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Kunst in der angstfreien Zone

Peter Konwitschny wird Anfang nächsten Jahres 65. Heute ist er ein Weltstar auf seinem Gebiet. Vor vierzig Jahren ging seine erste Inszenierung in der DDR über die Bühne. Das Jubiläum begeht er als Chefregisseur der Oper Leipzig. Nach einer längeren Pause hat er sich gerade in Amsterdam mit einer Salome auch als vitaler Opernregisseur zurückgemeldet. In Leipzig, wo gerade seine Hannoveraner Nono Produktion neu herauskam und demnächst sein Hamburger Lohengrin wiederaufleben wird, sprach Joachim Lange mit dem Regisseur über diese vierzig Jahre, mit ihrem Scheitern und den Erfolgen und seine Art zu arbeiten.


Von Dr. Joachim Lange



OMM: 40 Jahre Bühnenjubiläum – wird ihnen da nicht unheimlich?

Konwitschny: Das konnte man sich früher gar nicht vorstellen, ist aber nun mal so.

OMM: Das sind genau 20 Jahre im Osten und 20 Jahre im Westen, gab es da einen Einschnitt?

Konwitschny: Stimmt. Aber den gab es eigentlich nicht. Was sich aber verändert hat, das sind die Zuschauer hier. Das war in der DDR besser, da konnten auch intelligente Menschen ins Theater gehen (lacht)… Für manchen ist es heute einfach zu teuer. Hinzu kommt, dass von denen, die noch etwas wissen wollen, viele abgehauen sind – ich meine nach der Wende weggegangen. Die Stadt Leipzig hat einfach zu wenige Leute.
Das wichtigste ist aber, diese globale Haupttendenz zum Konsumenten hin. Der Mensch ist ein Konsument und alles, was da stört, wird nicht gefördert, sondern ausgemerzt. Die Sparmaßnahmen, die als Zwänge ausgegeben werden, sind nur ein Vorwand. Es gibt mehr Geld denn je. Aber der Hahn wird zugedreht, wenn etwas stört. Events, bei denen es auf der Bühne nichts an Inhalt gibt, sind da einfach besser.

OMM: Sie arbeiten ja auch viel im Ausland – sehen Sie da eine Tendenz weg vom verbindlichen Musiktheater hin zu Kulisse und Rampe?

Konwitschny: Das ist schon eine Tendenz. Es gibt aber auch Gegenkräfte, wie es im dialektischen Prozess halt immer ist. Gott sei Dank. Aber die Haupttendenz ist: weg von den wichtigen Botschaften, die uns die Stücke geben. Der Amsterdamer Intendant Pierre Audi sagte neulich, dass die Zeit des Regietheaters vorbei ist und jetzt etwas Neues kommen muss. Ich weiß natürlich, was er meint, da geht's um Nichts, es muss nur schön aussehen. Aber gerade deshalb ist es doch toll, wenn meine „Salome“, die nun nicht schön aussieht, die Leute so aufwühlt und beim Publikum im Gespräch ist. Oder nehmen Sie Japan. Auch dort merken die Leute, dass die Oper nicht nur schöne Musik und schöner Gesang ist, sondern dass es auch um tolle, spannende Geschichten geht.

OMM: Sie fühlen sich also, sozusagen als Exponent dieser Gegenbewegung, angenommen?

Konwitschny: Ja absolut. Ich habe im Juni einen einwöchigen Regiekurs in Tokio gemacht. Da waren zum ersten Mal alle vier rivalisierenden Institute beteiligt. Und zwar die beiden Unis und die beiden Opern-Foundations, die sich sonst spinnefeind sind. Es wird dort geplant, unter meiner Führung eine erste japanische Opernregieschule zu gründen. Und das im Angesicht dessen, was ich will… (lacht). Die wissen gut Bescheid. Ich habe ja dort schon zwei Inszenierungen gemacht und Aida, Tannhäuser, Tristan und Zauberflöte waren dort als Gastspiel. In Japan habe ich eine ganze Menge Fans. Die kommen sogar hierher.

OMM: Wie ist überhaupt Ihr Verhältnis zum Publikum? Jetzt sind Sie ein Weltstar und können machen was Sie wollen. Ficht Sie Ablehnung immer noch an?

Konwitschny: Früher mehr als jetzt. Wir hätten kein Bild von Picasso, wenn der sich immer gefragt hätte, was das Publikum möchte. Ich finde es aber traurig, wenn der Saal leer ist. Wir müssen das Publikum mit dem Neuen, mit dem, was wir gut finden, erreichen. Wir müssen sie überzeugen, packen und berühren. Das geht auch, aber es dauert immer eine Weile. Ich hatte aber einfach auch Glück. Ich hatte Intendanten, die mir, trotzt der öffentlichen Gegenbehauptungen, immer wieder Arbeit gegeben haben. Vielleicht auch gerade deshalb. Und ich hatte auch Sänger, die immer voll hinter mir standen.

