließlich Werke von Bálint Bakfark und Matthäus Waissel.

Bakfark, um 1530 in Kronstadt (Siebenbürgen) geboren, war einer der angesehensten Komponisten und Virtuosen seiner Zeit. Lange Jahre in Diensten des polnischen Königs Sigismund August II. genoß er weit über die Grenzen Polens hohes Ansehen. Seine Fantasien und Intavolierungen, d.h. Arrangements vornehmlich von Vokalmusik für die Laute, zeugen noch heute von Bakfarks herausragenden Fähigkeiten.

Heringman gelang es, die Komplexität der polyphonen Werke souverän und spieltechnisch ohne Tadel zur Geltung zu bringen und selbst in den z.T. sehr ausgedehnten Sätzen dem Spannungsbogen der Musik mit konzentrierter Ruhe zu folgen. Beeindruckend war, wie er, trotz der – gerade für derartige Solo-Recitals – mangelhaften Raumakustik der Herner Stadthalle, das erstaunlich große Klangspektrums der Laute zur Geltung brachte.

Quasi als Intermezzi fügte Heringman zwischen Bakfarks Werken "polnische Tänze" ein, die Matthäus Waissel 1591 in Frankfurt/Oder drucken ließ. Anders als Bakfark, führte Waissel in seiner ostpreußischen Heimat ein eher bescheidenes, zurückgezogenes Leben als Pastor. In seinen vier Lautenbüchern veröffentlichte er verschiedene Werke ohne Nennung des Autors, was es schwierig macht, die Herkunft der einzelnen Stücke ausfindig zu machen. So bleibt schließlich sogar in Frage gestellt, ob Waissel selbst als Komponist tätig war, oder die Musik nur gesammelt und in Druck gegeben hat. – Nichtsdestotrotz bildete die Auswahl "polnischer Tänze" mit ihrem leichteren, heiteren Ton einen angenehmen Kontrast zu Bakfark.

Fazit: eine höchst interessante Matinee eines weitgehend noch unbekannten, jungen Lautenisten, der alle Tugenden der anglo-amerikanischen Lautenistentradition mitbringt.
(Ingo Negwer)


Aus Klöstern und Kathedralen
Geistliche Musik des 17. und 18. Jahrhunderts zu Bußtagen und zum Weihnachtsfestkreis

Concerto Polacco
Leitung: Marek Toporowski

"Aus Klöstern und Kathedralen" lautete der Titel des Konzerts, mit dem sich das polnische Ensemble Concerto Polacco" heuer bei den Tagen Alter Musik in Herne vorstellte.

Auf dem Programm standen geistliche Werke von hierzulande weitgehend unbekannten Komponisten, wie z.B. Marcin Mielczewski (1590 – 1651) Mikolaj Zielenski (frühes 17. Jh.) oder Józef Kobierkowicz (1. Hälfte d. 18. Jh.). Obgleich die Musik unverkennbar unter dem Einfluß des italienischen Barock steht, zeichnet sich im Stil dieser polnischen Meister des Barock dennoch eine eigenständige Tradition ab. Insbesondere verzichten sie zugunsten einer meditativen Andachtshaltung auf kontrastreiche Affektwechsel, die für den italienischen Stil so charakteristisch sind. Hier gab es in der Tat für den west- und mitteleuropäischen Zuhörer – nach dem Motto der Tagen Alter Musik in Herne 1998: "Vorhang auf" – Neuland zu entdecken.

Daß diese Entdeckungsreise ein lohendes Unterfangen wurde, dazu trug vor allem "Concerto Polacco" unter der Leitung des jungen Organisten und Cembalisten Marek Toporowski bei. Olga Pasichnyk, Anna Mikolajczyk (beide Sopran) und Miroslaw Borczynski (Baß) bildeten ein Vokalensemble, daß den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Gleiches gilt für die Instrumentalisten Arek Golinski, Dymitr Olszewski (Violinen) und Teresa Kaminska (Violoncello), die ebenfalls auf sehr hohem Niveau musizierten; stellvertretend sei die Interpretation der "Canzona terza a 3" von Marcin Mielczewski verwiesen.

Das "Concerto Polacco" – meines Erachtens die Entdeckung in Herne 1998.
(Ingo Negwer)


Devotion und Divertissement
Musik des 17. Jahrhunderts aus slowakischen Archiven

Kamilla Zajíckova (Sopran)
Musica aeterna Bratislava
Peter Zajícek

Das Konzert am Samstag Abend bestritten Kamilla Zajícková (Sopran) und das slowakische Ensemble "Musica aeterna Bratislava" unter der Leitung von Peter Zajícek. Unter dem Titel "Devotion und Divertissement" stellten sie Musik vor, die im 17. Jahrhundert an Höfen und in Klöstern ihrer Heimat gepflegt wurde.

In slowakischen Archiven aufbewahrte Werke, von denen eine Auswahl in diesem Konzert zu hören war, belegen, daß das Gebiet der heutigen Slowakei im Barockzeitalter keineswegs im kulturellen Abseits stand. Die dort überlieferte Musik namhafter Komponisten, wie Heinrich Ignaz Biber, Johann Heinrich Schmelzer oder Antonio Bertali, zeugt von dem erfolgreichen Streben, Anschluß an die europäische Entwicklung zu finden.

