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Meilenstein auf dem Weg
zu Wagner



Von Markus Bruderreck, Herne
Dezember 2000



Bis vor gar nicht zu ferner Zeit war Richard Wagners Antisemitismus und sein widersprüchliches Verhältnis zu seinen jüdischen Zeitgenossen nicht Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Auch die Musikwissenschaft widmete sich bis gegen Ende der Achtzigerjahre nur vereinzelt diesem brisanten Thema. In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche Wissenschaftler und Autoren wie Dieter David Scholz, Jens Malte Fischer, Udo Bermbach, Saul Friedländer und Paul Lawrence Rose diese überfällige Auseinandersetzung jedoch nachgeholt. Experten aus Israel, Deutschland, England und den USA trafen sich 1998 zum Symposion "Richard Wagner und die Juden" am Rande der Bayreuther Festspiele. Ziel der Zusammenkunft war es, eine möglichst umfassende Analyse von Richard Wagners Antisemitismus zu versuchen. Denkwürdig war die Veranstaltung in mehrfacher Hinsicht, fand sie doch 50 Jahre nach der Gründung des Staates Israel statt und dazu noch auf so ideologisch vorbelastetem Boden wie Bayreuth.

Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill haben nun die 19 Vorträge des Symposions zu einem Sammelband vereinigt. Richard Wagner und die Juden versucht, eine möglichst umfassende Darstellung des komplexen Problemkreises zu geben. Und so finden sich neben Analysen zu Wagners Schmähschriften auch Untersuchungen zu den Ursachen seines Antisemitismus, dessen Anfänge nicht zuletzt in der traumatischen Beziehung zum jüdischen Komponisten Giaccomo Meyerbeer zu finden sind. Er war in künstlerischen Dingen für Wagner die prägende Bezugsperson. Der beispiellose Erfolg von Meyerbeers "Jahrhundertoper" Le Prophète im Jahre 1849 muss Wagner schockiert und ihm schlagartig deutlich gemacht haben, dass er gegen Meyerbeers immensen Erfolg nichts auszurichten vermochte. Aus der Verehrung wird gekränkte Eitelkeit und schließlich Feindschaft, ausgelöst durch eine Aufführung von Le Prophète, die Wagner am 20. Februar 1850 in Paris besucht. Nur wenig später schreibt der Komponist im August 1850 die Erstfassung von Das Judentum in der Musik. Ein bemerkenswerter Zusammenhang, den der Kongressbericht aus Bayreuth ebenso aufzeigt wie die psychoanalytischen Dimensionen von Wagners Charakter.

Wichtig für die Akzeptanz von Wagners Werk in der Öffentlichkeit ist die Frage, ob und in welchem Ausmaß antisemitische Charakterzeichnungen in den Opern des Komponisten wiederzufinden sind. Weit gehen die Meinungen in der Wissenschaft hier auseinander. Ein beliebtes Beispiel ist die Figur des Mime aus der Oper Siegfried. Mit ihr soll Wagner, glaubt man den Thesen einiger Forscher, musikalisch die Polemik gegen den jüdischen Synagogalgesang umgesetzt haben, gegen den er in Das Judentum in der Musik giftet. In Mime die Karikatur des habgierigen und verschlagenen Juden zu sehen, hat Tradition: Auch Paul Lawrence Rose schließt sich in seinem Beitrag Wagner und Hitler - nach dem Holocaust dieser Sichtweise an. In diesem Punkt kann man den Deutungen von Rose noch folgen. Andere seiner Behauptungen sind dagegen unausgewogen und auch unwissenschaftlich. Für ihn ist der Antisemitismus nicht nur in Wagners Schriften offensichtlich, sondern auch in den Gesangstexten und der Musik. Diese radikale, einseitige Sichtweise, verbunden mit dem Vorwurf, Wagners Antisemitismus würde von historischer Seite zu häufig geleugnet, trug dazu bei, dass der Beitrag von Rose auf dem Bayreuther Symposion von 1998 einen Eklat auslöste.

Dem Willen zu unverzerrter, vollständiger Dokumentation ist es zu verdanken, das auch dieser Beitrag im Band Richard Wagner und die Juden zu finden ist. Zudem ist jedem Aufsatz eine kurze Zusammenfassung der Diskussion angehängt, die 1998 auf dem Symposion nach jedem Vortrag stattfand. In gewisser Weise ist der Band besonders geeignet für diejenigen, die sich einen ersten Überblick über das Thema verschaffen wollen. Und hier sind nicht nur Musikwissenschaftler angesprochen. Denn zum einen sind dankenswerterweise die englischsprachigen Texte ins Deutsche übertragen worden. Zum anderen aber, und das ist wohl das größte Plus des Bandes, sind fast alle Beiträge gut lesbar, nicht zuletzt wohl, weil sie aus Redemanuskripten hervorgegangen sind. Da ist es nur ein geringes Manko, dass der Leser nicht mit Kurzbiographien über die Autoren versorgt wird.
Für Wissenschaftler und Musikliebhaber wird Richard Wagners Leben und Werk wohl unerschöpflich bleiben; auch die Debatte über Wagners Antisemitismus ist noch lange nicht beendet. Dem Band Richard Wagner und die Juden kommt es dabei zu, einen Höhepunkt in dieser Diskussion dokumentiert zu haben.




Cover


Dieter Borchmeyer, Ami Maayani
und Susanne Vill (Hrsg.)

Richard Wagner und die Juden

Stuttgart und Weimar
Metzler-Verlag 2000.
Gebunden, 354 Seiten, 68 DM
ISBN 3-476-01754-0


Mit Beiträgen von Saul Friedländer, Dieter Borchmeyer, Jens Malte Fischer, Udo Bermbach, Hermann Danuser, Wolf-Daniel Hartwich, Yirmiyahu Yovel, David Clay Large, Jane F. Fulcher, Hans Rudolf Vaget, Dina Porat, Paul Lawrence Rose, Joesph Horowitz, Peter Gay, Sieghart Döring, Oswald Georg Bauer, Susanne Vill, Ludger Arens und Na'ama Shefi.



Da capo al Fine

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