OMM: Einer der Orte, die man als eine künstlerische Heimat für Sie ausmachen kann, ist Graz. Dort gab es bald mehr als zehn Konwitschny-Produktionen zu sehen. Sie kehren ja auch immer wieder dorthin zurück…. Was ist Graz für Sie?

Konwitschny: Erstmal ist Graz eine nette Stadt. Nicht zu groß und nicht zu klein. Aber das Wichtigste war der Intendant Gerhard Brunner. Der hat eine angstfreie Zone für mich geschaffen. Damals hatte ich noch mehr Angst als heute. Wenn ich den Sängern sage, dass „Aida“ ohne Chor auf der Bühne stattfindet, dass es da nur so ein Zimmer gibt und dass sich die Sänger ja auch ziemlich an die Wäsche gehen müssen. Da hatte ich schon Angst, dass die sagen: da kann ich nicht singen. Oder, wenn bei „Macbeth“, die letzten Töne nur aus dem Lautsprecher kommen. Das wollte der Dirigent erst nicht mitmachen, aber Brunner hat das durchgesetzt. Dieser Intendant hat immer dafür gesorgt, dass ich keine Kompromisse machen musste. Man muss sowieso immer welche machen, aber eben nicht diese gravierenden, tödlichen Kompromisse. Ich konnte in Graz, in dieser angstfreien Zone, wirklich zu mir kommen.

OMM: Angefangen hat es dort mit der „Verkauften Braut“, mit der Sie 1985 in Ostberlin aus der Komischen Oper rausgeflogen waren…

Konwitschny: Das war an der Komischen Oper ein Desaster für mich. Darüber habe ich Brunner damals gleich reinen Wein eingeschenkt. So ein Intendant sagt doch sonst, na da ist doch bestimmt irgendetwas faul. Aber Brunner hat genau das bestellt! Das war dann 1991 meine erste Arbeit in Graz.

OMM: Was war für die Komische Oper so „schlimm“ an der Verkauften Braut?

Konwitschny: Das lag auch an mir. Ich war damals einfach nicht in der Lage, mir diesen ganzen Giftschrank vom Hals zu halten. Erst wurde ich mit wehenden Fahnen begrüßt, auch die Konzeption war akzeptiert und alles lief großartig. Dann verzogen sich in den Proben bei ein paar Dramaturgen die Gesichter und nach sechs Wochen beraumte Kupfer, ohne es mit mir abzusprechen, einen Durchlauf an. Man ist ja schon erschossen, wenn sich so etwas rumspricht. Außerdem fehlten da vier der Hauptfiguren. Danach sagte er zu mir, er wäre entsetzt, was alles in der Zeit nicht passiert wäre. Und ich war damals eben nicht in Lage zu sagen: Moment mal, was wollen Sie eigentlich? Und habe es gelassen.

OMM: Das würden sie heute nicht mehr machen…

Konwitschny: Natürlich nicht…

OMM: In dieser Hinsicht war ja der Streit um Ihre Dresdner „Csárdásfürstin“ ein Wendepunkt mit weitreichenden Wirkungen. Sie haben damals, vor zehn Jahren, juristisch durchgesetzt, dass eine Inszenierung als eigenständiges Kunstwerk gilt….

Konwitschny: Nur, wenn sie Werkcharakter hat! Wenn ein Regisseur nur vom Blatt inszeniert, dann hat sie diesen Schutz nicht. Das finde ich ganz entscheidend: nur, wenn es um eine eigene Leistung geht, dann ist eine Inszenierung geschützt.

OMM: Haben Sie die hysterischen Angriffe und der Eingriff in die Inszenierung gegen Ihren Willen damals getroffen?

Konwitschny: Ich bin krank geworden, hatte eine schwere Erkältung. Heute ist mir klar, dass es mehr gegen den damaligen Intendanten Christoph Albrecht ging. Dass so ein Skandal daraus gemacht wurde, mit großer Boulevard-Schlagzeile am Tag der Premiere, das konnte gar nicht nur gegen mich gehen, da ging es um höhere Beträge. Sinopoli und seine Gruppe wollten Albrecht weg haben. Dazu wurde dann diese Inszenierung benutzt.

OMM: In Graz gibt es jetzt die ursprüngliche Version. Mittlerweile sind Sie ein Weltstar und können machen, was Sie wollen. Rechnen Sie im Operettenland Österreich aber nicht doch auch mit einem Krach?

