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Silvana Dussmann im Kampf gegen das Schubladendenken:
"Wenn du singen kannst, kannst du alles singen!"

Die österreichische Sopranistin stellte sich den Fragen unseres Mitarbeiters Thomas Tillmann


Von Thomas Tillmann
Juni 2002


OMM: Frau Dussmann, die meisten Menschen kennen Sie als Rosalinde in der Fledermaus. Beim Blick auf Ihr Repertoire und auf die Rollendebüts der letzten Jahre habe ich allerdings den Eindruck, dass Sie sich ein bisschen von der Operette entfernen und sich mehr der Oper widmen wollen. Hatten Sie Angst davor, als bloße Operettensängerin abgestempelt zu werden?

Dussmann: Da ist etwas Wahres dran. Es ist leider nach wie vor so, dass man, wenn man viel Operette singt, kaum noch etwas Anderes angeboten bekommt - zu Unrecht. Früher hat man gewusst, was eine Sängerin kann, die die Rosalinde in der Fledermaus singen darf - immerhin gibt es da die Vorbilder von Hilde Güden, Elisabeth Schwarzkopf, Gundula Janowitz, Lucia Popp und anderen. Ich persönlich bin sehr stolz darauf, dass ich mein Handwerk mit der Operette und damit von der Pike auf gelernt habe! Das Gerüst der Technik muss stimmen, damit man überhaupt die leichte Muse machen kann, die ja so leicht ausschaut, aber so schwierig ist! Und erst als dieses Gerüst stand, konnte ich Rollen wie Chrysothemis, die Marquesa del Poggio, die Figaro-Gräfin, Donna Anna, Vitellia und jetzt die Leonora im Trovatore in Angriff nehmen! Worum geht es in der Operette? Man muss nicht nur schön singen können, man muss gerade als Frau auch gut ausschauen, man muss tanzen und Dialog sprechen können, und das alles mehr oder weniger gleichzeitig! Und wenn man das alles im Körper hat, dann hat die Technik ihren Platz gefunden!
Die Operette ist mein Lehrmeister gewesen! Es tut mir in meiner Operettenseele weh, dass ich mich im Moment ein wenig von der Operette absentieren muss, aber leider kommt mir immer wieder zu Ohren: "Die singt ja Rosalinde, die kann doch nicht Verdi-Requiem singen!" Das sind so vorgefasste Meinungen und "Schubladisierungen", die mich wahnsinnig ärgern. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich sehr wohl gleichzeitig die klassische Operette und das klassische Opernrepertoire singen kann, weil die technischen Voraussetzungen stimmen.

OMM: Woher hat die Operette Ihrer Meinung nach ihren schlechten Ruf?

Dussmann: Weil manchmal auch sehr viel Schlechtes, Vordergründiges und Klischeehaftes daraus gemacht wird. Aber letztlich werden doch in ihr ganz ähnliche Themen behandelt wie in der Oper und wie heute im Musical. Die Leute müssen doch begreifen, dass Oper und Operette auch in unserer Techno-Zeit leben können, wenn sie verstanden werden, wenn man sich auf die Intentionen der Komponisten einlässt, die sich Gedanken gemacht haben über viele Situationen und Fragen, die uns ja bis heute betreffen - es geht doch letztlich immer um Liebe, Macht und Tod! Nur ist es bei der Operette ja häufig so, dass die Leute hingehen, um sich zu entspannen und schöne Melodien zu hören, während die Handlung das eine oder andere Mal untergeordnete Bedeutung hat. Ich will diese Haltung auch gar nicht kritisieren: Ich möchte ja Menschen mit dem, was ich tue, "entrücken", sozusagen dem Alltag entheben. Wenn es von der Inszenierung her nicht geht, dann wenigstens vom Gesang und von der Musik her!
Die Musik ist für mich oft genug so etwas wie ein Überlebenshaken, der mir hilft, über Manches hinweg zu kommen, was man szenisch von mir verlangt. Die Gesellschaft sieht das, was sie selbst geworden ist! Je durchgeknallter die Inszenierungen sind, desto interessierter ist das Publikum, das sich denkt: Den Verriss schauen wir uns an! Schuld ist die Gesellschaft schlechthin: Es hat sich einfach etabliert, dass über gute Inszenierungen weniger gesprochen wird als über schlechte, und alle partizipieren daran! Verstehen Sie mich nicht falsch - ich will mir nicht anmaßen, Regisseure für ihre Arbeit zu verurteilen, und ich habe auch mit wirklich guten Regisseuren zusammengearbeitet, die sich sehr gut mit den Stücken auskannten, ich erinnere mich etwa sehr gern an die Zusammenarbeit mit Jürgen Flimm und Nicolas Brieger, der eine tolle Vitellia aus mir gemacht hat. Es ist eine Freude, zusammen mit einem Regisseur und einem Dirigenten das aufzuspüren, was der Komponist und der Librettist sagen wollten! Und wenn wir das gemeinsam finden, dann habe ich überhaupt nichts dagegen, die Handlung in die Moderne zu verlegen!

