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Tage Alter Musik in Herne

14. - 17. November 1996

Festspielkritik


Von Olav Roßbach, Annette van Dyck, Meike Nordmeyer und Gerhard Menzel



Zur Eröffnung der diesjährigen Konzertreihe "... fließen rechts zur Donau hin - Musik aus deutschsprachigen Ländern südlich der Donau" bei den Tage Alter Musik in Herne spielte das L'Orfeo Barockorchester unter der Leitung der Konzertmeisterin Michi Gaigg

Musik für Kurfürsten und Bischöfe

aus München und Passau.

Dominiert wurde das Programm von Serenaden aus der Feder von Benedict Anton Aufschnaiter (1665-1742) und einige Arien aus Opern von Agostino Steffani (1654-1728). Hinzu kamen noch ein Oboenkonzert von Tomaso Albinoni (d-moll, op. 9 Nr. 2), ein Concerto Pastorella F-dur von Johann Christoph Pez (1664-1716) und ein Concerto von Georg Muffat (1653-1704). Abgesehen von den wenig ergötzlichen Oboen spielte das L'Orfeo Barockorchester recht ordentlich, aber ohne dabei übermäßig inspiriert oder musikantisch zu wirken.

Ganz anders war das Konzert

Vom Wolkenstein ins Reuental - Süddeutsche Dichtermusiker des Mittelalters

mit dem ensemble für frühe musik augsburg. Die blendend aufeinander abgestimmen, eingespielten und eingesungenen Musiker Sabine Lutzenberger, Hans Ganser, Rainer Herpichböhm und Heinz Schwamm bescherten dem Publikum eine begeisternde Begegnung mit Liedern von Oswald von Wolkenstein, Neidhart von Reuental und dem Mönch von Salzburg. Ihr Umgang mit den Werken der Vergangenheit für ein Publikum von Heute ist einfach ansprechend und mitreißend. Ob es sich um gefühlstiefe Liebeslieder oder handfeste Alltagsparodien (Tageliedparodien) handelt, ihr musikalisches und gestisches Repertoire findet immer den richtigen Ausdruck. Dieses Ensemble gehört einfach zum Besten, was die Alte Musik-Szene zu bieten hat.

(Gerhard Menzel)


Christoph Hammer, Klavierspieler, wie er sich selber nennt, gestaltete im Rahmen der TAM in Herne - außer dem Konzert zur Ausstellungseröffnung "Tasten der Empfindsamkeit - Hammer- und Tangentenflügel" im Schloß Strünkede - einen

Workshop zum Thema: "Zart und farbig - kräftig und dicht. Von der Wiener zur Englischen Mechanik."

Dem offensichtlich sehr sachkundigen Publikum in der Herner Volkshochschule verdeutlichte Hammer vortragend und klavierspielend seine Einsichten in den Klavierbau des frühen 19. Jahrhunderts. Mehrere Beispielinstrumente standen ihm auf dem Podium zur Verfügung, u. a. zwei Tafelklaviere von Schiedmayer (Wien 1818) und Broadwood (England 1814), sowie die Kopie eines Walther-Flügels (Wien), der ein späteres bauliches Vorbild hat.

Was jedem Zuhörer klar werden konnte, war das immense Einfühlungsvermögen, mit dem sich Hammer in kurzer Zeit den verschiedenen Instrumenten in Artikulation und Anschlag anpassen konnte. Dussek, Mozart und die Bach-Söhnen waren dementsprechend die zeitgerechten Hörbeispiele, die Hammer vorstellte. Die leisere und weniger präzise Mechanik Wiener Bauart läßt Einzeltöne und Leggiero-Spiel viel leichter zu, als die genau konstruierte, indirekt arbeitetnde Stoßzungenmechanik der Englischen Vorbilder. Hammer bezeichnete seine Instrumente selbst als "Lehrmeister", die ihm die angemessene Technik beigebracht hätten. Und bei den vielen Konzerten und Einspielungen, die es von "vergewaltigten" Klavierinstrumenten gibt, kann man ihm da zustimmen.

Weniger eindeutig waren leider seine sonstigen Erläuterungen zum Klavierbau, die eher zufällig und meoriert wirkten, als strukturiert und vorbereitet. Da hätten die Musikbeispiele fast ausgereicht.