Konwitschny: Also ich „befürchte“ nicht. Ich bin zu alt und die haben mich mittlerweile in ihr Herz geschlossen. Außerdem ist das einer meiner poetischsten Inszenierungen. Aber Sie haben Recht, wenn man sich durchgesetzt hat, wird es leichter. Es geht immer darum, die stärkeren Nerven zu haben. Jetzt kann ich jeden Scheiss machen und das wird wahrscheinlich bestaunt…. (lacht).

OMM: Wollen wir das so drin lassen?

Konwitschny: Von mir aus gerne…..

OMM: Welche von Ihren Grazer Inszenierungen sind Ihnen besonders lieb?

Konwitschny: Die „Verkaufte Braut“ ist schon ein Wurf, der auch theatergeschichtlich für das Werk wichtig ist. Dann die „Aida“ – die ist ja ein Klassiker geworden. Unbedingt „Macbeth. Da gibt es am Anfang wunderbare Hexen, die dann einfach vergessen werden. Bei uns nicht. Den „Falstaff“ würde ich auch dazu zählen.

OMM: In Graz haben Sie ja vor kurzem mit dem „Lear“ nach langer Zeit wieder einmal Schauspiel inszeniert. Wie kam das?

Konwitschny: Nachdem ich ein paar Jahre nicht dort inszeniert hatte, holte Koßdorff meinen „Holländer“ – der kam so super an. Bei der „Aida“ wollten sie mich ja am liebsten noch vor die Stadttore schicken und dann war ich irgendwann der Sohn der Stadt. So kam Frau Badora vom Schauspielhaus und fragte mich. Ich komme ja vom Berliner Ensemble, hatte da etliche Inszenierungen gemacht, bis es dann immer mehr zur Oper ging. Den „Lear“ wollte ich schon mal 1986 in Halle machen. Im Opernhaus und dem Theater, das scheiterte aber an Peter Sodann. Seit damals hatte ich diese Idee, dass die historische Entwicklung die Geschichte vom armen alten Mann überrollt und deshalb verschiedene Spielweisen und Räume braucht. Mir hat das in Graz – vor allem mit Udo Samel - riesigen Spaß gemacht. Es funktioniert doch sehr anders ohne Musik, aber es war wunderbar, dort zu arbeiten.

OMM: Wenn man Ihr Werkverzeichnis durchgeht, dann tauchen da auch über 40 Projekte mit dem Vermerk „nicht realisiert“ und sechs mit dem Vermerk „abgebrochen“ auf. Ist Ihre Arbeit immer auch Suche und Kampf um die Durchsetzung von Konzepten?

Konwitschny: Es ist nicht alles nur daran gescheitert, dass ich eine Konzeption nicht hätte durchsetzten können. Manchmal waren es auch Termin oder andere Gründe. Aber es war schon meistens der Hauptgrund. Bei der "Verkauften Braut" etwa, war es am Ende das berühmte Pissoir. Intendant Rackwitz fand, das sei ekelhaft und kommt nicht auf „meine“ Bühne. Da halfen auch alle Argumente nichts. Das ist also nicht an der Konzeption, sondern letztlich an diesem Detail gescheitert! Auch an Besetzungen kann etwas scheitern. Zum Beispiel ist Waltraud Meyer als Isolde in München einfach nicht mitgegangen mit meiner Erzählweise. Da hätte ich zu Peter Jonas sagen müssen, tut mir leid, wir beide passen nicht zusammen!

OMM: Sie haben aber auch Partner, mit denen Sie über die Jahre immer wieder zusammenarbeiten. Zum Beispiel bei den Bühnenbildnern.

Konwitschny: Ja, Johannes Leiacker, Helmut Brade, Hans Joachim Schliecker oder gelegentlich auch Bert Neumann. Und in Graz eben Jörg Koßdorff. Der ist wichtig, aber nicht nur als Bühnenbildner und als Mitdenker. Das ist ein wunderbarer Mensch, der die Qualität hat, zu integrieren und Menschen zusammen zu führen. Außerdem hat er es fertig bekommen, dieses Theater zu erhalten. Ihm ist es zu verdanken, dass das nicht abgesackt ist.

OMM: Sie sagen „Mitdenker“ - wie eng arbeiten Sie für eine Inszenierung mit anderen zusammen?

