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Wolfgang Millgramm - ein deutscher "Italiener"

Thomas Tillmann sprach in Dortmund mit dem Heldentenor Wolfgang Millgramm


Von Thomas Tillmann
Januar 2002


OMM: Herr Millgramm, wollten Sie eigentlich schon immer Opernsänger werden? Manche Ihrer Kollegen behaupten ja, sie hätten schon gesungen, bevor sie sprechen und laufen konnten ...

Millgramm: Eigentlich war alles ein Zufall. Ich bekam mit 17 Jahren eine Platte von Mario Del Monaco geschenkt und war hingerissen. Besonders eine Arie des Riccardo aus Verdis Maskenball habe ich immer wieder nachgesungen - das war eigentlich der Auslöser. Etwas später sah ich dann zum ersten Mal die Mario-Lanza-Filme, und das war dann der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich singen wollte. Der Ausdruck in Lanzas Stimme hat mich einfach umgehauen!

OMM: Lassen Sie uns auf Ihre eigenen Anfänge zurückkommen!

Millgramm: Ich hatte keinerlei musikalische Vorbildung und stamme auch nicht direkt aus einem musikalischen Elternhaus, dennoch habe ich schon als Kind gerne vor Publikum auf der Bühne gestanden, und so entstand ganz selbstständig der Wunsch nach einer künstlerischen Laufbahn. Eines Tages wurde ich beim Singen "entdeckt" - eine opernbegeisterte Lehrerin hatte mich auf einer Veranstaltung singen gehört und vermittelte mir meine ersten privaten Gesangsstunden, ohne dass ich eine Ahnung hatte, wie das alles weitergehen soll. Dem Engagement dieser Dame verdanke ich eigentlich meinen Beruf - sie saß vor 3 Jahren überraschend in einem meiner Konzerte, sie hat meine Karriere die ganzen Jahre über verfolgt, allerdings ohne dass wir Kontakt hatten. Das Wiedersehen nach dieser langen Zeit war sehr bewegend. Den privaten Gesangsstunden folgte eine Ausbildung zum Chorsänger in einem professionellen Männerchor. Nebenbei begann ich ein Studium an der Musikhochschule in Berlin bei Prof. Günter Leib. Ein Jahr vor Beendigung wurde ich zu einem Vorsingen an die Staatsoper Unter den Linden in Berlin eingeladen und sofort engagiert - das war Mitte der achtziger Jahre. Was das damals für mich bedeutete, können Sie sich vielleicht vorstellen! Meine erste "richtige" Partie an diesem Haus war dann Nando in Tiefland, dann kamen der Sänger im Rosenkavalier, Alfredo (La Traviata), Fenton (Die lustigen Weiber von Windsor), Steuermann (Der fliegende Holländer) und bald auch Adolar (Euryanthe), Wladimir (Fürst Igor) und andere mehr. Ich empfand es als ein wirkliches Privileg, mich langsam entwickeln zu können und dabei vom damaligen Intendanten Rimkus und Dirigenten wie Fricke, Kurz und Suitner unterstützt zu werden. Und das ist etwas, was ich bei den Verantwortlichen im Umgang mit jungen Sängern heute häufig vermisse: die Möglichkeit der langsamen Entwicklung in einem Ensemble.

OMM: Sie haben in dieser Zeit trotz anderer Ambitionen sehr viele lyrische Partien gesungen. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Millgramm: Obwohl ich eigentlich nie ein rein lyrischer Tenor war, fand ich es wichtig, das lyrische Fach so lange wie möglich zu singen und so langsam den Übergang in das dramatische Fach zu vollziehen. Ich habe während meines damaligen Fachwechsels sehr davon profitiert, und es kommt mir auch heute im italienischen Heldentenorfach und auch bei den Wagnerpartien zugute. Damals schlug ich viele Angebote aus, weil ich den Zeitpunkt zu früh fand. Das hat mir nicht nur Freunde eingebracht...


Millgramm als Otello am Theater Dortmund

OMM: War das erste Engagement an einem so großen Haus auch manchmal eine Belastung?

Millgramm: Ja, da haben Sie Recht. Man steht als ganz junger Sänger an so einem Haus natürlich sehr unter Druck - andererseits war dieses erste Engagement an einem so großen Haus der wichtigste Grundstein meiner Laufbahn. Die Erfahrung und das Ausprobieren kamen später.

OMM: Und deswegen sind Sie dann auch von der Staatsoper weggegangen?