OMM: Was mir gerade auch an Ihren Operetteninterpretationen imponiert, ist der Umstand, dass Sie vokal aus dem Vollen schöpfen und beispielsweise auch einmal einen Spitzenton interpolieren können und nicht alles "nach unten" singen müssen.

Dussmann: Ja, erfreulicherweise hat sich die Stimme so gut entwickelt, dass sie einen Umfang von zwei bis drei Oktaven hat und ich's mir aussuchen kann. Aber glauben Sie mir, es hat sehr lange gedauert, bis ich zu dieser stimmlichen Freiheit gekommen bin, oder auch: bis ich durch Technik frei geworden bin. Wenn die Technik nicht stimmt, dann stimmt es grundsätzlich nicht! Das möchte ich auch all den jungen Sängerinnen und Sängern immer wieder sagen: Man kann nicht in fünf Jahren alles von Liebestrank bis Liebestod singen! Natürlich kann man es sich nicht leisten, immer nein zu sagen bei bestimmten Angeboten, aber man kann zumindest Bedenken anmelden.
Es ist ein großes Glück, wenn man einen Lehrer gefunden hat, der einem sagt, an welchen Stellen man aufpassen muss. Ich habe glücklicherweise in Gerhard Kahry einen solchen Lehrer gefunden. Er ist für mich der "Wegbereiter der Dussmann"! Er warnt mich immer wieder vor einigen Partien; manchmal sagt er mir, dass ich mir gewisse Rollen durchaus anschauen kann, aber dass ich mit dem tatsächlichen Singen noch eine Weile warten soll, und ich gehe auch mit Partien zu ihm, die eine Weile gelegen haben. Es ist ein großes Glück, ihn zu haben, und ich bin ihm unendlich dankbar. Er hat mir beigebracht, dass der Belcanto das Fundament für alles andere ist, und wenn man das beherrscht, beherrscht man einfach alles, was in anderen Bereichen des Repertoires auf einen zukommen kann. Ich sehe mich selber übrigens als spinto leggero, d.h. ich bin noch nicht der spinto, der Macht des Schicksals und Maskenball singen würde, während Aida bereits sozusagen in der Warteschleife ist. Das, was ich spinto leggero nenne, umfasst vieles, aber eben nicht alles: Schon bei meiner ersten Konstanze, dann bei der Frau Fluth und erst recht bei der Marchesa del Poggio habe ich gesehen, dass da etwas möglich ist, dass da eine Entwicklung ihren Anfang nimmt.

OMM: : Würden Sie die Konstanze heute noch singen?

Dussmann: Wenn das Ensemble stimmte, sänge ich sehr gern weiter Konstanze und meine anderen Mozartpartien! Aber es gibt inzwischen eine ganze andere Philosophie der Besetzung. Für mich heißt das, dass ich all diese Partien nicht mehr singen darf, obwohl ich das sehr gern täte, aber angeblich ist meine Stimme zu groß. Stattdessen bekomme ich Anfragen für Turandot und Tosca! Das kann sich natürlich in diese Richtung entwickeln, vielleicht bin ich in fünf oder in acht Jahren so weit, aber jetzt sicherlich noch nicht. Meine momentane Grenze ist sicherlich Chrysothemis, die ich nicht gerade alle drei Tage singen möchte, auch weil sie von der Emotion her so anstrengend ist.

OMM: Aber legt sich dieses emotionale Aufgewühltsein nicht mit der Zeit, vielleicht sogar schon während der Proben?

