OMM-Logo Online Musik Magazin Feuilleton
Homepage zurück e-mail Impressum



Das Publikum der Bayreuther Festspiele
unter der soziologischen Lupe:

Pilgerfahrt ins Ich

Cover



Das Publikum der Bayreuther Festspiele ist wohlhabend, gehobenen Alters und von der Grundhaltung liberal bis konservativ. Das ist ein Ergebnis einer Studie der Bayreuther Soziologen Winfried Gebhardt und Arnold Zingerle, die anläßlich der Festspiele 1996 durchgeführt und im vergangenen Jahr in Buchform veröffentlicht worden ist. Dieser kaum überraschende Befund allein wäre freilich nicht die Lektüre wert, zumal die Datenbasis eher schmal ist. Im Wesentlichen bilden 846 ausgefüllte Fragebögen, 28 Leitfaden-Interviews mit "ausgewählten" Festspielgästen und verschiedene "Beobachtungs-Sequenzen" (unter anderem wurden 6 Festspielgäste über längere Zeit "beschattet") die Grundlage der Untersuchung. Die Genauigkeit (2 Nachkommastellen), die das Buch vorgaukelt, läßt sich damit nicht annähernd erreichen.

Auch methodisch können einem leise Zweifel am Vorgehen der Soziologen kommen; weniger wegen der Auswahl von Gesprächspartnern (hier sollte offenbar ein möglichst großes Spektrum einbezogen werden), sondern wegen der dokumentierten Beobachtungssequenzen: Was "typisch" für das Bayreuther Publikum ist, das scheinen die Wissenschaftler schon bei der Auswahl der Beobachtungsobjekte gewusst zu haben. Da hat das Buch den faden Beigeschmack, dass bestimmte Klischees pseudowissenschaftlich am einzelnen Beispiel "bewiesen" werden sollen.

Dennoch ist Gebhardt und Zingerle ein bemerkenswertes Werk gelungen, das seine Stärken hat, wo es nicht nur mit Zahlen jongliert. Die sorgfältige Analyse der Gespräche legt die Beweggründe dar, weshalb mancher Jahr für Jahr nach Oberfranken pilgert - aber auch das Spektrum möglicher Sichtweisen auf das Werk Wagners. Und obwohl heiß über die Inszenierungen gestritten wird, haben diese nur untergeordnete Bedeutung, so die These der Autoren: Für viele Besucher bildet nicht die Auseinandersetzung mit dem Werk, sondern die Wahrnehmung der eigenen Reaktion auf dieses Werk das eigentliche Erlebnis. Bayreuth als Selbsterfahrungstrip: Eine "Pilgerfahrt ins Ich" statt Pilgern zu Wagner.

Der Ansatz der beiden Forscher ist nicht nur im Hinblick auf das derzeitige Publikum interessant, sondern führt sehr viel weiter: Nicht nur die bewegte Rezeptionsgeschichte, sondern auch die Bandbreite möglicher Interpretationsansätze der Wagnerschen Opern erscheinen in neuem Licht. Dadurch kann man das Buch auch als erfrischend anderen Kommentar zum Phänomen Wagner auffassen.

Zwei Seelen in einer Brust oder zwei Autoren an einem Werk? Auf sehr intelligente Passagen folgt der "Versuch einer Typologie" des Publikums, der in ärgerlichen Verallgemeinerungen die frisch gewonnenen Ergebnisse in (nicht ganz neue) Klischees zu pressen versucht. So steht Lesenswertes neben Überlesenswertem. Die besseren Passagen indes lohnen die Lektüre der kompletten 270 Seiten.


Stefan Schmöe, Wuppertal
Oktober 1999




Winfried Gebhardt / Arnold Zingerle
Pilgerfahrt ins Ich.
Die Bayreuther Festspiele und ihr Publikum.
Eine kultursoziologische Studie.

UVK, Universitätsverlag Konstanz, Konstanz 1998
(Passagen & Transzendenzen, Band 5)
ISBN 3-87940-628-6






Da capo al Fine

Homepage zurück e-mail Impressum

©1999 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -