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Grace Bumbry:
"I still love challenges!"

Unser Mitarbeiter Thomas Tillmann traf die große (Mezzo-)Sopranistin nach ihrem Auftritt bei der Gala Rhythmus im Blut in ihrem Düsseldorfer Hotel


Von Thomas Tillmann
Juli 2005


OMM: Wie fühlen Sie sich wenige Stunden nach einem weiteren Triumpf als Opern- und diesmal auch als Swingsängerin und Entertainerin?

Bumbry: O, gerade das Letzte war für mich sehr interessant, es ist, als ob sich für mich eine ganz neue Welt öffnen würde, an die ich nie gedacht habe. Natürlich war mir klar, dass ich solche Musik singen kann, aber es war schon eine ganz neue Herausforderung. Cole-Porter-Songs im eigenen Badezimmer zu singen ist das Eine, aber es auf einer Bühne vor Publikum zu tun, das Andere ...

OMM: Und es war wirklich das erste Mal, dass Sie öffentlich Cole Porter gesungen haben?

Bumbry: Ich erinnere mich dunkel, dass ich in den sechziger Jahren einmal "Night and Day" in einem Portrait für das deutsche Fernsehen gesungen habe; ich glaube, das war beim ZDF damals, aber ich weiß es wirklich nicht mehr ganz genau.

OMM: Als ich mich in den letzten Monaten genauer mit den Stationen Ihrer Karriere vertraut gemacht habe - und es ist eine phänomenale, unglaubliche Karriere - ...

Bumbry: Sie dauert vor allem schon eine ganze Weile ... (sie lacht)

OMM: : ... habe ich versucht, eine Überschrift oder ein Motto zu formulieren. Wie finden Sie "I love challenges"?

Bumbry: Ja, das ist sehr gut. Das zieht sich tatsächlich wie eine Art Motto durch meine Karriere. Denken Sie an meinen Auftritt in Bayreuth als Venus im Tannhäuser, das wird man schon als Herausforderung bezeichnen können. Oder noch davor mein Debüt an der Pariser Oper als Amneris! Und wie Sie wissen, hatte ich vorher noch nie auf einer Bühne gestanden!

OMM: Das habe ich gelesen und kaum glauben können.

Bumbry: Doch, doch, das stimmt hundertprozentig. Natürlich hatte ich mit Lotte Lehmann Darstellungskunst studiert, aber das war auf einer Schulbühne. Aber auf einer riesigen Opernbühne hatte ich noch nie gestanden.

OMM: Haben Sie mit Frau Lehmann eigentlich ganze Partien einstudiert?

Bumbry: Nein, nicht wirklich. Wir haben, soweit ich mich erinnere, nur an Amneris und Ortrud gearbeitet.

OMM: Ortrud haben Sie dann aber doch nie gesungen, obwohl Sie vermutlich hinreißend in dieser Partie gewesen wären?

Bumbry: Ich hatte ein konkretes Angebot dafür, aber in dem Jahr starb meine Mutter, und die Produktion war in unmittelbarer Nähe zu diesem schrecklichen Ereignis. Und da habe ich absagen müssen, sehr schweren Herzens, wie Sie sich denken können.

OMM: Das ist wirklich jammerschade! Ich höre manche Passage der Ortrud geradezu vor meinem inneren Ohr mit Ihrer Stimme!

Bumbry: Na ja, es ist ja noch nicht zu spät. Ich fühle mich im Moment stimmlich sehr, sehr gut, besonders in der hohen Lage! In der Tiefe muss ich zur Zeit ein bisschen mehr Kraft aufwenden - ich nenne das gern "aggressives Singen", aber hohe Töne fallen mir sehr leicht.

OMM: Absolut, das hat man gestern Abend zum Beispiel im Aida-Duett gemerkt, das Ihnen fantastisch gelungen ist! Mit anderen Worten: Wenn das richtige Angebot für Ortrud käme, mit dem richtigen Regisseur und dem richtigen Dirigenten, dann kämen Sie in Versuchung!

Bumbry: Ja!

OMM: Lassen Sie uns auf eines der Themen zu sprechen kommen, dass immer diskutiert wird, wenn Ihr Name fällt, nämlich die leidige Frage, ob Sie denn nun ein Mezzosopran oder ein Sopran sind oder beides oder keines von beiden. Für was hat Lotte Lehmann Sie gehalten?

Bumbry: Lotte Lehmann war sich sicher, dass ich ein Mezzosopran sei, aber mein eigentlicher Gesangslehrer, Armand Tokatyan, zu dem sie mich geschickt hat, war der Meinung, dass ich ein Sopran sei! Lotte Lehmann war vor allem von diesem tiefen, dunklen, warmen Klang fasziniert, den sie so noch nie gehört hatte - denken Sie etwa an das "O mia regina" im Mittelteil von "O don fatale", solche Stellen. Sie wollte die Arie sogar eine ganz Terz nach unten transponiert mit mir studieren, weil sie diesen Klang so mochte, aber ich war doch sehr froh, dass ich sie dann doch in der Originaltonart gemacht habe, denn später bei dem Wettbewerb im Salzburger Mozarteum wurde diese Arie natürlich in der ursprünglichen Tonart verlangt. Mein Gesangslehrer hat mir beigebracht, dass man immer in der Originaltonart und der Originalsprache singen soll. Er war sehr traurig, als ich damals weggehen musste, weil er mir noch genauer beibringen wollte, wie man als Sopran singt. Ich war sehr, sehr traurig, als Tokatyan starb, das war leider schon Anfang der sechziger Jahre.

OMM: Sie kennen sicher die berühmte Frage aus Strauss' Capriccio: "prima la musica" oder "prima le parole". Wie hat Lotte Lehmann diese Frage beantwortet?

Bumbry: Sie hätte sich bestimmt für die "parole" entschieden. Sie hat immer von uns verlangt, zuerst den Text eines Liedes oder einer Arie anzuschauen, auch wenn wir die Noten noch gar nicht studiert hatten. Wir sollten herausfinden, ob es in diesem Text etwas für uns Interessantes gab, etwas, das uns direkt ansprach, und erst danach haben wir uns mit der Musik beschäftigt. Ich würde heute sagen, dass man das vermutlich gar nicht trennen kann: Wenn ich in einen Klavierauszug schaue, sehe ich beides. Was ist wichtiger? Ich weiß es nicht! Wenn ich dann aber die Partie einstudiere, dann konzentriere ich mich erst einmal ganz auf die Musik, und wenn ich die Noten gelernt habe und sicher bin, dann beschäftige ich mich wieder intensiver mit dem Text.

OMM: Und Sie würden nie eine Rolle oder ein Lied nur deshalb singen, weil Ihnen der Text so gut gefällt?

Bumbry: Nein!

OMM: Wotans Text im Ring des Nibelungen ist auch sehr interessant, und trotzdem kommen Sie ja nicht auf die Idee, diese Rolle zu singen!

Bumbry: Nein, vermutlich nicht (sie lacht)!

OMM: Was hat es für Sie bedeutet, als Ihnen am 26. Juni 2004 der Titel der Music Academy of the West Distinguished Alumna for 2004 verliehen wurde?

Bumbry: Na ja, ich war Studentin an der Music Academy in Santa Barbara, und jedes Jahr verleihen sie einem Absolventen oder einer Absolventin, die es geschafft hat, sich in der Musikszene zu etablieren, einen Preis. Und im letzten Jahr hatte ich endlich einmal Zeit hinzugehen, denn man muss schon persönlich dabei sein, wenn man mit diesem Award ausgezeichnet wird. Es war toll, wieder einmal dort zu sein - die Academy ist eine wunderbare Schule, und sie ist heute noch besser als damals! Alle Studenten dort bekommen Stipendien. Ich habe dort damals vielen wunderbaren Musikern zuhören können: Ich erinnere mich zum Beispiel an Jascha Heifetz - es war alles so inspirierend! Und diese ganz besondere, wunderbare Atmosphäre habe ich bei meinem Besuch im letzten Jahr dort immer noch spüren können.

