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Susan Owen - Zuhause im hochdramatischen Fach

Thomas Tillmann sprach mit der Sopranistin Susan Owen über einige ihrer wichtigen Partien, über ihre stimmliche Entwicklung und den Verlauf ihrer bisherigen künstlerischen Laufbahn


Von Thomas Tillmann
August 2001



OMM: Im Mai haben Sie zweimal an der Deutschen Oper Berlin die Isolde gesungen. Wie kam es zu diesem Engagement, und wie hat das Hauptstadtpublikum auf Ihre Interpretation reagiert?

Owen: Vier oder fünf Tage vor der ersten Vorstellung am 20. Mai kam ein Anruf aus Berlin - Luana DeVol hatte abgesagt. Glücklicherweise hatte ich zu dieser Zeit auch noch einige Tristan-Vorstellungen in Darmstadt zu singen, so dass ich die Partie gut drauf hatte, und außerdem hatte ich Gelegenheit, in Berlin zu proben, weil Stig Andersen, der den Tristan sang, auch neu in der Inszenierung war - wir hatten sogar Bühnen-Orchester-Proben, die allerdings Jiri Kout dirigiert hat, weil auch Christian Thielemann die erste der beiden Vorstellungen wegen Krankheit hatte absagen müssen. Ich habe mich sofort zuhause gefühlt in der Deutschen Oper Berlin, und so ist auch die erste Vorstellung sehr gut gegangen. Stig Andersen war ein Superpartner, der auch viele lyrische Möglichkeiten in der Stimme hat, und mein Mann hat gesagt, dass er das Liebesduett im zweiten Aufzug noch nie so schön gehört hat. Eine Woche später war Herr Thielemann wieder gesund, und wir haben die Partie nur einmal durchgesprochen, zusammen mit den Kollegen, und so war die Vorstellung eigentlich eine Überraschung für uns alle. Ich kann nur sagen, dass es traumhaft war, weil Christian Thielemann so viele Ideen hat, weil er aus jeder Phrase so etwas wie eine Skulptur macht, es war einfach Wahnsinn - so etwas habe ich noch nie erlebt, dass ich mich in einer Einspringsituation in so guten Händen gefühlt habe!
Übrigens habe ich danach meine letzte Tristan-Vorstellung in Darmstadt gemacht - es waren meine Isolden-Festspiele, ich habe die Partie viermal in ungefähr zehn, zwölf Tagen gesungen! -, und alle fanden, dass es die beste Vorstellung überhaupt war! Das ist doch ganz klar: Ich habe etwas bekommen von Herrn Thielemann, und das konnte ich in Darmstadt direkt umsetzen. Meine Isolde ist jetzt eine andere, sie verändert sich mit jeder Vorstellung, und ich habe natürlich auch von den Erfahrungen profitiert, die ich in der Götz-Friedrich-Produktion in Berlin gesammelt habe - es ist eine ganz andere Inszenierung mit völlig anderen Ideen und Partnern, und natürlich verändert sich der Charakter dann, meine Isolde ist reicher geworden und hat sich weiterentwickelt. Man findet immer etwas Neues, wenn man mit anderen Leuten auf der Bühne steht, und diese neuen Aspekte versuche ich festzuhalten und in die vor mir liegenden Vorstellungen einzubeziehen. Es ist eine Art Eklektizismus: Was ich gut finde, versuche ich beizubehalten.
Aber Sie haben auch nach den Publikumsreaktionen gefragt: Ich hatte schon meine Bedenken vorher, weil das Publikum an der Deutschen Oper als sehr kritisch bekannt ist, aber sie haben mich sofort akzeptiert, schon nach dem ersten Aufzug gab es viele Bravorufe, was natürlich eine Hilfe für den weiteren Abend ist, denn dann kann man sich ein bisschen entspannen, braucht keine Angst mehr zu haben und kann den Abend genießen, ohne daran denken zu müssen, dass einen jemand ausbuhen könnte, nur weil ich nicht Luana DeVol heiße. Wobei ich schon verstehen kann, dass jemand enttäuscht ist, wenn er vor drei Monaten eine Karte gekauft hat und jemand anderes hören wollte. Aber das ist nun einmal Live-Theater!

OMM: Vor einigen Tagen haben Sie an einer weiteren sehr prestigeträchtigen Veranstaltung teilgenommen: Sie haben in Garmisch-Partenkirchen anlässlich der Feier zum 80. Geburtstag der großen Inge Borkh Ausschnitte aus Elektra gesungen.

Foto: Susan Owen und Inge Borkh Susan Owen (Hintergrund) mit Inge Borkh auf den Richard-Strauss-Tagen in Garmisch Patenkirchen, auf der Feier zum 80. Geburtstag von Inge Borkh

Owen: Ja, Inge Borkh hatte von mir gehört und den Kontakt zu mir gesucht, und da habe ich ihr eines Tages ein Exemplar meiner Siegfried-CD geschickt (Susan Owen singt die Brünnhilde in dieser 1999 bei der Firma ARS Produktion in Ratingen erschienenen, auf Vorstellungen am Staatstheater Kassel aus dem Jahre 1998 basierenden Aufnahme - Lesen Sie dazu unsere CD-Besprechung), die ihr offenbar gefallen hat. Sie wollte nach Darmstadt kommen, um mich als Färberin in der Frau ohne Schatten zu hören, aber sie hat es wohl aus gesundheitlichen Gründen nicht geschafft. Und dann kam irgendwann das Angebot von den Richard-Strauss-Tagen in Garmisch-Partenkirchen, ob ich nicht zu ihrem Geburtstag Elektra singen wollte. Ich habe das Angebot gern akzeptiert, weil man ja nicht jeden Tag Gelegenheit hat, eine so bedeutende Künstlerin kennen zu lernen und mit ihr über diese Partie Ideen auszutauschen. Sie ist eine wunderbare Frau, sehr offen und zugänglich, und es war eine Ehre, diesen Geburtstag mitzufeiern.
Es ging am Vormittag los mit einer Diskussion, bei der neben Inge Borkh auch Martha Mödl, Gwyneth Jones, Hildegard Behrens und Joachim Kaiser dabei waren und sich über die verschiedenen Frauenfiguren in Richard Strauss' Opern unterhielten. Und jede hat etwas über ihre Erlebnisse und Erfahrungen erzählt. Die Kolleginnen haben viele meiner eigenen Ansichten über Elektra bestätigt, was mich sehr gefreut hat! Es waren sich zum Beispiel alle einig, dass Elektra kein Tier ist, keine "wild woman", sie ist eine Frau, die verletzt ist, die von dieser schrecklichen Tat beschädigt worden ist, von der Ermordung ihres Vaters - sie fühlt sich missbraucht. Und von diesem Punkt an ist sie anders. Ich habe aber auch eine neue Idee aus dieser Diskussion mitgenommen: Elektra hat ihre Mutter vor dieser Tat sehr geliebt! Ich habe immer nur an die Liebe zu ihrem Vater gedacht, was ja sicher auch stimmt, aber ich denke, dass sie auch Klytämnestra sehr geliebt hat, und nach der Tat schlägt diese große Liebe in totalen Hass um - es muss immer ein starkes Gefühl zwischen diesen beiden Frauen gegeben haben. Wenn sie nicht dieses starke Gefühl ihrer Mutter gegenüber hätte, könnte sie sie nicht so tief hassen. Die Kolleginnen waren sich auch einig, dass Elektra Zeugin der Ermordung ihres Vaters war, vielleicht hat sie nicht den eigentlichen Todschlag mitbekommen, aber den Moment, in dem er aus dem Haus geschleppt worden ist - sie beschreibt es so präzis in ihrem Monolog. Wir wissen nicht, wie alt sie damals war, aber ich kann mir ein achtjähriges Mädchen vorstellen, dass Zeugin des Geschehens wird und dann sogar noch die Mordwaffe findet - sie kann nicht normal sein, das würde normalerweise zwanzig Jahre Therapie bedeuten!

OMM: Glauben Sie, dass Elektra am Ende wirklich sterben muss?