Dussmann: Nein, bei mir jedenfalls nicht, ich erlebe das immer wieder neu, und nur so kann ich das jedes Mal wieder herüberbringen, was diese Frauencharaktere fühlen und durchmachen. Vielleicht ist die Emotion bei den Wiederholungen nicht mehr ganz so groß, aber da sind ja auch noch die vielen persönlichen Emotionen, die hinzu kommen. Ich kann ja nicht sagen: Die private Dussmann bleibt jetzt draußen, und die Bühnen-Dussmann kommt jetzt einmal für ein paar Stunden hinein! Man kann Gefühle meiner Meinung nach nur dann weitergeben, wenn man sie selbst erlebt hat - nur so wird's authentisch! Und deshalb muss natürlich die Technik stimmen, sonst schadet man der Stimme. Ich möchte dreißig Jahre singen, das empfinde ich als meine Berufung. Ich stehe jetzt sozusagen auf dem ersten Hügel - den ich mir hart erkämpft habe! - und weiß jetzt, wo ich mit meiner Stimme zuhause bin, in meinem Körper! Das weiß man nicht als Anfänger, da ist Verantwortung einem jungen Menschen gegenüber gefragt, und die nehmen wahrlich nicht alle Gesangslehrerinnen und -lehrer wahr!

OMM: Meines Wissens ist Ihnen die Musik nicht in die Wiege gelegt worden. Lassen Sie uns ein wenig über Ihre Anfänge sprechen.

Dussmann: Ich bin ein Adoptivkind. Ich weiß gar nichts von meinen Eltern, ich weiß nur, dass ich in Wien geboren bin. Ich bin dann als Pflegekind bei sehr lieben Menschen in der Steiermark gewesen, und dort habe ich mir diese Bodenständigkeit angeeignet, die mir auch in schweren Zeiten sehr geholfen hat, d.h. ich weiß, wie man mit beiden Beinen auf der Erde steht, wie man sich erdet, wie man sich Widerständen gegenüber durchsetzt. Mit vier Jahren kam ich dann nach Wien zurück und wurde adoptiert. Ich habe damals als Kind sehr gern gesungen, übrigens fast immer zweite Stimme, in "Terzerln", wie man bei uns in Österreich sagt. Aber dass ich eines Tages professionell singen würde, daran war damals noch gar nicht zu denken. Ich sollte Sekretärin werden, also etwas Anständiges lernen!
Ich war auch erst mit 17 Jahren zum ersten Mal in der Oper, ich habe in der Wiener Staatsoper Lohengrin gesehen. Leonie Rysanek und Jess Thomas haben einen solchen Eindruck auf mich gemacht, dass ich nicht aus der Oper weggehen konnte und mich jemand an der Schulter antippen musste und mir sagte, die Oper sei aus. Und das war dann die Geburtsstunde der Sängerin Silvana Dussmann, auch wenn mein Weg dorthin noch ein sehr langer war.
Ich habe dann tatsächlich die Handelsschule besucht und wurde Sekretärin, habe aber auch schon im Zusatzchor der Wiener Volksoper vorgesungen. Prof. Gerstacker, der Chordirektor, bestand darauf, dass ich meine Handelsschule zu Ende mache. Er gab mir aber auch die Chance bei den Sommerfestspielen in Mörbisch mitzusingen, und so bin ich mit der Operette in Berührung gekommen.
Nach dem sehr beeindruckenden Lohengrin bin ich in die berühmten Stehplatzkreise in Wien gekommen und da lernt man halt Leute kennen, die auch eine musikalische Laufbahn anstreben. Es war klar, dass ich eine gute Naturstimme hatte, und ich hatte damals auch schon ein bisschen Gesangsunterricht. Zu einer richtigen Ausbildung kam es aber erst infolge einer Wette, als mich ein Stehplatzbekannter über meinen Kopf hinweg zur Aufnahmeprüfung an der Wiener Musikhochschule angemeldet hat. Es war eine glückliche Fügung, dass Rita Streich mich dann angenommen hat. Ich war inzwischen aber schon im Beruf, und irgendwann war der Zustand dann für das Unternehmen nicht mehr tragbar. Glücklicherweise hat mir eine gute Bekannte eine Wohnmöglichkeit angeboten und mit Hilfe eines Begabtenstipendiums und einer Halbwaisenpension war es mir möglich, meinen Beruf an den Nagel zu hängen und mich ganz auf das Studium zu konzentrieren. Im vierten Studienjahr habe ich mich dann auf eine freie Stelle im Chor der Wiener Staatsoper beworben, und der dortige Leiter, der ja auch aus Bayreuth bekannte Norbert Balatsch, hat mich angenommen! Jetzt hatte ich also wieder eigenes Geld, ich war nicht mehr abhängig, ich konnte etwas vorweisen. Das heißt aber nicht, dass ich mit der Ausbildung fertig war, denn jetzt ist es erst richtig losgegangen. Ich hatte etwa sechs Stunden am Tag an der Staatsoper zu tun mit all den Proben und Vorstellungen und dazu mein Pensum in der Opernklasse an der Hochschule - ich kam also manches Mal auf zehn bis zwölf Stunden! Es ist mir nichts geschenkt worden, ich musste immer hart arbeiten und kämpfen. Ich habe insgesamt acht Jahre lang studiert, und ich habe diese Zeit gebraucht, um wirklich zu wissen, wo's lang geht!

