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Zu spüren, wenn man den Nagel auf den Kopf trifft!

Interview mit Egill Ólafsson


Von Claudia J. Koestler
Februar 2001



Egill Ólafsson schiebt das Kinn nach vorne, nimmt eine stolze, fast mussolinisch anmutende Haltung an und gibt mir mit theatralischer Gestik die Hand, bevor er sich wie ein gelangweilter Kater auf dem schwarzen Leder des Caféinventars räkelt: "Im Prinzip dreht es sich in meiner Musik darum, etwas auszudrücken. Es ist eigentlich eine sehr verbale Angelegenheit" beginnt er das Gespräch.

Ólafsson spielt das Medienspiel zunächst wie ein Profi. Er hinterlässt den Eindruck von Ehrlichkeit und Offenheit, verrät aber zur gleichen Zeit herzlich wenig; Das Bemühen eines Ausländers jedoch um Verständnis seiner Arbeit verwirrt ihn. Seine Antwort, um was es in den Texten geht, ist simpel und doch zweifelhaft: "Es geht um schlechten Geschmack! " lacht er: "Es ist schlechte Musik... "

Gleichzeitig ist er aber clever genug, kryptisch hinzuzufügen, dass er mir nicht erklären werde, was er für schlechten Geschmack halte, sondern "was wir dachten, dass schlechter Geschmack sei. Es geht um all diese Blickwinkel der Bourgeoisie und den kleinen Irren in uns allen - Baaad music! " erklärt er mit großen Augen und einem Grinsen bis über beide Ohren. Was für ein seltsam sprühender Mensch, schießt es mir durch meinen Kopf. In seiner selbstverliebten Gestik und seinem gleichzeitig spitzbübisch naiven Charme ist es schwierig, hinter den Schauspieler zu blicken.

Egills Leben katapultierte ihn von einer normalen Arbeiterfamilie im zarten Alter von zwölf Jahren schon auf die Bühne: "Meine Familie hatte nicht wirklich einen künstlerischen Hintergrund. Mein Vater hat kurze Zeit einmal Trompete gespielt, aber zur damaligen Zeit war das keine Arbeit. Man musste irgend etwas Ordentliches tun, um sein Auskommen zu haben. Wir waren dauernd unterwegs, zogen von einem Ort zum Nächsten. Als ich dann mit 12 meine erste Band gründete, "Glampar" (=Reflexion), spielten wir "Yardbirds" und "Manfred Mann" und dachten, wir wären cool."

Die Kindergruppe trat in diversen Tanzclubs auf, zu denen eigentlich nur Ältere Zutritt hatten. "Wir mussten uns durch die Hintertüre schleichen, direkt auf die Bühne. Wir hatten diesen Manager, der eigentlich ein Friseur war, und er fuhr uns hin und sofort wieder zurück, weil wir zu jung waren, um überhaupt aufzutreten. Dann kam erst einmal die Schule" erzählt Egill weiter, "und anschließend die Gruppe "Spilverk Thjódanna"." Eine "todernste Band in jeglichem Bereich" wie er es nennt.

Von 1970 bis 1976 studierte Ólafsson auf dem Musikkonservatorium in Reykjavik und partizipierte nebenher in diversen Bands, darunter "Thursaflokkur", bis er 1974 zu einer ehemaligen Schülerband namens "Studmenn" stieß, die "merry men". Jene Gruppe also, die sich den schlechten Geschmack auf die Fahne geschrieben hatte und mit ihrem Erstlingswerk "Sumar á Sàrlandi" (= Sommer in Syrien) 1975 gleich einen Meilenstein der isländischen Popmusik hinlegten. Bis heute gehören sie zu den beliebtesten Bands der Insel.

"Die musikalische Richtung, in die ich damals unterwegs war, war ein bisschen idiotisch", sagt er mit dem Understatement eines Meisters seines Fachs. "Wir haben lustige Dinge gespielt, sehr naive Sachen, unser erstes Album ist sehr naiv. Wir hatten Spaß, und wir sind einfach losgezogen und haben Dinge aufgesammelt, die wir mochten, die verrückt waren, und machten daraus eine kleine Mischung. Und die Leute fanden das,... nun ja,... vielleicht nicht lustig, aber zumindest eigenartig. Zumindest fingen sie an, die Atmosphäre zu mögen, die das Ganze umgab. Es ist gar nicht so sehr die Musik, es ist dieser Seiteneffekt, die Atmosphäre! Du siehst diese Typen auf der Bühne, und du fragst dich, wie es sein kann, dass sie so naiv und blöde sind! Und gleichzeitig", sinniert er und zieht dabei die Augenbrauen nach oben, "sagen die trotzdem etwas, was wir sind, wie wir in Island denken. Eben nicht zu versuchen, wichtig zu sein, nicht zu versuchen, Kunst oder so etwas zu sein. Einfach nur fröhlich zu sein, ein bisschen naiv, und Dinge widerzuspiegeln, die immer schon da waren. "