Owen: Es gibt eine Fassung des Stoffes, ich glaube, es ist die von Sophokles, bei dem sie alle zusammen ins Haus gehen. Aber in der Version von Hofmannsthal geht das nicht, sie akzeptiert ihr Schicksal und muss sterben. Sie bereitet sich ja ganz konkret auf den Tod vor. Aber grundsätzlich kann ich mir schon ein anderes Ende vorstellen, nur eben nicht mit diesem Text.

OMM: Ist Ihnen die Elektra sympathisch?

Owen: Ja, sehr! Und mit jeder neuen Inszenierung und jedem neuen Regisseur mehr! Natürlich kann ich nicht das Regiekonzept völlig verlassen, aber man muss ja trotzdem oder zusätzlich eine Menge der eigenen Persönlichkeit einbringen, und da profitiere ich von den verschiedenen Erfahrungen, die ich dann mit einer Partie schon habe. Bei meiner letzten Elektra in Hannover zum Beispiel war ich mit Frau Elchlepp doppelt besetzt; die Inszenierung war natürlich die selbe, aber wir beide sind total verschieden, und so ist der Abend natürlich auch ein ganz anderer, wenn sie singt. Es ist ja auch unsinnig anzunehmen, dass zwei Sängerinnen als Elektra total gleich sein können! Astrid Varnay war ganz anders als Nilsson, und Inge Borkh noch einmal ein ganz anderer Typ als die beiden anderen! Die Persönlichkeit und die Charakterisierung, die man in seiner Seele hat, kommt immer durch!
Aber um auf die Veranstaltung in Garmisch zurückzukommen: Am Abend saß Frau Borkh mit Thomas Voigt zusammen, und wir haben dann musikalische Beispiele aus Elektra gesungen, den Monolog und zusammen mit David Molnar das Duett Elektra - Orest, alles mit Klavierbegleitung, was natürlich besonders schwer ist, weil man sonst vom Orchester doch ein bisschen mehr getragen wird. Inge Borkh hat danach zum Publikum gesagt: "Das war das schönste Geburtstagsgeschenk für mich! Wenn es solche Künstlerinnen wie Sie gibt, ist es einem nicht bange um die Zukunft der Elektra-Interpretinnen!" Die beiden haben dann noch einmal über den Charakter der Elektra diskutiert, wie man sie singen sollte und so weiter, und das Publikum war sehr glücklich, auch ein bisschen Live-Musik zu haben. Es wurden auch einige Ausschnitte aus den Aufnahmen mit Inge Borkh eingespielt, und es wurde deutlich, wie eine Künstlerin mit einer solchen Partie lebt und was sie mit ihr erlebt! Jeder weiß, dass Elektra sauschwer ist und dass jede ihren eigenen Weg finden muss, wie sie mit dieser Partie zurecht kommt. Ich bin zu jung, um Frau Borkh live als Elektra erlebt zu haben, aber man kann sich nur aufgrund des Klangs ihrer Stimme vorstellen, wie sie es dargestellt haben muss. Sie findet es sehr schade, dass es kein Video von ihrer Elektra gibt, aber Thomas Voigt hat dann gesagt, dass man es eigentlich gar nicht braucht, wenn man die Platten hört. Man kann sich ihre Interpretation zum Vorbild nehmen und von ihr lernen. Ich gehöre nicht zu den Sängerinnen, die keine Aufnahmen hören - warum soll man nicht davon profitieren und behaupten, man hätte seine eigene Vorstellung von der Partie und könne nichts mehr lernen! Es geht ja nicht darum, eines dieser Vorbilder zu imitieren, sondern allein, um von ihnen zu lernen! Deswegen geht man doch auch zu einer Gesangslehrerin! Nein, ich höre sie gern, meine Elektra-Aufnahmen mit Inge Borkh, Birgit Nilsson oder Astrid Varnay - was die Varnay aus jedem einzelnen Wort macht, ist unglaublich! Eine gute Textverständlichkeit ist mir überhaupt sehr wichtig - ich möchte auch nicht fünf Stunden lang in einer Götterdämmerung sitzen und kein Wort verstehen!