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Grace Bumbry als Carmen
(Bild: The African American Registry,
mit freundlicher Genehmigung)

OMM: Lassen Sie uns ein bisschen zur Chronologie Ihrer Karriere kommen. Sie erwähnten schon, dass Sie nicht an einer Provinzbühne in einer Comprimariorolle begonnen haben, sondern direkt an der Pariser Oper und in der wahrlich anspruchsvollen Partie der Amneris in Verdis Aida. Ich habe gelesen, dass Lotte Lehmann eigentlich andere Pläne hatte: Sie soll sich sehr dafür eingesetzt haben, dass Sie Ihr Operndebüt an Covent Garden in London machen. Würden Sie sagen, dass das auch ein Schritt der Befreiung, des Erwachsenwerdens war?

Bumbry: Lotte war vor allem sehr daran interessiert, dass ich überhaupt ein Engagement bekam, was nicht ganz so einfach war. Sie war fast ärgerlich, dass sich ganz am Anfang trotz meines Talents das Interesse der Opernwelt in Grenzen hielt. Unglücklicherweise war Covent Garden damals ziemlich langsam. Ich war dort 1959 schon einmal zu einem Vorsingen gewesen, als ich das erste Mal überhaupt in Europa war, das war im Juni, und im August hatte ich immer noch nichts gehört. Dann kam der Wettbewerb im Salzburger Mozarteum, im September war ich in Paris, um bei Pierre Bernac Lied zu studieren, und die amerikanische Botschaft hat während dieser Zeit ein Vorsingen an der Oper für mich arrangiert. Und sie waren dort einfach schneller als in Covent Garden - und das ist die ganze Geschichte.

OMM: Stimmt es, dass man Ihnen in Paris Aida und Salome angeboten hat?

Bumbry: Genau! Woher wissen Sie das? Sie haben sich aber wirklich vorbereitet! Aber ist es nicht interessant, was die Leute schon damals in meiner Stimme gehört haben? Ich wollte trotzdem Amneris singen, weil ich die mit Lotte studiert hatte, und darauf konnte ich, gerade als völlig unerfahrene Anfängerin, immerhin aufbauen. Ohne jede Vorbereitung direkt Aida zu singen, schien mir zu riskant. Das wäre doch so etwas wie ein künstlerischer Selbstmord gewesen. Und Salome??? Vielen Dank! Ohne Vorbereitung in ein paar Wochen? Und ohne jede Bühnenerfahrung? Woher ich damals die Nerven genommen haben, nein zu diesem Angebot zu sagen, weiß ich nicht - es muss Vorhersehung gewesen sein ...

OMM: Was ich nicht genau herausfinden konnte, sind die genauen Umstände, die zu Ihrem Auftritt in Bayreuth geführt haben.

Bumbry: Ich habe dort vorgesungen, so einfach ist das. Wolfgang Sawallisch wollte, dass ich dort vorsinge. Er war in Köln damals und suchte eine Carmen. Also bin ich nach Köln gefahren und habe vorgesungen. Er hat mich nicht als Carmen genommen, aber er hat mich gefragt, ob ich nicht Wieland Wagner in Bayreuth vorsingen wollte. Und natürlich wollte ich! Ich wusste damals schon ziemlich genau, was die wichtigen Stationen und Orte in Europa sind, und so fuhr ich im Januar 1960 nach Bayreuth. And the rest is history ...

OMM: Stimmt es wirklich, dass Sie "O don fatale" vorgesungen haben?

Bumbry: Ja, natürlich. Ich kannte keine deutsche Opernarie, die ich hätte vorsingen können! Deutsche Lieder natürlich, aber ich hatte keine deutsche Oper studiert.

OMM: Und was hat Wagner gesagt?

Bumbry: Nichts! Ich weiß nur, dass es Mitbewerberinnen gab, die ich aber nicht kannte. Eine von ihnen war wirklich gut, und ich war mir sicher, dass er sie nehmen würde. Ich wollte gerade gehen, da kam jemand auf mich zu und bat mich zu bleiben, weil Herr Wagner mit mir sprechen wolle. Und natürlich habe ich gewartet. Sind wir ehrlich: In dieser Zeit hätte ich auch ein Engagement als Nikolaus angenommen, wenn die Bedingungen gestimmt hätten!

OMM: Wolfgang Sawallisch, der Dirigent der berühmten Bayreuther Tannhäuser-Produktion von 1961, hat gesagt, es habe keine Stimmen gegeben, die Ihre Hautfarbe in den Mittelpunkt der Diskussionen gestellt haben, weil Sie so fantastisch gesungen hätten. Auf der anderen Seite habe ich einen Zeitungsausschnitt vom 23. 7. 1961 gefunden, in dem es heißt: "Mehrere Wagneranhänger in der Bundesrepublik haben in Briefen an die Direktion der Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele gegen die Besetzung der Rolle der Venus im Tannhäuser mit der 24jährigen Negersängerin Grace Bumbry ... protestiert ... und behauptet, die Verpflichtung der farbigen Sängerin sei nicht im Sinne Richard Wagners." Wie war es wirklich?

Bumbry: Es gab eine riesige Kontroverse, gar keine Frage!

OMM: Wussten sie vor der Premiere von diesen kontroversen Meinungen?

Bumbry: Ja, aber nicht sehr lange vorher. Ich spürte, dass da was im Gange war, aber ich war dort im Festspielhaus sehr gut abgeschirmt und beschützt, meine Kollegen waren sehr nett zu mir. Als ich allerdings eines Tages von einer Probe kam, sprach mich vor dem Festspielhaus ein Reporter an - ich glaube, er war von der Bild-Zeitung, aber genau weiß ich das nicht mehr -, und wollte mit mir sprechen. Ich war bereit dazu, und er fragte mich direkt, wie mich angesichts der Kontroverse fühle. Und ich wusste zunächst gar nicht, worüber er sprach. Ich habe ihm dann erklärt, dass ich mich in Bayreuth nicht aufgedrängt hätte, sondern dass ich eingeladen worden sei, hier eine Aufgabe zu erledigen hätte und genau das zu tun vor hätte.

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Grace Bumbry in Aida
(Bild: Dynamic, mit freundlicher Genehmigung)

OMM: Hat es nicht einen Moment der Unsicherheit gegeben?

Bumbry: Nein! Wie Sie wissen, stamme ich aus Missouri, das heißt, dass Rassenprobleme mir durchaus vertraut waren. Was sich hier abzeichnete, war insofern nur die Fortsetzung dessen, was ich kannte, nur auf einem anderen Kontinent. Die Vorbehalte wegen meiner Hauptfarbe haben mich also keinesfalls umgehauen.

OMM: Hat es Sie damals überrascht, dass es hier in Deutschland rassistische Vorurteile gibt?

Bumbry: Na ja, ich hatte natürlich von den Ereignissen in Deutschland während der Nazizeit gehört, und der Krieg war ja gerade erst 15 Jahre vorbei, so dass man schon wusste, dass es solche Vorurteile noch gab. Um ehrlich zu sein, es war mir nicht klar, welches Ausmaß die Verbrechen der Nazis in diesem Land wirklich hatten, das habe ich erst später realisiert, als im Fernsehen die ganzen Dokumentationen gezeigt wurden. Aber ich muss sagen, dass 1961 die Zeit reif war für eine solche Entscheidung in Bayreuth: Die Deutschen haben mich wirklich wie eine von ihnen aufgenommen, so dass ich klar sagen muss, dass es eigentlich nichts gibt, worüber ich mich beschweren müsste. Ich habe es immer sehr genossen, in Deutschland zu sein, hier zu singen, ich habe viele deutsche Freunde und Bewunderer. Und ich habe während meiner ganzen Karriere eine wichtige Überzeugung gehabt: Man muss kontinuierlich hart arbeiten, denn der Schlüssel zum Erfolg ist es, hervorragend zu sein - es ist nicht die Hautfarbe oder das Geschlecht, sondern die hervorragende Leistung, die einen an die Spitze bringt.