Millgramm: Ja, auch, aber der Hauptgrund war, dass es für mich an der Staatsoper unter der neuen Intendanz keine wirkliche Perspektive gab, mein Fachwechsel stand bevor, und so begriff ich meinen Weggang von der Staatsoper als Chance, mir in der sogenannten Provinz das jugendliche Heldentenor-Repertoire zu erarbeiten, obwohl ich nicht leugnen will, dass ich diesen Fachwechsel gern an "meinem" Haus vollzogen hätte. Ich fühle mich der Staatsoper noch heute emotional sehr verbunden.

OMM: Und dann sind Sie direkt nach Nürnberg gegangen?

Millgramm: Ja. Ich hatte den Regisseur Wolfgang Quetes kennen gelernt, mit dem ich sehr erfolgreich zusammengearbeitet hatte, und er bot mir an, mit ihm nach Nürnberg zu kommen. Dort konnte ich vieles ausprobieren, man ließ mir weitgehend freie Hand bei der Wahl meiner Rollen, und dort konnte ich mich dann auch künstlerisch in die gewünschte Richtung entwickeln. Ebenfalls in Nürnberg lernte ich etwas später John Dew kennen, mit dem ich Die Jüdin von Halévy gemacht hatte, und zu Beginn seiner Intendanz ging ich mit ihm nach Dortmund. Die Zusammenarbeit mit beiden Regisseuren war für mich wichtig: Sie inszenierten und inszenieren mit dem Sänger und für den Sänger.

OMM: Wie ist Ihr Verhältnis zu Kritikern?

Millgramm: Eine gute Kritik ist eine wunderbare Bestätigung, leider bekommt man aber nicht immer nur gute Kritiken. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich verlange nicht, dass alle Kritiker mich mögen und alles toll finden, was ich mache! Aber ich erwarte, dass Kritiker begründen können, warum sie etwas gut oder schlecht finden. Eine Kritik wird für mich interessant, wenn ich merke, dass der Kritiker die Kompetenz hat, Stimmen wirklich zu beurteilen und dabei objektiv bleibt. Und vor allem respektvoll. Steht ein Sänger vier Stunden auf der Bühne und bekommt dann einen einzigen, manchmal auch noch unbedacht formulierten Halbsatz, dann ärgert mich das schon. Ein Kritiker muss sich über seine Verantwortung im Klaren sein, denn hier wird ganz bewusst oder unbewusst viel kaputt gemacht. Es ist ein Unterschied, ob jemand schreibt, dass es ihm persönlich aus dem einen oder anderen Grund nicht gefallen hat oder ob er die ganze sängerische Leistung in Frage stellt. Wir Sänger müssen damit leben, dass wir an einem Abend auf unterschiedliche Weise besprochen werden, das gehört zu unserem Alltag. Aber man muss sich auch nicht alles gefallen lassen. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Kritik oft ganz andere Ziele verfolgt und einem Sänger oder einer Sängerin bewussten Schaden zufügen will. Daher sage ich: Kritik ist wichtig und unerlässlich. Aber sie muss fair und kompetent sein.

OMM: Es gibt auf der anderen Seite aber auch viele Sängerinnen und Sänger, die auch gut und konstruktiv gemeinte Kritik einfach nicht hören wollen und sich bloß angegriffen fühlen.

Millgramm: Da haben Sie schon Recht. Niemand ist vollkommen, und eine Stimme entwickelt sich ein Leben lang. Das heißt aber nicht, dass man sich zum Spielball fremder Interessen machen lassen und jeden Unsinn schlucken muss. Auf das Wie kommt es an!

OMM: Lassen Sie uns noch ein wenig auf Ihre Lehrer zurückkommen. Sie arbeiten auch mit dem bulgarischen Tenor Peter Gougaloff zusammen. Ist es wichtig, einen Lehrer zu haben, der die Partien, die man zu singen hat, aus eigener praktischer Erfahrung kennt?

Millgramm: Nein, das muss nicht unbedingt sein. So arbeite ich mit Kammersänger Peter Gougaloff und auch mit Frau Prof. Marga Schiml zusammen, und in beiden habe ich ganz außerordentliche Künstler und Menschen kennen gelernt, zu denen ich großes Vertrauen habe und deren Rat ich brauche und schätze. Die Beziehung zu einem Lehrer ist eine Vertrauenssache. Man braucht gerade als professioneller Sänger eine gewisse Kontrolle. Außerdem ist die Zusammenarbeit mit Pianisten sehr wichtig, denn das Partienstudium nimmt ja einen Großteil der Zeit ein. Wenn Sie einen Pianisten haben, der Ihnen ein Partner und ein Korrektiv zugleich ist, dann ist das ein Glücksfall. So jemanden habe ich seit einigen Jahren ganz besonders in Dr. Stephen Marinaro gefunden, dem Studienleiter des Opernhauses Dortmund. Dieser Beruf verlangt ein vertrauensvolles und verlässliches Umfeld, das ist ganz wichtig. Dazu zähle ich auch meine Frau Viviane, die einen großen Anteil an meiner Karriere hat! Sie nimmt mir einfach alles im administrativen Bereich ab, sie kümmert sich um all die Dinge, von denen ich absolut nichts verstehe, sie organisiert mein Leben und hält alles von mir fern.