OMM: Wie lange haben Sie dann im Chor der Staatsoper gesungen?

Dussmann: Sechs Jahre lang. Ich habe 65 Opern studiert! Und ich habe dadurch natürlich auch mit unglaublichen Leuten auf der Bühne gestanden, die mir sehr imponiert haben. Ich habe Pavarotti und Cappuccilli erlebt, ich habe Mirella Freni sehr schätzen und lieben gelernt und auch Montserrat Caballé, ebenso Eva Marton in ihren Aufstiegsjahren und Margaret Price. Mir imponieren Sänger, die genau wissen, was sie mit ihrer Stimme tun! Wenn man solche Stimmen gehört hat, dann weiß man einfach, wohin man kommen möchte, dann hat man die Maßstäbe gefunden, die man braucht. Nicht, dass ich jetzt unentwegt die Aufnahmen dieser großen Sänger hören würde - nein, ich versuche immer, meinen eigenen Weg zu einer Partie zu finden. Es ist eher so, dass ich bei einer Partie nachschaue, ob z.B. die Caballé diese Rolle auch gesungen hat.

OMM: Sie sind dann aber nicht im Chor der Wiener Staatsoper geblieben.

Dussmann: Nein. Nach sechs Jahren kam der Sprung ins kalte Wasser. Das habe ich dem damaligen Direktor Eberhard Waechter zu verdanken, der an der Volksoper eine Nachfolgerin für Mirjana Irosch als Operettendiva suchte. Ich habe ja dann damals auch die Lisa dort gesungen, zusammen mit Nicolai Gedda. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Angebot aus Innsbruck, dort Oper zu singen, und das habe ich Waechter erzählt, der sehr gekränkt war. Ich kann's verstehen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite musste ich es einfach ausprobieren. Ich war mir zwei Jahre lang nicht sicher, ob es eine gute Entscheidung war! Heute weiß ich, dass es richtig war, denn dort konnte ich meinen geliebten Mozart singen. Ich habe viel dort gelernt und ausprobieren können, Oper und Operette, aber ich wurde nie über meine damaligen Grenzen hinaus eingesetzt, wofür ich dem damaligen Intendanten Wlasak sehr dankbar bin. 1992 kam dann ein Angebot aus Graz, das ich angenommen habe.

OMM: Sie haben dort zu meinem Erstaunen die Sophie im Rosenkavalier gesungen!

Dussmann: Ja, in der Tat. Ich wäre damals die jüngste Marschallin gewesen, und ich war auch vorgesehen dafür, aber es gab auch noch eine Kollegin, die sozusagen ältere Rechte hatte. Man hat mich dann gefragt, ob ich auch Sophie machen würde, und es konnte mir nichts Besseres passieren, denn die Partie hat mir - ebenso wie die Agathe, die ich dort auch zum ersten Mal gesungen habe - sehr bei der Entwicklung meiner Mittellage geholfen, die ja das A und O in meinem Fach ist.

OMM: Aber jetzt wäre genau die richtige Zeit für ihre erste Marschallin - Sie bringen nun wirklich alle Voraussetzungen für diese Partie mit!

Dussmann: Ja, ich würde sie jetzt schrecklich gern singen, auch Arabella, während ich mit Ariadne noch etwas warten möchte. Ich habe da immer noch die Tomowa-Sintow als übermächtige Erinnerung, die eine wunderbare Ariadne und Marschallin war! Bei der Daphne habe ich das Problem, dass man eine solch ätherische Partie heute mit einer ganz zarten Darstellerin besetzt. Von Strauss möchte ich unbedingt als nächstes die Vier Letzten Lieder machen.

OMM: Sie haben in Graz noch eine weitere Partie gesungen, die häufig völlig unterbesetzt ist, die Violetta.