"Musik am Hof der Salzburger Fürsterzbischöfe im 17. und 18. Jahrhundert"

Das 1991 von seinem Leiter Wolfgang Brunner gegründete Ensemble Salzburger Hofmusik bot an diesem Abend Musik für eine oder zwei solistische Violinen, begleitet von einer variabel besetzten Continuo-Gruppe. Dazu konnte außer der Orgelpositiv oder dem Cembalo noch ein Kontrabaß, ein Cello und eine Laute gehören.

Das Programm war chronologisch gereiht. Bernardis Canzona op. 12, noch dem römischen Stil der Vokalpolyphonie verpflichtet, ließ die Stärken des Ensembles bereits offen zu Tage treten: Der reizvolle klangliche Unterschied zwischen den beiden Soloviolinen, gespielt von Veronica Körner und Sabine Lier, machten die Stimmführung, das geschickte Wechselspiel der Solistinnen hörbar. Die Continuo-Gruppe war, über den ganzen Abend gesehen, klug eingesetzt. Cello und Kontrabaß ergänzten sich nur zu Forte-Markierungen, die Laute kooperierte mit dem jeweiligen Harmonieinstrument.

Die Violinsonaten von den Bibers, Johann Paul Schorn und Lolli streckten sich so, stets im vibratolosen Streicherton gespielt über den Abend hin. Das stetige Nachstimmen der Melodieinstrumente wurde daher wohlweislich häufig genug vorgenommen.

Insgesamt war es, wie ja die gesamten Tage alter Musik, ein recht speziell ausgerichteter Abend. Sicher konnten gerade Werke wie Muffats Toccata für Cembalo sowie seine Violinsonate auch musikalischer erwärmen. Das gilt auch für die Musik der Mozarts, wobei die selten gespielten Kirchensonaten von Wolfgang Amadeus - hier gespielt KV 68 - dazu geeigenet waren, den Bogen von der alten Musik zu der zu spannen, die uns als unmittelbar gegenwärtige gilt. Aber es gehören schon Liebhaber dazu, einen solchen Abend richtig zu genießen. Denn daß es ihm keine Minute langweilig geworden sei, kann zumindest der Rezensent nicht von sich behaupten. Das Publikum im nicht ausverkauften Kulturzentrum war überwiegend einer anderen Meinung.

(Olav Roßbach)


Die Rebellion im musikalischen Blumenfeld. Schwäbisch-habsburgisches aus dem 17. und 18. Jahrhundert

Die ungewöhnliche Kombination von Spinett- und Orgelklängen bot Roland Götz uns in der Kreuzkirche an - allerdings nicht simultan, sondern sukzessive, unterbrochen von kleinen Einführungen in die Biographien der eher unbekannten Komponisten, von der Rezitation eines Briefes oder von einer Lektion hinsichtlich der Unterscheidung bayrischer und schwäbischer Kompositionen (die Schwaben müssen immer alles ummalen...).

Götz verstand es, alle Register der im 20. Jahrhundert zur 'Barock'-Orgel umgebauten romantischen Kreuzkirchen-Orgel zu ziehen, um die Versi und Präludia von Johann Xaver Nauss und Toccaten von Sebastian Anton Scherer und Johannes Speth zu intonieren.

Die widersprüchliche Geschichte der Orgel-Suite von Alessandro Poglietti (gest. 1684), der als Hoforganist des österreichisch-ungarischen Kaisers eine programmatische Tanzfolge ("La Rhibellione", "Le proces", "La decapitulation"...) über den ungarischen Aufstand Anfang des 17. Jahrhunderts komponierte, stand in interessantem Kontrast zu dem Anspruch von Johannes Speth (1664 - nach 1719), "musikalischen Blumenfeldern" Ausdruck zu verleihen. Ebenso unterschiedlich die Musik der beiden Komponisten: harmonisch fremde Wendungen, akkordisch 'ernster' Stil und fast filmmusikalische Effekte wie Glockengeläut in der Suite - melodische, fast thematische Fortspinnung, dynamische Differenzierungen (laut Götz das einzige ihm bekannte Pianissimo in der Barockmusik) in Speths Toccaten.