Nach ihrem zweiten Album "Tívolí" beschlossen Studmenn, eine Film zu drehen über zwei Bands in Konkurrenz zueinander auf Tour rund um die Insel. Also produzierten sie 1982 den Film "On Top", oder "Med allt á hreinu" im Original, nach wie vor der erfolgreichste Film aller Zeiten auf Island. "Med allt á hreinu" basiert natürlich auf all den kleinen Szenen, die in dieser Branche vorkommen" führt er an, "aber gleichzeitig ist es ein Film darüber, wie es ist, eine solche Mischmasch-Band auf Tour zu sein in diesem seltsamen Land, die ihre zusammengewürfelte Musik spielen." Der Erfolg dieses wunderbaren kleinen Films scheint ihn selbst überrascht zu haben. "Im Nachhinein kann ich sagen, dass dieser Film so populär wurde, weil sie in gewisser Weise kühn waren, aber auch dumm, und das ist etwas, warum die Leute Mitleid mit ihnen hatten und anfingen, sie zu lieben. Wie kleine Tiere. Sie verlieren den Wettstreit am Ende des Films, sie werden an der Nase herumgeführt. Und manchmal kann man kleine Tiere an der Nase herumführen... " spricht er und spielt mit der Wirkung seiner Worte wie ein kleiner Junge mit Murmeln. "...und als sie unseren Film in den Staaten zeigten bekamen wir nur drei Worte der Kritik: Fruitcake, fruitcake, fruitcake! Und sie hatten Recht. Darum geht es in dieser Band. Und natürlich hatten sie von all dem eigentlich nichts verstanden, von der Doppelbödigkeit, die dahinter steckt, von der Ironie. "

Nach dem Erfolg von "Med allt á hreinu" setzten Studmenn ein weiteres Filmprojekt um: "Cool Jazz and Coconuts". Diesmal war es ein Drama, basierend auf einem Buch von Gunnar Gunnarsson. Das Filmprojekt war ein Misserfolg. Trotzdem spricht Ólafsson voller Hingabe von diesem Werk: "Niemand wollte uns sehen, wenn wir ein Drama machen: Warum können die nicht lustig sein, wie vorher? Aber wir wollten etwas machen, was in eine neue Richtung ging, und ich muss sagen, dass der Soundtrack zu diesem Film ein wirkliches Meisterstück ist, wahrscheinlich sogar das Beste, was wir je gemacht haben. Darauf bin ich wirklich stolz, auch wenn es kein Erfolg wurde, aber das hat damit nichts zu tun. Es war toll und schwierig zur gleichen Zeit . Etwas, in das man all seine Energie steckt!"

Ólafsson zieht eine feine Linie zwischen dem Teil von sich, der öffentlich ist und jenem, den er privat für sich behält. Etwas, was nicht einfach sein kann, als prominente Person auf einer Insel mit so wenig Einwohnern. "Ich weiß, dass ich sehr bekannt bin, jeder mein Gesicht kennt, aber das heißt nicht, mich zu kennen. Ich habe mir meine Geheimnisse bewahrt. Und darum geht es doch im Leben. Diese Leute wissen nicht wirklich, was dahinter ist - wer ich wirklich bin. Ich habe gelernt, damit umzugehen, bekannt zu sein. "

Diese Insel mit ihrer kleinen Gesellschaft und somit auch begrenzten Zuhörerschaft aber zu verlassen, kommt ihm nicht in den Sinn: "Natürlich ist es schwierig, sich hier zu bewegen und etwas Neues anzufangen, aber dennoch habe ich hier die Möglichkeit, all die Dinge zu tun, die ich normalerweise in einer größeren Gesellschaft nicht hätte. In meinem Fall, ein Schauspieler und ein Sänger zu sein, Musik zu kreieren. Natürlich bekomme ich die Kritik, dass hier der Sänger sei, der versucht, Schauspieler zu sein, und umgekehrt, ein bisschen Wischiwaschi alles. Aber das ist in Ordnung. " sagt der Gewinner des Kritikerpreises 1999.

Nach den Schwierigkeiten von den Dreharbeiten zu "Cool Jazz & Coconuts" rauften sich Studmenn wieder zusammen, als sie einer Einladung der chinesischen Regierung folgten und 1986 dort zwölf Konzerte gaben, unter dem Namen "Strax". "Wir haben anschließend unser Glück im Ausland probiert und eine Platte in Englisch aufgenommen. Aber das war nicht unser Ding! Wir sind Lokalhelden. Wir versuchen, einen Teil der Realität dieser Gesellschaft hier zu spiegeln. Und oft muss man damit umgehen, die Geheimnisse dahinter zu unterstreichen. Du darfst nicht zu viel zeigen, sowohl als Schauspieler als auch als Sänger, und genau das ist der interessante Punkt daran, dieser Balanceakt, der ewige Kampf, die exakt richtige Stimmung zu finden, den exakt richtigen Ton! Aber die meiste Zeit verliert man diesen Kampf.... manchmal aber findet man den richtigen Weg, und das ist etwas, ...ich kann es eigentlich nicht beschreiben,... aber deswegen mache ich es! Um diese Endorphine zu spüren, wenn man den Nagel auf den Kopf trifft! ". Er hält kurz inne, lehnt sich mit der Geschmeidigkeit eines Tänzers zurück und schließt die Augen: "Leider ist dieses Gefühl rar. " "Es ist offensichtlich, dass die amerikanische Massenkultur Überhand nimmt. Aber wir sind dem gewahr, und deshalb gibt es eine Band wie Studmenn. Wir gehen dagegen an! "