Dussmann: Ja, das ist sicher eine Partie für zumindest einen spinto leggero! Wenn man die Violetta von Sängerinnen wie Freni, Scotto, Tomowa-Sintow oder auch Barbara Daniels gehört hat, dann weiß man, was eine Traviata haben muss! Der zweite Akt braucht einfach so viel Stimme, so viel Substanz.

OMM: Wie kam es dann zu dem endgültigen Sprung nach Wien?

Dussmann: Ioan Holender hat mich für die Volksoper engagiert, also für das kleinere, aber meiner Meinung nach sehr unterschätzte Wiener Haus. Ich habe dort selbst wunderbare Vorstellungen erlebt und auch dann in sehr vielen gesungen! Ich bin dort sogar noch als Valencienne in der Lustigen Witwe aufgetreten, so dass man die tiefen Töne des Grisettenchansons endlich einmal gesungen gehört hat; bald danach bekam ich dann aber die Hanna Glawari.

OMM: Und mit welcher Partie haben Sie dann an der Staatsoper debütiert?

Dussmann: Mit der Musetta, allerdings auf Italienisch, im kleinen Haus hatte ich sie schon auf deutsch gesungen. Musetta ist auch so eine Partie, für die man Stimme braucht: Wenn die im zweiten Akt nicht über das Ensemble kommt, dann ist es nicht richtig!

OMM: Lassen Sie uns ein wenig über zukünftige Partien sprechen. Welche weiteren Verdirollen interessieren Sie?

Dussmann: Natürlich Desdemona! Auch vieles vom frühen Verdi, aber bei Odabella und Abigaille muss man wirklich aufpassen. Vielleicht würde ich es in einer konzertanten Aufführung machen, mit einem sängerfreundlichen Dirigenten und ohne die zusätzlichen Anforderungen des Darstellens, weil ich mich dann ganz auf das Singen konzentrieren könnte und nicht eine schwierige Bewegung mir den Ton kaputt macht. Unter diesen Umständen wäre vielleicht sogar eines Tages die Lady Macbeth möglich, vorausgesetzt, dass die Tiefe sich weiter entwickelt. Mich würde auch Luisa Miller sehr reizen, aber da will man ja heute siebzehnjährige Kinder haben! Ich möchte auf alle Fälle noch einmal Un giorno di regno machen, ich habe das Werk bisher nur auf Deutsch gesungen, und das klingt sicher auf Italienisch besser, und es ist ein tolles Stück! Dann würde ich auch sehr gern die Donna Anna und die Gräfin endlich auf Italienisch singen, und die Elettra im Idomeneo reizt mich sehr, obwohl das auch eine Partie ist, bei der man sehr aufpassen muss, weil die Impulsivität, die man in dieser Rolle ausdrücken muss, einen von einer kontrollierten Stimmführung abbringen kann! Ich singe auch immer wieder Mozart, weil er für mich eine Art Stimmpflege ist und zu größter Präzision zwingt.

OMM: Puccini fehlt bisher ganz, sieht man von der Musetta ab! Sie wären beispielsweise eine tolle Mimì!

Dussmann: Ich würde sehr gern Mimì und Butterfly machen, aber ich werde einfach nicht danach gefragt - wahrscheinlich sehe ich nicht magersüchtig genug aus! Tosca wird sicherlich irgendwann kommen, und ich schließe auch Turandot nicht vollkommen aus. Ich würde auch gern La Rondine machen - ein schweres, wunderschönes und total unterschätztes Werk! -, auch Suor Angelica, während mir die Giorgetta im Tabarro zu dramatisch ist.

OMM: Wir haben schon den Belcanto erwähnt - mit der Norma haben Sie ja eigentlich die schwierigste Partie dieses Repertoires gesungen! Viele Kolleginnen halten die Norma für schwieriger als alle drei Brünnhilden zusammen!