Der Orgelklang wurde von der immer an Kemenaten und höfische Salons erinnernden Spinettmusik von Christian Erbach (um 1570 -1635), Ludwig Zöschinger (1731-1806) und Joseph Lederer (1733-1796) (von dem auch die galante Zugabe stammte) unterbrochen. In der Musik der beiden letzteren merkte man schon ganz den klassischen Stil. Aufhorchen liessen "La Galina" (Die Henne) und "Pastorella" von Zöschinger: die vielen Tonwiederholungen in "La Galina" erinnerten sehr stark an das Erkennungsduett zwischen Papageno und Papagena in Mozarts 'Zauberflöte'. Zöschingers Stück wurde allerdings schon 1769 komponiert...

Das Spinett, auf dem Götz spielte - Nachbau eines venezianischen Instruments von Bertolotti aus dem 16. Jahrhundert -, vermochte mit seinem Klang tatsächlich die ganze Kirche zu füllen. Der Münchener Organist unterstützte diese Wirkung zudem durch ausgiebige, virtuose Verzierungen, wie sie in Renaissance- und Barockmusik üblich sind. Präzision und Tempo seiner Läufe und Triller auf dem Spinett schienen kaum überbietbar; dabei wird Götz aber den verschiedenen Stillagen der Musik jedesmal gerecht: Seine Demonstration des 'bayrischen' und 'schwäbischen' Stils ist durchaus nicht als Moderationsjux zu verstehen, sondern zeugt von einem Bewußtsein für die feinen Nuancen eines Repertoires, für das wir heute kaum noch Verständnis aufbringen.

Ebensolche Sensibilität bewies Götz bei der Registrierung der Orgel, deren Klang und Möglichkeiten sehr gut zur Geltung kamen, wie auch von Orgelumbau-Skeptikern aus dem Publikum anerkennend vermerkt wurde.

Genauso souverän und virtuos wie auf dem Spinett seine Fingerfertigkeit auf der Orgel - doch ganz anders als bei seinem Spinettspiel legte Götz hier viel Wert auf die differenzierte Gestaltung der Tempi, vielleicht wirkten die Rubati manchmal eine Spur zu romantisch - oder waren das die Geister des alten Orgelkerns?



Augsburg - München. Kirchenmusik im 17. Jahrhundert

Das zweite Kirchenkonzert am Samstag, in der Kirche Herz-Jesu, stellte die vokale und solistisch-instrumentale Kirchenmusik vor. Motetten von Hans Leo Hassler (1564-1612), geistliche Konzerte von Johann Melchior Gletle (1626-1683) und Gregor Aichinger (1564/65-1628), von letzterem ein kantatenähnlicher 'Dialog' sowie eine Sonate und verschiedene Messkompositionen von Johann Caspar Kerll standen auf dem Programm. Das offensichtliche Konzept, möglichst unterschiedliche Arten der Besetzung aufeinander folgen zu lassen, garantierte dabei anregende Konfrontationen und trotz kalter Füsse und dem Fehlen von Heißgetränken einen unlangweiligen Nachmittag.

Grundsätzlich ungewöhnlich, aber bei den Tagen alter Musik die Regel: kein Cembalo als Basso Continuo neben der Orgel, sondern eine Chitarrone, teilweise alte Geigen und Celloformen, das technisch modernste Instrument mag das Fagott gewesen sein. Auffallend überdies die solistische, höchstens paarweise Besetzung bei den Instrumenten wie Stimmen.

Die Vielfalt dieses Konzertes löste Eindrücke aus, die sich in sehr verschiedene Richtungen verwoben, daher eine etwas sprunghafte Aufzählung "meiner" Highlights: die beiden Hassler-Motetten luden ein, auf jeweils ganz unterschiedliche Art Zeit zu erleben; immer wieder erstaunlich, wie flexibel Renaissancemusik diese Bewußtseinskategorie erscheinen läßt! Aichingers Dialog 'Dixit Isaac' für drei Stimmen und Basso Continuo (B.c.) hatte fast dramatische Qualitäten (nicht zuletzt der Interpretation wegen); ebenso aber auch die darauffolgende Canzon vom selben Komponisten für zwei Violinen und B.c., denn die in enggeführter Imitation gesetzten Violinen vollführten fast einen Wettstreit, ein 'concerto', um die Stimmführung. Sowohl hier wie auch in Kerlls 'Missa pro defunctis' blieb der italienische 'Einschlag' unverkennbar: Kerlls bewegendes 'Recordare' klang meinen Ohren allerdings mehr nach Monteverdi als nach Kerlls Lehrer Carissimi.