OMM: Und diese Spitze hatten Sie mit Ihrer Venus zweifellos bereits erreicht. Trotzdem haben Sie ein Festengagement in Basel angetreten, obwohl sie vermutlich viele attraktive Angebote hatten nach Bayreuth.

Bumbry: Natürlich hatte ich die! Aber wie hätte ich ohne jedes Repertoire diese Angebote annehmen sollen? Ich kannte die Rollen doch fast alle überhaupt nicht richtig! Ich war doch immer noch ein Baby, wenn auch eines mit großer Präsenz (sie lacht)!

OMM: Erinnern Sie sich, was Sie in Basel gesungen haben? Ich habe mit dem Opernhaus und dem Archiv dort Kontakt aufgenommen, es ist also nur ein kleiner Test für Sie ...

Bumbry: Ich habe Carmen gesungen ...

OMM: Auf Deutsch!

Bumbry: Auf Deutsch? Wirklich? Und dann gab es Onegin, ich habe die Olga gespielt, nicht wahr? Irgendwann in diesen Jahren habe ich La vida breve gemacht, dann irgendetwas von Janacek ...

OMM: Es war Smetana!

Bumbry: Die verkaufte Braut, richtig! Sagen Sie nicht, dass Sie davon Fotos aufgetrieben haben?

OMM: Leider nur Kopien, auch jeweils ein Exemplar für Sie! Und nur Verkaufte Braut und Antigone!

Bumbry: Die muss ich sehen!

OMM: Leider habe ich keines von Ihrer Christine in Sutermeisters Die schwarze Spinne! Ich weiß doch, wie innig Ihre Beziehung zu moderner Musik ist ...

Bumbry: O ja ... (sie lacht)

OMM: Also: In der Spielzeit 1960/61 gab es neben den schon erwähnten Partien noch die Eboli, 1961/62 Fricka in Die Walküre und Dalila. 1962/63 waren sie noch als Gast in Basel und haben Glucks Orfeo und Lady Macbeth gesungen. So schreibt es der Archivar!

Bumbry: Sind Sie sicher, dass ich dort Eboli gesungen habe? Daran erinnere ich mich überhaupt nicht. Aber das würde erklären, warum ich 1963 bereit war, die Partie in Covent Garden zu singen.

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Grace Bumbry nach einem Konzert mit der
Baden-Badener Philharmonie und dem
Dirigenten GMD Karl August Vogt 1965
(Bild: Baden-Badener Philharmonie,
mit freundlicher Genehmigung)

OMM: Sie haben sich in Basel wirklich viele zentrale Partien Ihres damaligen Fachs aneignen können. Aber meines Wissens haben Sie nie wieder Fricka gesungen. Das ist doch ein interessanter Charakter.

Bumbry: Stimmt, aber die Stimme hat sich anders entwickelt, sie hat sich mehr in Richtung Höhe entwickelt. Jetzt wäre sie genau richtig, ich würde sie jetzt sehr gern singen! Ich denke, ich könnte das sehr gut machen.

OMM: Stimmt es, dass Sie erst 1965 an der Met debütiert haben, weil Ihnen die zunächst angebotenen Rollen nicht passend erschienen? Was hat man Ihnen angeboten?

Bumbry: Ich weiß es nicht mehr genau, aber es waren kleine, uninteressante Sachen. Ich wollte einfach mit einer meiner Paraderollen dort debütieren, und das war Eboli zu der Zeit.

OMM: Stimmt es, dass Ihr US-Debüt im Weißen Haus stattgefunden hat?

Bumbry: Ich bin mir nicht sicher. Ich meine, dass es in der Carnegie Hall war, 1962 oder so.

OMM: Was bedeutete Ihnen der Auftritt im Weißen Haus in Anwesenheit von John F. Kennedy und wie kam es dazu?

Bumbry: Ich habe es sicher Jacqueline Kennedy zu verdanken, die ich damals in der Amerikanischen Botschaft in Paris kennen gelernt hatte und die den Wirbel um mich in den Jahren danach mitbekommen hatte. Die Kennedys sie hatten gerade mit diesen Konzerten im Weißen Haus begonnen, und so gab es eine entsprechende Anfrage bei meinem Manager. And we found the time ... (sie lacht) Ich weiß aber nicht mehr genau, was ich gesungen habe. Ich denke, es waren Duparc-Lieder auf Gedichte von Baudelaire, den Jacqueline Kennedy sehr bewunderte. Ich habe etwa 30 oder 40 Minuten lang singen dürfen, glaube ich.

OMM: Ich habe mir die Liste Ihrer Debüts immer wieder angeschaut und habe gedacht: Wenn Grace Bumbry 1970 aufgehört hätte zu singen, hätte sie bereits alles erreicht gehabt, was man in einer Karriere erreichen kann. Warum haben Sie weiter gesungen?

Bumbry: Wie bitte? Was ist das denn für eine Frage? Sie nehmen doch nicht all die Strapazen auf sich, die ein Gesangsstudium und dieser Beruf überhaupt mit sich bringt, und hören dann nach zehn Jahren auf! Sie wollen doch eine möglichst lange Karriere machen! Sie suchen sich einen Beruf aus und wollen doch dann möglichst lange in ihm arbeiten, zumal wenn Sie erfolgreich sind! Warum hätte ich denn aufhören sollen? Wenn Sie, sagen wir, Mediziner geworden sind, hören Sie doch auch nicht nach zehn Jahren damit auf! Der Beruf wird doch dann immer interessanter, Sie entdecken immer neue Dinge. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt all die großen Mezzopartien gesungen. Dazu kamen 1968 Halsprobleme, und alle Ärzte waren sich einig, dass ich mein Repertoire ändern müsse und ich Partien singen sollte, die besser zu meiner natürlichen Stimme passen. Interessant daran ist, dass die Ärzte sich nicht kannten und keinen Kontakt miteinander hatten und trotzdem alle drei dieselbe Diagnose stellten! Und natürlich habe ich auf sie gehört. Sie haben für mich damit eine neue Tür geöffnet.

OMM: Dies ist die einzige Erklärung für den sogenannten Fachwechsel, die ich bisher nicht gelesen oder gehört habe ...

Bumbry: Ja, ja, jeder hat eine andere Erklärung für meinen Fachwechsel, das fasziniert mich immer wieder.

OMM: Aber Sie selber haben in Interviews auch verschiedene Erklärungen dafür angeführt: Sie haben gesagt, Sie hätten Angst gehabt, durch zu viele tiefe Partien die gute Höhe zu verlieren, Sie haben gesagt, dass die Stimme sich einfach in der Höhe immer mehr entwickelt hat und Sie immer darauf geachtet haben, in einer Tessitura zu singen, in der sich die Stimme wohl fühlte, und Sie haben gesagt, dass Sie damals bereits alle wichtigen Mezzorollen gesungen hätten und nichts mehr Neues in ihnen gefunden hätten. Und dass es einfach aufregend sei, all die Spitzentöne zu singen.

Bumbry: Und all das trifft ja auch zu. Der Hauptgrund war aber dieses gesundheitliche Problem, das mir eigentlich gar keine andere Wahl ließ. Warum sollte ich zum Arzt gehen, wenn ich mich dann nicht nach dem richte, was er mir sagt? Ihr Job ist es, meinen Hals zu untersuchen, mein Job ist es zu singen. Und nachdem ich auf den Rat der Ärzte gehört habe, hatte ich keine Probleme mehr.

OMM: Aber eigentlich hatten Sie ja auch vorher schon einige Sopranpartien gesungen. Schon 1965 haben Sie in Dresden in einem deutschsprachigen Querschnitt von La forza del destino die Leonora di Vargas gesungen, zum einzigen Mal meines Wissens und sehr, sehr gut.