Dieser Stolz auf die eigene Sprache und Kultur wurzelt tief in der Vergangenheit. Eine tausendjährige Sprache, die von diesen knapp 270 000 Menschen wie ein Schatz gehütet und wie eine Obsession gepflegt wird, ist eine Gemeinsamkeit der isländischen Menschen, die sie verbindet. Island ist ein Volk der Worte und Bücher, und ihr Stolz auf ihre Sprache macht nicht vor dem Spaßfaktor halt. "Ich sage nicht, dass meine Lyrik gleichzusetzen wäre mit der besten isländischen Poesie, aber es ist eine strenge Form, drei Minuten Musik, in der jedes Wort richtig sein muss, und ich glaube, es ist so. Deshalb ist sie am Leben. Oft verstehen es Leute nicht, wir haben oft diese Übertreibungen, dieses zwischen-den-Zeilen-lesen. Und wir respektieren übernatürliche Dinge, sie sind da. Man ist damit geboren, mit diesen Bergen, mit dieser Einsamkeit, dieser Isolation, dieser Dunkelheit! "

Egill Ólafsson, Schauspieler Islands, Musiker und polished showman, hat seine Bühne gefunden. In einer Mischung aus Begeisterung, kindlicher Spiellaune und Kämpferherz sprüht er mit jedem Satz mehr und mehr Funken, läuft zu präsenter Höchstform auf und schwebt irgendwo zwischen seinem Kultfigurenstatus und spitzbübischer Selbstironie, wohingegen man mich zwischen dokumentarischer Beobachtung und leiser Panik nur noch von der Wand abkratzen kann. "Die Kulturszene ist in jedem Land unterschiedlich Und das ist gut so! " betont er mit allem Nachdruck. "Es ist gut in dem Sinne, dass wir nicht alle gleich sind. Wir gehen alle mehr oder weniger mit den gleichen Problemen um, aber haben unterschiedliche Blickwinkel, unterschiedliche Worte und Wege, Dinge zu beschreiben. Was nämlich in dieser multi-media-mittelklasse-Zeit passiert, ist, dass es den Blickpunkt einschränkt. Die Leute brauchen immer mehr die kleinen Dinge, die kleinen Eigentümlichkeiten. Schließlich sind wir alle irgendwie seltsam, wir sind alle unterschiedlich, aber wir sind dabei, die Identitäten zu verlieren. Um Neues zu entdecken, muss man in der Lage sein, verschiedene Kulturen und Sprachen zu verstehen. Dafür gibt es die Gruppe Studmenn, das ist unsere Musik! "

Jemand, der die Füße fest verwurzelt hat, kann unbesorgter den Kopf in die Wolken stecken, und dieses Urvertrauen in die Fähigkeit, überleben zu können, selbst wenn sich die Erde unter ihren Füßen bewegt, scheint isländische Künstler in ihrem Wesen und Werk auf ihre ganz eigene Weise zu festigen. Egill Ólafsson zeigt, wie es klingen kann, zu Hause zu sein.


Das Interview entstand im Frühjahr 2000 im Hotel Borg Reykjavik, Island






Foto Egill Ólafsson

Egill Ólafsson



Egill Ólafsson

  • geboren 09.02.1953 in Reykjavík
  • Schauspieler, Sänger und Komponist
  • Frontmann diverser Bands, darunter
    "Spilverk Thjódanna", "Thursaflokkur",
    "Studmenn" und das "Björn Thor Trio"
  • Über 80 Veröffentlichungen, darunter 3 Soloalben
  • Mitwirkung in mehr als 20 Filmen, darunter skandinavische, deutsche und amerikanische Produktionen
  • Sowohl mit dem "Björn Thor Trio" als auch mit der Gruppe "Studmenn" sind 2001 Konzerte in Deutschland geplant




Foto Egill Ólafsson

Egill in concert




Studmenn-Discographie

  • Sumar á Sàrlandi
  • Tívolí
  • Med allt á hreinu
  • Hvítir mávar
    (Cool Jazz and Coconuts)
  • Ærlegt sumarfrí
  • Hve glöd er vor æska
  • Hvílik thjód
  • Íslenskir karlmenn



Egill Ólafssons Solo-Platten

  • Tifa Tifa, 1991
  • Blátt Blátt, 1992
  • Angelus novus, 2001




Foto Cover Angelus novus

Cover der neuesten CD
"Angelus novus"
CD zu bestellen bei www.skifan.is






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