Junge geschulte Stimmen stellen schon eine Qualität an sich dar; hier war sie gepaart mit Engagement und Professionalität der Instrumentalisten, und so kann man das Hassler-Consort unter der Leitung von Franz Raml nur Ihrer Aufmerksamkeit anempfehlen.

Leider kann ich die Namen nicht jedem Auftritt eindeutig zuordnen, es wären letztlich ohnehin alle gelobt. Besonders bemerkenswert schienen mir aber die Violinistinnen, die der Sonata in g von Kerll einen in Barockmusik selten gehörten 'Groove' verliehen. Schwungvoll und im wahrsten Sinne des Wortes be-'geistert' gestaltete das Consort auch Gletles 'Anima Christi'; ab diesem Stück war auch an der anfangs etwas undifferenzierten Dynamik nichts mehr auszusetzen. Der Chor überzeugte vor allem durch Flexibilität, Zusammenklang und Interaktion mit Dirigent und Instrumentalisten in Kerlls Missa, kleine Unsicherheiten bei Einsätzen fielen da kaum ins Gewicht. Wunderschön übrigens das Sanctus in der raren Kombination von Kontratenor und Frauensopran. Das hatte Klasse.

FAZIT der Kirchenkonzerte
In Kirchen ist es ziemlich kalt zu dieser Jahreszeit, das macht den Besuch von gleich zweien an einem Tag zu einem fast heroischen Akt und hat bestimmt den Umsatz der Grippemittelindustrie gesteigert. Aber sei's drum.
Die Konzerte waren trotzdem ganz gut besucht, die Tage alter Musik sind eben bekannt für ihre interessanten und niveauvollen Darbietungen.
Einen Wehmutstropfen gebe ich hinzu, um den sich kein Beteiligter grämen muß: Kirchen als Konzerthallen sind merkwürdige Plätze, zumal, wenn in ihnen auch noch Kirchenmusik gespielt wird, aber natürlich ohne die ursprüngliche Umgebung der Musik: ohne Messe oder Gottesdienst. Diese doppelte Entfremdung berührt einen besonders dann, wenn in Moderation erklärt werden muß, daß ein Versus sehr kurz ist, weil er die von Klerikern intonierten Verse ergänzte, die Reihe dieser entrissenen Musikstückchen aber als von Pausen unterbrochenes 'Ganzes' vorgeführt wird. Wir leben in einer sehr seltsamen Kultur.



Varia carminum genera. Musik an süddeutschen und österreichischen Höfen nach 1500.

Der ganze Reichtum des 16. Jahrhunderts wurde unter dem bescheidenen Titel 'Varia', Verschiedenes, vor uns ausgebreitet: Lieder und Motetten von Ludwig Senfl (um 1486-1542/43), Hans Judenkünig (um 1450-1526), Heinrich Isaac (um 1450-1517), Stephan Mahu (1480/90-1541?), Orlando di Lasso (um 1532-1594) und Leo Hassler, eine illustre Reihe.

Die erste Hälfte des Abends im Kulturzentrum der Stadt Herne stand unter dem Zeichen 'Lied'. 'Ach Elslein, liebes Elselein' wurde allein in fünf verschiedenen Bearbeitungen vorgeführt, u. a. für Laute solo und - nachdem eine Stimme nach der anderen vorgestellt und verschieden kombiniert worden war - als sechsstimmiges Quodlibet. Senfl war hier am häufigsten vertreten mit Klageliedern oder humorvollen Glockenklangimitationen, doch auch Isaaks Schlager 'Innsbruck, ich muß dich lassen' fehlte nicht.

Die Lieder wie die Motetten und Madrigale im zweiten Teil wurden konstrastiv kombiniert mit Instrumentalkompositionen, meist Liedbearbeitungen - die abwechslungsreiche Gestaltung scheint grundsätzlich Ziel der Programmkonzeptionen der Samstagskonzerte gewesen zu sein und hat sich meines Erachtens jedenfalls bewährt.

Die King's Singers waren allerdings der eigentliche Clou des Abends - selten noch habe ich ein Konzert so ausverkauft und nach Karten suchende Menschen so verzweifelt erlebt (naja, vielleicht in Bayreuth).