Bumbry: Ja, die Aufnahme finde ich auch wirklich gut! Und ich habe die Rolle später auch an der Met gesungen, was wiederum eine besondere Herausforderung war. Leider war der Dirigent dann nicht Giuseppe Patané, den ich so sehr geliebt habe - das war ein echter Sängerdirigent!

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Grace Bumbry im Pariser Châtelet
mit ihrer "Hommage à Lotte Lehmann"
(Foto: TDK, mit freundlicher Genehmigung):

OMM: Sie haben aber auch weiterhin einige Mezzorollen wie Eboli und Carmen gesungen, aber nie zur gleichen Zeit wie Sopranrollen. Stimmt das?

Bumbry: Ich habe weiterhin Eboli gesungen, die ja ohnehin eine Zwischenfachpartie ist, ich glaube auch 1972 nochmals Carmen, obwohl einer der Ärzte mir dringend geraten hatte, auf diese Rolle zu verzichten, zumindest bis ich mich im Sopranfach richtig etabliert hätte. Später habe ich dann wieder einige der Mezzorollen gesungen.

OMM: Was waren dann die ersten Sopranpartien? Da gab es 1970 die Santuzza in Wien, glaube ich.

Bumbry: Und dann kam schon Salome, meine ich, die schon ziemlich hoch liegt, vor allem natürlich der Schlussgesang.

OMM: Ich kenne den Schlussgesang, den Sie mit Maazel aufgenommen - für mich eine der besten Aufnahmen dieser Szene überhaupt.

Bumbry: Ja, das ist eine gute Aufnahme.

OMM: Darf ich den Namen Maria Callas erwähnen?

Bumbry: Warum sollten Sie nicht dürfen?

OMM: Manche Kritiker haben behauptet, dass Sie sehr ehrgeizig waren und das Repertoire von Maria Callas singen wollten. Welchen Einfluss hatte Maria Callas auf Ihre Karriere?

Bumbry: O. K. Selbst wenn es so gewesen wäre, dass ich dieses Repertoire nur gesungen, weil die Callas es gesungen hat, was ist falsch daran? Diese Musik ist geschrieben worden, bevor Maria Callas oder Grace Bumbry geboren wurden. Wissen Sie, Maria Callas wurde im Dezember geboren, ich im Januar - vielleicht gibt es da doch so etwas wie eine astrologische Verbindung? Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht besonders. Ich weiß nur, dass Norma ein Stück Musik ist, dass ich sehr, sehr liebe - vielleicht ist sie meine Lieblingsoper. Ich habe Maria Callas sehr für das bewundert, was sie getan hat. Ich habe sie nicht auf der Bühne gesehen, nur die Videos, und ich bin in alle Ewigkeiten dankbar dafür, sie gesehen zu haben. Ich denke, unser Zugang zu den Werken war ein ähnlicher, nämlich auf die Musik zu hören, sich auf sie einzulassen und sich ganz von ihr leiten zu lassen - das war nichts anderes gestern Abend bei den Porter-Songs. Es ist ganz egal, ob es Wagner oder Verdi, Bellini oder Porter ist. Alles steckt in der Musik, und wenn man musikalisch und sensibel ist, dann findet man es.

OMM: Waren Sie in Maria Callas' Meisterklassen an der Juilliard School, wie Anne Edwards in "An Intimate Biography" behauptet?

Bumbry: Ja, zweimal sogar, glaube ich.

OMM: Kennen Sie das Theaterstück von Terrence McNally über die Meisterklassen? War es so?

Bumbry: Ich kenne das Stück, aber sie war nicht so, wie er es darstellt, jedenfalls nicht an den Tagen, an denen ich da war, denn da war sie sehr korrekt. Ich denke, dass die Schülerinnen und Schüler nicht bereit waren für die Begegnung mit ihr. Eine Meisterklasse sollte wirklich eine Meisterklasse sein, das heißt nur die besten sollten hingehen dürfen, junge Sänger, die wirklich etwas damit anfangen können, was man ihnen sagt. Wenn man als Lehrerin hört, wie ungenügend die technischen Fähigkeiten sind, wo soll man beginnen? Eine Gesangsstunde geben? Da ist doch an Interpretation gar nicht zu denken. Maria Callas hat ihre Meisterkurse unter ungünstigen Bedingungen geben müssen. An einem der Tage, an denen ich dabei war, kam ein Mädchen, das irgendetwas aus La Vestale singen wollte. Callas sagte, dass diese Partie nichts für ihre Stimme sei, und das Mädchen versuchte ein bisschen Widerstand gegen dieses Urteil zu formulieren - was soll man da sagen? Natürlich hat die Callas Recht.

OMM: Das wäre eher etwas für Sie gewesen! Da ist die Nähe zu Norma ...

Bumbry: Ja, ich habe die Rolle auch gesungen. Medea ist da auch nicht weit, die ich sehr gern gesungen habe, aber die auch sehr anstrengend war - in der italienischen Fassung ist das sehr aggressive Musik in meiner Erinnerung. Vielleicht wäre die französische Fassung besser gewesen. Ich habe es zum ersten Mal in Athen gemacht, mit dem Filmregisseur Michalis Kakoyannis, und das war auch der Grund, warum ich zugesagt habe. Die erste Arie, "Dei tuoi figli", ist unglaublich schwer und gefährlich, aber der Rest der Oper ist einfach großartig - die Arie der Neris ist wunderschön. Und die Zusammenarbeit mit Kakoyannis war ein Höhepunkt meiner Karriere.

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Grace Bumbry mit ihrem Begleiter
Helmut Deutsch im Châtelet in Paris
mit ihrer "Hommage à Lotte Lehmann"
(Foto: TDK, mit freundlicher Genehmigung):

OMM: Welche weiteren Höhepunkte würden Sie selber herausheben? Es hat so viele gegeben!

Bumbry: Der erste war das Paris-Debüt, der zweite Bayreuth, der dritte Washington mit den Kennedys, dann meine erste Norma und meine erste Turandot, das Met-Debüt - das sind die Stationen, die mir spontan einfallen.

OMM: Was war die schwierigste Rolle, die Sie gesungen haben? Sie waren ja alle ziemlich anspruchsvoll, nicht?

Bumbry: Ja, zweifellos. Aber die schwierigste war vielleicht wirklich Medea. Nein: Noch schwerer war Forza an der Met, aber das waren wohl eher die Umstände ... Musikalisch gesehen war es Medea.

OMM: Gab es Partien, bei denen Sie gemerkt haben, dass sie Ihrer Stimme schaden würden? Oder haben Sie das immer rechtzeitig vorher bemerkt?

Bumbry: Es wird sie wundern, aber eine dieser Partien war für mich Giulietta in Les Contes d'Hoffmann, die ich an der Met inmitten einer tollen Besetzung singen sollte. Ich muss dazu sagen, dass ich nicht gerne Text spreche, und zudem passte diese Rolle aus welchen Gründen auch immer nicht zu meiner Stimme, sie fühlte sich einfach nicht wohl. Glücklicherweise hatte ich die Option, die Partie zurückzugeben, aber Levine war nicht sehr glücklich darüber - ich fürchte, er hat es mir nie verziehen. Aber man kann keine Rücksicht auf so etwas nehmen, man muss auf die eigene Stimme hören und seine Grenzen kennen.

OMM: Sie hätten sonst vermutlich nicht eine solch lange, erfolgreiche Karriere gehabt.

Bumbry: Ganz genau! Es war ganz ähnlich mit Karajan, der mich als Donna Anna haben wollte!

OMM: Genau wie Solti!