OMM: Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Partien aus? Singen Sie alles, was man in einem Lexikon unter der Rubrik "Partien für Heldentenöre" finden kann?

Millgramm als Parsifal am Theater Dortmund

Millgramm: Nein. Ich hinterfrage meine Rolle als Sänger immer und immer wieder. Gewisse Partien möchte ich nicht singen. Wiederum gibt es ein großes Repertoire, das ich mir noch erarbeiten möchte und darauf freue ich mich. Gerade hatte ich mein Rollendebüt als Siegfried in der Götterdämmerung in Italien, eine Partie, die ich sehr gern singe. Auch Siegmund würde ich singen wollen. Und Lohengrin ist meine erklärte Wunschpartie - leider hat man ihn mir bisher nicht angeboten. Auch würde ich gern wieder den Tristan singen. Ich war nicht glücklich mit meinem ersten damals in Prag, denn ich hatte zu wenig Zeit, um ihn einzustudieren. Und für diese Partie braucht man wirklich Zeit! Aber ich habe ihn gern gesungen und nun, nachdem ich auch Tannhäuser singe, hätte ich wieder große Lust auf Tristan.

OMM: Wie lange haben Sie sich auf den Tannhäuser vorbereitet?

Millgramm: Sehr lange! Ich habe schon vor Jahren angefangen, diese Partie intensiv zu hören - ich höre zur Vorbereitung immer alle Aufnahmen eines Werkes, die es gibt! -, und seitdem habe ich diese Partie ständig im Ohr. Und so ist mein Tannhäuser über viele Jahre hindurch gereift. Ich liebe diese Partie. Auch, weil sie sowohl sängerisch als auch darstellerisch eine ganz besondere Herausforderung ist.

OMM: Sie singen ja auch viele italienische Partien, und ich nehme an, dass Sie das nicht nur aus dem Grund tun, die Stimme geschmeidig zu halten.

Millgramm: Nein, absolut nicht! Ich habe mit den italienischen Partien das Singen gelernt, sie haben mich vom frühesten Beginn meiner Karriere an begleitet. Ich finde auch, dass die italienische Technik wichtig für Wagnerpartien ist. Daneben ist es natürlich auch eine Herzenssache und ein großer Teil von mir. Aber es ist ein Problem, ein Deutscher mit einer italienischen Stimme zu sein. Das wird von entscheidenden Leuten nicht akzeptiert. John Dew hat mich in beiden Fächern besetzt - so konnte ich unter seiner Intendanz die schönsten Rollen im italienischen Heldentenorfach und auch Wagner singen.

OMM: Was käme denn, zusätzlich zu den vielen italienischen Rollen, die Sie schon gesungen haben, noch in Betracht? Ich könnte mir sehr gut Pollione (Norma), Enzo (La Gioconda), Canio (I Pagliacci) oder Calaf (Turandot) vorstellen, vielleicht auch Jason in Cherubinis Médée.

Millgramm: Ja, natürlich! Meine Lieblingspartien sind allerdings Alvaro und Riccardo, wobei ich letzteren noch nie gesungen habe. Auch Andrea Chenier, den ich hier in Dortmund singen werde, ist eine schöne Partie, ebenso wie Calaf und Canio. Sehr gerne würde ich auch den Kaiser in Strauss' Frau ohne Schatten oder Peter Grimes von Britten singen.

OMM: Lassen Sie uns ein wenig über die Bedingungen sprechen, unter denen Sie häufig arbeiten. Ich weiß, dass Sie darüber manches Mal nicht glücklich sind.

Millgramm: Was ich unbedingt einmal deutlich sagen muss: Ich verstehe Regisseure und Bühnenbilder nicht, die Konzepte und Bühnenbilder schaffen, ohne bei der Planung auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass hinterher Abend für Abend Sänger mit diesem Stück auf der Bühne stehen werden. Wie oft habe ich Bühnenbildner gefragt, ob es nicht möglich ist, dem Sänger eine räumliche Akustik zu schaffen, stimmfreundliche Materialien, weniger Tücher und Stoffe zu verwenden. Ich finde es nicht richtig, dass den Sängern konzeptionelle und bühnenbildnerische Zugeständnisse abverlangt werden, die auf ihre Kosten gehen.