Dussmann: Ich kann bei der Brünnhilde nicht mitreden, aber man braucht eine enorme Flexibilität in der Stimme für Norma. Man muss sowohl die liebende, zärtliche Frau als auch die Kämpferin nahezu gleichzeitig vokal umsetzen können, und das zu schaffen, war sicherlich ein Meilenstein in meiner bisherigen Karriere, und sie hat mich auch als Figur ungemein gefangen genommen! Ich möchte auf alle Fälle auch Maria Stuarda, die ich bereits studiert habe, und Anna Bolena machen - diese Königinnenrollen reizen mich sehr, weil bei allen dreien eine Frau dahinter stehen muss, die genau weiß, was sie will, eine starke Frau eben, und ich glaube, dass ich das bin. Diese Rollen zu singen, zu interpretieren, das ist eine wirkliche Herausforderung! Oder den Wahnsinn der Lucia di Lammermoor darzustellen! Oder auch jetzt die Leonora im Trovatore, die so häufig unterschätzt wird: Sie ist eine Aufrührerin, weil sie einen Ausländer liebt, einen Mann, der nicht in ihre Gesellschaft passt. Sie selbst wird Außenseiterin in diesem Stück, sie steht zwischen zwei Männern - die gute Partie, die sie machen sollte, interessiert sie nicht, es interessiert sie der, der schöne, traurige Lieder singt, der etwas in ihr zum Klingen bringt, etwas Neues, das sie nicht kennt. Ich möchte nicht das Wort Powerfrau benutzen, weil es so abgenutzt ist inzwischen, aber in jedem Fall wehrt sie sich gegen die Gesellschaft, weil ihr Herz ihr etwas Anderes sagt, und das muss man erst einmal durchleben! Und die Partie ist auch musikalisch extrem anspruchsvoll, schauen Sie nur die Arien an, Bögen, Legati, Pianissimi, Forte, Koloraturen - der ganze Belcanto kommt vor auf diesen paar Seiten! Ich bin so froh, dass ich vorher schon Norma gemacht habe, und ich bin sicher, dass mich die Leonora auch ein ganzes Stück weiterbringt!

OMM: Wie lässt man bei einer Partie wie der Norma den Schatten der Callas hinter sich, wie den einer Gruberova, wenn man die Elisabetta in der selben Inszenierung singt wie sie und dazu noch in Wien?

Dussmann: Darf ich das jetzt so sagen, wie es ist? Ich bin ich, und die beiden sind jeweils für sich ganz andere! Und wenn dann das Publikum und die Kritik bemerken, dass ich es ganz anders, aber auch gut mache, dann habe ich das erreicht, was ich möchte. Die Schatten von Frau Callas und Frau Gruberova sind für mich nicht drohend! Es gab auch zu Zeiten der Callas andere Sängerinnen, die weiß Gott nicht schlecht waren und wussten, was sie taten!

OMM: Und wie sieht es mit Wagner aus?

Dussmann: Na ja, ich bin dabei, Elsa und Elisabeth zu studieren, und ich würde auch jederzeit Eva machen. Vielleicht wird eines Tages auch die Siegfried-Brünnhilde kommen, vielleicht auch die Brünnhilde in der Walküre, aber da bin ich mir gar nicht sicher. Vielleicht kommt ja auch vorher noch die Sieglinde. Senta liegt für mich irgendwo zwischen Forza und Turandot. Ich würde aber gern irgendwann Fidelio singen, auch weil das eine Frau ist, die sehr viel auf sich nimmt ... Und ich finde auch die Magda Sorel in Menottis Konsul so toll!

OMM: Ich könnte Sie mir auch gut in den Janacek-Opern und auch als Tatjana und Lisa vorstellen.

Dussmann: Ich weiß einfach nicht, ob ich die Zeit hätte, tschechisch und russisch zu lernen - es würde mindestens ein Jahr dauern. Immerhin möchte ich immer ganz genau wissen, was ich singe. Ich merke auch, wie lange es bei einigen italienischen Partien gedauert hat. In Roberto Devereux, Norma und Trovatore hat man es manchmal mit einem sehr alten Italienisch zu tun, das ich nur sehr schwer in den Kopf bekomme. Gott sei Dank habe ich meinen tollen Italienisch-Coach, den Professore Sanna, der mit mir an solchen Dingen arbeitet.

OMM: Sie haben mit gleich zwei "Schubladisierungen" zu kämpfen, wenn ich das recht sehe: Das ist nicht nur der Ruf der "Operettensängerin", sondern auch noch der "deutsche" Name!