Bumbry: O, das wissen Sie auch? Aber was Sie nicht wissen und was Sie auch nicht glauben werden: Ich denke im Moment über diese Partie nach! Damals allerdings konnte ich es mir überhaupt nicht vorstellen, ich hätte es damals auch nicht singen können und wusste nicht, wie die beiden überhaupt daran denken konnten! Karajan argumentierte damals, ich sänge bei Verdi doch auch Koloraturen, etwa in der Canzone der Eboli, was ja auch stimmt, aber Koloraturen sind bei Mozart doch ganz etwas anderes. Er hat es nicht verstanden. Wenn ich ähnliche Partien im Repertoire gehabt hätte! Aber damals wäre es nichts anderes als vokaler Selbstmord gewesen. Decca hat mir auch die Vitellia angeboten, aber das war ähnlich absurd.

OMM: Um in eine andere Richtung zu kommen: War es nicht Lotte Lehmann, die Isolde und Brünnhilde in Ihrer Stimme gehört haben will?

Bumbry: Sie war irgendwann davon überzeugt, dass ich einige Partien aus diesem Repertoire würde singen können. Sie wollte mich davon überzeugen, dass ich mit der ersten Brünnhilde beginnen und mich dann bis zur Götterdämmerung vorarbeiten sollte. Was ihr aber noch mehr am Herzen lag, war natürlich Fidelio, denn das war ja eine ihrer Paraderollen. Ich hatte dafür später auch ein Angebot von Covent Garden, aber ich habe es mich nicht getraut. Ich erinnere mich, dass ich dort eine Vorstellung von Fidelio angeschaut habe. Ich war völlig überwältigt von der Ouvertüre, einfach großartig! Und dann kamen die Sänger ... Wissen Sie, was ich meine? Der Beginn ist so erhaben, und dann fällt es so ab in Richtung Singspiel.

OMM: Aber das ändert sich doch wieder, wenn Leonore auftritt!

Bumbry: Trotzdem, ich habe gemerkt, dass das nichts für mich ist. Es ging mir ähnlich, als ich ein paar Jahre später Walküre in der Met sah, diese Hojotoho-Rufe.

OMM: Aber wie toll hätte die Todesverkündigung mit Ihrer Stimme geklungen! Oder Sieglinde!

Bumbry: Das war auch Lehmanns Rolle, und ich hatte immer das Gefühl, dass sie nicht wollte, dass ich ihre Rolle sang ...

OMM: Haben Sie eigentlich bis zu ihrem Tod mit der Lehmann über ihre Karriereentwicklung und all das gesprochen?

Bumbry: Nein, in den letzten Jahren haben wir uns ein bisschen entfremdet, weil Lotte wohl das Gefühl hatte, dass ich mich zu selten melde - sie hat das anderen Leuten gegenüber in Briefen erwähnt, wie ich später erfahren habe.

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Grace Bumbry im Pariser Châtelet
mit ihrer "Hommage à Lotte Lehmann"
(Foto: TDK, mit freundlicher Genehmigung):

OMM: Haben Sie sich einen anderen Berater oder Coach gesucht?

Bumbry: Warum sollte ich? Ich war keine Schülerin mehr zu diesem Zeitpunkt!

OMM: Aber viele Leute haben bis zum Ende ihrer Karriere Coaches oder sogar Gesangslehrer.

Bumbry: Ich habe auch immer wieder kurzfristig mit Lehrern und Coaches gearbeitet. Ich erinnere mich, dass ich zu Martina Arroyos Lehrerin gegangen bin, Marinka Gurewich, um einmal wieder eine andere Meinung zu hören und zu erfahren, ob meine stimmliche Entwicklung richtig ist. Wir hatten aber einige Meinungsverschiedenheiten, als ich begann, Aida zu singen, was sie völlig falsch fand, vielleicht weil Martina diese Rolle sang und ihr "big star" war. "Deine Stimme ist stählen, sie ist nicht so wie Martinas Stimme.", sagte sie. Natürlich habe ich nicht Martinas Stimme, sondern meine Stimme! Und da hielt ich es für besser, getrennte Wege zu gehen. Sie hatte damals wohl den Eindruck, ich würde mit jemand anderem arbeiten, was aber nicht der Fall war - ich bin einfach zu meiner Art des Singens und zu meiner Stimme zurückgekehrt.

OMM: Stimmt es, dass Sie ganze vier Stunden mit Zinka Milanov gearbeitet haben?

Bumbry: Ich denke, es war genau eine Stunde ... Das war, als ich La Gioconda lernte. Es ging nicht um vokale Dinge, sondern allein um die Interpretation. Sie sagte mir: "Du singst es so! (sie singt den Beginn der großen Arie, "Suicidio!", mit völlig entstellten Vokalen an) Und das war meine Sache nicht. "Für mich war es gut so!", sagte sie. Und dann hielt ich es für besser, keine weitere Stunde zu nehmen ...

OMM: Wir sind abgekommen von den anderen denkbaren Rollen. Warum haben Sie nicht Isolde gesungen? Hier in Düsseldorf haben Sie vor einigen Jahren in einer Unesco-Gala den Liebestod gesungen.

Bumbry: Ja, daran erinnere ich mich. Ich weiß nicht. Ich hatte nicht Birgit Nilssons große Trompete und nicht ihre Stamina - für Isolde muss man geboren sein, glaube ich. Das ist wirklich eine außergewöhnliche Rolle, und sie liegt auch ziemlich problematisch: Der Liebestod liegt in einer ganz natürlichen Lage, aber andere Passagen liegen sehr hoch oder sehr tief, sehr extrem eben. Und dann immer gegen dieses volle Orchester! Man braucht mehr Metall in der Stimme als ich es habe, noch mehr Durchschlagskraft.

OMM: Aber wenn man sich anschaut, wer heute Isolde singt ... Wie fühlen Sie sich, wenn heute Sängerinnen Partien wie Isolde oder Aida singen, die in den sechziger und siebziger Jahren nicht einmal im Chor genommen worden wären?

Bumbry: Man muss da wohl mit der Zeit gehen ... Ich habe da nur einen Rat: Don't listen! Don't go! Aber Sie haben natürlich Recht, wir hatten damals wahrlich ganz andere Standards.

OMM: Ein Paradebeispiel für die Besetzung von dramatischen Partien mit viel zu leichten Stimmen ist für mich Katia Ricciarelli: Musste sie wirklich Aida, Amelia, Tosca und Turandot singen und aufnehmen?

Bumbry: Wer war der Dirigent? (sie schaut mich beschwörend an) Da haben Sie die Antwort.

OMM: Sie wissen es und ich weiß es: Es hätten ganz andere Leute Platten machen sollen in diesen Jahren, Sie zum Beispiel. Musste die von aller Welt so bewunderte Mirella Freni dramatische Sopranrollen singen? In den vielen Interviews, die ich geführt habe, haben immer wieder Sängerinnen diesen Namen genannt, wenn ich nach Vorbildern gefragt habe. Ich muss sagen, dass mich bei aller Bewunderung für die Technik ihr Singen nie berührt hat. Natürlich war sie eine exzellente Mimì. Ich habe vor kurzem den Mailänder Ernani mit ihr rezensiert ...

Bumbry: Ach, lassen wir das, Mirella Freni wird zurecht für ihre stupende Technik bewundert, ich habe ihre Mimì sehr geliebt und ihre Micaela, aber it's all voice, und mir waren andere Dinge wichtiger. Aber sie ist die einzige Kollegin aus meiner Generation, die noch singt! Nein, vergessen wir nicht Helen Donath!

OMM: Noch einmal zurück zu denkbaren Rollen: Amelia im Ballo haben Sie auch nicht gesungen? Das hätte doch sicher gepasst.