OMM: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Schwierigkeiten bei der Elektra? Es können nicht allein die hohen Cs sein, die Sie ja auch in anderen Partien problemlos bewältigen.

Owen: Die Cs in Elektra sind nicht schwierig, das Schwierige ist das sogenannte "pacing", also wie man sich die Partie einteilt, dass man sich nicht schon im Auftrittsmonolog total verausgabt. Man braucht viel Erfahrung dafür, man muss auf der Bühne völlig "cool" sein, und das lernt man nach ein paar Vorstellungen. Ich finde die Färberin übrigens viel schwerer als Elektra, sie liegt unangenehmer.

OMM: Da sind natürlich auch die Proben sehr wichtig: Man sollte die eigenen intensiven Gefühle wahrscheinlich doch schon während der Erarbeitung einer Partie loswerden und sie in den Vorstellungen dann nur noch abrufen, oder?

Owen: Ja, genau. Man darf während der Vorstellungen emotional nicht mehr wirklich beteiligt sein, diese Arbeit muss vorher geleistet sein. Inge Borkh hat das genauso gesehen! Am Abend muss man sich auf die Stimme konzentrieren, auf die vielen Dinge, die passieren können, ein falscher Einsatz eines Kollegen oder so etwas, da muss man emotional ganz gelassen sein! Inzwischen habe ich die Elektra so oft und auch in so vielen verschiedenen Inszenierungen gesungen, dass ich mich mehr und mehr zuhause fühle.

OMM: Ist sie Ihre Lieblingspartie?

Owen: Es ist eine meiner Lieblingspartien, sicher. Aber Brünnhilde und Isolde sind auch Lieblingspartien. Ich finde Wagner schöner zu singen, Wagner ist nicht so brutal für die Stimme, man kann es nicht vergleichen.

OMM: Viele Sängerinnen sagen aber doch, dass Strauss gerade für Soprane perfekte Partien geschrieben hat.

Owen: Ich bin nicht dieser Meinung. Wagner liegt mir besser in der Kehle!

OMM: In diesen Tagen erscheint als zweiter Teil der Aufnahmen vom Kasseler Ring, in dem Sie zum ersten Mal die Brünnhilde gesungen haben, die Götterdämmerung (Lesen Sie dazu unsere CD-Besprechung). Können Sie ein bisschen über diese Arbeit erzählen?

Owen: Die Aufnahmen sind im Mai und Juni 1999 entstanden, es handelt sich um Mitschnitte von Live-Aufführungen in Kassel. Es war eine ganz besondere Erfahrung, weil so viele Debütanten auf der Bühne standen: Es war Christian Franz' erster Siegfried in der Götterdämmerung, Manfred Volz' erster Hagen, meine erste Brünnhilde in der Götterdämmerung, auch Paternostro machte das Stück zum ersten Mal - es waren also sehr spannende Abende, und ich denke, dass man das beim Anhören dieser CDs auch merkt, diese Spannung und Aufregung, aber auch die ungeheure Freude, diese Musik singen zu dürfen, weil sie einfach so schön ist! Man könnte weinen manchmal! Ich habe dieses Gefühl auf den Gesichtern meiner Kollegen gesehen, und auch Roberto Paternostro strahlte am Pult. Natürlich wird man als strenger Kritiker auch einige Punkte finden, die nicht ganz vollkommen sind, natürlich ist meine Brünnhilde heute wesentlich reifer, aber ich finde, dass dies ein interessantes Dokument einer jungen Besetzung ist, die sehr spannend ist.

OMM: Mögen Sie Ihre Stimme, wenn Sie sie auf Konserven hören?

Owen: Jein! Ich bin mit mir selber kritischer als jeder andere, und ich könnte ein Buch darüber schreiben, was ich alles besser machen könnte! Heute würde ich vielleicht etwas anders phrasieren und vieles mehr. Aber etwas anderes fand ich sehr interessant, als ich die Aufnahmen vor der Veröffentlichung abgehört habe: Ich erinnere mich ganz genau, wie ich mich damals auf der Bühne gefühlt habe, und auch das hat mir Inge Borkh bestätigt, als bei dieser Veranstaltung ihre Aufnahmen eingespielt wurden.