Dussmann: Ich sehe meinen Namen nicht vorrangig deutsch. Bei mir ist nur die Muttersprache deutsch, ansonsten eigentlich nichts. Viel mehr sehe ich das umgekehrt: Wenn man eine Leonora singen kann, dann hat man die Italianità, um auch eine Elsa oder eine Elisabeth gut singen zu können. Kenntnisreiche, mir nahe stehende Menschen bestärken mich darin, meinen Weg weiterzugehen ohne Festlegung auf das eine oder auf das andere Fach. Ich werde deshalb immer wieder probieren, Partien des italienischen Fachs zu singen und die Leute aufhorchen zu lassen, die mich in die deutsche Schublade stecken wollen! Wenn du singen kannst, kannst du alles singen! Ich singe z.B. auch sehr gern die Lieder von Mozart, Schubert, Schumann, Wolf und Strauss, aber es fehlt mir einfach die Zeit, mich intensiver damit zu beschäftigen. Ich mag auch die frühen Lieder von Schönberg. Ich habe ansonsten keinen rechten Zugang zur Musik nach Richard Strauss; das einzige, was mich in diesem Bereich reizen könnte, wären die Carmina burana von Orff, die ich für mich gelernt habe, aber das wird heute leider auch wesentlich leichter besetzt. Und ich singe die großen Werke wie Verdi-Requiem, Missa solemnis und natürlich Beethovens 9 sehr, sehr gern. Ich bin auch froh, mir Einiges in der Oratorienliteratur erarbeitet zu haben, ich halte das für eine Art vokale Schönheitspflege.

OMM: Man merkt, dass Sie sich mit allen Bereichen Ihres Berufes sehr genau befasst haben und befassen, aber auch, dass dieser Beruf mit großen Entbehrungen einhergeht.

Dussmann: Aber er ist mein Leben! Natürlich hat er mich manches Opfer gekostet: Ich habe keine Familie, keinen festen Lebenspartner. Es ist sehr schwer, als Sängerin eine Beziehung zu leben. Der Mann, der das mitmacht, den muss ich mir noch schnitzen! Wenn ich jetzt zum Beispiel Karriere mache und viel Geld verdiene, dann fühlt der Mann sich zurückgesetzt - außer er ist selber Manager oder so etwas, aber dann sieht man sich nur am Flughafen.

OMM: Stichwort Karriere - was bedeutet dieser Begriff für Sie?

Dussmann: Wenn ich ehrlich sein darf: Ich kann gar nichts damit anfangen. Ich weiß nie genau, wo mich mein Leben und mein Singen hinführen wird, und ich werde sicher nicht ins Wasser gehen, nur weil ich nicht an der Met oder der Scala gesungen habe. Natürlich wär's schön! Ich werde meinen Weg eben weitergehen mit diesem Repertoire ohne Festlegung auf ein Fach! Und ich werde aufpassen, dass ich gesund über all die Hürden komme!

OMM: Ich traue mich kaum noch zu fragen, ob Singen ein Traumberuf ist ...

Dussmann: Ich würde es so sagen: Es gibt einen Traum, der heißt, durch Schwingungen Menschen zu erreichen. Diese Fähigkeit, bei anderen Menschen etwas zum Schwingen zu bringen, sie zu berühren, das kann man nicht lernen, auch wenn man technisch noch so gut ist, dann kommt es nicht zu diesem magischen Austausch mit dem Publikum, zu diesem Geben und Nehmen. Und wenn man nur einen Menschen im Zuschauerraum berührt, dann hat die Berufung zum Singen schon ihren Sinn gehabt. Ja, es ist eine wirkliche Berufung zu singen! Es gibt dabei auch den Traum, Musik, die schon Jahrhunderte lang überlebt hat, weiter zu tragen. Und dann sind da noch diese seltenen Momente, in denen man wirklich abheben kann, in dem "es" aus einem heraussingt! Ich lasse mir diesen Spaß am Singen nicht nehmen, was sehr schwer ist, weil es so viele Leute und Umstände gibt, die einem den Spaß verderben. Ich würde mir einfach wünschen, dass wir Sänger wieder mehr in den Mittelpunkt kommen, nicht nur Staffage in der Oper sind und dass wir mehr als vier Zeilen in einer Kritik abbekommen.



Foto Wolfgang Millgramm

Silvana Dussmann




Silvana Dussmann wurde in Wien geboren. Sie studierte bei KS Rita Streich und bei Gerhard Kahry. Nachdem sie aus einigen internationalen Gesangswettbewerben erfolgreich hervorgegangen war, debütierte sie bereits 1987 als Lisa in Franz Lehárs Operette Das Land des Lächelns an der Seite von Nicolai Gedda an der Wiener Volksoper.