"Musica aeterna Bratislava" nahm sich der Musik mit virtuosem Elan an und beeindruckte durch seinen homogenen Streicherklang, so etwa in Schmelzers berühmten Baletto a 4 G-Dur "Fechtschule". Insgesamt litten die Darbietungen jedoch unter der autoritären Führung Peter Zajíceks (Violine), die ein entspanntes Musizieren nicht aufkommen ließ. Das Continuo (Cembalo/Orgel, Theorbe) blieb in diesem Rahmen blaß und "hausbacken". Das sich der Gesang – Kamilla Zajíckova mit makellosem Sopran – in den zwei anonymen geistlichen Konzerten sowie in Alessandro Pogliettis Motette "Ad Matrem venite" nicht richtig entfalten konnte, war sehr bedauerlich.
(Ingo Negwer)


Musik aus polnischen Orgeltabulaturen
Marek Toporowski (Orgel)

Das Programm, das Marek Toporowski am Sonntagmorgen vortrug, bestand aus Orgelmusik aus dem "goldenen Zeitalter" Polens, das heißt aus dem 16. und vom Anfang des 17. Jahrhunderts. Zusammengestellt wurden Werke aus verschiedenen Sammelhandschriften, die hauptsächlich aus Warschau, Krakau und dem mit Polen zu damaliger zeit kulturell eng verbundenen Danzig stammen. Ausgewählt aus diesen Quellen wurden Werke von sehr verschiedenem Charakter, sowohl Stücke religiösen Inhaltes, als auch Canzonen, Fugen und einige Tänze. Dadurch ergab sich ein sehr interessantes, höchst abwechslungsreiches Programm.

Toporowski entfaltete mit seinem differenziertem Spiel die verschiedenen Stimmungen der Stücke auf treffliche Weise. Unterstrichen wurde seine Leistung noch durch die sehr eingängige, stets überzeugende Registrierung.Toporowski spielt sehr genau, absolut konzentriert, dabei sichtlich mit Freude. An keiner Stelle gibt er in der Spannung nach, nichts wird verschenkt. Die Beweglichkeit seiner Finger scheint unfehlbar, sie ermöglicht eine duftige Leichtigkeit auf dem stets hell erklingenden, feinen historischen Instrument. In der Artikulation setzt der Organist durchaus starke Konturen, die Töne werden mitunter sehr abgesetzt genommen. Darin aber liegt ganz offenbar die bewußte Gestaltung des Vortragenden, die von den Gegebenheiten des Instrumentes ausgehend zum Stil gebildet wurde. Trotz des markanten Setzen des Tones fließt der Vortrag der Stücke und es überzeugt diese kunstvolle Dialektik der Tongebung.

Große Spielfreude bewies Toporowski auch mit seiner Zugabebereitschaft. Bei der "Holländischen Nachtigall" erklang noch einmal der ganze zarte Zauber seines Spiels auf diesem besonderen Instrument, aber auch noch weitere kleine Kostbarkeiten waren dem erfreuten Publikum als Zugabe vergönnt. Mit so gemessen vorgetragener, wenig bekannter Polnischen Orgelmusik wurde am Sonntagmorgen in Herne ein kleines Preziosum geboten.
(Meike Nordmeyer)


Laudate pueri Dominum
Geistliche Musik des 17. Jahrhunderts aus Böhmen

Capella Regia Musicalis
Leitung: Robert Hugo

Das Anliegen des 1992 gegründeten tschechischen Ensembles Capella Regia Musicalis war es, dem Publikum "das Milieu der tschechischen Musik vom Ende der Renaissance bis zum Beginn des Hochbarocks näherzubringen", so Robert Hugo, der Leiter der Capella, in seinem knappen und dennoch informativen Textbeitrag zum Programmheft der "Tage Alter Musik in Herne 1998". Geprägt war die in der Kreuzkirche am Sonntag Nachmittag, dem Finaltag des diesjährigen Herner Festivals, dargebotene Musik vom Geist der Gegenreformation und vom Einfluß des italienischen Barock, von dessen Modernität sich die Erneuerer des katholischen Glaubens Impulse auch auf das religiöse Leben erhofften.

So dominierte der konzertante Stil in fast allen Kompositionen dieses Programms. Lediglich die frühe fünfstimmige Motette "Maria Kron" des Krystof Harant (1564 – 1621) zeigt noch die herkömmlichen Stilmerkmale der Renaissance. Herauszuheben sind insbesondere die Werke Adam Michnas (1600 – 1676), die den Beginn des Barockzeitalter in Böhmen hörbar werden lassen. Einen weiteren Schwerpunkt und m.E. den Höhepunkt des Konzerts bildeten zwei Kompositionen des in Rom wirkenden Giacomo Carissimi (1605 – 1674): ein "Dixit Dominus" für fünf Stimmen und Basso continuo sowie das Oratorium "Regina Hester" (Esther), das lediglich im Manuskript "Kremsier" überliefert ist.

Das nicht immer ganz homogen wirkende sechsköpfige Vokalensemble der Capella Regia Musicalis nahm sich dieser musikalischen Raritäten engagiert und mit sauberer Stimmkultur an. Vor allem Gabriela Elenová und Anna Hlavenková (beide Sopran) wußten zu überzeugen. Gleiches gilt für Daniel Deuter und Jirina Doubravská (Violinen), die mit Johann Caspar Kerlls [?] Sonata con duobus violinis ein hörenswertes instrumentales Interemezzo bescherten. Oncrej Stajnochr (Violone), Stefan Rath (Theorbe) und Robert Hugo (Orgel und Cembalo) sorgten zuverlässig und kompetent für den Basso continuo.
(Ingo Negwer)


Das Abschlußkonzert der Tage Alter Musik in Herne bestritt die Salzburger Hofmusik unter der Leitung von Wolfgang Brunner. Auf dem Programm standen Werke der Wiener Klassik aus Kroatien und Slowenien.



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