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Das Hörbuch auf MC:

"Die sieben Tage einer Woche werden dazu nicht reichen..."

Thomas Mann: Der Zauberberg

Gelesen von Gert Westphal




Ein ehrgeiziges Projekt hat sich die Deutsche Grammophon mit der (gekürzten) Aufnahme von Thomas Manns Zauberberg vorgenommen: 14 Kassetten besprach Gert Westphal in bekannter und wunderbarer Manier. Ob allerdings dieser Hörmarathon dazu geeignet ist, mehr als ein paar Westphal-Begeisterte anzulocken, bleibt abzuwarten. Als Adressat ist wohl die Klientel der Lesebegeisterten angesprochen, die aus Krankheits- oder Altersgründen nicht mehr lesen können und auf diese Art am Literaturgenuß teilhaben wollen. Daß dieser Hörmarathon aber auf einer geschickt gekürzten Version beruht, enttäuscht allerdings, zumal dies erst auf den zweiten Blick kenntlich wird. Dabei liegt dem Konzept der Hörbücher nicht eine dramaturgische Umsetzung in Hörspielfassung zugrunde, sondern es soll vorgelesen werden, vorgetragen in bester Sprechmanier. Gert Westphal kann man da sicherlich als den Nestor des Hörbuches bezeichnen, hat er doch neben den zahlreichen Thomas-Mann-Einspielungen (Joseph und seine Brüder, Buddenbrooks, Lotte in Weimar, Doktor Faustus) auch Goethes Wahlverwandtschaften, Flauberts Madame Bovary, Oskar Wildes Bildnis des Dorian Gray, Fontanes Effi Briest, Frau Jenny Treibel, Unwiederbringlich, Cécile und Der Stechlin für den NDR gesprochen und als Hörbuch der Deutschen Grammophon zur Verfügung gestellt.

Der Zauberberg, gebändigt in 14 Kassetten, entführt in eine Traum- und Zauberwelt, läßt glitzernde Bergmassive aufleuchten, verströmt Kälte und die leise Ironie des Autors. Fast beginnt man Thomas Mann zu hassen und gleichzeitig zu bewundern. Die Stimme von Gert Westphal legt die Ironie, aber auch die Überheblichkeit Manns in seinen Personenschilderungen bloß. Die Vermittlung durch den Sprecher läßt Nuancen des Textes hörbar werden, die man sonst überlesen hätte. Somit wird das Hörbuch nicht zum bloßen Ersatz für den gelesenen Text, sondern zum neuen Kunstwerk: Thomas Mann in der Fassung von Hanjo Kesting und der Interpretation von Gert Westphal. Nach leichtem Ärger über die unmerklichen Kürzungen und Ausfälle läßt man sich gern von beiden auf die Thomas-Mann- Entdeckungsreise entführen - hätte man sonst hinterher noch einmal das Buch zur Hand genommen, um manche Passagen noch einmal genußvoll in ganzer Länge nachzuvollziehen?

Wie angenehm, daß hier kein Beiwerk, kein akustischer Schnickschnack hinzugefügt wurde. Die Aufnahme verläßt sich ganz auf das sprecherische Können und die Ausstrahlung Westphals und dies zurecht:
Gert Westphal liest vor, aber er verkörpert auch, er macht den Wechsel der Personen einfach hörbar und nachvollziehbar. Figuren wie Minherr Peeperkorn werden lebendig, entsteigen dem Roman und so hätte man sie sich immer vorgestellt. Auch Hans Castorp leiht Westphal die adäquate Diktion - eine ungleich wandlungsfähigere Darstellung als uns die Verfilmung seinerzeit bot. Die fremsprachigen Passagen wie z.B. im Kapitel Walpurgisnacht, im Liebesgeflüster Hans Castorps mit Madame Chauchat bewältigt Westphal ebenfalls mühelos, er läßt Castorps deutschen Akzent durchschimmern und setzt ihn genau vom feineren Französisch der Russin ab. Geschmeidig, wandlungsfähig, mitreißend und in angenehmer Diktion - so verzaubert Gert Westphal den Hörer, der Zauberberg wird zum Ohrenschmaus, den man sich nicht entgehen lassen solllte.

Störend an dieser Einspielung sind eigentlich nur Kleinigkeiten: es gibt Fehler beim Zusammenschnitt der einzelnen Sprechabschnitte (so erscheint auf der zweiten Kassette eine Passage doppelt), und es ist sehr schwierig, sich in dem Kassettenwust zurecht zu finden. Denn die einzelnen Kapitel werden nicht durch das Lesen der Überschrift kenntlich gemacht, und es wird auch darauf verzichtet, mit Laufwerkszeiten genau anzugeben, wann welcher Teil endet. So spult man ziemlich lange, bis man die Passagen findet, die man sucht. Die ganze Einspielung ist darauf angelegt, in einem Durchgang gehört zu werden - und dagegen spricht eben die Länge. Zu einem gezielten Einsatz z.B. im Schulunterricht wären auch weitere Hinweise zu den Kürzungsprinzipien oder einfach Verweise auf die Seitenzahlen in der benutzten Ausgabe sinnvoll. Doch für diesen pädagogisch-wissenschaftlichen Zweck ist die Reihe Hörbuch wohl nicht gedacht.

Die Deutsche Grammophon versucht erfolgreich einen neuen Trend zum Hörbuch zu bilden. Dies gelingt besonders gut für den Sektor der "Unterwegs-Unterhaltung". Während die Radiostücke immer einfallsloser und immer kürzer werden, unterbrochen von immer endloseren Werbepausen, bietet das Hörbuch eine willkommene Gelegenheit, sich nebenher zu bilden und zu unterhalten. Dies scheint zunächst ein altertümlicher Rückgriff auf die Zeiten der Nur-Radio-Unterhaltung, in der das Bild noch keine Rolle spielte. Aber gerade dieser Rückgriff birgt Zukunft. Das Radio bleibt das Medium der "Nebenher-Unterhaltung" beim Essen, beim Bügeln, bei der Hausarbeit, beim Auto-fahren... Wie gesagt - ob allerdings Thomas Mann dafür geeignet ist, bleibt fraglich.



Heike Schumacher, Schleiden
Oktober 1996




Deutsche Grammophon
Hörbuch auf MC
Thomas Mann
Der Zauberberg.
Gelesen von Gert Westphal.
Produktion: Norddeutscher Rundfunk.
Regie und Fassung: Hanjo Kesting.
Aufnahme: 1983 / 1995 Hannover.
Bestellnummer:
Vol. 1: 7 MC 449 673-4 (10 Stunden)
Vol. 2: 7 MC 449 681-4 (9 1/2 Stunden)




Hier können Sie
noch mehr über Thomas Mann erfahren:


Das Thomas Mann Archiv
und
Das Buddenbrookhaus
Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum








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