Konwitschny: Ich kann das gar nicht alleine. Beim Eindringen in ein Werk komme ich ab einer bestimmten Tiefe alleine nicht weiter. Das ist eine kommunikative Schwäche oder eben Stärke, ganz wie Sie es sehen wollen. Ich brauche immer den Dramaturgen und den Bühnenbildner. Wenn wir uns drei Jahre vor der Premiere treffen, hinterfragen wir jedes Wort und jede Note danach, was das denn bedeutet. Das ist wunderbar. Viele Kollegen machen das anders. Die setzten sich allein über ein Stück, ermitteln, wie sie es machen wollen und sagen dann dem Bühnenbildner: ich brauche das und das. Das kann ich nicht. Natürlich will ich es auch nicht. In dieser Phase sind wir, so lange es geht, alle alles…. Ich brauche diese Mitarbeiter für eine Art Ratifizierung. Wenn die überzeugt sind, dann geht es. Manchmal ist ja auch ein Dirigent dabei.

OMM: Wie wichtig ist der Dirigent für Sie? Immerhin haben Sie ja auch schon ein paar Mal die heilige Kuh Partitur zumindest angepikst. Ob nun bei den Meistersingern, dem Don Giovanni, der Elektra oder jetzt auch bei der Salome….

Konwitschny: Diese Partner hatte ich. Nicht nur Ingo Metzmacher in Hamburg. Das fing schon in Halle an mit Christian Kluttig. Oder nehmen Sie Lothar Zagrosek. Das ist auch ein Dirigent, der nicht gleich anfängt zu schreien, wenn auf der Bühne mal ein Teller runterfällt. Theater ist ja keine Studioeinspielung, da gibt es natürlich Geräusche. Oder jetzt Stefan Soltesz bei der Salome. Wenn eine Gesellschaft verkommen ist, muss ich das zeigen, auch mal ein bisschen schärfer. Da gibt es Dirigenten, die kriegen eine Krise- so nach dem Motto „Was wird denn meine Mutti sagen?“ (lacht)

OMM: In Amsterdam ging das ja ohne Problem über die Bühne…

Konwitschny: Warten wir mal ab, wenn es hier in Leipzig kommt. Aber da bin ja noch zwei Jahre berühmter ….. (lacht)

OMM: Der Schluss ihrer „Salome“ war geradezu optimistisch – andere Inszenierungen endeten da viel pessimistischer. Blicken Sie wieder optimistischer in die Zukunft?

Konwitschny: Nein, ich sehe nicht optimistischer in die Zukunft. Aber ich komme ja dem Tod immer näher – das ist rein rechnerisch so. Und vielleicht nimmt die Fähigkeit, zu leben und zu genießen, zu. Man merkt rein körperlich schon, dass man älter wird, aber meine Befindlichkeit, meine Lust zu kommunizieren, anzufassen und in das Leben zu greifen, die wird immer größer. Das liegt daran, dass ich immer noch ein Kind bin, ich habe mich bei meinem Übervater immer als Sohn gefühlt und das trage ich immer noch in mir. Aber Kind bleiben heißt auch: jung bleiben.

OMM: Sie bringen häufig Neueinstudierungen von Inszenierungen, die sie Jahre vorher erarbeitet haben, an anderen Häusern (wie jetzt vor allem in Leipzig) heraus. Gibt es da so eine Art Werkstattprinzip?

Konwitschny: Das ist unterschiedlich. Beim „Freischütz“ zum Beispiel habe ich in Hamburg den Auftritt des Eremiten (gegenüber der Altenburger Version von 1983) neu inszeniert. Da ist aus dem Eremiten ein moderner Sponsor geworden, der das Sagen hat…. Die meisten Beispiele sind aber anders. Natürlich überprüfen wir das immer neu. Da fragen wir uns: ist das noch so gültig. Nun will ich Ihnen was sagen: Es ist gültig. Glauben Sie mir, unsere Auseinandersetzungen sind sehr tiefgehend.

OMM: Können Sie verstehen, dass manche in Leipzig die Befürchtung haben, dass aus der Oper Leipzig eine Art Konwitschny-Museum werden könnte?

Konwitschny: Nicht in der Sache, denn die Aufführungen sind frisch und neu erarbeitet. Onegin in Kopenhagen ist dort eine Sensation … Sicher, in Leipzig gibt es mehr alte Inszenierungen von mir, das stimmt. Aber ich mache ja auch Neuproduktionen. Von den Gluck-Opern bis zu Zimmermanns Soldaten. Ich will einfach nicht nur schnell produzieren. Unsere Autos sollen nur ein paar Jahre halten. Aber man verwechselt einfach neu mit gut. Gut kann etwas sein, egal ob es neu oder alt ist. Und wenn es neue Sänger sind, und ich es einstudiere, dann ist es irgendwie ja auch neu.


(November 2009)




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Proben für Luigi Nonos Al gran sole carico d'amore (September 2009)




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Al gran sole carico d'amore (September 2009)




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Pierrot Lunaire (August 2008)




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Aida (Oktober 2008)




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Aida (Oktober 2008)




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40-jähriges Bühnenjubiläum (18.11.2009)






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