OMM: Anders als Sie hat Inge Borkh den Schritt zu Brünnhilde und Isolde nicht gemacht und kann damit eigentlich nicht wirklich als hochdramatischer Sopran bezeichnet werden. Sie singen alle diese Partien, aber Ihnen wird immer wieder bescheinigt, wie lyrisch Sie diese Partien angehen. Sind Sie eine Hochdramatische?

Owen: Ja, das bin ich. Ich bin davon überzeugt, ein hochdramatischer Sopran zu sein, weil ich seit ein paar Jahren nur Partien dieses Fachs gesungen habe, es waren keine italienischen Partien mehr dazwischen, keine lyrischen Partien wie z.B. Agathe, ich habe nur die hochdramatischen Partien gelernt und gesungen, eine nach der anderen, und ich fühle mich sehr wohl in diesem Fach, die Stimme ist in einem guten Zustand und ist auch größer geworden, was mir signalisiert, dass ich richtig bin in diesem Fach. Ich schade mir nicht mit diesen Partien! Ich habe im Mai innerhalb von nicht einmal zwei Wochen viermal Isolde singen können, und die dritte und vierte waren die besten! Wenn die ersten beiden besser gewesen wären, wenn ich nach den Vorstellungen heiser gewesen wäre, dann hätte ich mich gefragt, ob diese Partien richtig für mich sind.

OMM: Lassen Sie Ihre Stimme immer noch regelmäßig kontrollieren?

Owen: Natürlich, ich gehe nach wie vor zu Anna Reynolds, leider nur ein paar Mal im Jahr, weil wir beide sehr volle Terminkalender haben, sie macht sehr viele Meisterkurse. Sie ist superkritisch mit mir, und deswegen liebe ich sie so! Sie geht wirklich zur Sache! Ich gehe auch mit neuen Partien zu ihr und arbeite mit ihr daran.

OMM: Was tun Sie sonst, um Schaden von der Stimme abzuwenden?

Owen: Ich singe viel, und dadurch bleibe ich fit! Für meine Stimme ist es eher schädlich, wenn ich zwei Wochen überhaupt nicht singe. Natürlich mache ich jetzt im Sommer auch eine Pause und singe dann auch wirklich ein paar Wochen überhaupt nicht! Aber ich weiß genau, dass ich danach wieder früh anfangen muss, um die Stimme fit zu bekommen!

OMM: Wie sieht ein typischer Vorstellungstag von Susan Owen aus? Versuchen Sie schon direkt beim Wachwerden ein hohes C zu singen, um zu sehen, ob die Stimme da ist?

Owen: Nein, manche Tenöre machen das, aber ich gar nicht. Ich warte ein paar Stunden, bis der Körper richtig wach ist, bis ich meinen Kaffee getrunken habe, und dann schaue ich so gegen 10 oder 11 Uhr nach der Stimme. Wobei ich gar nicht so sehr zwischen mir und der Stimme unterscheiden möchte, ich bin eins mit meiner Stimme. Die Stimme ist Susan!

OMM: Nach den drei Brünnhilden, der Elektra, der Färberin und der Isolde haben Sie nun fast alle großen Partien des hochdramatischen Fachs gesungen. Welche weiteren Rollen sind für die Zukunft geplant?