Sie wurde 1988 Ensemblemitglied des Tiroler Landestheaters in Innsbruck, wo sie mit der Ilia (Idomeneo), der Konstanze (Die Entführung aus dem Serail), der Pamina (Die Zauberflöte), der Micaela (Carmen), der Laura (Der Bettelstudent) und der Rosalinde (Die Fledermaus) bereits wichtige Hauptpartien in Oper und Operette übernahm. Außerdem debütierte sie bei den Seefestspielen Mörbisch in der Titelpartie von Kálmáns Csárdásfürstin und trat in Konzerten in Japan und den USA auf. 1992 wechselte die Sopranistin an die Grazer Oper, wo sie ihr Repertoire um Partien wie Violetta (La Traviata), Sophie (Der Rosenkavalier), Agathe (Der Freischütz) und Angèle Didier (Der Graf von Luxemburg) erweiterte.

Seit 1994 ist Silvana Dussmann den Wiener Opernhäusern eng verbunden. An der Wiener Volksoper war sie in zahlreichen Neuproduktionen und Wiederaufnahmen als Musetta (La Bohème), als Marchesa del Poggio (in Verdis Un giorno di regno), als Frau Fluth in Die lustigen Weiber von Windsor, als Micaela, als Vitellia in der Nicolas-Brieger-Inszenierung von La Clemenza di Tito, als Donna Anna im Don Giovanni, als Contessa in Le nozze di Figaro und als Norma zu erleben, an der Wiener Staatsoper hat sie unter anderen Musetta und Rosalinde verkörpert.

Die Rosalinde sang Silvana Dussmann 1996 auch bei den Seefestspielen in Mörbisch, ab 1998/1999 am Aalto-Theater in Essen und an der Bayerischen Staatsoper München, 1999 im Rahmen der Wiener Festwochen in einer von Jürgen Flimm inszenierten und Nikolaus Harnoncourt dirigierten, europaweit in Rundfunk und Fernsehen ausgestrahlten Neuproduktion sowie bei ihrem Debüt an der Hamburgischen Staatsoper im Dezember 2001. Die Rosalinde, die sie neben anderen CD-Aufnahmen für das Label Arte Nova eingespielt hat, wird sie auch in Zukunft unter anderem an der Bayerischen Staatsoper und im Juli 2003 unter Seiji Ozawa beim japanischen Saito-Kinen-Festival interpretieren.

Mit dem Israel Philharmonic Orchestra sang sie in Tel Aviv die Titelpartie in Die lustige Witwe (auch dort war sie unter Zubin Mehtas Stabführung in der Fledermaus zu erleben). In Bonn stellte sie sich als Konstanze vor und sang in Essen erstmals die Chrysothemis in Elektra. Ihre erste Wiener Chrysothemis wurde im Dezember 2000 vom Publikum der Wiener Staatsoper mit Ovationen aufgenommen. In dieser Opernspielzeit absolvierte Dussmann dort mit durchschlagendem Erfolg ihr Rollendebüt als Elisabetta I. in Donizettis Roberto Devereux. Sie sang erneut die Norma, diesmal im Rahmen einer konzertanten Aufführung in der Münchner Philharmonie im Gasteig und war in Essen bei ihrem Rollendebüt als Leonora in Il Trovatore zu erleben.

Schon im Mai vergangenen Jahres eröffnete sie gemeinsam mit den Wiener Symphonikern unter Georges Prêtre die Wiener Festwochen 2001 mit einer Open-Air-Gala vor dem Wiener Rathaus, die gleichfalls europaweit ausgestrahlt wurde. Im Januar 2003 wird sie mit einer neuen Strauss-Partie an der Oper Frankfurt debütieren (Kaiserin in Die Frau ohne Schatten) und ein Jahr später dann an der Deutschen Oper Berlin mit der Titelpartie in Korngolds Das Wunder der Heliane unter Christian Thielemann.

Neben ihrer Bühnenkarriere ist Silvana Dussmann auch eine überaus gefragte Konzertsängerin. Ihr entsprechendes Repertoire umfasst u.a. das Magnificat und die Matthäus-Passion von Bach, Haydns Schöpfung, Mirjams Siegesgesang von Schubert, Beethovens 9. und Mahlers 8. Symphonie, Verdis Messa da Requiem und Rossinis Stabat mater. Auf der Bühne wie auf dem Podium arbeitet die Österreicherin regelmäßig mit renommierten Dirigenten wie Rudolf Bibl, Bertrand de Billy, Alfred Eschwé, Asher Fisch, Nikolaus Harnoncourt, Zubin Mehta, Arnold Östman, Georges Prêtre, Stefan Soltesz, Marcello Viotti, Bruno Weil und Simone Young zusammen.










Da capo al Fine

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