Bumbry: Die Arien habe ich fürs kanadische Fernsehen eingespielt. Es gab einfach nie ein Angebot dafür. Ich muss da ein bisschen ausholen: Als James Levine die Met übernahm, kam man auf mich zu und bot mir den "primadonna stuff" an. Auf der Liste standen Ballo, Forza, Francesca da Rimini und all das. Aber zu dem Zeitpunkt fühlte ich mich einfach noch nicht bereit für dieses Repertoire. Das war 1971 oder 1972. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nur Tosca gesungen, das war Levines Met-Debüt. Und er sollte dort im kommenden Jahr richtig groß anfangen. Ich hätte ein bisschen Zeit gebraucht, aber in der Zwischenzeit hatte man Renata Scotto engagiert.

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Grace Bumbry
(Bild: Personal Artists Management David Molnár)

OMM: Ich habe irgendwo gelesen, dass es da eine Kontroverse gegeben haben soll, weil Sie sich öffentlich dazu geäußert haben sollen, dass Renato Scotto zu dramatische Partien singe und all das. Und danach sei Ihre Karriere an der Met vorbei gewesen.

Bumbry: Von dieser Kontroverse weiß ich nichts.

OMM: Und das diese Kontroverse der Grund dafür gewesen sei, warum Sie später nur noch an der New York City Opera aufgetreten seien.

Bumbry: O nein, das stimmt überhaupt nicht! Beverly Sills übernahm die New York City Opera und fragte mich, ob ich ihr in ihrer ersten Spielzeit helfen könnte. Und dann habe ich dort Abigaille und Medea gesungen, that's it. Die Verantwortlichen der Met waren natürlich nicht begeistert davon, dass ich an der City Opera auftrat und Erfolg hatte ... Ich erinnere mich da an eine Geschichte im Zusammenhang mit Nabucco: Ich hatte eine fantastische Kritik in der Morgenausgabe der New York Times - und am Nachmittag hatte man sie geändert! Dieselbe Zeitung! Ein Freund hatte mich angerufen und mir voller Begeisterung von dieser wirklich spektakulären Kritik erzählt, und Sie können sich vorstellen, wie enttäuscht ich war, als ich die spätere Fassung las. Und dann habe ich bei der Zeitung angerufen, mich mit dem Chefkritiker verbinden lassen und gefragt, wie so etwas möglich sei. Und er sprach davon, dass sie manchmal die Artikel aus Platzgründen ändern müssten von einer Ausgabe zur anderen, aber ich bin mir fast sicher, dass da andere Leute ihre Finger im Spiel hatten ...

OMM: Sie haben von Richard Strauss meines Wissens nur die Salome gesungen, über die wir schon gesprochen haben. Und auch in "Cäcilie" von Richard Strauss, das in dem berühmten Tribute to Lotte Lehmann, das als DVD aus dem Pariser Châtelet erschienen ist, entfaltet sich dieser typische Strauss-Jubel in Ihrer Stimme. Haben Sie je über Elektra, Chrysothemis, Färberin, Ariadne oder die Marschallin im Rosenkavalier nachgedacht?

Bumbry: Rudolf Bing hat mir die Färberin an der Met tatsächlich angeboten, aber ich habe es einfach nicht geschafft, mich wirklich damit zu beschäftigen - man kann ja auch nicht alles machen! Ich habe wirklich eine Menge unterschiedlicher Partien gesungen, und vergessen Sie nicht, dass man das alles ja auch irgendwann lernen muss. Natürlich hätte ich liebend gern die Marschallin gesungen ...

OMM: Zumal Sie eine erfahrene Liedinterpretin sind!

Bumbry: Auf der anderen Seite wäre gerade bei dieser Partie wieder die Geschichte mit meiner Hauptfarbe diskutiert worden - es ist wirklich ein Jammer, dass wir immer noch so begrenzt sind in unserem Denken und Vorstellungsvermögen.

OMM: Dabei ist Oper ohnehin eine hochartifizielle Angelegenheit, bei der man an so vielen anderen Punkten Kompromisse macht! Warum nicht Minnie in La Fanciulla del West?

Bumbry: Sie sind wirklich gut - auch das hätte ich sehr gern gemacht. Mein Hauptargument dagegen war, dass ich nicht reiten kann ... Es gibt auch keine richtigen Arien in dieser Oper, und außerdem war mir Leontyne Prices Reinfall mit dieser Partie eine Warnung.

OMM: In diesem herrlichen ZDF-Portrait, "Ich bin ein Glückskind" aus dem Jahre 1997, das Georges Gachot gedreht hat, singen Sie sogar den Schluss der ersten Liù-Arie in einem Meisterkurs, um einer nicht sonderlich begabten Schülerin etwas zu demonstrieren.

Bumbry: Wirklich? Das habe ich total vergessen, dass er das in dem Film genommen hat. Georges Gachot war übrigens wundervoll!

OMM: La Wally wird zu selten aufgeführt, so dass Sie die Titelrolle in dieser interessanten Oper nicht haben singen können.

Bumbry: Da haben Sie Recht, ich finde das auch schade.

OMM: Und Maddalena di Coigny in Andrea Chénier, Adriana Lecouvreur ...

Bumbry: Ich fürchte, dass die Leute, die es zu entscheiden hatten und haben, nicht dieselbe Kreativität hinsichtlich meiner Rollen aufgebracht haben wie Sie ... Sie waren und sind mitunter sehr begrenzt in ihrer Vorstellungskraft, sie sehen es einfach nicht. Mein größter Chef war Rudolf Bing an der Met, und er hat wirklich gesehen und gehört, was für mich und meine Stimme möglich war. Er war es, der mich als Tosca gesehen hat, als Salome. Aber nachdem er weg war, gab es niemanden mehr, der mit mir und für mich Visionen entwickelte - man muss es zuerst im Kopf haben, bevor man es tatsächlich hört und ausprobiert. Und über diese Fähigkeit verfügte Bing.

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Grace Bumbry
(Foto: TDK, mit freundlicher Genehmigung)

OMM: 1977 haben Sie bei dem kleinen Festival von Martina Franca Norma gesungen - die CD ist gerade erschienen (Grace Bumbry gestand mir übrigens, dass sie die Aufnahme noch nicht gehört habe, und da sie im Anschluss an unser Gespräch noch ein weiteres Interview zu führen hatte, bot ich ihr an, ein Exemplar in Düsseldorf für sie zu erstehen, das sie auf dem Rückflug nach Salzburg hören wollte).

Bumbry: Wenn Sie eine Rolle unbedingt ausprobieren wollen, gehen Sie auch nach Timbuktu! In Martina Franca konnte ich endlich meine erste Norma singen!

OMM: Und sie war hervorragend, ich habe die CD gehört und darüber geschrieben. Besonders der Schluss ab "In mia man" hat mir sehr gut gefallen!

Bumbry: Ich erinnere mich besonders an diesen wunderbaren Moment am Schluss - "Deh! Non volerli vittime del mio fatale errore" (sie singt es an). Diese Szene hat mich immer umgeworfen, mir schossen immer die Tränen in die Augen ... Ich sage meinen Schülern immer, dass so etwas nicht passieren darf! In Vorstellungen darf man sich nicht so mitreißen lassen! Man muss so lange daran arbeiten, bis man das unter Kontrolle hat und es Routine geworden ist.

OMM: Erinnern Sie sich an das Ende des ersten Aktes? Giacomini, Ihr Pollione, hält den Schlusston unnötigerweise länger als Sie. Ich habe in meiner Kritik geschrieben, dass das sicher zu Diskussionen in der Pause geführt hat ...

Bumbry: Tatsächlich? Daran kann ich mich wirklich nicht erinnern.

OMM: Viele Leute sind der Meinung, dass Sie sich viel zu früh von der Opernbühne zurückgezogen haben - Ende der neunziger Jahre haben Sie als Rollendebüt (!) die Klytämnestra in Lyon gesungen. Wie kam es zu diesem Schritt? Haben Sie ihn je bereut?