Owen: In der nächsten Spielzeit kommt für mich in Darmstadt, wo ich auch in der kommenden Saison noch festes Ensemblemitglied sein werde, die Ortrud als neue Partie, und Tristan und Isolde wird auch wieder aufgenommen, so dass ich weiter an meiner Isolde arbeiten kann. Ich würde auch danach wieder ein Festengagement eingehen, wenn ich genügend Zeit zum Gastieren zugesichert bekäme. Dann werde ich an der Palm Beach Opera zum ersten Mal Elisabeth und Venus im Tannhäuser singen, was ich sehr spannend finde, weil ich dann endlich einmal wieder mit meinem Mann zusammen arbeiten kann, der Regie führen wird, weil ich die Idee, dass beide Figuren eigentlich eine Frau sind, sehr interessant finde, und weil ich immer noch in der Lage bin, auch eine so lyrische Partie wie die Elisabeth schön zu singen, auch wenn diese Rolle heute manchmal von sehr lyrischen Stimmen gesungen wird; früher wurde diese Partie viel dramatischer besetzt! Und Venus ist in der Dresdner Fassung sehr kurz und liegt für einen Sopran sehr angenehm. Aber was heißt heute schon Mezzosopran? Viele Kolleginnen singen inzwischen Isolde und Brünnhilde, obwohl sie sich selbst eigentlich als Mezzos bezeichnen!
Ich würde in der Zukunft gern die Kundry singen, aber bisher hatte ich keine Zeit, daran zu arbeiten, auch wenn es erste Angebote gegeben hat. Auch Fidelio habe ich schon vor längerer Zeit studiert, aber es gab bisher keine Gelegenheit; auch Ariadne wäre jetzt möglich, ich würde mich auch über Angebote für Turandot oder Minnie in La Fanciulla del West freuen, aber ich muss sagen, dass ich sehr gut ausgelastet mit den Partien, die ich in den letzten Jahren neu gelernt habe. Sie haben das ja miterlebt: die Brünnhilden, Isolde, Färberin, dann noch ein paar "Kleinigkeiten" wie Emilia Marty in Die Sache Makropoulos. Es wäre mir wirklich ein Vergnügen, wenn ich ein paar Jahre lang diese Rollen singen und vertiefen könnte! Und so freue ich mich zum Beispiel sehr darauf, im neuen Ring in Liège zum ersten Mal wieder einen kompletten Zyklus mit allen drei Brünnhilden singen zu können; es ist zwar auch schön, hier und da einmal ein paar Vorstellungen Walküre, Siegfried oder Götterdämmerung zu singen, aber für jemanden wie mich, der Proben so genießt, ist ein kompletter Ring natürlich etwas Wunderbares! Und was die italienischen Partien geht: Natürlich halten sie die Stimme geschmeidig, aber das tut auch eine Isolde, die ja nicht nur Kraft erfordert, sondern besonders im zweiten Aufzug eine sehr italienische, lyrische Art des Singens erfordert - das ist purer Belcanto! Ich habe zuhause eine Aufnahme der Tannhäuser-Elisabeth mit Renata Tebaldi, und das ist herrlich! Auch manche Passage in Elektra kommt mir fast wie Mozart vor, denken Sie an "Von jetzt an will ich deine Schwester sein" - das ist Mozart! Das ist so lyrisch, man braucht wirklich eine Linie wie Donna Anna! Es kommt eben darauf an, wie man das deutsche Fach singt! Gut gesungen ist gut gesungen!

OMM: Können Sie beschreiben, wie sich Ihre Stimme im Laufe Ihrer Karriere verändert hat?

Owen: Ich empfinde die Entwicklung meiner Stimme als einen Glücksfall: Ich habe mit sehr lyrischen Partien begonnen, dann einige Spintorollen gesungen, und heute bin ich absolut richtig im hochdramatischen Fach - eine ganz organische Entwicklung, wie ich finde.

OMM: Ist Singen ein Traumberuf?

Owen: Für mich ja! Ich danke Gott jeden Tag, dass es mir erlaubt ist zu singen. Natürlich wird dieser Beruf immer schwieriger, weil die Konkurrenz immer größer wird, weil es immer mehr Sängerinnen und Sänger gibt, die von der Hochschule kommen, aber immer weniger Engagements. Ich bin sehr dankbar, dass ich so gut im Geschäft bin und dass ich dem Publikum die meiste Zeit lang Freude mache. Natürlich ist es Geschmackssache! Ich bin dankbar dafür, dass ich gesund bin, dass ich eine gute Technik habe, dass ich das für mich richtige Repertoire gefunden habe. Ich sage dankbar, weil ich genügend Leute kenne, die nie die Chance hatten, sich auf einer Bühne zu präsentieren. Es gehört schon auch eine gute Portion Glück zu diesem Beruf dazu! Nicht jeder bekommt die Chance, mit einem so wunderbaren Dirigenten wie Thielemann zu arbeiten! Ein solches künstlerisches Erlebnis ist natürlich ein Traum, und ich wünsche mir sehr, dass sich weitere Gelegenheiten wie diese ergeben werden. Wenn das Karriere ist, dann möchte ich gern Karriere machen!