Das Konzert wurde live im Rundfunk übertragen, doch das allein erklärt nicht die konzentrierte Atmosphäre angehaltenen Atems, die sich allmählich im Publikum verbreitete. Dabei begann alles relativ harmlos mit einem Liedsatz von Senfl, dessen Text nicht gut zu verstehen war. Ich bewunderte den Lautenisten vom Dufay-Collective, der anschließend in aller Seelenruhe gegen die Erwartungshaltung des Publikums bezüglich der King's Singers anspielte und es mit sauberer Technik und klarer Stimmführung tatsächlich verstand, uns zum Zuhören zu zwingen. Sehr geschickt, anschließend mit dem Elslein-Lied die verschiedenen Stimmen und Instrumente vorzustellen und peu à peu den gesamten sechsstimmigen Satz aufzubauen. Schon hier beeindruckte die Selbstverständlichkeit des Aufeinander-Reagierens und die sichere Intonation aller Beteiligten (Kenner alter Instrumentenformen werden dies zu schätzen wissen).

Der von Isaac vertonte Abschied von Innsbruck ist so bekannt, daß es schwer erscheint, das Stück auf's Neue interessant zu machen. Aber tatsächlich! Die King's Singers haben es geschafft mit einem Balanceakt zwischen deutlichster Artikulation, a cappella-Intonation und geradezu zartestem dynamischen Niveau. Hier hielten wir zum ersten Mal den Atem an.

Zwei instrumentale Liedbearbeitungen exponierten darauf die Akuratesse des Dufay-Collectives: keine Spur von der Vorsicht und gleichförmigen Gemessenheit, die Ensembles für alte Musik so manches Mal an den Tag legen, sondern schwungvolles Musizieren und klangliche Ausgewogenheit bestimmten das (Hör-)Bild.

Von den vielen Höhepunkten des Abends sei noch die meditative Motette 'Musica Dei donum' ('Die Musik ist ein Geschenk Gottes') erwähnt, bei deren Erklingen man wünschte, dieser homogene Klangfluß möge nie aufhören.

Das mußte aber doch sein, spätestens nach der Zugabe 'Tanzen und Springen' und der Wiederholung des Schlußstückes 'Frisch auf, last uns ein guts glaß mit wein', in dem sich sogar ein wenig europäische Einigung (zumindest am ideellen Stammtisch) abzeichnete bei den Prost-, Skåll-, und Cheers-Rufen der Sänger.

FAZIT
Ein tolles Konzert für meinen Geschmack. Ein Bekannter aber meinte, die Stimmen klängen nicht alle gleich schön - ein nicht ganz unberechtigter Einwand. Jeder der King's Singers besitzt eine recht individuelle klangliche Stimmfärbung, so daß der Klang nicht immer völlig homogen ist. In manchen Stücken - etwa in di Lassos 'Ad te levavi oculos meos' - waren zudem deutliche Klangbrüche zuhören, wenn eine Stimme ihr Register wechselte. Da dies sowie die Heterogenität der Stimmen je nach Stück differierte, ist zu vermuten, daß die King's Singers diese Elemente in ihre Interpretationen miteinbeziehen. Ohnehin bleibt die Entscheidung für oder gegen den Gleichklang eines Vokalensembles eine Geschmacksfrage.
Der überwiegende Teil des Publikums war jedenfalls auf meiner Seite, denn es gab nicht nur langen, rhythmischen Applaus, sondern vom begeisterten Getrampel der Leute wackelte der Saal!

(Annette van Dyck)


Gravicembalo col piano e forte

Der letzte Tag der Konzertreihe in Herne begann mit einer Darbietung von Wolfgang Brunner. Präsentiert wurde ein umfangreiches Programm für Hammerflügel. Die Attraktion bestand in der wohl einzigen Kopie eines Christofori-Hammerflügels, die an diesem Morgen zum ersten Mal im Konzert erklingen sollte.

Das von dem Italiener Bartolomeo Christofori erfundene Instrument ist noch in drei Originalen erhalten, sie stehen in New York, Rom und Leipzig. Das Instrument in Leipzig von 1726 bot die Vorlage für den Bau der Kopie.

Wolfgang Brunners erklärtes Ziel für dieses Konzert war es, besonders geeignete Literatur für den Hammerflügel ausfindig zu machen. So eröffnete er das Programm mit dem Komponisten, der einer der ersten war, die sich die Möglichkeiten des Hammerklaviers ausgiebig zunutze machten: Carl Philipp Emanuel Bach.