OMM: Welche Projekte stehen in Zukunft an?

Millgramm: Ich habe in der nächsten Zeit Einiges zu tun: Tannhäuser steht weiter auf dem Spielplan in Dortmund, dort kommt, wie gesagt, im nächsten Jahr auch Andrea Chénier, dann Götterdämmerung in Triest, Liebesverbot in München und im Sommer Bayreuth. Ich lasse das in aller Ruhe auf mich zukommen, und über Verträge, die noch nicht unterschrieben sind, rede ich jetzt natürlich nicht.

OMM: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

Millgramm: Es war mir eine besondere Freude, mit Ihnen zu sprechen! Ich danke Ihnen!



Foto Wolfgang Millgramm

Wolfgang Millgramm
als Radamès

am Theater Dortmund


Fotos von
Andrea Kremper




Der Tenor Wolfgang Millgramm wurde im Ostseebad Kühlungsborn geboren und studierte an der Musikhochschule "Hanns Eisler" in Berlin Gesang. 1984, ein Jahr vor Beendigung seines Studiums, wurde er an die Staatsoper Unter den Linden engagiert, wo er mit dem Alfred in der Fledermaus debütierte und zunächst Partien des lyrischen und jugendlichen Faches wie Alfredo in La Traviata, Tamino in der Zauberflöte, Fenton in Die lustigen Weiber von Windsor, Lenski im Eugen Onegin, Narraboth in Salome, den Sänger im Rosenkavalier, Wladimir in Fürst Igor und den Steuermann im Fliegenden Holländer sang. 1989 wurde er an diesem Traditionshaus zum Kammersänger ernannt.

Nach 1990 begann sein Fachwechsel: Am Opernhaus Nürnberg erweiterte er in den Jahren 1992 bis 1994 sein Repertoire um Erik (Der fliegende Holländer), Adolar (Euryanthe), Hüon (Oberon), Max (Der Freischütz), Tambourmajor (Wozzeck), Don José (Carmen), Eléazar (in Halévys La Juive) und Parsifal. Im Prinzregententheater München gastierte er damals als Hoffmann. 1995 trat Millgramm ein Festengagement am Theater Dortmund an, wo er Turridu (Cavalleria rusticana), Alvaro (La forza del destino), Manrico (Il Trovatore), Radamès (Aida), Otello, Cavaradossi (Tosca), Eléazar (La Juive), Don José (Carmen), Max (Freischütz), Hüon (Oberon), Florestan (Fidelio), Erik (Fliegender Holländer) und zuletzt Tannhäuser sang. Gastspiele führten ihn nach Modena, Ferrara, Madrid, mit der Bonner Oper nach Las Palmas, an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf, ins Amsterdamer Concertgebouw, nach Hong Kong, Tokyo, Russland, Österreich, Frankreich und in die Schweiz und zuletzt als Siegfried (Götterdämmerung) nach Triest. Gastverträge verbanden und verbinden ihn mit der Semperoper in Dresden, dem Badischen Staatstheater Karlsruhe und dem Gärtnerplatztheater in München, wo er 2000 Bacchus in Strauss' Ariadne auf Naxos sang und im Februar 2002 im Prinzregententheater den Claudio in Wagners Liebesverbot singen wird.

Auch mit seinem Konzertrepertoire, das unter anderem die Tenorpartien in Beethovens 9. Sinfonie und der Missa solemnis, in Mahlers Sinfonie der Tausend und seinem Lied von der Erde, Schönbergs Gurreliedern und Verdis Requiem umfasst, hat Millgramm inzwischen in der ganzen Welt gastiert. Dabei hat er mit Dirigenten wie Daniel Nazareth, Michael Halász, Milán Horváth, Fabio Luisi, Jiri Kout, Siegfried Kurz, Wolfgang Rennert, Ottmar Suitner, Christian Thielemann und Hans Wallat zusammengearbeitet.

Für den Sommer 2002 haben ihn die Bayreuther Festspiele als Cover für die Titelpartie im Tannhäuser verpflichtet. Für die Firma Philips hat er in kleineren Partien in Einspielungen von Fidelio und Ariadne auf Naxos mitgewirkt.





Foto Wolfgang Millgramm

Wolfgang Millgramm
als Manrico

am Theater Dortmund









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