OMM: Vielen Dank für das Gespräch!





Foto Susan Owen

Susan Owen
Foto von Eduard Straub



Homepage von Susan Owen: www.owen-leinert.com


Die amerikanische Sängerin Susan Owen
stammt aus Salisbury/North Carolina, USA. Ihr Musikstudium, das sie an der East Carolina University (1976-1980) und an der University of Texas in Austin absolvierte, schloss sie 1983 mit dem "Master of Music"-Degree ab. Als Assistant Professor für Gesang und Musikgeschichte arbeitete Susan Owen von 1984-87 an der University of California, Santa Barbara.

An verschiedenen amerikanischen Opernhäusern sang sie zunächst Partien des lirico spinto-Fachs (etwa Fiordiligi, Contessa, Donna Elvira, sogar Ilia im Idomeneo und auch Nedda, Mimě und Madama Butterfly). 1990 gewann Susan Owen den renommierten Metropolitan Opera Wettbewerb, ein Jahr später war sie 1. Preisträgerin des Opera America Award und des Sullivan Grant-Preises sowie Finalistin im Luciano-Pavarotti-Wettbewerb. Partien wie Tosca (an der Central City Opera, der Austin Lyric Opera und der Virginia Opera), Maddalena in Andrea Chenier (Hawaii Opera), Trovatore-Leonora, Ballo-Amelia und Aida folgten; mit Eve Queler und dem Opera Orchester New York sang sie die Irene in Richard Wagners Rienzi. 1993 holte sie Daniel Barenboim für die Partie der Helmwige in Die Walküre an die Staatsoper Berlin, wo sie 1996 unter der musikalischen Leitung von Jun Märkl auch ihre erste Senta gab, die sie später auch in Aachen, Kassel und Bologna interpretierte. 1996 sang Frau Owen an der Austin Lyric Opera in Texas ihre erste Tannhäuser-Elisabeth und wurde von Radio France eingeladen, im Rahmen des Festivals für zeitgenössische Musik in Paris ein neues Werk des polnischen Komponisten Zygmunt Krauze, La terre, zur Uraufführung zu bringen (die deutsche Erstaufführung dieses 30minütigen Orchesterwerks für Sopran fand anlässlich der documenta X im September 1997 in Kassel statt).

Von 1995 bis 1999 war Susan Owen festes Mitglied im Ensemble des Staatstheaters Kassel. Zu ihren Erfolgen dort zählten neben der Senta auch Santuzza in Cavalleria rusticana, Leonora in La Forza del Destino, Giorgetta in Puccinis Il Tabarro, die Titelpartie in Leos Janaceks Jenufa, Marie im Wozzeck sowie die drei Brünnhilden in einer Neuinszenierung des Ring. Die Brünnhilde in der Walküre sang die Sopranistin auch an der Oper Bonn, die im Siegfried am Teatro Lirico G.Verdi, Trieste, wo sie im Herbst 2001 dieselbe Partie in einer Neuproduktion der Götterdämmerung übernehmen wird.

Nach ihrem von Publikum und Presse umjubelten Debüt als Elektra am Staatstheater Darmstadt im April 1998 sang Susan Owen drei Monate später bei den 1. Antikenfestspielen in Trier diese Partie alternierend mit Hildegard Behrens und an der Seite von Anja Silja und Franz Grundheber. Auch in Essen, Münster und Hannover war sie als Atridentochter zu erleben. 1999 folgten wiederum in Darmstadt die Rollendebüts als Färberin in Strauss' Die Frau ohne Schatten und als Emilia Marty in Die Sache Makropoulos, im Jahre 2000 schließlich gab sie ihre erste Isolde.





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Susan Owen
Foto von Eduard Straub







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