Es folgten Werke von Giustini und Scarlatti. Brunner zeigte auf dem besonderen Instrument feine Nuancen und spritzigen Klang bei schnellem Spiel. Er bot sowohl anmutigen, graziösen Ton als auch kräftigen Ausdruck, der schon sehr an den heutigen Klavierklang erinnert.

Im zweiten Teil des Konzert blühte die Dynamik der Stücke von Johann Sebastian Bach auf, sie konnte sich wunderbar auf dem Instrument entfalten. Vereinzelte Nervositäten des Pianisten konnten schnell überwunden werden und zu konzentriertem Spiel finden. Bei transparentem und differenzierten Vortrag konnte man den Cristofori-Hammerflügel aufgiebig kennen- und schätzen lernen.



Geistliche Konzerte aus Österreich

Am Nachmittag gestaltete das Ensemble Salzburger Hofmusik unter der Leitung von Wolfgang Brunner ein Konzert in der Kreuzkirche. Eine enorme Anzahl geistlicher Werke aus Österreich stand auf dem Programm. Gut zusammen klangen die vier Singstimmen mit Streichern, Laute und Orgel bzw. Cembalo.

Genannt seien hier nur einige Eindrücke des reichen Konzertes: Herausragend war die Sopranistin Verena Krause. Sie besitzt eine Stimme, die klanglich genau dem Charakter der Musik entspricht, die an diesem Nachmittag zu hören war. Die von ihr gesungenen Arien in Begleitung von Streichern und Basso continuo von Philipp Rättich bildeten so ein Glanzstück des Konzertes. Sie wurden von der jungen Sopranistin seraphisch, mit natürlich klarer Stimme und auch auffallend guter Diktion dargeboten, so daß der deutsche, innige religiöse Text der Stücke verstanden werden konnte.

Auch die Altstimme von Markus Forster überzeugte durch außerordentlichen Wohlklang und gemessenen Ausdruck. Tenor und Baßstimme wirkten dagegen in ihren Soli etwas blaß, und sie ließen die Stimmführung im Ensemble ihrerseits nicht immer deutlich werden.

Die ausdruckstarke Sonate für Violine und Basso continuo über "Wie schön leuchtet uns der Morgenstern" von Heinrich I.F. Biber (mit ? im Programm angegeben) ließ die Solo-Violinistin durch innigen singenden Ton erstrahlen, und es fehlte auch nicht an Virtuosität. Im Ensemble bzw. in den Konzerten für zwei Violinen fanden die beiden mitwirkenden Geigen jedoch leider nicht immer die rechte Stimmung, wodurch ihre Leistung etwas verlor.

Einen freudig-bewegten Abschluß gaben schließlich alle Musiker gemeinsam mit einer Kantate für vier Singstimmen, Streicher und Basso continuo von Michael Haydn. Ein besonderes, klangvolles Konzert wurde damit abgerundet. Das Publikum hatte trotz der enormen Fülle des Programms bis zum Schluß aufmerksam gelauscht.



Von der Frühklassik zur Wiener Schule - Österreichische Clavierkonzerte

Am Abend schließlich standen vier Östereichische Klavierkonzerte auf dem Programm, von denen Linda Nicholson je zwei auf Cembalo und zwei auf Hammerklavier spielte. Begleitet wurde sie in kleiner Besetzungvon Streichern, alten Holzblasinstrumenten und Hörnern, gespielt vomFlorilegium Collinda unter der Leitung von Hiro Kurosaki.

Linda Nicholson ist renommierte Spezialistin für frühe Tasteninstrumente, sie pflegt selbst eine große Sammlung dieser historischen Instrumente. Sie ließ auch an diesem Abend wie selbstverständlich makellos perlendes Spiel und klarste Stimmführung hören. Faszinierend war vor allem der Nuancenreichtum und der empfindsame Ausdruck, den sie dem Hammerklavier entlockte.

Den begleitenden jungen Musiker des Florilegium Collinda sah man die Freude am Spiel so sehr an, daß man noch viel lieber statt bloß zuzuhören das eigene Instrument geholt und mitgespielt hätte. So dynamisch und feinfühlig erklang denn auch die kompetente Begleitung. Die Instrumente sprachen miteinander und harmonisierten mit dem Tasteninstrument.

Das vortreffliche Programm des Abends hatte viele Zuhörer angelockt, die Tage Alter Musik fanden im ausverkauften Saal des Kulturzentrums einen glänzenden Abschluß.

(Meike Nordmeyer)

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Gerhard Menzel

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