Bumbry: (sie überlegt lange) Ich bereue die Umstände, die dazu führten, nämlich dass es im heutigen Opernbetrieb so wenig bedeutende Persönlichkeiten gibt. Der einzige Grund, Klytämnestra zu singen, war für mich, dass mich Jean-Pierre Brossmann so sehr darum gebeten hat, in dieser Produktion, in der auch Eva Marton und Jeannine Altmeyer auftraten, mitzuwirken.

OMM: Auf dem Mitschnitt kann man nachhören, dass Ihre Stimme die frischeste war und dass Ihre Diktion die beste war, um nur zwei Dinge herauszuheben.

Bumbry: Ich danke Ihnen.

OMM: Eigentlich ist mir die Antwort klar, aber würden Sie zum jetzigen Zeitpunkt auf die Bühne zurückkehren? Ich weiß, dass Sie Angebote zum Beispiel für Fricka oder Erda bekommen!

Bumbry: O ja, das würde ich! Aber ich würde ungern diese tieferen Partien machen, sondern lieber solche, die höher liegen, einfach um meiner Stimme nicht zu schaden. Ich denke ernsthaft über Ortrud und auch Kundry nach.

OMM: Was müssen die Intendanten tun, damit es dazu kommt?

Bumbry: Sie müssen mit meinem Manager reden! (sie lacht laut) Nein, im Ernst: Ich hätte keine große Lust, Ortrud oder Kundry in einer dieser merkwürdigen modernen Inszenierungen zu singen - Sie wissen schon, woran ich denke.

OMM: Sie haben in einem Interview vor ein paar Jahren angekündigt, dass Sie gern noch einmal konzertant Norma singen würden.

Bumbry: Ja, das würde ich immer noch gern tun, aber ich glaube, dass mir die Szene doch fehlen würden - diese Rolle nur zu singen, wäre mir zu wenig. Ich bin ein Theatermensch, und das ist es - glaube ich - auch, was die Leute an mir lieben. Sich hinstellen und singen, das kann jeder. Aber einen Charakter zu formen, wirklich zu portraitieren, dem Publikum eine Idee von einer Figur zu geben, das ist etwas anderes.

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Grace Bumbry in Salzburg
(Bild: Personal Artists Management David Molnár)

OMM: Wir haben schon über Aufnahmen gesprochen und dass es eigentlich mehr kommerzielle Aufnahmen mit Ihnen geben müsste. Auf der anderen Seite hatten Sie noch mehr Glück als viele andere Sänger, denn Sie haben schon sehr früh die Möglichkeit bekommen, Schallplatten machen zu können. Ein Album der Deutschen Grammophon aus dem Jahre 2004 dokumentiert Ihre frühesten Aufnahmen aus Salt Lake City aus den Jahren 1957 und 1958, Aufnahmen aus London aus 1961 und Opernarien, die 1962 in Berlin aufgenommen wurden. Sind Sie glücklich mit Ihrer Diskographie?

Bumbry: Nein, nicht hundertprozentig. Ich hatte immer das Gefühl, dass es nicht einfach für die Techniker war, den Klang meiner Stimme angemessen zu reproduzieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Da gibt es doch dieses Orfeo-Recital mit Opernarien, und ich hatte das Gefühl, dass dies der erste Job des Toningenieurs war. Als ich das Ergebnis zum ersten Mal hörte, sagte ich zu ihm, dass dies nicht meine Stimme sei und dass ich nicht begreifen könne, was er mit ihr gemacht habe. Er verstand mich nicht, und ich habe ihm erklärt, dass ich mit meinem kleinen Kassettenrekorder bessere Aufnahmen von meiner Stimme machen kann, also Aufnahmen, auf denen meine Stimme eher nach meiner Stimme klingt als auf seinen Profiaufnahmen. Die Präsenz der Stimme war einfach verschwunden, sie war nicht mehr da. Und er sagte, dass er das ganz bewusst so gemacht habe! Ich war schockiert, aber ich konnte nicht viel dagegen machen.

OMM: Das ist natürlich besonders ärgerlich, weil es gerade bei diesem Recital dann auch sehr negative Kritik gegeben hat und genau die Punkte bemängelt wurden, die Sie gerade angesprochen haben.

Bumbry: Ganz genau! Ich erinnere mich an eine andere Aufnahme, bei der der Toningenieur mir sagte, er könnte mein Forte nicht richtig aufnehmen. Ich habe erwidert, dass das schon gehen müsse, denn man habe ja auch das Forte von Birgit Nilsson oder Franco Corelli aufnehmen können. Ich denke, Sie verstehen jetzt, warum ich Platten gegenüber inzwischen sehr skeptisch bin. Aber ich muss auch sagen, dass ich bei der Deutschen Grammophon hervorragende Toningenieure hatte - das war überhaupt meine Lieblingsfirma. EMI war auch sehr gut für Recitals. Aber mit den Jahren wurde es auch immer schwieriger, gute Aufnahmen zu machen, weil ich keinen Exklusivvertrag abgeschlossen hatte und dadurch gezwungen war, mit verschiedenen Firmen zu arbeiten.

OMM: Was würden Sie heute gern aufnehmen oder was hätten Sie gern aufgenommen? Es gibt keine offiziellen Dokumente Ihrer Azucena, Ulrica oder Dalila, keine Leonora im Trovatore, keine Salome, vieles nicht einmal auf dem illegalen Markt ...

Bumbry: Ich würde schon gern noch ein paar Arien aufnehmen, aber vielleicht ist es dafür jetzt doch ein bisschen zu spät. Ich hätte sehr gern Norma aufgenommen, Tosca - und Sie werden mir zustimmen, dass diese Welt unbedingt eine weitere Tosca gebraucht hätte! (sie lacht schallend) -, Aida, Turandot, Ballo.

OMM: Und Les Troyens!

Bumbry: Ja, genau!

OMM: Mögen Sie Cassandre oder Didon lieber?

Bumbry: Ich denke, Didon gefällt mir besser.

OMM: Überhaupt noch mehr französische Opern - ich liebe Ihre Chimène in Le Cid!

Bumbry: Ja, das war toll. Es ist jammerschade, dass ich damals nicht den Manager hatte, den ich heute habe (während unseres Gesprächs kam er immer wieder zwischendurch hinein, so auch jetzt) ...

OMM: Er sollte auch den Kontakt zu Carlos Santana und George Michael herstellen, mit denen Sie doch immer noch eine Platte aufnehmen wollten, wie ich irgendwo gelesen habe ...

Bumbry: Ja, ja, das sollte er tun. Das wäre bestimmt ein großes Vergnügen! Ach, Carlos Santana ist ein großartiger Musiker, das würde ich wirklich noch gern machen. Und ich muss sagen, dass bei George Michael auch die Optik eine gewisse Rolle spielt ...

OMM: Ich mag auch das Duett mit Dionne Warwick, Chaplins "Smile" und "My Way" auf Ihrer Pop-CD!

Bumbry: Ja, "My Way" ist wirklich nicht schlecht. Ich war damals ein bisschen enttäuscht über das Endergebnis dieses CD, denn sie ist nicht so gemastered, wie ich mir das gewünscht hätte.

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Grace Bumbry in Salzburg
(Bild: Personal Artists Management David Molnár)

OMM: Stimmt es eigentlich, dass Sie an einer Autobiografie arbeiten?

Bumbry: Ja, das ist richtig. Alle möglichen Leute haben mich danach gefragt, das geht seit vielen, vielen Jahren so, und jetzt gehe ich es an. Deshalb kann ich Ihnen auch nicht alles erzählen, dann kauft niemand mehr mein Buch.

OMM: Aber bis das in deutscher Übersetzung erschienen ist, hat man dieses Interview längst vergessen. Auch wenn es natürlich für immer und ewig im Internet zu finden sein wird ...

Bumbry: Oh dear ...

OMM: Kennen Sie "Some People" aus dem Musical Gypsy? Mama Rose erklärt, dass Zuhausesitzen und sich mit Handarbeiten zu beschäftigen - in Ihrem Fall Boeuf Stroganoff kochen und apple pie backen, wie wir alle spätestens seit Ihrem Auftritt in Alfred Bioleks Kochshow wissen - O. K. ist für manche Leute, aber eben nicht für sie. Warum genießen Sie nicht einfach Ihr Leben, sondern setzen sich weiter dem Stress aus, den dieser Beruf doch unweigerlich mitbringt?

Bumbry: Sie haben schon Recht, ich denke manchmal auch daran. Ich werde mich in ein paar Jahren zurücklehnen und ein ruhigeres Leben beginnen. Aber solange meine Stimme in guter Verfassung ist und ich mit dem Singen weitermachen kann? Das viele Reisen wird immer anstrengender, es ermüdet ungemein. Aber andererseits: Das ist mein Leben, ich habe es immer so gemacht, Singen ist einfach mein Leben.

OMM: Hätte es eigentlich Alternativen zum Singen gegeben?

Bumbry: Wenn ich nicht die Stimme gehabt hätte, wäre ich vielleicht Psychologin geworden. Das hätte ich mich auch sehr interessiert. Aber es gibt nichts, was dem Singen gleich kommt!

OMM: Als Opernsängerin haben Sie sich ja zumindest indirekt mit Psychologie beschäftigen können, wenn Sie in all die verschiedenen Charaktere geschlüpft sind. Wie haben Sie das eigentlich gemacht - haben Sie das alles in sich?

Bumbry: Einen Teil all dieser Figuren habe ich sicher in mir, man findet bestimmte Züge von Norma oder Medea, um nur zwei zu nennen, in sich, ja. Einen anderen Teil beobachtet man bei Freunden, bei anderen Menschen. Ich habe immer Beobachtungen, die ich gemacht habe, in meine Interpretationen einfließen lassen.

OMM: Eine Frage hätte ich beinahe vergessen, die originellste von allen, eine, die Ihnen sicher noch nie gestellt worden ist: as ist eine Primadonna? Und sind Sie eine?

Bumbry: O je ... Wissen Sie, welche noch blöder und abgegriffener ist? "Was ist eine Diva?" Die liebe ich fast noch mehr als die andere ... Es ist so lächerlich. Abgesehen davon, dass ich diese Frage nicht beantworten kann! Soll ich mich hinstellen und sagen: "Ich bin eine Diva! Ich bin eine Primadonna!" und mich zum Narren machen? Nein, das sind Attribute, die man von anderen zugesprochen bekommt, aus welchen Gründen auch immer.

OMM: Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!





Foto Grace Bumbry

Grace Bumbry


Am 4. Januar 1937 als Grace Ann Melzia Bumbry geboren und dort aufgewachsen, wurde die spätere (Mezzo-)Sopranistin bereits mit 11 Jahren Mitglied des Union Memorial Methodist Church's Choir. Ihr sensationeller Auftritt beim Arthur Godfrey Talent Scout Program im Jahre 1954 brachte ihr ein Stipendium für die Northwestern University in Evanstown ein, wo sie Lotte Lehmann traf, die sie sofort einlud, zur Music Academy von Santa Barbara zu wechseln, wo sie bis 1958 blieb (vorher hatte sie auch an der Boston University studiert). Im selben Jahr gewann sie die Met Auditions, 1959 gab sie ihr Konzertdebüt in London, 1960 ihr Bühnendebüt als Amneris in Paris. Ihren internationalen Durchbruch feierte die Künstlerin am 23. Juli 1961 bei den Bayreuther Festspielen, in deren Annalen sie als Schwarze Venus einging. 1961 debütierte sie auch in Brüssel, 1963 in London und Chicago, 1964 bei den Salzburger Festspielen als Lady Macbeth. 1965 trat sie zum ersten Mal an der Metropolitan Opera auf, 1966 an der Scala di Milano. 1966 und 1967 war sie Karajans Carmen in Salzburg, 1970 fand ihr Debüt an der Wiener Staatsoper statt. In dieser Zeit wandte die Sängerin sich verstärkt dem Sopranfach zu und reüssierte mit Partien wie Santuzza, Aida, Tosca, Abigaille, Medea, Gioconda, Turandot oder Salome. In späteren Jahren kehrte sie wieder zu einigen ihrer Mezzorollen zurück und verabschiedete sich 1997 als Strauss' Klytämnestra in Lyon von der Opernbühne. Als gesuchte Konzert- und besonders Liedersängerin ist Grace Bumbry bis heute auf den bedeutendsten Podien zuhause (am 14. August diesen Jahres etwa wiederholt sie ihre "Hommage à Lotte Lehmann" beim Schleswig-Holstein Musikfestival in Kiel), gibt Meisterkurse und ist als Jurorin in Gesangswettbewerben engagiert. Seit dem 17. Mai 1992 nennt sie einen Stern auf dem St. Louis Walk of Fame ihr eigen, sie ist Ehrendoktorin des Ebner-Rust College Holy Springs (Missouri) und der University of Missouri St. Louis und nicht zuletzt in verschiedenen Unesco-Projekten engagiert.

Auf Ton- und Bildträgern ist Grace Bumbry im Vergleich zu vielen anderen Sängerinnen und Sängern recht gut dokumentiert, vor allem wenn man halboffizielle und private, aber über das Internet und in Spezialgeschäften durchaus erhätliche Aufnahmen hinzurechnet. In dem unschätzbaren diskographischen Handbuch von Karsten Steiger sind zahlreiche Aufnahmen ihrer Carmen gelistet, Glucks Orpheus (in der Studioaufnahme aus Leipzig mit der Rothenberger), Jenufa aus der Mailänder Scala neben Magda Oliveros Küsterin (natürlich auf italienisch), Santuzza mit Franco Corelli und Leonard Bernstein am Pult, Chimène in Massenets Le Cid, Abigaille aus Paris, Lady Macbeth aus Salzburg und Bologna, diverse Ebolis (zuletzt auch als Video bzw. inzwischen als DVD aus der Met aus dem Jahre 1983) und immer wieder Amneris, die die Künstlerin gleich zweimal im Studio einspielen konnte, die Bayreuther Venus und aus späteren Jahren die Türkenbab in Strawinskis The Rake's Progress unter Kent Nagano. In den Läden findet man auch einen deutschen Querschnitt von La forza del destino aus Dresden mit Grace Bumbry als Leonora di Vargas, die Norma aus Martina Franca des Jahres 1977, die Studioaufnahme des Zigeunerbaron, in der sie Saffi singt, Hammersteins Carmen Jones, das Requiem von Mozart und Verdi und natürlich diverse habenswerte Recitals, die einen guten Überblick über das Schaffen der Künstlerin liefern, besonders die pinkfarbene "Early Recordings"-Compilation aus dem Jahre 2004 der Deutschen Grammophon, die auch die frühen Händel-Aufnahmen und die ersten Arien- und Liedaufnahmen aus Berlin bringt. Habenswert ist natürlich auch das Portrait der Firma Gala, besonders wegen des Salome-Schlussgesangs aus Cleveland, dem durch Einspielungen unterbrochenen Interview und dem Aida-Duett, bei dem sie beide Partien singt (Wunder der Technik!). Freunde des Liedgesangs sollten die DVD mit Grace Bumbrys "Hommage à Lotte Lehmann" aus dem Pariser Châtelet erwerben. Darüber hinaus soll es neben weiteren Mitschnitten der bereits erwähnten Opern auch Aufzeichnungen ihrer Azucena, Dalila, Tosca und selbst ihrer Poppea geben. Und auch einen Mitschnitt ihres Bühnenabschieds bekommt man leicht aus den amerikanischen Internetquellen, während ich Bumbrys Gioconda nicht beschaffen konnte (die hin und wieder in den Läden stehenden Auszüge unter Patané singt - anders als es auf dem Cover steht - Martina Arroyo, nicht Grace Bumbry!).



Da capo al Fine

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